Samstag, 9. April 2022
Lama Rinpoche -14
Wir haben über unsere Klosterschüler um weitere junge Frauen als Klosterschülerinnen geworben, die sich neben der buddhistischen Philosophie auch für das Nähen interessieren. Allmählich füllt sich Mamas Schneiderei.

Zuerst werden T-Shirts in verschiedenen Farben und Größen genäht, mit Yin-Yang-Symbol und Buddhas als Aufdruck. Diese stellen wir zunächst im Foyer unseres Klosters aus. Später bieten wir die T-Shirts einer Ethno-Boutique in der Innenstadt an. Dort fragt man uns bald nach anderen chinesischen Motiven, wie dem Drachen und Segenssprüchen in chinesischer Schrift. Als dann auch andere Kleidungsstücke mit den Motivdrucken nachgefragt werden, spezialisiert sich Mama auf die Drucke, Größen und Farben, die am meisten nachgefragt werden. Natürlich lässt Mama die Klosterschülerinnen auch für das Kloster nähen.

Mit den Buddhisten, die den Weg zu uns finden, machen wir den größten Umsatz, weil die Leute noch einmal eine Spende drauflegen, nachdem sie unsere Näherei besichtigt haben.

*

Wir sind erst wenige Wochen in Deutschland, als mich Alice, meine Freundin, besuchen kommt. Ich, Vanessa Bäcker, habe ihr vor ein paar Tagen geschrieben, dass wir aus Nepal zurückgekehrt sind und im Kloster unserer Heimatstadt wohnen. Meine Schneiderei ist inzwischen angelaufen und die Anfangsschwierigkeiten sind überwunden.

Nun sitzt sie mir in meinem Zimmer gegenüber, während ich ihr Tee und Gebäck serviere. Wir erzählen uns angeregt, wie es uns in den letzten zehn Jahren ergangen ist.

Alice, etwa vier Jahre jünger als ich, ist seit drei Jahren verheiratet und hat inzwischen eine einjährige Tochter. Stolz zeigt sie mir Bilder ihres Mädchens auf ihrem Handydisplay. Was ich ihr über Dennis erzähle, lässt sie große Augen machen.

"Soll ich mir das so vorstellen, als wäre Dennis jetzt so etwas wie ein Jedi-Ritter?" fragt sie erstaunt.
Wir haben früher die StarWars - Filme regelrecht verschlungen... Ich schüttele grinsend den Kopf und erkläre:

"Dinge per Geisteskraft bewegen, kann er nicht! Er besitzt auch kein Lichtschwert, mit dem er gegen das Böse kämpft. Aber er hat schon etwas von einem Jedi-Ritter. Das liegt daran, dass der Erfinder von StarWars, George Lucas, sich bei der Philosophie ein wenig am Buddhismus orientiert hat.
Besonders wenn Dennis die Lehrsätze des Buddhismus rezitiert und seine Entscheidungen danach ausrichtet. Dennis hat gelernt zu meditieren und ist danach immer total entspannt, bzw. reagiert gelassen auf seine Umwelt.
An seinem ersten Tag nach unserer Rückkehr hier im Kloster kam er abends zu mir und hat berichtet, dass der Abt dieses Klosters ihn zum Leiter der Klosterschule ernannt hat. So jung und schon so viel Verantwortung!"

"Wenn er der Aufgabe gewachsen ist, hat er Respekt verdient!" meint Alice und ergänzt: "Aber ich bin auch mit einem Anliegen gekommen. Du warst meine beste Freundin und bist es noch! Ich hätte dich so gern bei meiner Hochzeit dabeigehabt. Der Tag jährt sich in einem Monat zum dritten Mal und ich wollte ihn etwas größer feiern, als nur mit unseren Eltern zusammen. Die Hochzeit von damals quasi in kleinem Kreis nachholen. Ich habe mir gedacht, dass auch meine beste Freundin mit ihrem Sohn daran teilnehmen können."

Ich lächele dankbar und bestätige:
"Ich komme gerne! Dennis muss ich vorher fragen, ob sein Terminkalender einen freien Nachmittag zulässt. Ich denke schon."

*

Als der Termin der Feier herangekommen ist, fahren wir mit der Straßenbahn in Alltagskleidung zu dem Restaurant, dass uns meine Freundin Alice genannt hat. Sie, ihr Mann und ihre kleine Tochter sind schon dort.

Kurz nach uns kommen ihr Bruder mit Frau und elfjährigem Sohn an. Der Junge scheint mir etwas verzogen. Er lässt am Eingang des Saales seine Jacke fallen und stürmt auf seine Tante zu, um sie zu begrüßen. Seine Mutter bückt sich und hebt die Jacke auf, während ihr Mann schon den Saal betreten hat. Er hat die kleine Szene entweder nicht bemerkt oder geflissentlich übersehen, als ginge es ihn nichts an.

Alice stellt nun auch uns ihrem Bruder und seiner Familie vor. Noah, sein Sohn, horcht auf. Er spricht mich erstaunt an:

"Bist du ein Jedi-Ritter?"

Das finde ich lustig. Ich muss kurz lachen und strecke meine Hand nach dem Jungen aus, um ihm über das Haar zu streichen.

"Nein," erkläre ich und dehne, "aaaber vielleicht so etwas ähnliches!"

"Wow!" macht Noah und wendet sich an seinen Vater: "Kann der Mann mir beibringen, wie man jemand verprügelt?"

Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

"Noah!" ermahnt der Mann seinen Sohn. Danach wendet er sich mir zu und erklärt:

"Noah hat es nicht leicht in der Schule. Mobbing und Prügel, wissen Sie!"

Nun lege ich meine Stirn in Falten und meine:
"Solche Leute haben selbst Angst. Vorwärtsverteidigung nennt man das wohl. Das zeugt von einem schlechten Charakter dieser Jungs."

Mein Gegenüber nickt. Er schaut nach seiner Frau und sie besetzen ihre Sitzplätze, die Alice liebevoll mit Namensschildchen versehen hat. Auch wir schauen, wo wir uns setzen dürfen. Nacheinander kommen jetzt weitere Gäste an. Bald sind alle Plätze besetzt. Ich zähle 24 Personen. Das Restaurantpersonal beginnt das bestellte Menü aufzutragen und fragt jeden Gast nach seinem Getränkewunsch. Da uns niemand in der Runde kennt, bis auf Alices Eltern, muss Mama von unserem Auslandsaufenthalt erzählen.

Nach dem Essen wird noch Kaffee und Tee bestellt und die Gesellschaft sitzt bei weiterem Smalltalk zusammen. Die Kinder werden derweil auf den Spielplatz neben das Restaurant geschickt, damit sie sich austoben können und müde werden. Nur Noah mag nicht so recht vor die Tür gehen. Lieber würde er den Gesprächen der Erwachsenen lauschen. Ich habe den Eindruck, dass ihn besonders interessiert, was ich zur Unterhaltung beisteuere. Herr Mann, sein Vater, ermuntert ihn jedoch:

"Na, Noah, magst du nicht auch spielen gehen? Bei den Gesprächen unter Erwachsenen langweilst du dich doch bestimmt."

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