Sonntag, 10. April 2022
Lama Rinpoche -15
Er nickt ihm aufmunternd zu. Widerstrebend erhebt sich der Junge und verlässt den Saal mit leicht enttäuschtem Gesichtsausdruck.

Plötzlich kommen zwei jüngere Mädchen von anderen Gästen weinend herein.

"Draußen sind große Jungs!" sagen sie unter Schluchzen.

Leise hebe ich meinen Stuhl an und bewege mich vom Tisch weg, um kein Aufsehen zu erregen. Dann wende ich mich zur Tür und bin in langen Sätzen draußen. Dort orientiere ich mich kurz und laufe neben das Restaurant auf den Spielplatz. Hier treiben vier Jungs von ungefähr 13 oder 14 Jahren Noah vor sich her.
Mit wenigen Sätzen stehe ich mitten unter ihnen. Ich halte die Hand des Vordersten fest, der gerade zum Schlag ansetzt, drehe mich um und werfe ihn über meine Schulter in den Sand. Dann nehme ich mir den Nächsten vor. In der Zwischenzeit hat sich der Erste schon wieder erhoben und stürmt gegen mich. Ich drehe mich mit dem Jungen, den ich gerade in der Hand habe, so dass der Schlag diesen Jungen trifft. Den schlagenden Jungen hebe ich an, so dass er die Schläge der beiden Anderen abbekommt. Dann lasse ich ihn los und trete einen der Beiden vor die Brust, dass ihm für einen Moment die Luft wegbleibt.

Da sie sich auf verlorenem Posten sehen, ziehen sich die vier Angreifer zurück und trollen sich. Ich schaue nach Dennis und sehe ihn mit offenem Mund und großen Augen am Rand stehen und in meine Richtung blicken. Nun gehe ich auf ihn zu, nicke beruhigend und frage mit sanfter Stimme:

"Haben sie dir weh getan?"

Noah schüttelt stumm den Kopf. Es kann sein, dass das Adrenalin in seinem Blut irgendwelche Schmerzen überdeckt, also fordere ich ihn sanft auf:

"Leg dich bitte dort auf die Bank!"

Wir gehen zu der Bank am Rand des Spielplatzes. Dort taste ich seine Knochen an Gelenken und Brustkorb ab. Jetzt verspürt er Schmerzen, denn als ich seinen Brustkorb abtaste, verzieht er sein Gesicht.

Ich lächele ihn zuversichtlich an und erkläre ihm:
"Du hast zum Glück nur Prellungen davongetragen."

Kurzerhand nehme ich ihn in den Kniekehlen und unter den Achseln auf und trage ihn ins Restaurant zurück. Hier orientiere ich mich und lege ihn auf eine Sitzbank an der Garderobe des Saales. Eine Kellnerin kommt mit besorgtem Gesicht hinzu geeilt. Ich bitte sie um sechs Schnapsgläschen und etwas Watte. Sie schaut mich verwundert an, bringt dann aber die Gläschen und einen Beutel mit Watte.

Noahs Mutter ist inzwischen aufgestanden und herangekommen. Sie hat sich neben Noahs Kopf gekniet und streichelt ihn mit besorgter Miene. Dann schaut sie verwundert, wie ich Watte aus dem Beutel ziehe und damit Wattebällchen forme. Danach hole ich meine Essstäbchen und ein Feuerzeug aus meiner Tasche und frage die Mutter des Jungen:

"Würden Sie ihm bitte das T-shirt hochziehen?"

Herr Mann steht jetzt auch bei uns. Frau Mann schaut zu ihm hoch. Der Vater nickt beruhigend und meint:

"Mach ruhig, was er sagt."

Nun zünde ich ein Wattebällchen nach dem anderen an und halte es mit den Essstäbchen in das umgedrehte Schnapsglas, das ich sogleich auf eine von Noahs Prellungen drücke. Durch den geringen Unterdruck saugt es sich dort fest und zieht die Haut ein wenig in das Glas.

Nach einer Weile meint Noah:
"Es tut gar nicht mehr weh!"

Herr Mann wendet sich nun an mich und will wissen:
"Was war draußen los?"

"Vier Jugendliche haben die Kinder angegriffen," erkläre ich. "Aber eigentlich war Noah deren Ziel."

"Ja, Papa," bestätigt Noah und versucht sich aufzurichten. Dabei fallen die Schnapsgläschen herunter. Frau Mann bückt sich und sammelt sie wieder ein. Noah ergänzt:

"Dennis hat nicht viel tun müssen! Sie haben sich selbst geschlagen! Dennis hat nur mal den Einen oder Anderen gestoppt, oder herumgewirbelt."

Ich mag es nicht, so in den Mittelpunkt gestellt zu werden. Darum nicke ich nur und hebe die gefalteten Hände an mein Kinn.

"Kämpfen geht man am besten aus dem Weg," sage ich dazu.

Herr Mann antwortet mir nachdenklich:
"Mein Sohn wird allzu oft in die Enge getrieben, weil es der Meute Spaß macht - so scheint es."

"Es sind pubertierende Hitzköpfe, die sich selbst im Weg stehen, wenn sie zu mehreren auftreten. Für Mann gegen Mann sind sie zu feige!"

"Wie kann sich mein Junge in der Schule Respekt verschaffen?" fragt Herr Mann nun, sich plötzlich anders besinnend. "Die Kerle verstehen doch nur die Sprache der Fäuste! Könnten Sie ihm beibringen, wie man das macht?"

"Sich Respekt verschaffen, von den Anderen geachtet werden... Ich kann es versuchen!" antworte ich.

"Bitte," sagt Herr Mann nun. "Ich bezahle Ihnen den Kurs!"

"Darum geht es nicht!" entgegne ich mit gekräuselter Stirn. Nach einer Gedankenpause frage ich: "Sie wissen sich keinen anderen Rat?"

"Leider nein."

Nun biete ich ihm an:
"Dann besuchen Sie oder ihre Frau, wer gerade Zeit hat, mich mit ihrem Sohn nach den Hausaufgaben nachmittags im Kloster."

"Okay, danke sehr," antwortet Herr Mann.

Er hört sich erleichtert an und bietet mir seine Hand wie zu einem Vertragsabschluss. Aufmunternd lächelnd drücke ich sie ihm.

Jetzt gehe ich zu Mama und sage:
"Wir sollten aufbrechen!"

Zu ihrer Freundin Alice gewandt, meint ich versöhnlich:

"Es tut mir leid, dass sich der Abend so entwickelt hat. Heute ist doch Ihr Freudentag!"

Ich habe mich für den Aufbruch entschieden, um möglichen Ärger mit irgendwelchen Straßengangs aus dem Weg zu gehen. Wer weiß, wen die Jungs noch hierher führen nach ihrer Niederlage. Sollte sich meine Befürchtung bewahrheiten, können die Leute oder der Gastwirt selbst die Polizei rufen.

Ich lege mir meine Schultertasche über die Schulter, öffne sie und nehme zwei weiße Hadas -Schals- heraus und lege sie den Gastgebern, Alice und ihrem Mann, über die Schultern. Nun verbeuge ich mich leicht und führe meine gefalteten Hände an meine Lippen. Dabei sage ich die Formel:

"Glück und Segen Euch!"

Kurz darauf verlassen wir das Fest und nehmen die nächste Straßenbahn zurück zum Kloster.

*

... link (0 Kommentare)   ... comment