Montag, 18. April 2022
Lama Rinpoche -23
"Das ging bei dir aber ziemlich schnell, Dennis," hält er mir vor. "Du warst in meinem jetzigen Alter schon ein Lama!"

Ich lächele ihn an und sage:
"Ich gelte als Reinkarnation eines geachteten Lamas und stand deshalb unter ständiger besonderer Beobachtung. Das war wirklich nicht leicht damals. Nach zehn Jahren Klosterschule bin ich daher nicht erst Gelong geworden, sondern wurde gleich zum Lama geweiht, weil meine Prüfer sich sicher waren."

Nachdem wir im Kloster eingetroffen sind, zeige ich ihm den Schlafsaal für Klosterschüler und deren Speiseraum. Ich erkläre ihm auch, dass sie reihum Küchendienst haben und dass dazu auch gehört, die Gelong -Mönche- im Thronsaal zu bedienen.
Nach Ende des Bundesfreiwilligendienstes ist Noah bei uns geblieben. Drei Jahre ist er nun schon im Kloster. Außerhalb der Schulzeit wurde er mein persönlicher Schüler. Er macht unter meiner direkten Aufsicht seine Hausaufgaben und vervollkommnet seine Fertigkeiten in Kungfu und Meditation. Daneben führen wir viele Gespräche über den Buddhismus im Allgemeinen und die buddhistischen Mönche im Besonderen. Auch die verschiedenen Schulen des tibetischen Buddhismus kommen dabei zur Sprache, und deren Unterschiede.

Irgendwie kommen wir bei den Gesprächen auch auf unser Hongkong-Abenteuer zu sprechen. Das sei etwas gewesen, das ihm gefallen hätte, meint er. Sein alltägliches Leben seither, sei eher langweilig verlaufen.

Ich ziehe die Augenbraue hoch und erkläre:
"Abenteuer, ha! Große Erlebnisse, Nervenkitzel - Nach solchen Dingen sehnt sich ein Gelong -Mönch- nicht! Du bist leichtfertig! - Du musst gelassener werden!"

"Aber Tsopo -Meister-," bittet er nun. "Ich habe schon viel gelernt! Ich werde dich nicht enttäuschen! Ich möchte irgendwann Gelong werden!"

"Hüte dich vor Zorn, Furcht und Aggressivität! Sie ergreifen schnell von dir Besitz! Du musst diese Gefühle bekämpfen!"

"Sind diese Gefühle so stark?" fragt er, leicht verunsichert.

"Nein, aber sie sind schneller an der Oberfläche deiner Gedanken. Sie sind verführerischer. Nur wenn man Ruhe bewahrt, erkennt man die Unterschiede zwischen Yin und Yang. Nur wenn man den inneren Frieden bewahrt, kann man ihn auch nach außen tragen!"

Ich lasse Noah eine Gedankenpause, um das Gehörte zu verarbeiten.

"Ein Gelong nutzt sein Wissen immer zur Verteidigung," rede ich weiter, "niemals zum Angriff! Er wird niemals offensiv handeln.
So, damit sollte es für heute gut sein. Geh auf dein Zimmer und meditiere! Befreie deinen Geist von allen Fragen, werde ruhig. Zweifelst du an dir, dann wirst du versagen. Lerne, dich zu beherrschen!"

*

Monate danach bittet mich Seine Heiligkeit, einer Audienz beizuwohnen. Ich begebe mich in den Thronsaal und setze mich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden neben dem Sessel des Khenchen Lama und warte. Seine Heiligkeit schlägt den Gong. Ein Gelong führt einen älteren Zivilisten herein. Erfreut erkenne ich in ihm den ehrenwerten Herrn Li. Vor Seiner Heiligkeit geht der Mann auf die Knie und verbeugt sich tief.

Seine Heiligkeit, der Khenchen Lama, ergreift das Wort:

"Erhebe dich, mein Sohn!"

