Montag, 7. März 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -42
Nach seinem Tod hat sein erstgeborener Sohn Lama Khön Sakya Trizin den Titel des Trülku erhalten. Der zweitgeborene Sohn Lama Khön Gyana hat nun anscheinend ein eigenes Betätigungsfeld bei mir gefunden. Ich lächele bei dem Gedanken.

Die Mönche sind während ihres Praktikums formal mir unterstellt. Sie lernen von mir den Umgang mit Finanzen. Daneben fungieren sie als Lehrer im Internat und entlasten Anne und Andrea.

Lama Khön Gyana wird im Laufe des zwölfmonatigen Praktikums auch zum geistigen Lehrer für die beiden deutschen Gelong und meinen Zwillingen, dessen Intellekt sich die beiden deutschen Gelong unterordnen. Auch Andrea scheint Gefallen an Lama Khön Gyana zu finden. Sie verbringt in ihrer wenigen Freizeit viel Zeit mit ihm zu philosophischen Gesprächen.

Lama Khön Gyana betätigt sich des Weiteren als Gastredner im buddhistischen Kloster in Honolulu. Als das Praktikumsjahr zu Ende geht, treffe ich mich mit Andrea zum Gespräch. Es gilt ja auch, Zertifikate auszustellen.

Schnell stellt sich heraus, wen Andrea gern in ihrer Nähe hätte. Also schreiben wir gemeinsam zwei Zertifikate für die deutschen Gelong und kaufen zwei Rückflug-Tickets. Ich weihe beide zu Lamas und lasse mir von meinen Zwillingen und Lama Khön Gyana assistieren. Die Feier mit Übergabe der Zertifikate findet im Innenhof im Beisein aller Schüler statt.
Bei einem Skype-Kontakt mit seiner Heiligkeit Khenchen Lama Rinpoche zeigt dieser ein jungenhaftes Lächeln und sagt:

"Ich habe mir gedacht, dass eure Entscheidung diese Richtung nimmt, und wünsche Lama Khön Gyana mit Gelongma Andrea alles Gute für ihre gemeinsame Zukunft. Ich freue mich, dass ein weiteres Mitglied der Khön-Familie bald eine erfüllende Aufgabe bekommt."

Ich bedanke mich, auch in Vertretung der beiden Genannten und verabschiede mich, nicht ohne zu fragen, ob Seine Heiligkeit bei der Hochzeit dabei sein möchte. Er sagt gerne zu.

*

Lama Khön Gyana schafft es, Lamas aus Honolulus Kloster zur Mitarbeit im Internat zu bewegen, so dass unsere Personalnot weniger wird. Er selbst zieht sich aus der pädagogischen Arbeit zurück. Er unterrichtet nur noch buddhistische Philosophie, die Kunst des Debattierens und Kung-Fu. Gleichzeitig entlastet er mich bei der Verwaltung der Finanzen, von den Zwillingen aufmerksam beobachtet.

Eines Tages fährt Andrea mit unserem Wagen und einem Picknick-Korb in Begleitung Lama Gyanas zu einem Erkundungstrip über die Insel. Ich lächele. In mir steigen Erinnerungen hoch.

Am Abend sind sie wieder zurück und lassen sich Reste vom Abendessen geben. Zwei Stunden danach, ich mache gerade meine Couch für die Nacht zurecht, klopft es an meine Tür. Ich öffne und sehe meine 28jährigen Zwillingsmädchen mit Verschwörer-Miene vor der Tür stehen.

Etwas wichtiges muss geschehen sein, dass sie mich um diese Zeit behelligen. Ich bitte sie herein und frage lächelnd:

"Na, was habt ihr auf dem Herzen?"

Anne eröffnet das Gespräch, nachdem wir uns niedergelassen haben:

"Dad, du hast uns doch einmal von einem Picknick mit Yong-Tai erzählt?"

"Jaaa," dehne ich und mein Lächeln wird breiter.

"Da Andrea und Lama Gyana sich mögen, und wir die Strecke nur theoretisch aus deinen Erzählungen kennen, wollten beide die Insel erkunden."

"Ja, und?" Ich zwinkere Andrea zu und ergänze: "Ihr habt die Wiese gefunden und dort unter der Geräuschkulisse des Wasserfalls gepicknickt?"

Andrea nickt und lächelt glücklich.

"Er hat sich mir geoffenbart," sagt sie. "Er hegt tiefe Gefühle für mich."

Anne ergänzt:
"Ich war der Meinung, dass du davon als Erster erfahren solltest. Da wir aber tagsüber kaum die Möglichkeit haben, mit dir solche Themen zu besprechen, habe ich Andrea geraten, dich heute Abend noch zu informieren."

Ich nicke lächelnd und antworte:
"Ich freue mich für dich, Andrea! Wenn du einen Rat brauchst, oder eine Schulter zum Anlehnen: Bei mir bist du immer richtig!
Lass den Gefühlen Zeit zum Wachsen! Ich weiß noch, dass ich damals etwas forsch gewesen bin. Ich war ja auch erst knapp über Zwanzig."

Andrea nickt und lächelt glücklich. Dann stehen die Beiden auf und lassen mich allein. Ich falle in einen unruhigen Schlaf.

*

Als ich mich am Tag darauf am späten Nachmittag zur Meditation zurückziehen will, klopft es wieder an meine Tür. Ich erhebe mich und öffne. Diesmal steht Andrea alleine im Türrahmen.

Ich lächele sie an und bitte sie auf eine Tasse Tee herein. Wenige Minuten darauf sitzen wir uns am Couchtisch gegenüber. Ich schaue mein großes Mädchen aufmunternd an.

Endlich, nach einem tiefen Atemzug, erhebt sie ihre Stimme. Sie sagt:

"Wir waren ja gestern picknicken. Dafür habe ich unser Auto an der Wiese angehalten, auf der auch du mit Yong Tai gepicknickt haben musst und ihr euch näher gekommen seid."

Sie macht eine Pause. Ich warte geduldig, was Andrea mir sagen möchte.

"Unterwegs haben wir darüber diskutiert, was denn die mönchischen Tugenden sind. Diese Ideale kenne ich selbst ja nun auch schon seit Jahren. Wir sollen aber irgendwann die Foundation aus deinen Händen übernehmen. Hier gilt es mit Geld, also Besitz, umgehen zu können. Auch die Liebe: Mönche sind angehalten, den Menschen Mitgefühl vorzuleben.
Er antwortete nun, dass man das Mitgefühl allgemein auch mit Liebe gleichsetzen kann. Mit der Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers - und natürlich zu einer nahestehenden Person, die er kennt."

... link (0 Kommentare)   ... comment