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Donnerstag, 27. Januar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -03
mariant, 11:44h
Dennis nickt bestätigend:
"Dann besuchen Sie oder ihre Frau, wer gerade Zeit hat, mich mit ihrem Sohn nach den Hausaufgaben nachmittags im Kloster."
"Okay, danke sehr," antwortet Papa erleichtert und bietet Dennis seine Hand an. Dennis schlägt ein, aufmunternd lächelnd.
Anschließend geht Dennis zu seiner Mutter und sagt:
"Wir sollten aufbrechen!"
Zu Tante Alice gewandt, meint er:
"Es tut mir leid, dass sich der Abend so entwickelt hat. Heute ist doch Ihr Freudentag!"
Dennis nimmt nun seine Schultertasche, legt sich den Riemen quer über die Brust, öffnet sie und nimmt zwei weiße Schals heraus, die er Tante Alice und dem Onkel über die Schultern legt. Er verbeugt sich leicht und führt seine gefalteten Hände an seine Lippen. Dabei sagt er:
"Glück und Segen Euch!"
Kurz darauf verlassen Dennis und seine Mutter das Fest.
*
Ich habe nach diesem Wochenende Angst, in die Schule zu gehen. Dennis ist nicht da, und so werde ich sicherlich die Retourkutsche abbekommen. Da Papa schon zur Arbeit gefahren ist, fährt Mama mich den Schulweg und klopft dort an die Tür des Lehrerzimmers. Sie hat mir versprochen mit Herrn Belz zu reden.
Im Unterricht halte ich mich wie immer zurück. Ich beantworte Fragen der Lehrer nur, wenn sie mich direkt ansprechen. In den Pausen sehe ich unseren Vertrauenslehrer am Rand des Schulhofes stehen und die Szenerie beobachten.
Am Donnerstagnachmittag hat Papa endlich Zeit mit mir zu dem buddhistischen Kloster zu fahren, in dem Dennis und seine Mutter wohnen sollen.
Wir kommen zu einem zweistöckigen Haus mit Walmdach, das etwas von der Straße zurückliegt, und daher einen breiten Vorgarten mit Rasen und einzelnen Zierbüschen aufweist. Das Haus ist blendend weiß gestrichen, nur das obere Fensterband ist braun abgesetzt. Wir gehen über einen breiten Weg auf die Doppeltür zwischen zwei Säulen zu, die einen überdachten Eingang bilden. Dahinter öffnet sich ein großes Foyer mit senkrecht stehenden Rollen an den Wänden und einem Bodenmosaik, das einen schwarzen und einen weißen Tropfen darstellt, mit einem runden Punkt in der Mitte und alles in einem großen Kreis.
Ein kahlgeschorener junger Mann in rotem Gewand kommt auf uns zu. Papa fragt ihn nach Dennis Bäcker. Als der Mann ihn verständnislos anschaut, sage ich schnell:
"Papa meint Lama Rinpoche!"
Tante Alice hat auf dem Fest gesagt, dass Dennis sich jetzt Lama Rinpoche nennen darf. Der junge Mann nickt lächelnd und bedeutet uns, ihm zu folgen. Er führt uns über die breite Treppe in das oberste Stockwerk. Dort wird ein dumpfer Gesang immer deutlicher, je näher wir einem Raum kommen. Unser Führer sagt:
"Bitte, warten Sie hier! Ich melde Sie an."
Er betritt den Raum und lässt dabei die Tür offenstehen.
Der Raum ist angefüllt mit rotgekleideten, kahlgeschorenen Männern, die auf dem Boden sitzen. Sie wiegen ihre Oberkörper und lassen diesen unheimlichen Gesang ertönen. Auf einem breiten reichverzierten Stuhl sitzt ein älterer Mann mit untergeschlagenen Beinen. Alle haben sie bei dieser fremdartigen Zeremonie ihre Augen geschlossen. Unser Führer nähert sich einem Mann und lässt sich neben ihm nieder. Ich erkenne in dem Mann Dennis, oder Lama Rinpoche.
Nach einer Minute vielleicht öffnet er die Augen. Der junge Mönch, der uns hierhergeführt hat, verbeugt sich leicht und hebt die gefalteten Hände. Dabei sagt er etwas. Dennis schaut in unsere Richtung und erhebt sich leise. Ohne die Anderen zu stören, kommen beide zu uns heraus.
"Hallo, guten Tag," grüßt uns Dennis, verbeugt sich und hebt lächelnd seine gefalteten Hände. Dann bittet er uns, ihm zu folgen. Ich bin leicht erregt, wegen der ungewohnten Umgebung hier. Wir folgen Dennis in den Keller des Klosters. Unterwegs erklärt er uns:
"Kungfu wird hier im Westen als ostasiatische Kampfkunst angesehen. Es wurde über Jahrtausende von buddhistischen Mönchen durch genaue Naturbeobachtung entwickelt und dient dem Frieden, nicht dem Prügeln!"