Herr Li erhebt sich. Nun, auf Augenhöhe mit dem sitzenden Khenchen Lama, sagt Herr Li:

"Ich freue mich, dass Eure Heiligkeit mir diese Audienz gewährt. Ich habe ein delikates Anliegen: Meine liebe Tochter, die einmal hier Klosterschülerin war, ist inzwischen zur Leiterin der Abteilung Europa des amerikanischen Immobilienkonzerns aufgestiegen, der dieses Kloster erbauen durfte. Sie hat in der letzten Zeit mehrere Drohbriefe erhalten und fühlt sich im Augenblick nicht sicher. Der Konzern hat ihr einen gepanzerten Wagen gestellt und Personenschützer. Sie besteht aber darauf, einen ehrwürdigen Lama in ihrer Nähe zu wissen, um ruhig schlafen zu können."

Seine Heiligkeit und ich tauschen Blicke. Grundsätzlich helfen wir, wo wir können. Hier müssen wir aus Dankbarkeit etwas tun. Dann fragt er den Besucher:

"Ihr Name ist Li? Es geht um die ehemalige Schülerin Li Yong Tai?"

"Ja, Eure Heiligkeit."

"Das ganze Geld der Welt kann dem Menschen keine Sicherheit geben. Personenschützer tragen Waffen. Das führt dazu, dass auch die Gegenseite Waffen in Erwägung zieht. Eine Spirale ohne Ende entsteht...
Ich werde Lama Rinpoche mit der heiklen Aufgabe betrauen. Es hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass er den Anforderungen gewachsen ist. Deine verehrte Tochter wird sich seinen Anordnungen zum Thema Sicherheit beugen! Auch ihre Mitarbeiter müssen sich daranhalten!"

"Das wird sie!" versichert Herr Li erleichtert. "Und sie wird auch ihre Mitarbeiter dahingehend anweisen!"

"Lama Rinpoche wird sich in Kürze bei der verehrten Li Yong Tai melden!"

"Ich danke Eurer Heiligkeit für Sein Wohlwollen!" antwortet Herr Li und bewegt sich langsam rückwärts zur Tür des Thronsaales.

Als ich mit Seiner Heiligkeit alleine bin, wendet er sich an mich:

"Bruder Rinpoche, du wirst einen schusssicheren Anzug brauchen!"

Ich nicke und hebe die gefalteten Hände zum Kinn. Dabei spreche ich eine erste Vermutung aus:

"Entweder ist die Schwester der Mafia im Weg oder der große Feind im Norden (-von Tibet-) hat die Aktion in Hongkong nicht vergessen."

"Du wirst es herausfinden, Bruder Rinpoche!"

"Ja, Eure Heiligkeit," antworte ich und bin nun auch entlassen.

Ich gehe vom Khenchen Lama direkt zu Noah. Er sitzt meditierend in seinem Zimmer, wie so oft schon in letzter Zeit. Eine wärmende Flamme der Freude steigt dann jedes Mal in mir auf, wenn ich ihn so vorfinde. Noah befindet sich auf dem rechten Weg!

Mich geräuschlos neben ihn niederlassend, warte ich ab. Eine ganze Weile später öffnet Noah die Augen und wendet sich mir zu. Ich hebe die gefalteten Hände und eröffne ihm:

"Seine Heiligkeit schickt mich nach Hamburg, um einer bedrängten Schwester zur Seite zu stehen."

"Hat Lama Rinpoche einen Auftrag für mich, für die Zeit seiner Abwesenheit?" fragt Noah in ruhigem Ton.

"Deine Meditationsübungen haben dich die Angst, den Zorn und die Aggressivität beherrschen gelernt?" frage ich zurück.

Noah macht große Augen. Ich erkläre es ihm:
"Seine Heiligkeit hat mir empfohlen, bei meinem Auftrag einen schusssicheren Anzug zu tragen. Das Kleidungsstück ist schwer, aber es schützt vor feigen Heckenschützen, die aus dem Verborgenen agieren. Um den Anzug zu beherrschen, muss man zuerst einmal Krafttraining im Anzug machen. Auch Reaktionstraining! Man darf den Anzug nicht mehr als Bürde empfinden, quasi vergessen, dass man ihn trägt. Das dauert ein paar Tage intensiven Trainings! Man muss lernen, auch im Anzug selbstsicher und beherrscht zu sein!"

