Mittwoch, 16. März 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -51
Ich nicke und bestätige es. Über den Tisch hinweg reiche ich ihm die Tasche. Seine Heiligkeit öffnet den Reisverschluss und schaut hinein. Danach erhebt er sich und geht mit der Tasche zu seinem Sekretär. Er unterhält sich leise mit dem Gelong. Dieser nimmt die Tasche und verlässt den Raum.

Seine Heiligkeit nickt mir lächelnd zu und sagt, zu Thaye gewandt:

"Wir wollen warten, bis Gelong Manfred zurückkommt. Er wird uns dann in einen Raum führen, wo etwas Interessantes für dich zu sehen ist, Thaye!"

Als der Sekretär Seiner Heiligkeit zurückkommt und mir lächelnd meine Tasche zurückgibt, fühle ich, dass sie leer ist. Wir erheben uns und lassen uns von dem Gelong in einen Nebenraum führen. Khenchen Lama Rinpoche legt Thaye seine Hand auf die Schulter und weist auf ein seitliches Regal, auf dem vier Mönchshüte nebeneinander aufgereiht sind. Seine Heiligkeit sagt zu Thaye:

"Ich habe eine Aufgabe für dich, mein Junge. Siehst du dort die roten Hüte? Sage mir, welcher dir am besten gefällt."

Thaye runzelt die Stirn und geht näher heran. Er dreht sich alsbald zu uns um und meint:

"Aber sie sind doch alle gleich!"

Seine Heiligkeit erklärt ihm nun lächelnd:

"Sie sehen alle gleich aus, aber sie sind es nicht, mein Junge. Horche in dich hinein! Was sagt dir dein Gefühl?"

Thaye schaut noch einmal hin und wählt gefühlsmäßig den zweiten Hut von rechts. Er nimmt ihn vom Regal und übergibt ihn Seiner Heiligkeit. Dieser übergibt ihn mir und ich schaue hinein. Dann nicke ich Lama Rinpoche zu, der Thaye nun zu einem anderen Regal führt.

"Schau, Thaye. Dort stehen vier alte Reisschalen. Sie gehörten einmal verdienten Chöje -Ehrentitel für hohe Lamas- dieses Klosters. Welcher davon sagt dir gefühlsmäßig am ehesten zu?"

Der Junge wählt ohne viel zu überlegen die Zweite von links und bringt sie Seiner Heiligkeit, der die Schale an mich weitergibt. Auch hier schaue ich genauer hin und bestätige ihm:

"Sie ist es, Eure Heiligkeit!"

Thaye schaut mich und Seine Heiligkeit nun unsicher an. Lama Rinpoche hockt sich nun hin, um zu Thaye auf Augenhöhe zu sein und sagt zu meinem Jungen:

"Komm einmal zu mir, mein Junge."

Seine Heiligkeit lässt Thaye auf seinen Oberschenkel sitzen und sagt mit sanfter Stimme zu ihm:

"Du wirst in den kommenden Jahren in der Schule in Weiterswiller noch einiges über die Nangwa -Manifestation, Wiedergeburt- lernen. Für jetzt nur so viel: Du hast schon als Kleinkind mehr Interesse für den Stoffdrachen gezeigt, als für jedes andere Spielzeug. Du hast ihn zuletzt Tante Anne geschenkt, damit er auf sie aufpasst, während ihr getrennt seid.
Der Stoffdrachen hatte ursprünglich einmal deinem Großvater gehört, dem ehrwürdigen Lama Kyobpa, als dieser noch ein kleiner Junge war und Noah Mann hieß. Dieser kleine Junge hatte eine Spielgefährtin, die Yong Tai hieß. Als die beiden sich trennen mussten, hat dein Großvater den Drachen Yong Tai zur Erinnerung geschenkt.
Später wurde dein Großvater mein Schüler und brauchte im Kloster natürlich auch eine Reisschale. Als er älter wurde, wurde er zuerst zum Gelong -Mönch- und später zum Lama geweiht. Seitdem durfte er auch einen eigenen Mönchshut tragen. Nun hast du spontan Schale und Hut deines Großvaters aus je vier Möglichkeiten gewählt.
Daraus entnehmen wir, dass in dir mein ehemaliger Schüler Noah Mann und späterer Lama Kyobpa weiterlebt. Das ist insoweit bemerkenswert, da du von klein auf einen besonderen Draht zu Tante Anne hast. Tante Anne gilt als Nangwa von Yong Tai, der großen Liebe Noahs."

Seine Heiligkeit ruft den Sekretär herbei und sagt zu ihm:

"Würdest du Thaye zu den anderen Kindern in den Innenhof bringen, mein Bruder? Und habe dort ein Auge auf ihn! Ich muss noch etwas mit der verehrten Schwester besprechen."

Während die Beiden den Raum verlassen, erhebt sich der Khenchen Lama und wendet sich mir zu:

"Meine Schwester, nun weißt du, dass Lama Kyobpa nicht von dir lassen kann. Die Liebe ist das stärkste Gefühl im Universum! Was gedenkst du zu tun?"

Ich schaue Seiner Heiligkeit direkt in die Augen.

"Darf ich um höchste Diskretion bitten?"

Seine Heiligkeit nickt mit ernstem Gesicht.

"Natürlich, meine Tochter!" antwortet er.

"Daddy hat mich vor seinem Weggang in der tiefen Meditation unterrichtet. Würde ich den gleichen Weg wählen wie Daddy, müsste ich aber meine geliebte Schwester Andrea zurücklassen."

"Du willst wiedergeboren werden, um dann an der Seite Thayes die Foundation in dritter Generation zu leiten?" fragt Seine Heiligkeit.

Ich nicke bestimmend.

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