Dienstag, 29. März 2022
Lama Rinpoche -03
"Hallo?" fragt er.

"Hallo Dennis. Wie geht es dir?" begrüßt ihn Lama Tobgyel.

"Gu...ut!?" meint der Junge.

Nicht nur unsere Kleidung befremdet ihn, auch dass wir uns mit untergeschlagenen Beinen auf dem Teppich niedergelassen haben.

"Weißt du, dass die Reisschale, die du gestern gefunden hast, einem bedeutenden Lehrer des Buddhismus gehört hat? Lama Dorje, hier neben mir, war sein letzter Schüler. Lama Sherab, so hieß er, ist inzwischen verstorben. - An welchem Tag bist du geboren?"

Etwas verdattert antwortet Dennis:
"Am 11. Mai."

"Ah, sehr gut," mische ich, Lama Dorje, mich lächelnd in das Gespräch ein. Ich habe von Lama Sherabs Todestag hochgerechnet. Das passt vorzüglich. Es sind 267 Tage nach Lama Sherabs Weggang.

Inzwischen ist Dennis Mutter hinzugetreten. Auch sie schaut verwundert, als sie uns auf dem Boden sitzen sieht. Sie stellt die vollen Teetassen vor uns auf den Couchtisch.

"Haben Sie schon einmal etwas von der Wiedergeburt gehört?" fragt Lama Tobgyel die Mutter, während wir zum Dank die gefalteten Hände an unser Kinn heben.

"Gehört schon," meint sie etwas mürrisch. "Aber ob man das glauben kann?"

Sie freundlich anlächelnd antwortet er ihr:
"Wir glauben daran. Schauen Sie: Ihr Junge hat als Einziger von seinen Kameraden, die die Reisschale entdeckten, sie als etwas Besonderes erkannt. Außerdem ist ihr Junge exakt neun Monate nach Lama Sherabs Todestag geboren worden. Sicher gibt es noch mehr Zeichen, die wir mit der Zeit erkennen werden."

In diesem Moment klingelt es an der Wohnungstür erneut. Dennis Mutter entschuldigt sich und geht an die Tür. Wenig später steht eine etwa gleichaltrige Frau in der Wohnzimmertür. Frau Bäcker, Dennis Mutter, stellt sie uns als ihre Freundin vor, danach gehen beide Frauen in die Küche.

*

Alice, meine Freundin, hat mir einen Kasten Wasser gebracht. Anschließend wollen wir Kaffee trinken und etwas schwofen. Nun habe ich überraschend Besuch von zwei buddhistischen Mönchen bekommen. Sie behaupten, Dennis sei die Wiedergeburt eines bedeutenden Lehrers aus ihren Reihen. Ich erzähle Alice davon und sie schaut mich unternehmungslustig an.

"Ob die Geschichte nun stimmt oder nicht," sagt sie mit leuchtenden Augen. "Was bedeutet das für euch?"

Ich zucke mit den Schultern und schaue sie verständnislos an. Alice winkt ab und geht ins Wohnzimmer zu den Männern. Die Mönche haben ihre Tassen in der Hand und schauen auf. Ich bin Alice neugierig gefolgt.

"Hallo," begrüßt sie die Mönche lächelnd. "Wenn Dennis wirklich die Wiedergeburt ihres... Wie hieß er doch gleich?"

"Lama Sherab," hilft ihr Lama Tobgyel.

"Also, wenn Dennis wirklich ein Lama sein soll, was bedeutet das für ihn?" nimmt sie den Faden wieder auf.

"Wir würden ihn in unserem Kloster in Nepal unterrichten... Natürlich kann seine Mutter ihn begleiten!"

Alice dreht sich zu mir um und schlägt vor:
"Das ist deine Chance, Vanessa! Du kommst hier aus der Tretmühle raus und siehst mal was anderes! Schlag ein, sag ich dir!"

Die beiden Mönche erheben sich in diesem Moment, stellen ihre Tassen auf den Couchtisch zurück und der Sprecher meint:

"Wir wollen nicht länger stören. Dennis hat die Schale sicher in seinem Zimmer. Dürfen wir sie verwahren? Lama Dorje hat ein Geschenk für ihn."

"Aber natürlich!" mische ich mich ein. "Dennis, bring den Herren die Schale, die sie anscheinend verloren haben."

Dennis kommt mit der alten Reisschale aus seinem Zimmer und übergibt sie dem Mönch, der bisher den anderen reden gelassen hat. Dieser nimmt sie dankend an und sagt etwas, von dem ich nur "Jampa" verstehe. Er gibt Dennis im Austausch dafür ein Buch. Dann verabschieden sie sich unter Verbeugungen ehrerbietig und geben mir eine Visitenkarte mit einer Adresse in einem anderen Stadtteil.

*

In den nächsten Tagen lese ich Dennis vor dem Schlafengehen Geschichten aus dem Buch des Mönchs vor. Sie erzählen von einem Prinzen Siddharta.

Am folgenden Wochenende schleppt uns Alice zu der Adresse auf der Visitenkarte, die mir der Mönch gegeben hat. Wir kommen zu einem mehrstöckigen Gebäude in einer Villengegend. Es liegt etwas zurück von der Straße und besitzt daher einen breiten Vorgarten mit Rosen und Büschen auf einer Wiese.

Die Fassade ist blendendweiß gestrichen, während das oberste Fensterband dunkelbraun abgesetzt ist. Über allem thront ein rotbraunes Walmdach. Wir gehen über den breiten Weg auf die Doppeltür zu, die den Eingang bildet. Dahinter öffnet sich eine große Empfangshalle mit senkrecht stehenden Rollen an den Wänden entlang und einem Bodenmosaik, das Yin und Yang darstellt.

Ein junger Mann, genauso wie die Mönche gekleidet, kommt auf uns zu. Er lächelt freundlich, hebt die gefalteten Hände an sein Kinn und verbeugt sich leicht. Ich zeige ihm die Karte, die ich erhalten habe, und frage nach Lama Tobgyel. Der junge Mann nickt und fordert uns auf ihm zu folgen. Er führt uns in das oberste Stockwerk. Dort wird ein dumpfer Gesang immer deutlicher, je näher wir einem Raum kommen. Unser Führer bedeutet uns an der Tür zu warten, während er den Raum betritt.

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