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Dienstag, 5. April 2022
Lama Rinpoche -10
mariant, 11:44h
"Und du hast vom Wasser des Lebens getrunken!" ergänzt er Dennis Erzählung.
Wir gehen die Treppe wieder hinunter und betreten den Teepavillon an ihrem Fuß. Dort lassen wir uns an einem der niedrigen Tische nieder. Peter zeigt uns eine Teezeremonie, während wir von der Klettertour ausruhen.
"Das mit der Wiedergeburt ist für mich immer noch schwer zu begreifen..." meine ich unvermittelt.
Peter nickt lächelnd.
"Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, für die ist der menschliche Verstand zu klein," meint er. "Dann müssen wir lernen, es zu akzeptieren... Ein Bild!"
Peter greift in seinen roten Mantel. Ich schaue interessiert. Er holt eine Tasse hervor, füllt den Tee um und erklärt:
"Geist und Körper verhalten sich wie Inhalt und Gefäß. Würde meine Tasse kaputtgehen, fließt der Tee auf den Tisch oder Boden. Die Tasse ist 'tot', der Tee lebt weiter. Wische ich ihn auf, befindet er sich im Tuch. Aber er ist immer noch derselbe Tee. Ich kann ihn in eine andere Tasse gießen."
Mit diesen Worten gießt er den Tee wieder zurück in die Tasse des Teehauses und wischt seine Tasse trocken, bevor er sie wieder einsteckt.
Ich nicke. Das Beispiel ist sehr eindrucksvoll gewesen. Bald verlassen wir den Teepavillon. Draußen hält Peter einen anderen Lastenrikschafahrer an und fragt ihn, ob er uns zurückbringt. Der Mann willigt schnell ein und wir sind am Abend wieder im Kloster zurück. Dennis ist unterwegs schon eingenickt.
*
Fünf Jahre sind vergangen. Peter ist wieder nach Deutschland abberufen worden. Ich kann mich mit den Leuten hier inzwischen sehr gut verständigen. In der Näherei des Klosters habe ich eine Beschäftigung gefunden, die mich ausfüllt.
Dennis, jetzt 13 Jahre alt, besucht mich regelmäßig in meinem Zimmer und hat dabei immer viel zu erzählen. Peter hat ja damals den Unterricht in Nepali übernommen. Nach ein paar Monaten ist das kein Vollzeitunterricht mehr gewesen. Andere Schulfächer haben mehr und mehr vom Tag eingenommen. Auch ich bin nebenbei von einer Abteilung zur anderen gewechselt. In der Näherei bin ich schließlich 'hängengeblieben'.
In der Schule erhält Dennis Unterricht in buddhistischer Philosophie. Er lernt die 'Vier Wahrheiten' und den 'achtfachen Pfad' kennen, nach denen Buddhisten ihr Leben ausrichten sollen. Da Dennis als Wiedergeburt eines bedeutenden buddhistischen Lehrers gilt, scheint für ihn die Klosterlaufbahn vorgezeichnet. Daher lernt er noch weitere Lehrsätze kennen, 227 an der Zahl, nach denen Mönche ihr Leben ausrichten, während andere Schüler nur die Grundsätze kennenlernen, eben die 'Vier Wahrheiten' und der 'achtfache Pfad'.
Dann beginnt der Unterricht in Schreiben, Lesen und Rechnen. Er lernt sich ausschließlich verbal und respektvoll mit seinesgleichen über unterschiedliche Standpunkte zu streiten. Statt des Schulsports erhält er Unterricht in Kungfu, der mönchischen Verteidigungstechnik ohne Waffen. In den Unterrichtspausen machen die Jungs gerne Ballspiele, um sich auszupowern.
Seit kurzem lernt er auch das Meditieren, mit dem er zur Ruhe kommen kann, entspannt und seine Gefühle kontrollieren kann. Er hat mir einmal erklärt, dass man dadurch Gelassenheit und Geduld trainiert. Das sind wahrlich keine schlechten Eigenschaften!
