... newer stories
Sonntag, 17. April 2022
Lama Rinpoche -22
mariant, 12:19h
Ich soll nun die Bilder mit dem Bild der Umgebung meines früheren nepalesischen Klosters vergleichen, wie ich es in Erinnerung habe. Das ausgesuchte Gebirgstal will die Immobilienfirma des Freundes von Herrn Li erwerben und ein buddhistisches Kloster hineinbauen.
Nach einigem Hin- und Herblättern zeige ich auf ein weites Tal, in dem sich eine Bundesstraße an einer Steilwand entlang schlängelt. Ich frage den Mann:
"Wie weit außerhalb der nächstgelegenen Ortschaft liegt dieses Tal?"
Der Mann schaut mich verständnislos an und antwortet:
"Dieses Tal ist etwas abgelegen. In beiden Richtungen der Bundesstraße kommen kleine Ortschaften in dreißig bis fünfzig Kilometer Entfernung. Die nächste größere Stadt liegt 200 Kilometer entfernt."
Ich lächele ihn an und sage:
"Dann ließe sich dort eine Raststätte mit großem Parkplatz an der Bundesstraße bauen. Dahinter, in den Hang hinein käme dann das Kloster mit Ställen und anderen Wirtschaftsgebäuden. Hinter dem Eingangsgebäude befände sich ein Innenhof mit Säulengängen am Rand und ein hinterer Gebäudeteil mit einem Stupa."
"Ah," lächelt der Mann, "Sie bevorzugen die ganz große Lösung!"
Ich lächele zurück und meine:
"Wir wollen weitgehend autonom leben, unsere Nahrungsmittel und Energie selbst erzeugen. Die Straße ermöglicht den Gläubigen, das Kloster einfach mit dem Auto zu erreichen. Der Rastplatz mit Gästezimmern im Komfort einer Jugendherberge ermöglicht es ihnen, erst am nächsten Tag die möglicherweise weite Heimreise anzutreten. Das Restaurant des Rastplatzes kümmert sich um ihr leibliches Wohl. Natürlich darf der Rastplatz jedem Vorbeifahrenden offenstehen, der Hunger verspürt oder eine Pause braucht!"
Der Mann nickt. Nach einer Gedankenpause meint er:
"Beim Kloster selbst bevorzugen Sie also ebenso die große Lösung?"
"Jaein," meine ich. "Schaf-, Ziegen- und Hühnerställe, sowie Weiden und Felder - Metzgerei und Mühle sollten im Untergeschoß vorhanden sein, um autark sein zu können. Eine Näherei... Darüber eine Klosterschule mit Schulhof. Räume für die Gläubigen und die Mönche. Nicht ganz so groß wie in Nepal, da hier nicht so viele Schüler, Mönche und Nonnen leben werden."
Wieder nickt der Mann. Er macht sich Notizen. Anschließend verabschiedet er sich von uns und gibt bekannt, dass er darüber mit seinem Chef sprechen will.
In den folgenden zwei Jahren ist in dem ausgesuchten Tal ein neues Kloster entstanden. Den alten Standort unseres Klosters haben wir an einen sozialen Verein übergeben. Dort soll eine Nahrungsmittel-Ausgabestelle eingerichtet werden und Schlafplätze für Obdachlose.
Die Näherei meiner Mutter ist komplett an den neuen Standort umgezogen. Für die Landwirtschaft und die Herberge haben wir Lamas aus einem Kloster nahe Straßburg zugewiesen bekommen, mit dem wir schon länger einen losen Kontakt pflegen.
Inzwischen haben wir der Immobilienfirma fast ein Drittel der Kosten in Raten zurückzahlen können. Bankzinsen fallen nicht an, da die Firma sie uns spendet.
Und noch etwas ist geschehen: Nach der Rückkehr in Deutschland und mit Beginn des neuen Schuljahres bricht der Kontakt zu Noah ab. In Gedanken wünsche ich ihm alles Gute für sein Leben. Sein Vater hat es mir wohl übelgenommen, ihn und Noah in das Hongkong-Abenteuer hineingezogen zu haben.