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Sonntag, 17. April 2022
Lama Rinpoche -22
Ich soll nun die Bilder mit dem Bild der Umgebung meines früheren nepalesischen Klosters vergleichen, wie ich es in Erinnerung habe. Das ausgesuchte Gebirgstal will die Immobilienfirma des Freundes von Herrn Li erwerben und ein buddhistisches Kloster hineinbauen.

Nach einigem Hin- und Herblättern zeige ich auf ein weites Tal, in dem sich eine Bundesstraße an einer Steilwand entlang schlängelt. Ich frage den Mann:

"Wie weit außerhalb der nächstgelegenen Ortschaft liegt dieses Tal?"

Der Mann schaut mich verständnislos an und antwortet:

"Dieses Tal ist etwas abgelegen. In beiden Richtungen der Bundesstraße kommen kleine Ortschaften in dreißig bis fünfzig Kilometer Entfernung. Die nächste größere Stadt liegt 200 Kilometer entfernt."

Ich lächele ihn an und sage:
"Dann ließe sich dort eine Raststätte mit großem Parkplatz an der Bundesstraße bauen. Dahinter, in den Hang hinein käme dann das Kloster mit Ställen und anderen Wirtschaftsgebäuden. Hinter dem Eingangsgebäude befände sich ein Innenhof mit Säulengängen am Rand und ein hinterer Gebäudeteil mit einem Stupa."

"Ah," lächelt der Mann, "Sie bevorzugen die ganz große Lösung!"

Ich lächele zurück und meine:
"Wir wollen weitgehend autonom leben, unsere Nahrungsmittel und Energie selbst erzeugen. Die Straße ermöglicht den Gläubigen, das Kloster einfach mit dem Auto zu erreichen. Der Rastplatz mit Gästezimmern im Komfort einer Jugendherberge ermöglicht es ihnen, erst am nächsten Tag die möglicherweise weite Heimreise anzutreten. Das Restaurant des Rastplatzes kümmert sich um ihr leibliches Wohl. Natürlich darf der Rastplatz jedem Vorbeifahrenden offenstehen, der Hunger verspürt oder eine Pause braucht!"

Der Mann nickt. Nach einer Gedankenpause meint er:
"Beim Kloster selbst bevorzugen Sie also ebenso die große Lösung?"

"Jaein," meine ich. "Schaf-, Ziegen- und Hühnerställe, sowie Weiden und Felder - Metzgerei und Mühle sollten im Untergeschoß vorhanden sein, um autark sein zu können. Eine Näherei... Darüber eine Klosterschule mit Schulhof. Räume für die Gläubigen und die Mönche. Nicht ganz so groß wie in Nepal, da hier nicht so viele Schüler, Mönche und Nonnen leben werden."

Wieder nickt der Mann. Er macht sich Notizen. Anschließend verabschiedet er sich von uns und gibt bekannt, dass er darüber mit seinem Chef sprechen will.

In den folgenden zwei Jahren ist in dem ausgesuchten Tal ein neues Kloster entstanden. Den alten Standort unseres Klosters haben wir an einen sozialen Verein übergeben. Dort soll eine Nahrungsmittel-Ausgabestelle eingerichtet werden und Schlafplätze für Obdachlose.

Die Näherei meiner Mutter ist komplett an den neuen Standort umgezogen. Für die Landwirtschaft und die Herberge haben wir Lamas aus einem Kloster nahe Straßburg zugewiesen bekommen, mit dem wir schon länger einen losen Kontakt pflegen.

Inzwischen haben wir der Immobilienfirma fast ein Drittel der Kosten in Raten zurückzahlen können. Bankzinsen fallen nicht an, da die Firma sie uns spendet.

Und noch etwas ist geschehen: Nach der Rückkehr in Deutschland und mit Beginn des neuen Schuljahres bricht der Kontakt zu Noah ab. In Gedanken wünsche ich ihm alles Gute für sein Leben. Sein Vater hat es mir wohl übelgenommen, ihn und Noah in das Hongkong-Abenteuer hineingezogen zu haben.