Wenn ich Dennis zuhöre, vergeht die Zeit wie im Flug. Beim letzten Besuch berichtet er, dass Lama Dorje, der in der Schule Buddhistische Philosophie lehrt, immer öfter von Tibet erzählt. Der ehrenwerte Lama hat als Junge, ungefähr im Alter von 6 bis 8 Jahren das Land verlassen müssen. Keiner weiß das so genau, da er selbst sein richtiges Alter nicht kennt. Die Chinesen haben damals Tibet besetzt. Der ehrenwerte Lama berichtet in plastischen Worten von seiner alten Heimat und flechtet in die Erzählungen oft ein, dass er eines Tages nach Tibet zurückkehren wird.
Eines Tages berichtet Dennis, dass Lama Dorje nicht mehr zum Unterricht gekommen ist. Ein anderer Lama hat den Unterricht übernommen und erzählt Dennis und seinen Mitschülern, dass Lama Dorjes Geist fliegt. Er ist in tiefer Meditation versunken. Der Lama hat den Schülern erklärt, dass eine solch tiefe Meditation Stunden, Tage oder manchmal auch Wochen dauern kann. In einigen Fällen gleitet der Meditierende dabei willentlich in den Tod hinüber.
So ist es dann auch passiert. Lama Dorje ist meditierend verstorben. Dennis meint, als der andere Lama davon sprach, dass 'sein Geist fliegt', bedeutete das, dass Lama Dorjes Geist neben seinen Körper getreten ist und er Tibet, das Land seiner Sehnsucht erkundet hat. Anscheinend hat er dabei die Zeugung eines Babys miterlebt und ist in diesen Fötus 'gekrochen'. Damit hat er die Verbindung zu seinem alten Körper gelöst.
Man hat die Leiche des ehrwürdigen Lama in der Meditationsstellung verbrannt und die Asche den Elementen der Natur übergeben: Ein Teil hat man in den Bergbach gestreut, der in der Nähe des Klosters durch die Weiden fließt. Einen weiteren Teil hat man auf die Bergwiese gestreut. Schließlich hat man den letzten Teil mit bunten Ballons aufsteigen lassen und so den Winden übergeben. Feuer, Wasser, Luft und Erde sind auf diese Art genutzt worden, um Lama Dorje die letzte Ehre zu erweisen.
Dennis ist in der Folgezeit ruhiger und ernster geworden. Nur ab und zu noch kommt der Junge mit seinem Witz und den überraschenden Einfällen durch.
*
Wir gehen die Treppe wieder hinunter und betreten den Teepavillon an ihrem Fuß. Dort lassen wir uns an einem der niedrigen Tische nieder. Peter zeigt uns eine Teezeremonie, während wir von der Klettertour ausruhen.
"Das mit der Wiedergeburt ist für mich immer noch schwer zu begreifen..." meine ich unvermittelt.
Peter nickt lächelnd.
"Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, für die ist der menschliche Verstand zu klein," meint er. "Dann müssen wir lernen, es zu akzeptieren... Ein Bild!"
Peter greift in seinen roten Mantel. Ich schaue interessiert. Er holt eine Tasse hervor, füllt den Tee um und erklärt:
"Geist und Körper verhalten sich wie Inhalt und Gefäß. Würde meine Tasse kaputtgehen, fließt der Tee auf den Tisch oder Boden. Die Tasse ist 'tot', der Tee lebt weiter. Wische ich ihn auf, befindet er sich im Tuch. Aber er ist immer noch derselbe Tee. Ich kann ihn in eine andere Tasse gießen."
Mit diesen Worten gießt er den Tee wieder zurück in die Tasse des Teehauses und wischt seine Tasse trocken, bevor er sie wieder einsteckt.
Ich nicke. Das Beispiel ist sehr eindrucksvoll gewesen. Bald verlassen wir den Teepavillon. Draußen hält Peter einen anderen Lastenrikschafahrer an und fragt ihn, ob er uns zurückbringt. Der Mann willigt schnell ein und wir sind am Abend wieder im Kloster zurück. Dennis ist unterwegs schon eingenickt.
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Fünf Jahre sind vergangen. Peter ist wieder nach Deutschland abberufen worden. Ich kann mich mit den Leuten hier inzwischen sehr gut verständigen. In der Näherei des Klosters habe ich eine Beschäftigung gefunden, die mich ausfüllt.