Wir haben bald den Keller erreicht und schauen durch eine Tür in einen Trainingsraum. Junge Männer in einer braunen Kutte, die nicht viel jünger als Dennis sein können, stehen dort in Reih und Glied und ahmen einen Lehrer nach. Der Mann in roter Kutte kommentiert sein Tun und korrigiert einzelne Schüler. Dieser Mönch dürfte etwa so alt wie Papa sein, schätze ich. Dennis lässt uns eine Weile zuschauen, dann sagt er:
"Kungfu durchzieht das ganze Leben! Unsere Klosterschüler machen Übungen, die man zum Beispiel 'Affe' oder 'Vogel' nennt. Hieran erkennen Sie die genaue Naturbeobachtung der Mönche. Natürlich kann man auch ganz alltägliche Bewegungsabläufe zugrunde legen und daraus die Techniken entwickeln, mit denen man mögliche Gegner in Schach hält oder sie sich gegenseitig ausschalten lässt."
"Dieses 'Sich gegenseitig ausschalten lassen' war das, was Sie bei den Kerlen vor Tagen angewandt haben..." kommentiert Papa Dennis' Erklärung und schaut Dennis dabei fragend an.
"Ja. Es war für mich ganz leicht, denn sie hatten ihre Gehirne nicht im Kopf, sondern in ihren Fäusten. Sie überlegten nicht, was sie tun."
"Aber wenn man zu lange überlegt, kann es auch zu spät zum Reagieren sein!" antwortet Papa. Dennis nickt.
"Deshalb lassen wir unsere Schüler ein kontinuierliches Training durchlaufen. Sie trainieren und wiederholen die Übungen immer wieder und wieder. Die Übungen müssen quasi endlos wiederholt werden. So werden sie zu einer Choreografie, die ihnen in Fleisch und Blut übergeht. Man wird sie nicht mehr los. Sie werden Teil von allem, was man tut. So sind sie auf jede denkbare Situation vorbereitet. Das ist vielleicht schwer vorstellbar..."
"Ich fürchte, so lange hat Noah keine Zeit mehr!" unterbricht Papa.
"Ist es denn in den letzten Tagen zu weiteren Angriffen gekommen? In der Schule zum Beispiel?" fragt Dennis mit gekräuselter Stirn.
"Dann besuchen Sie oder ihre Frau, wer gerade Zeit hat, mich mit ihrem Sohn nach den Hausaufgaben nachmittags im Kloster."
"Okay, danke sehr," antwortet Papa erleichtert und bietet Dennis seine Hand an. Dennis schlägt ein, aufmunternd lächelnd.
Anschließend geht Dennis zu seiner Mutter und sagt:
"Wir sollten aufbrechen!"
Zu Tante Alice gewandt, meint er:
"Es tut mir leid, dass sich der Abend so entwickelt hat. Heute ist doch Ihr Freudentag!"
Dennis nimmt nun seine Schultertasche, legt sich den Riemen quer über die Brust, öffnet sie und nimmt zwei weiße Schals heraus, die er Tante Alice und dem Onkel über die Schultern legt. Er verbeugt sich leicht und führt seine gefalteten Hände an seine Lippen. Dabei sagt er:
"Glück und Segen Euch!"
Kurz darauf verlassen Dennis und seine Mutter das Fest.
*
Ich habe nach diesem Wochenende Angst, in die Schule zu gehen. Dennis ist nicht da, und so werde ich sicherlich die Retourkutsche abbekommen. Da Papa schon zur Arbeit gefahren ist, fährt Mama mich den Schulweg und klopft dort an die Tür des Lehrerzimmers. Sie hat mir versprochen mit Herrn Belz zu reden.
Im Unterricht halte ich mich wie immer zurück. Ich beantworte Fragen der Lehrer nur, wenn sie mich direkt ansprechen. In den Pausen sehe ich unseren Vertrauenslehrer am Rand des Schulhofes stehen und die Szenerie beobachten.
Am Donnerstagnachmittag hat Papa endlich Zeit mit mir zu dem buddhistischen Kloster zu fahren, in dem Dennis und seine Mutter wohnen sollen.
Wir kommen zu einem zweistöckigen Haus mit Walmdach, das etwas von der Straße zurückliegt, und daher einen breiten Vorgarten mit Rasen und einzelnen Zierbüschen aufweist. Das Haus ist blendend weiß gestrichen, nur das obere Fensterband ist braun abgesetzt. Wir gehen über einen breiten Weg auf die Doppeltür zwischen zwei Säulen zu, die einen überdachten Eingang bilden. Dahinter öffnet sich ein großes Foyer mit senkrecht stehenden Rollen an den Wänden und einem Bodenmosaik, das einen schwarzen und einen weißen Tropfen darstellt, mit einem runden Punkt in der Mitte und alles in einem großen Kreis.
Ein kahlgeschorener junger Mann in rotem Gewand kommt auf uns zu. Papa fragt ihn nach Dennis Bäcker. Als der Mann ihn verständnislos anschaut, sage ich schnell:
"Papa meint Lama Rinpoche!"
Tante Alice hat auf dem Fest gesagt, dass Dennis sich jetzt Lama Rinpoche nennen darf. Der junge Mann nickt lächelnd und bedeutet uns, ihm zu folgen. Er führt uns über die breite Treppe in das oberste Stockwerk. Dort wird ein dumpfer Gesang immer deutlicher, je näher wir einem Raum kommen. Unser Führer sagt:
"Bitte, warten Sie hier! Ich melde Sie an."
Er betritt den Raum und lässt dabei die Tür offenstehen.
Der Raum ist angefüllt mit rotgekleideten, kahlgeschorenen Männern, die auf dem Boden sitzen. Sie wiegen ihre Oberkörper und lassen diesen unheimlichen Gesang ertönen. Auf einem breiten reichverzierten Stuhl sitzt ein älterer Mann mit untergeschlagenen Beinen. Alle haben sie bei dieser fremdartigen Zeremonie ihre Augen geschlossen. Unser Führer nähert sich einem Mann und lässt sich neben ihm nieder. Ich erkenne in dem Mann Dennis, oder Lama Rinpoche.
Nach einer Minute vielleicht öffnet er die Augen. Der junge Mönch, der uns hierhergeführt hat, verbeugt sich leicht und hebt die gefalteten Hände. Dabei sagt er etwas. Dennis schaut in unsere Richtung und erhebt sich leise. Ohne die Anderen zu stören, kommen beide zu uns heraus.
"Hallo, guten Tag," grüßt uns Dennis, verbeugt sich und hebt lächelnd seine gefalteten Hände. Dann bittet er uns, ihm zu folgen. Ich bin leicht erregt, wegen der ungewohnten Umgebung hier. Wir folgen Dennis in den Keller des Klosters. Unterwegs erklärt er uns:
"Kungfu wird hier im Westen als ostasiatische Kampfkunst angesehen. Es wurde über Jahrtausende von buddhistischen Mönchen durch genaue Naturbeobachtung entwickelt und dient dem Frieden, nicht dem Prügeln!"
Wir haben bald den Keller erreicht und schauen durch eine Tür in einen Trainingsraum. Junge Männer in einer braunen Kutte, die nicht viel jünger als Dennis sein können, stehen dort in Reih und Glied und ahmen einen Lehrer nach. Der Mann in roter Kutte kommentiert sein Tun und korrigiert einzelne Schüler. Dieser Mönch dürfte etwa so alt wie Papa sein, schätze ich. Dennis lässt uns eine Weile zuschauen, dann sagt er:
"Kungfu durchzieht das ganze Leben! Unsere Klosterschüler machen Übungen, die man zum Beispiel 'Affe' oder 'Vogel' nennt. Hieran erkennen Sie die genaue Naturbeobachtung der Mönche. Natürlich kann man auch ganz alltägliche Bewegungsabläufe zugrunde legen und daraus die Techniken entwickeln, mit denen man mögliche Gegner in Schach hält oder sie sich gegenseitig ausschalten lässt."
"Dieses 'Sich gegenseitig ausschalten lassen' war das, was Sie bei den Kerlen vor Tagen angewandt haben..." kommentiert Papa Dennis' Erklärung und schaut Dennis dabei fragend an.
"Ja. Es war für mich ganz leicht, denn sie hatten ihre Gehirne nicht im Kopf, sondern in ihren Fäusten. Sie überlegten nicht, was sie tun."
"Aber wenn man zu lange überlegt, kann es auch zu spät zum Reagieren sein!" antwortet Papa. Dennis nickt.
"Deshalb lassen wir unsere Schüler ein kontinuierliches Training durchlaufen. Sie trainieren und wiederholen die Übungen immer wieder und wieder. Die Übungen müssen quasi endlos wiederholt werden. So werden sie zu einer Choreografie, die ihnen in Fleisch und Blut übergeht. Man wird sie nicht mehr los. Sie werden Teil von allem, was man tut. So sind sie auf jede denkbare Situation vorbereitet. Das ist vielleicht schwer vorstellbar..."
"Ich fürchte, so lange hat Noah keine Zeit mehr!" unterbricht Papa.
"Ist es denn in den letzten Tagen zu weiteren Angriffen gekommen? In der Schule zum Beispiel?" fragt Dennis mit gekräuselter Stirn.
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