Im Kloster Ryumon Ji in Weiterswiller, fünfzig Kilometer nördlich von Straßburg lehrt Seine Heiligkeit Trülku Khön Dungsay das Oberhaupt der Sakya-Schule des tibetischen Buddhismus. Er hat zwei Söhne Lama Khön Trizin und Lama Khön Gyana.

Die Sakya Schule, eine der vier Schulen des tibetischen Buddhismus, lehrt nicht die sexuelle Enthaltsamkeit für Mönche, wie die anderen drei Schulen, da ja auch die Familie Khön seit 900 Jahren den Trülku stellt, der dieser Schule vorsteht. Wir haben vereinbart, dass wir untereinander Lehrer austauschen und im ständigen religiösen Dialog bleiben.

Jetzt, nach sieben Jahren ohne Kontakt zu Noah, und nach dem Umzug unseres Klosters in einen zentraleren Bereich Deutschlands, der von den Medien begleitet worden ist, erhalte ich einen Brief. Noah, inzwischen 19 Jahre alt, fragt an, ob er eine Zeitlang das Klosterleben kennenlernen darf. Er hat die Schule beendet und auf einem Berufskolleg das Abitur gemacht.

Nun wäre es an der Zeit, sich um eine Ausbildung zu kümmern. Er hat sich aber beim Bundesfreiwilligendienst gemeldet und will die Zeit in unserem Kloster verbringen, um sich in dieser Zeit über Verschiedenes klarzuwerden, wie er schreibt.

Noah ist inzwischen alt genug, selbständig über sein Leben zu entscheiden. Also schreibe ich ihm nach Rücksprache mit Seiner Heiligkeit zurück, dass er willkommen ist. Er soll nur schreiben, wann sein Zug in der nächsten Großstadt hält. Wenige Wochen danach fahre ich mit dem Kombiwagen des Klosters dorthin und warte auf den jungen Mann.

Nach einer schüchternen Begrüßung seinerseits fahren wir zu unserem Kloster zurück. Unterwegs lasse ich mir von ihm über sein Leben in den vergangenen Jahren berichten. Sein Schulfreund Markus hat jetzt eine Ausbildung im Bankfach begonnen. Eigentlich haben Markus und Noahs Vater ihm zugeredet, sich ebenfalls dort zu bewerben. Aber Noah meint, die Entscheidung noch ein paar Jahre aufschieben zu können.

"Etwas in meinem Herzen zieht mich zu euch ins Kloster. Darüber muss ich mir erst einmal klar werden," meint er. "Habt Ihr in all den Jahren etwas über Yong Tai gehört?"

Das muss ich ihm leider verneinen. Enttäuscht antwortet er:

"Ich habe einen besonderen Baum in der Nähe meines Elternhauses, eine Zwillingsbirke. Diesen Platz kennt nicht einmal Markus. Dort habe ich oft im Gras gelegen und dem Zug der Wolken zugeschaut. Ich habe mir vorgestellt, an was mich die Form der einen oder anderen Wolke erinnert. Ab und zu habe ich die Augen geschlossen und nach innen gehorcht. Dabei habe ich oft Yong Tai gesehen..."

"Interessant, was du da erzählst," erwidere ich. "Ich werde dich das Meditieren lehren!"

"Sie ist so unerreichbar, und mir doch so nah!" stellt er fest.

Ich erkläre ihm nun den Fahrplan für seine Zeit in unserem Kloster:

"Du wirst als Klosterschüler in der buddhistischen Philosophie ausgebildet. Kungfu steht ebenfalls auf dem Lehrplan. Ebenso wirst du dich in Meditation üben. Einmal im Jahr werden alle Klosterschüler geprüft. Irgendwann steht jeder Klosterschüler vor der Entscheidung, sich in der Wirtschaft draußen zu bewerben oder dem Kloster zu dienen und Mönch zu werden. Würdest du als Mönch im Kloster bleiben, entscheiden deine Handlungen und Meditationsfertigkeiten, wann du ein Lama wirst."

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Samstag, 16. April 2022
Lama Rinpoche -21
Da nur Yong Tai und ich damit zurechtkommen, holt die alte Dame noch Löffel aus Porzellan für Noah und seinen Vater herbei. Währenddessen muss Yong Tai viel erzählen und immer wieder streicht ihre Großmutter ihr über die Wange und wischt ihre Tränen an ihrer Kleidung ab.

