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Sonntag, 24. April 2022
Lama Rinpoche -29
mariant, 12:54h
Anne, lehnt sich stumm an ihren Adoptivvater. Andrea schüttelt lächelnd den Kopf und erklärt:
"Wir werden dich immer wieder besuchen! Wenn es geht, auch zwischendurch an den Wochenenden. Ansonsten gibt es ja WhatsApp!"
Er nickt lächelnd und meint:
"Zuerst die Schule - und die Hausaufgaben! Bei Fragen bin ich natürlich wie immer für euch jederzeit zu sprechen, meine Große!"
Bei den Staatsexamina sind beide hochgradig nervös, erzählt mir Noah im Vertrauen. Dennoch erhalten sie ihre angestrebten Abschlüsse.
"Na also!" meine ich nur und lächele Noah aufmunternd zu. Er hat regelrecht mitgelitten.
Anschließend reisen die Drei durch Deutschland. Noah will den inzwischen 22jährigen Zwillingen seine Heimat zeigen und sie wie nebenbei an dem Elternhaus von Yong Tai vorbeiführen. Er ist auf Annes Reaktion gespannt, sagt er zum Reiseantritt.
Zurück von der Reise berichtet er mir von ihrer emotionalen Reaktion vor dem Elternhaus von Yong Tai, indem inzwischen andere Leute wohnen. Wir sind uns nun sicher, in Anne muss die Seele Yong Tais weiterleben.
Kurz darauf verlassen sie unser Kloster und brechen nach Hawaii auf.
*
Ein Jahr nach Noahs Abreise verstirbt Seine Heiligkeit, unser Khenchen Lama, an einer schweren Krankheit. Er legt sein Amt in meine Hände und spricht darüber auch mit den Lamas, die ihn im Krankenhaus besuchen. Dennoch muss eine Wahl erfolgen, die ich gewinne. Nun ziehe ich innerhalb unseres Klosters um, in die Wohnung des Khenchen Lama. Nach seinem Tod führe ich die Zeremonie zu seiner Einäscherung durch. Wir übergeben seine Asche anschließend den Naturelementen.
Etwa zwei Jahre später, während der US-amerikanischen Schulferien, besucht mich Noah erneut. Er ist freudig überrascht, dass ich nun der Khenchen Lama bin. Im Gespräch berichtet er mir anschließend von der erfolgreichen Gründung seiner Schule unter dem Dach einer Yong-Tai-Foundation und bittet mich gleichzeitig um einen Rat. Sie sind drei feste Lehrkräfte, er und die Zwillinge, und aus dem buddhistischen Kloster in Honolulu kommen stundenweise Gelongs zu ihnen als Aushilfe. Er bräuchte aber mindestens ein Dutzend Leute, klagt er mir.
"Ist es möglich, dass einer der Gelong dieses Klosters - ein Kungfu-Meister - Interesse daran hat, das Managen einer Foundation zu erlernen? Es gilt sozial gebundene Gelder zu verwalten und zweckgebunden auszugeben. Für den Anfang denke ich an drei Bewerber, um mir den Besten nach einem Jahr Aufenthalt auszusuchen. Die beiden anderen bekämen ein Zertifikat mit nach Deutschland zurück.
Auch könnten sich Klosterschülerinnen gerne bei uns bewerben, wenn sie sich die Arbeit mit Kindern vorstellen können. Sie könnten bei uns ein einjähriges Praktikum machen, für das sie ebenfalls ein Zertifikat bekommen würden. Wenn sie dann in Deutschland zurück sind und eine Ausbildung in diesem Bereich anschließen, können sie sich danach gerne ebenfalls bei uns bewerben, um eine unbefristete Anstellung zu finden," bietet Noah an.
Ich lade ihn ein, zum Essen zu bleiben und dabei das Thema bei den Gelong -Mönchen- im Kloster anzusprechen. Ihm gefällt die Idee und er bedankt sich, indem er sich vor mir verbeugt und die gefalteten Hände an sein Kinn hebt, sicher aus Respekt vor dem Amt, das ich jetzt bekleide. Denn nun erhebt er sich und entfernt sich langsam rückwärtsgehend.
Er geht zum Speisesaal und setzt sich auf den Platz des Vorlesers, wie ich beim Eintreten feststelle. Von dort werden den Mönchen während des Essens uralte buddhistische Texte vorgelesen. Ich erhebe mich ebenfalls, nachdem er meine Wohnung verlassen hat und gehe zur Gästewohnung seiner Eminenz Lama Khön Gyana. Es ist der jüngere Bruder Seiner Heiligkeit des Trülku der Sakya-Schule aus Weiterswiller. Zufällig weilt er zurzeit in unserem Kloster. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Speisesaal der Gelong -Mönche-. Als wir eintreffen referiert Lama Kyobpa gerade über sein Thema:
"...Aber was ist den Buddhisten, ganz besonders den Mönchen erlaubt? Die Selbstlosigkeit, das Mitgefühl und Eintreten für den Schwächeren sind uns ausdrücklich geboten. Als zentralen Punkt sehe ich hier das Mitgefühl, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers, ist das Wesentlichste im Leben der Mönche."