Im Kloster Ryumon Ji in Weiterswiller, fünfzig Kilometer nördlich von Straßburg lehrt Seine Heiligkeit Trülku Khön Dungsay das Oberhaupt der Sakya-Schule des tibetischen Buddhismus. Er hat zwei Söhne Lama Khön Trizin und Lama Khön Gyana.
Die Sakya Schule, eine der vier Schulen des tibetischen Buddhismus, lehrt nicht die sexuelle Enthaltsamkeit für Mönche, wie die anderen drei Schulen, da ja auch die Familie Khön seit 900 Jahren den Trülku stellt, der dieser Schule vorsteht. Wir haben vereinbart, dass wir untereinander Lehrer austauschen und im ständigen religiösen Dialog bleiben.
Jetzt, nach sieben Jahren ohne Kontakt zu Noah, und nach dem Umzug unseres Klosters in einen zentraleren Bereich Deutschlands, der von den Medien begleitet worden ist, erhalte ich einen Brief. Noah, inzwischen 19 Jahre alt, fragt an, ob er eine Zeitlang das Klosterleben kennenlernen darf. Er hat die Schule beendet und auf einem Berufskolleg das Abitur gemacht.
Nun wäre es an der Zeit, sich um eine Ausbildung zu kümmern. Er hat sich aber beim Bundesfreiwilligendienst gemeldet und will die Zeit in unserem Kloster verbringen, um sich in dieser Zeit über Verschiedenes klarzuwerden, wie er schreibt.
Noah ist inzwischen alt genug, selbständig über sein Leben zu entscheiden. Also schreibe ich ihm nach Rücksprache mit Seiner Heiligkeit zurück, dass er willkommen ist. Er soll nur schreiben, wann sein Zug in der nächsten Großstadt hält. Wenige Wochen danach fahre ich mit dem Kombiwagen des Klosters dorthin und warte auf den jungen Mann.
Nach einer schüchternen Begrüßung seinerseits fahren wir zu unserem Kloster zurück. Unterwegs lasse ich mir von ihm über sein Leben in den vergangenen Jahren berichten. Sein Schulfreund Markus hat jetzt eine Ausbildung im Bankfach begonnen. Eigentlich haben Markus und Noahs Vater ihm zugeredet, sich ebenfalls dort zu bewerben. Aber Noah meint, die Entscheidung noch ein paar Jahre aufschieben zu können.
"Etwas in meinem Herzen zieht mich zu euch ins Kloster. Darüber muss ich mir erst einmal klar werden," meint er. "Habt Ihr in all den Jahren etwas über Yong Tai gehört?"
Das muss ich ihm leider verneinen. Enttäuscht antwortet er:
"Ich habe einen besonderen Baum in der Nähe meines Elternhauses, eine Zwillingsbirke. Diesen Platz kennt nicht einmal Markus. Dort habe ich oft im Gras gelegen und dem Zug der Wolken zugeschaut. Ich habe mir vorgestellt, an was mich die Form der einen oder anderen Wolke erinnert. Ab und zu habe ich die Augen geschlossen und nach innen gehorcht. Dabei habe ich oft Yong Tai gesehen..."
"Interessant, was du da erzählst," erwidere ich. "Ich werde dich das Meditieren lehren!"
"Sie ist so unerreichbar, und mir doch so nah!" stellt er fest.
Ich erkläre ihm nun den Fahrplan für seine Zeit in unserem Kloster:
"Du wirst als Klosterschüler in der buddhistischen Philosophie ausgebildet. Kungfu steht ebenfalls auf dem Lehrplan. Ebenso wirst du dich in Meditation üben. Einmal im Jahr werden alle Klosterschüler geprüft. Irgendwann steht jeder Klosterschüler vor der Entscheidung, sich in der Wirtschaft draußen zu bewerben oder dem Kloster zu dienen und Mönch zu werden. Würdest du als Mönch im Kloster bleiben, entscheiden deine Handlungen und Meditationsfertigkeiten, wann du ein Lama wirst."