In der ganzen Zeit sind wir quasi Statisten, da wir die Sprache nicht beherrschen und uns nur über das Mienenspiel mitteilen können.

Nach einer ganzen Weile spricht uns der alte Herr auf Englisch an und will von uns wissen, wie man denn so lebt im fernen Deutschland. So berichten nun auch wir ihm aus Deutschland, wobei ich Herrn Mann die Gesprächsführung überlasse.

Am frühen Nachmittag meldet sich Yong Tais Handy. Wir schauen uns teils erschrocken, teils erstaunt an. Yong Tai nimmt das Gespräch an und ruft erstaunt aus: "Fuqin -Papa-!"

Dann gibt sie das Handy an ihren Großvater weiter. Vater und Sohn reden nun eine Weile über Videotelefonie auf Chinesisch miteinander. Schließlich steht der alte Herr auf, öffnet eine Schublade und entnimmt ihr einige Dokumente, die er in eine Tasche steckt.

Da wir unwissend am Tisch sitzen, erklärt uns Yong Tai:

"Mein ehrenwerter Vater berichtet, dass er vor vier Wochen nach Honolulu geflogen ist, nachdem feststand, wann wir fliegen würden. Er ist auf Hawaii mit einem ehrenwerten Herrn bekannt, der mit Immobilien viel Geld gemacht hat. Der ehrenwerte Herr hat sich angeboten, meinem ehrenwerten Vater zu helfen. Nun ist Papa mit dem ehrenwerten Herrn und dessen Männern draußen vor der Küste und schickt nach Sonnenuntergang ein Boot an den Strand. Wir sollen mit der U-Bahn zu dem Strandbad fahren und in nördlicher Richtung am Wasser entlangwandern. Mein ehrenwerter Vater kann mein Handy orten und weiß so, wo wir sind."

"Ahso," meint Noahs Vater. "Dann könnten wir uns ja auch hier trennen. Wir fliegen planmäßig zurück und du fährst mit deinen Großeltern über den Pazifik."

Yong Tai macht ein tief enttäuschtes Gesicht. Ich schalte mich ein:

"Theoretisch könnten wir das so machen, Herr Mann. Aber es wäre ein Affront gegenüber diesen Leuten hier. Höflicherweise sollten wir die Einladung annehmen und die Gastfreundschaft der Leute genießen."

"Mein ehrenwerter Vater würde sich freuen, Sie alle kennenzulernen und Sie dem ehrenwerten amerikanischen Herrn vorzustellen!" betont Yong Tai, durch mich ermutigt.

Herr Mann hebt die Augenbrauen. Aber er nickt nach einer Gedankenpause. Also ist es abgemacht. Wir fahren mit kleinem Gepäck, auch wir haben unsere Reisedokumente dabei, zu dem Strandbad und halten uns links. Bald verlassen wir die Absperrungen und wandern über einen naturbelassenen Strand.

Nachdem es dunkel geworden ist, hören wir als Erstes Motorengeräusche, so laut wie ein Hubschrauber. Wieder rutscht uns das Herz in die Hose. Ich bin entschlossen, unsere Haut gegenüber den Chinesen so teuer wie möglich zu verkaufen. Dann leuchtet ein Scheinwerfer von See kommend den Strand aus und hat uns schnell erfasst.

Kurz darauf stoppt ein Luftkissenboot auf dem Strand. Inklusive der zwei Mann Besatzung sind wir acht Personen. Mehr Leute passen auch nicht auf das Boot. Nachdem wir hineingeklettert sind, kann ich Yong Tais Vater erkennen. Er aber wehrt alle Wiedersehensfreude höflich ab und verweist auf "Später, bitte!"

Der andere Mann im Boot hat das Fahrzeug gedreht und strebt auf die See zurück, auf ein unbekanntes Ziel zu. Bald taucht das Fahrzeug tiefer ins Wasser ein. Die Schürze wird eingezogen, die für das Luftkissen unter dem Boot gesorgt hat. Zwei Rotore am Heck bringen uns durch die Brandung und mit 30 Knoten Geschwindigkeit hinaus auf den Pazifik.

