Donnerstag, 17. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -24
Nach einer schlaflosen Nacht trete ich, Noah, beim ersten Morgenrot hinaus auf die Terrasse. Dort lasse ich mich zum Meditieren auf den Terracotta-Fliesen nieder. Den traumhaften Sonnenaufgang bekomme dadurch nicht mit.

Alles beginnt mit der Selbstbeobachtung während des Sitzens in meditativer Stille. Die Aufmerksamkeit nimmt wahr, dass sich der Geist bestimmte Gedankenbilder spinnt, doch sie identifiziert sich nicht mit der Geschichte, lässt sich nicht von ihr ködern. Der 'Beobachter' hält keinen Gedankensplitter an.
Das unkontrollierte, alltägliche Bewusstsein lässt sich einfangen, lächelt der sehr attraktiven Chinesin in meiner Nähe zu und stellt sich vor, was wohl geschähe, wenn man den Mut hätte, sie darauf anzusprechen und und und...

Die Gedanken, die in meinem Kopf kreisen, beeinflussen auch meine Physis. Daher sollte ich mich nicht wundern, warum ich die letzte Nacht schlaflos verbracht habe. Ich werde mich jetzt und hier einer Selbsterforschung widmen. Auf diese Weise eröffnet sich mir die Möglichkeit, eine gewisse Beeinflussung meines Denkens vorzunehmen. So erschaffe ich mir hilfreiche Vorstellungen im Geist. Yong Tai fühlt etwas in meiner Nähe, will es sich nur nicht eingestehen. Ich darf sie nicht mit meinen Gefühlen überrumpeln. Das lässt sie zurückweichen. Sie mag das Kind in mir, die witzigen Einfälle des kleinen Jungen von damals.

Sobald ich mir bewusst darüber werde, dass vorgestellte Bilder eine Wirkung haben, kann ich das Prinzip für die Beruhigung des Geistes, für die tiefere Meditation und die Entwicklung des 'Zeugenbewusstseins' anwenden.

Hat man mit einiger Übung diesen Zustand erreicht, beginnen der Ausbau und die Pflege dieses vom zwiegespaltenen Denken befreiten, des 'störungsfreien' Bewusstseins. Mein Ich-Bewusstsein beginnt nach diesem Zustand zu streben, von dem Lama Rinpoche immer gesprochen hat.

In den späten Morgenstunden betritt jemand die Terrasse. Die Augen öffnend erkenne ich Yong Tai. Sie trägt ein rückenfreies Kleid. Ich erhebe mich und zusammen treten wir an den Rand der Terrasse.

"Hier ist alles so leicht und unbeschwert," meine ich.

Während sie stumm in die Ferne schaut, berühre ich sie sanft an ihrem Schulterblatt und lasse den Finger ganz sanft über ihre Rippen abwärts wandern. Sie wendet sich mir zu und schaut mich mit sehnsuchtsvollen Augen und offenen Lippen an. Ich halte ihrem Blick lächelnd stand. Unsere Lippen nähern sich einander und vereinigen sich zu einem innigen Kuss. Für einen langen Moment genießt Yong Tai die intime Nähe.

Plötzlich wendet sie sich ab und sagt, als schelte sie sich selbst:

"Nein! Ich hätte das nicht tun dürfen!"

Entschuldigend antworte ich:
"Es tut mir leid!"

Wir schauen beide in eine andere Richtung in die Weite der Natur, bis die hawaiianische Köchin uns an den gedeckten Tisch ruft. Den Rest des Tages gehen wir uns weitgehend aus dem Weg. Bei zufälligen Begegnungen bleiben wir auf höflicher Distanz.

Ich bin traurig. So nah bei dem geliebten Menschen, und doch 'Lichtjahre' voneinander entfernt. Immer wieder spüre ich ihre Gefühle für mich. Dann aber zieht sie eine Mauer zwischen uns und alles ist wie zwischen zwei zufälligen Bekannten.

Ihr das zu verstehen gebend, hält sie mir die unterschiedlichen Lebensplanungen vor. Ein Mönch darf sein Mitgefühl, seine Liebe, nicht auf ein einziges Lebewesen fokussieren. Er soll keinen Besitz anhäufen, sondern seinen Mitgeschöpfen damit helfen. All das steht einer Beziehung im Weg. Aber wie lange kann ein Mensch gegen seine Gefühle handeln?

Am darauffolgenden Tag lassen wir uns vom Gärtner des Anwesens über die Insel fahren. Am Morgen habe ich noch gedacht, Yong Tai sagt die Fahrt ab, aber die Anwesenheit des Angestellten gibt ihr wohl die nötige Sicherheit. Höflich halte ich ihr die Fondtüre auf und setze mich vorne neben den Fahrer.

Wir fahren von dem Privatweg der Villa herunter. Unter uns sehen wir die Wolkenkratzer von Honolulu. Aber wir biegen in der anderen Richtung auf den Pali Highway ein und befinden uns bald in den üppigen Tälern der Naturlandschaft.

Mit dem türkisblauen Meer in der Ferne könnte man fast meinen, eine andere Welt erreicht zu haben. Der Gärtner erklärt uns unterwegs die Natur. Außerdem besuchen wir einige touristisch interessante Ziele und Aussichtspunkte.

Weiter im Norden erreichen wir die Windward Coast. Dort folgen wir dem Kamehameha Highway mit Blick auf das indigoblaue Meer. In der Ferne leuchtet das Grün der Insel Molokai. Zwei kleinere Inseln, Manana und Kaohikaipu kann man ebenfalls vor der Küste erkennen.

Immer wieder erkennt man die grauen Riesen knapp unter der Wasseroberfläche und kann ihre silbrige Fontäne, den 'Blas', beim Ausatmen sehen.

... link (0 Kommentare)   ... comment