Nach einigem Hin- und Herblättern zeige ich auf ein weites Tal, in dem sich eine Bundesstraße an einer Steilwand entlang schlängelt. Ich frage den Mann:
"Wie weit außerhalb der nächstgelegenen Ortschaft liegt dieses Tal?"
Der Mann schaut mich verständnislos an und antwortet:
"Dieses Tal ist etwas abgelegen. In beiden Richtungen der Bundesstraße kommen kleine Ortschaften in dreißig bis fünfzig Kilometer Entfernung. Die nächste größere Stadt liegt 200 Kilometer entfernt."
Ich lächele ihn an und sage:
"Dann ließe sich dort eine Raststätte mit großem Parkplatz an der Bundesstraße bauen. Dahinter, in den Hang hinein käme dann das Kloster mit Ställen und anderen Wirtschaftsgebäuden. Hinter dem Eingangsgebäude befände sich ein Innenhof mit Säulengängen am Rand und ein hinterer Gebäudeteil mit einem Stupa."
"Ah," lächelt der Mann, "Sie bevorzugen die ganz große Lösung!"
Ich lächele zurück und meine:
"Wir wollen weitgehend autonom leben, unsere Nahrungsmittel und Energie selbst erzeugen. Die Straße ermöglicht den Gläubigen, das Kloster einfach mit dem Auto zu erreichen. Der Rastplatz mit Gästezimmern im Komfort einer Jugendherberge ermöglicht es ihnen, erst am nächsten Tag die möglicherweise weite Heimreise anzutreten. Das Restaurant des Rastplatzes kümmert sich um ihr leibliches Wohl. Natürlich darf der Rastplatz jedem Vorbeifahrenden offenstehen, der Hunger verspürt oder eine Pause braucht!"
Der Mann nickt. Nach einer Gedankenpause meint er:
"Beim Kloster selbst bevorzugen Sie also ebenso die große Lösung?"
"Jaein," meine ich. "Schaf-, Ziegen- und Hühnerställe, sowie Weiden und Felder - Metzgerei und Mühle sollten im Untergeschoß vorhanden sein, um autark sein zu können. Eine Näherei... Darüber eine Klosterschule mit Schulhof. Räume für die Gläubigen und die Mönche. Nicht ganz so groß wie in Nepal, da hier nicht so viele Schüler, Mönche und Nonnen leben werden."
Wieder nickt der Mann. Er macht sich Notizen. Anschließend verabschiedet er sich von uns und gibt bekannt, dass er darüber mit seinem Chef sprechen will.
In den folgenden zwei Jahren ist in dem ausgesuchten Tal ein neues Kloster entstanden. Den alten Standort unseres Klosters haben wir an einen sozialen Verein übergeben. Dort soll eine Nahrungsmittel-Ausgabestelle eingerichtet werden und Schlafplätze für Obdachlose.
Die Näherei meiner Mutter ist komplett an den neuen Standort umgezogen. Für die Landwirtschaft und die Herberge haben wir Lamas aus einem Kloster nahe Straßburg zugewiesen bekommen, mit dem wir schon länger einen losen Kontakt pflegen.
Inzwischen haben wir der Immobilienfirma fast ein Drittel der Kosten in Raten zurückzahlen können. Bankzinsen fallen nicht an, da die Firma sie uns spendet.
Und noch etwas ist geschehen: Nach der Rückkehr in Deutschland und mit Beginn des neuen Schuljahres bricht der Kontakt zu Noah ab. In Gedanken wünsche ich ihm alles Gute für sein Leben. Sein Vater hat es mir wohl übelgenommen, ihn und Noah in das Hongkong-Abenteuer hineingezogen zu haben.