Dennis, jetzt 13 Jahre alt, besucht mich regelmäßig in meinem Zimmer und hat dabei immer viel zu erzählen. Peter hat ja damals den Unterricht in Nepali übernommen. Nach ein paar Monaten ist das kein Vollzeitunterricht mehr gewesen. Andere Schulfächer haben mehr und mehr vom Tag eingenommen. Auch ich bin nebenbei von einer Abteilung zur anderen gewechselt. In der Näherei bin ich schließlich 'hängengeblieben'.
In der Schule erhält Dennis Unterricht in buddhistischer Philosophie. Er lernt die 'Vier Wahrheiten' und den 'achtfachen Pfad' kennen, nach denen Buddhisten ihr Leben ausrichten sollen. Da Dennis als Wiedergeburt eines bedeutenden buddhistischen Lehrers gilt, scheint für ihn die Klosterlaufbahn vorgezeichnet. Daher lernt er noch weitere Lehrsätze kennen, 227 an der Zahl, nach denen Mönche ihr Leben ausrichten, während andere Schüler nur die Grundsätze kennenlernen, eben die 'Vier Wahrheiten' und der 'achtfache Pfad'.
Dann beginnt der Unterricht in Schreiben, Lesen und Rechnen. Er lernt sich ausschließlich verbal und respektvoll mit seinesgleichen über unterschiedliche Standpunkte zu streiten. Statt des Schulsports erhält er Unterricht in Kungfu, der mönchischen Verteidigungstechnik ohne Waffen. In den Unterrichtspausen machen die Jungs gerne Ballspiele, um sich auszupowern.
Seit kurzem lernt er auch das Meditieren, mit dem er zur Ruhe kommen kann, entspannt und seine Gefühle kontrollieren kann. Er hat mir einmal erklärt, dass man dadurch Gelassenheit und Geduld trainiert. Das sind wahrlich keine schlechten Eigenschaften!
Wenn ich Dennis zuhöre, vergeht die Zeit wie im Flug. Beim letzten Besuch berichtet er, dass Lama Dorje, der in der Schule Buddhistische Philosophie lehrt, immer öfter von Tibet erzählt. Der ehrenwerte Lama hat als Junge, ungefähr im Alter von 6 bis 8 Jahren das Land verlassen müssen. Keiner weiß das so genau, da er selbst sein richtiges Alter nicht kennt. Die Chinesen haben damals Tibet besetzt. Der ehrenwerte Lama berichtet in plastischen Worten von seiner alten Heimat und flechtet in die Erzählungen oft ein, dass er eines Tages nach Tibet zurückkehren wird.
Eines Tages berichtet Dennis, dass Lama Dorje nicht mehr zum Unterricht gekommen ist. Ein anderer Lama hat den Unterricht übernommen und erzählt Dennis und seinen Mitschülern, dass Lama Dorjes Geist fliegt. Er ist in tiefer Meditation versunken. Der Lama hat den Schülern erklärt, dass eine solch tiefe Meditation Stunden, Tage oder manchmal auch Wochen dauern kann. In einigen Fällen gleitet der Meditierende dabei willentlich in den Tod hinüber.
So ist es dann auch passiert. Lama Dorje ist meditierend verstorben. Dennis meint, als der andere Lama davon sprach, dass 'sein Geist fliegt', bedeutete das, dass Lama Dorjes Geist neben seinen Körper getreten ist und er Tibet, das Land seiner Sehnsucht erkundet hat. Anscheinend hat er dabei die Zeugung eines Babys miterlebt und ist in diesen Fötus 'gekrochen'. Damit hat er die Verbindung zu seinem alten Körper gelöst.
Man hat die Leiche des ehrwürdigen Lama in der Meditationsstellung verbrannt und die Asche den Elementen der Natur übergeben: Ein Teil hat man in den Bergbach gestreut, der in der Nähe des Klosters durch die Weiden fließt. Einen weiteren Teil hat man auf die Bergwiese gestreut. Schließlich hat man den letzten Teil mit bunten Ballons aufsteigen lassen und so den Winden übergeben. Feuer, Wasser, Luft und Erde sind auf diese Art genutzt worden, um Lama Dorje die letzte Ehre zu erweisen.
Dennis ist in der Folgezeit ruhiger und ernster geworden. Nur ab und zu noch kommt der Junge mit seinem Witz und den überraschenden Einfällen durch.
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