Sonntag, 1. Mai 2022
Kiron, der Sucher - 02
"Bitte, setz dich, Paramapaavan -deine Heiligkeit-. Was führt dich zu uns?"

"Dein aufgeweckter Sohn hat mir einen Wunsch geoffenbart, den er gerne seinem Vater vortragen möchte," antwortet der Guru.

Ich muss selbst für mich einstehen. Also schaue ich Mama an und sage:

"Würdest du bitte bei aadaraneey Pita -ehrenwerter Papa- ein Wort für mich einlegen, priy Maan -liebe Mama-? Ich möchte der Guru ka shishy -Schüler des Guru- werden und alles von ihm lernen."

Mama lächelt stolz und ruft meine jüngere Schwester heran. Sie wird beauftragt, zu Papa auf das Feld zu laufen, und ihn nachhause zu holen. Meine beiden älteren Brüder können eine Weile ohne ihn arbeiten.

Eine halbe Stunde darauf kommt Papa nachhause und lässt sich lächelnd gegenüber dem Guru nieder. Mama schenkt auch ihm eine Schale Tee aus. Nach einer Weile bemerkt der aadaraneey Pita -ehrenwerte Papa-:

"Was macht Paramapaavan -seine Heiligkeit- so sicher, dass Kiron, mein lieber Sohn, ein geeigneter Shishy -Schüler- für dich sein könnte? Wir sind Anhänger von Krishna!"

"Der seelige Buddha ist auch in einer Hindu-Familie aufgewachsen. Ob ein Mensch ein Guru werden kann, liegt also nicht an seiner Herkunft, sondern an seinen Werken im Laufe seines Lebens," stellt Seine Heiligkeit fest.

"Und Paramapaavan -seine Heiligkeit- nimmt an, dass der Charakter meines lieben Sohnes ihn befähigt, diese Werke seinen Mitmenschen zugutekommen zu lassen?"

"Sein Interesse zeigt mir, dass in ihm eine gute Seele wirkt!"

"Dann will ich ihm keine Steine in den Weg legen!" meint Papa.

Mein Herz macht einen Sprung.

Papa fragt Mama jetzt, ob das Mittagessen allmählich bereit ist. Sie vertröstet ihn um nur noch wenige Minuten. Also bittet Papa seine Heiligkeit das Mittagessen in seinem Haus einzunehmen. Dieser nimmt lächelnd an.

Nach dem Essen segnet seine Heiligkeit das Haus und seine Bewohner. Danach lässt er sich von mir zum Haus des Patil -Dorfältesten- führen. Padma, seine Tochter, kommt neugierig zum Eingang und kniet sich vor seine Heiligkeit auf den Boden.

Er beugt sich zu ihr herunter und segnet auch sie. Dann segnet er auch dieses Haus und nun wendet er sich zu mir:

"Kiron, wir verlassen nun deine Heimat. Vielleicht führt dich dein Schicksal irgendwann wieder hierher, aber für jetzt solltest du dich noch einmal umsehen! Es wird für lange Zeit das letzte Mal sein."

Ich schaue zu seiner Heiligkeit auf. Er nickt mir aufmunternd zu und lächelt freundlich, also nehme ich noch ein letztes Mal die bekannten Eindrücke in mich auf. Danach folge ich ihm auf seinem Weg aus dem Ort. Er stützt sich dabei auf einen geraden Stock, der so lang ist, wie der Guru groß ist.

Wir sind schon eine ganze Weile stumm nebeneinander her gegangen, als ich ihn frage:

"Paramapaavan -deine Heiligkeit-, was ist Buddhas Lehre?"

Mich trifft ein freudiger Seitenblick. Dann antwortet er:
"Der erste Merksatz 'Dukkha' bedeutet, das Leben ist voller Leid."

"Woher kommt das Leid?" frage ich zurück.

"Nun, mein Junge, in den meisten Fällen fügen Menschen ihren Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich Leid zu."

"Warum fügen Menschen ihren Mitmenschen Leid zu?" nutze ich ein oft gebrauchtes Fragewort.

Aber mein Guru -spiritueller Lehrer- bleibt gelassen. Er antwortet mir:

"Unwissentlich geschieht das aus Gedankenlosigkeit. Das wissentlich oder absichtlich herbeigeführte Leid wird im zweiten Merksatz Samudaja beschrieben. Er bedeutet, die Ursache für das Leid ist Habgier."

"Ah," mache ich. "Um meinen Mitmenschen kein Leid anzutun, muss ich also auf mich und meine Handlungen achten."

"Ja!" ruft Paramapaavan -seine Heiligkeit- aus. "Achte stets auf das, was du sagst oder tust. Der dritte Merksatz 'Nirodha' besagt, dass du die Habgier überwinden musst."

"Wie ist das aber dann, wenn mich jemand in böser Absicht überfällt und mir Leid zufügen will?" lasse ich nicht locker.

Mir macht die begonnene Unterweisung Spaß.

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