Im Kloster Ryumon Ji in Weiterswiller, fünfzig Kilometer nördlich von Straßburg lehrt Seine Heiligkeit Trülku Khön Dungsay das Oberhaupt der Sakya-Schule des tibetischen Buddhismus. Er hat zwei Söhne Lama Khön Trizin und Lama Khön Gyana.
Die Sakya Schule, eine der vier Schulen des tibetischen Buddhismus, lehrt nicht die sexuelle Enthaltsamkeit für Mönche, wie die anderen drei Schulen, da ja auch die Familie Khön seit 900 Jahren den Trülku stellt, der dieser Schule vorsteht. Wir haben vereinbart, dass wir untereinander Lehrer austauschen und im ständigen religiösen Dialog bleiben.
Jetzt, nach sieben Jahren ohne Kontakt zu Noah, und nach dem Umzug unseres Klosters in einen zentraleren Bereich Deutschlands, der von den Medien begleitet worden ist, erhalte ich einen Brief. Noah, inzwischen 19 Jahre alt, fragt an, ob er eine Zeitlang das Klosterleben kennenlernen darf. Er hat die Schule beendet und auf einem Berufskolleg das Abitur gemacht.
Nun wäre es an der Zeit, sich um eine Ausbildung zu kümmern. Er hat sich aber beim Bundesfreiwilligendienst gemeldet und will die Zeit in unserem Kloster verbringen, um sich in dieser Zeit über Verschiedenes klarzuwerden, wie er schreibt.
Noah ist inzwischen alt genug, selbständig über sein Leben zu entscheiden. Also schreibe ich ihm nach Rücksprache mit Seiner Heiligkeit zurück, dass er willkommen ist. Er soll nur schreiben, wann sein Zug in der nächsten Großstadt hält. Wenige Wochen danach fahre ich mit dem Kombiwagen des Klosters dorthin und warte auf den jungen Mann.
Nach einer schüchternen Begrüßung seinerseits fahren wir zu unserem Kloster zurück. Unterwegs lasse ich mir von ihm über sein Leben in den vergangenen Jahren berichten. Sein Schulfreund Markus hat jetzt eine Ausbildung im Bankfach begonnen. Eigentlich haben Markus und Noahs Vater ihm zugeredet, sich ebenfalls dort zu bewerben. Aber Noah meint, die Entscheidung noch ein paar Jahre aufschieben zu können.
"Etwas in meinem Herzen zieht mich zu euch ins Kloster. Darüber muss ich mir erst einmal klar werden," meint er. "Habt Ihr in all den Jahren etwas über Yong Tai gehört?"
Das muss ich ihm leider verneinen. Enttäuscht antwortet er:
"Ich habe einen besonderen Baum in der Nähe meines Elternhauses, eine Zwillingsbirke. Diesen Platz kennt nicht einmal Markus. Dort habe ich oft im Gras gelegen und dem Zug der Wolken zugeschaut. Ich habe mir vorgestellt, an was mich die Form der einen oder anderen Wolke erinnert. Ab und zu habe ich die Augen geschlossen und nach innen gehorcht. Dabei habe ich oft Yong Tai gesehen..."
"Interessant, was du da erzählst," erwidere ich. "Ich werde dich das Meditieren lehren!"
"Sie ist so unerreichbar, und mir doch so nah!" stellt er fest.
Ich erkläre ihm nun den Fahrplan für seine Zeit in unserem Kloster:
"Du wirst als Klosterschüler in der buddhistischen Philosophie ausgebildet. Kungfu steht ebenfalls auf dem Lehrplan. Ebenso wirst du dich in Meditation üben. Einmal im Jahr werden alle Klosterschüler geprüft. Irgendwann steht jeder Klosterschüler vor der Entscheidung, sich in der Wirtschaft draußen zu bewerben oder dem Kloster zu dienen und Mönch zu werden. Würdest du als Mönch im Kloster bleiben, entscheiden deine Handlungen und Meditationsfertigkeiten, wann du ein Lama wirst."
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories