Freitag, 11. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -18
Zu Beginn einer Meditation schließt man die Augen und schaltet so erst einmal alle visuellen Ablenkungen aus. Nun kann man seinen Geist beobachten und den inneren Dialog seiner Gedanken verfolgen, sobald man seine Aufmerksamkeit entspannen und sich nicht auf eine Aufgabe oder ein Thema konzentriert.

Jeder kennt in sich die eine Stimme sagen:
"Wenn ich mir das jetzt nicht kaufe, dann verpasse ich die Gelegenheit und ärgere mich nachher."

Die andere Stimme hält dagegen:
"Wenn ich mir das jetzt kaufe bin ich am Ende des Geldes für den langen Rest des Monats."

Nun setzt man sich erst einmal hin, beruhigt den Geist. Egal wo man sitzt, Hauptsache ruhig sollte es für die nächsten zehn Minuten sein. Man lässt seinen Gedanken einfach freien Lauf und beobachtet sie. Man denkt mal an dieses Thema, mal an jenes Thema. Das, was nun die Gedanken beobachtet, mischt sich in alle Gedanken und Impulse ein, erwägt diesen oder jenen, verwirft, kategorisiert und so weiter. Man könnte das als 'kritisches Bewusstsein' bezeichnen. Verschiedene Wünsche, Hoffnungen, Pläne etc. tauchen auf und der innere Kritiker bewertet sie.

Dieser Kritiker in uns macht uns zunehmend das Leben schwer, denn er lässt nichts aus. Irgendwann findet er nichts mehr zum Kritisieren. Der Zustand der Neutralität ist erreicht. Der Kritiker hat Pause und es bleibt nur die nicht wertende Aufmerksamkeit übrig.

Man will in der Meditation also vorerst seinen denkenden, analysierenden und ständig kommentierenden Geist beruhigen. Und die erste Stufe beginnt damit, dass man sich hinsetzt und alles beobachtet, was da im Geist so abgeht. Natürlich werden die Alltagskonflikte und die Probleme hochgespült.

Dann folgt die Stufe, in der man die Wurzeln jener Probleme angeht, die dafür sorgen, dass der Quell der unerfreulichen und schließlich der angenehmen Gedanken einfach nicht abreißt. Selbst wenn man richtig verliebt ist und nur den Anderen im Kopf hat, ist der Geist nicht im Hier und Jetzt sondern mit einem inneren Film beschäftigt. Ein derartiger Geist ist abgelenkt, undiszipliniert. Es ist nicht so, dass man denken oder auch nicht denken kann was und wie man will.

Mit dem Willen kommt man an den Bewusstseinszustand des Zeugen nicht heran, man muss ihn sich erarbeiten, indem man die Konfliktpunkte und die Quelle der Störgedanken und der Störgefühle in angemessenem Tempo löst.

Es folgt nun die Phase der Bearbeitung der persönlichen Probleme und damit schließlich eine Beruhigung der äußeren Störfaktoren. Das dauert gewöhnlich seine Zeit, Monate, meistens einige Jahre. Und dann, wenn man tatsächlich in die Stille des Geistes fällt, wenn einen das Aufblitzen der Leere und die gleichzeitige Freude des ersten vollkommen gedankenfreien Augenblicks überrascht, erinnert man sich vielleicht im Nachhinein wie man als Kind den Kopf in den Nacken legte und einen vereisten Winterapfel am Baume in der untergehenden Sonne glitzern sah. Ohne Worte.

Da ist es, das namenlose Staunen. Reine Beobachtung. Keine Wertung. Das Bewusstsein denkt nicht während es etwas wahrnimmt. Natürlich nimmt es den Apfel wahr und so weiter, doch der Denkapparat ist offline. Natürlich ist aus einer noch einmal höheren Perspektive betrachtet der Geist 'noch' mit der 'Erfindung' eines Apfels und der eines Wahrnehmenden beschäftigt, doch die Analyse dieses Zustandes geht in den Bereich des metasphärischen Bewusstseins in dem sich alle Wahrnehmungen bereits als 'Traumgebilde' entpuppen.

Das Zeugenbewusstsein kann auch diese 'phantastischen' Zustände wahrnehmen, doch das 'alltägliche' Zeugenbewusstsein findet noch 'bodenständig' und in diesem Dasein statt, ganz im Hier und Jetzt. Das heißt auf dem Wochenmarkt, im Kino, während des Liebesaktes oder in einem Gespräch das mit vollkommener Aufmerksamkeit geführt wird.

*

Hier etwa wird sich Noah in seinen Meditationsübungen befinden. Bis hierher dürfte er inzwischen vorgedrungen sein.

Mich geräuschlos neben ihn niederlassend, warte ich ab. Eine ganze Weile später öffnet Noah die Augen und wendet sich mir zu. Ich hebe die gefalteten Hände und sage:

"Seine Heiligkeit schickt mich nach Hamburg, um einer bedrängten Schwester zur Seite zu stehen."

"Hat Lama Rinpoche einen Auftrag für mich, für die Zeit seiner Abwesenheit?" fragt Noah in ruhigem Ton.

"Deine Meditationsübungen haben dich die Angst, den Zorn und die Aggressivität beherrschen gelernt?" frage ich zurück.

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