Außerhalb der von Hongkong beanspruchten Zone, in internationalen Gewässern, wartet eine große Yacht. Es könnte auch ein kleines Kreuzfahrtschiff sein. Wir klettern eine seitlich hängende Treppe hinauf, die hinter uns hochgezogen wird. Auch das Wasserfahrzeug wird an Bord genommen. Uns zeigt man nun unsere Kabinen, während die Yacht Kurs auf Hawaii nimmt. Zwei Wochen wird die Seereise dauern.
Unterwegs vertreiben sich Noah und Yong Tai die Zeit mit Erkunden des Schiffes. Sie fragen der Mannschaft 'Löcher in den Bauch' und spielen im Salon Gesellschaftsspiele. Ich halte mich zumeist in meiner Kabine auf und meditiere oder unterhalte mich mit dem Schiffseigner, zu dem auch Herr Li und Herr Mann gehen.

Die zwei Wochen auf dem Meer vergeht auf diese Weise wie im Flug. Der Schiffseigner interessiert sich nebenbei in den Gesprächen für mein Kloster. Gerne gebe ich ihm Auskunft. Auch beobachte ich mit den Anderen die Wale von der Reling aus, wenn die Schiffsführung über die Bordsprechanlage darauf aufmerksam macht. Schließlich laufen wir in Honolulu Harbour ein.

Der Schiffseigner besitzt auch eine Villa am Hang des Kilauea, in die er uns einlädt. In den darauffolgenden zwei Wochen organisiert er Besichtigungstouren mit Auto und Kleinflugzeugen über die ganze Inselgruppe. Wir verbringen eine wundervolle Zeit. Der CEO der weltweit operierenden Immobiliengesellschaft, dem die Hochseeyacht und die Villa gehört, und Herr Li reden in meinem Beisein über Yong Tais Zukunft. Der CEO bietet Herrn Li an, sie als Auszubildende einzustellen. Ich finde, das ist eine gute Idee. Yong Tai wird durch einen Bediensteten hinzugerufen und ihr das Angebot unterbreitet.

Sie ist vollkommen überrascht. Das sieht man ihr an. In der entstehende Gesprächspause melde ich mich zu Wort:

"Li Yong Tai, habe keine Angst vor der Zukunft und der damit verbundenen vorübergehenden Trennung von deiner ehrenwerten Familie! Du kannst alles schaffen, was du ernsthaft angehst. Bewahre dir deine Neugier und dein Interesse. Bewahre dir dein Mitgefühl, aber beharre auch auf Standpunkten, die du für richtig hältst. Ich wünsche dir alles Glück der Welt!"

Sie hört zu, was ich ihr zu sagen habe, dann nickt sie, wendet sich ihrem Vater zu und sagt mit fester Stimme:

"Ja, ehrenwerter Vater, ich bin bereit! Ich werde dich nicht enttäuschen!"

Bald darauf fliege ich mit Noah und seinen Vater vom Kona International Airport über San Franzisko und New York nach Frankfurt zurück. Zum Abschied schenkt Noah Yong Tai seinen Drachen aus Hongkong.

*

Sieben Jahre sind seit dem Hongkong-Abenteuer vergangen. In dieser Zeit ist viel passiert. Herrn Lis amerikanischer Freund hat auf der Seereise zurück nach Hawaii neben den beruflichen Gesprächen via Satellit viel mit Herrn Li und mir über die Situation der Buddhisten in Deutschland gesprochen.

Das Ergebnis dieser Gespräche hätte ich mir nie zu träumen gewagt: Einer seiner Mitarbeiter hat Monate später unser Kloster an der sächsisch-bayrischen Grenze besucht. Ich werde zu Seiner Heiligkeit, dem Khenchen Lama, gerufen und darf gegenüber dem Mitarbeiter der Immobilienfirma meine Vorstellungen entwickeln. Der Mann hat einen Katalog mit Luftbildern mitgebracht. Darauf kann man verschiedene Gebirgstäler im deutschen Mittelgebirge erkennen.

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