Noahs Augen werden bei unserem Eintritt groß. Seine Eminenz und Lama Kyobpa kennen sich, weil Noah zehn Jahre in Weiterwiller gelebt hat. Wir suchen uns einen Platz und werden sogleich von einem Klosterschüler bedient. Nachdem Lama Kyobpa geendet hat, hebt Seine Eminenz zu sprechen an:
"Liebe Brüder," sagt er. "Ihr wisst, dass uns Abhängigkeit verboten ist, sowie auch persönlicher Besitz. Das Wesentlichste im Leben eines Mönches ist aber die Selbstlosigkeit, das Eintreten für den Schwächeren. Dabei würde ich das Mitgefühl herausstreichen, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers - und natürlich zu einer nahestehenden Person, die ich kenne. Man kann also sagen, dass wir zur Liebe ermutigt werden."
Damit befeuert er eine Debatte, denn die Meisten der anwesenden Gelong halten die Askese für die zentrale Tugend des Mönchtums. Bald stellt sich heraus, welche Gelong offen sind für eine Beziehung.
Mit diesen Gelong führt Lama Kyobpa in den folgenden Tagen Einzelgespräche. Nach zwei Wochen präsentiert er mir zwei Kandidaten für die Position des Managers der Yong-Tai-Foundations. Seine Eminenz Lama Khön Gyana kommt ebenfalls mit. Er zeigt ebenfalls Interesse.
Bei einem Skype-Kontakt, ein Jahr später, berichtet mir Lama Kyobpa, dass er die Gelong zu Lamas geweiht hat und mit den versprochenen Zertifikaten nach Deutschland zurücksendet. Auch ein Teil der Klosterschüler kommt mit nachhause. Dafür sollen andere Klosterschüler mit Interesse zu ihm fliegen. Was er mir zu seiner Eminenz Lama Khön Gyana und Andrea zu berichten weiß, entlockt mir ein jungenhaftes Lächeln. Ich bemerke dazu:
"Ich habe mir gedacht, dass eure Entscheidung diese Richtung nimmt, und wünsche Lama Khön Gyana mit Gelongma Andrea alles Gute für ihre gemeinsame Zukunft. Ich freue mich, dass ein weiteres Mitglied der Khön-Familie bald eine erfüllende Aufgabe bekommt."
"Wir werden dich immer wieder besuchen! Wenn es geht, auch zwischendurch an den Wochenenden. Ansonsten gibt es ja WhatsApp!"
Er nickt lächelnd und meint:
"Zuerst die Schule - und die Hausaufgaben! Bei Fragen bin ich natürlich wie immer für euch jederzeit zu sprechen, meine Große!"
Bei den Staatsexamina sind beide hochgradig nervös, erzählt mir Noah im Vertrauen. Dennoch erhalten sie ihre angestrebten Abschlüsse.
"Na also!" meine ich nur und lächele Noah aufmunternd zu. Er hat regelrecht mitgelitten.
Anschließend reisen die Drei durch Deutschland. Noah will den inzwischen 22jährigen Zwillingen seine Heimat zeigen und sie wie nebenbei an dem Elternhaus von Yong Tai vorbeiführen. Er ist auf Annes Reaktion gespannt, sagt er zum Reiseantritt.
Zurück von der Reise berichtet er mir von ihrer emotionalen Reaktion vor dem Elternhaus von Yong Tai, indem inzwischen andere Leute wohnen. Wir sind uns nun sicher, in Anne muss die Seele Yong Tais weiterleben.
Kurz darauf verlassen sie unser Kloster und brechen nach Hawaii auf.
*
Ein Jahr nach Noahs Abreise verstirbt Seine Heiligkeit, unser Khenchen Lama, an einer schweren Krankheit. Er legt sein Amt in meine Hände und spricht darüber auch mit den Lamas, die ihn im Krankenhaus besuchen. Dennoch muss eine Wahl erfolgen, die ich gewinne. Nun ziehe ich innerhalb unseres Klosters um, in die Wohnung des Khenchen Lama. Nach seinem Tod führe ich die Zeremonie zu seiner Einäscherung durch. Wir übergeben seine Asche anschließend den Naturelementen.
Etwa zwei Jahre später, während der US-amerikanischen Schulferien, besucht mich Noah erneut. Er ist freudig überrascht, dass ich nun der Khenchen Lama bin. Im Gespräch berichtet er mir anschließend von der erfolgreichen Gründung seiner Schule unter dem Dach einer Yong-Tai-Foundation und bittet mich gleichzeitig um einen Rat. Sie sind drei feste Lehrkräfte, er und die Zwillinge, und aus dem buddhistischen Kloster in Honolulu kommen stundenweise Gelongs zu ihnen als Aushilfe. Er bräuchte aber mindestens ein Dutzend Leute, klagt er mir.
"Ist es möglich, dass einer der Gelong dieses Klosters - ein Kungfu-Meister - Interesse daran hat, das Managen einer Foundation zu erlernen? Es gilt sozial gebundene Gelder zu verwalten und zweckgebunden auszugeben. Für den Anfang denke ich an drei Bewerber, um mir den Besten nach einem Jahr Aufenthalt auszusuchen. Die beiden anderen bekämen ein Zertifikat mit nach Deutschland zurück.
Auch könnten sich Klosterschülerinnen gerne bei uns bewerben, wenn sie sich die Arbeit mit Kindern vorstellen können. Sie könnten bei uns ein einjähriges Praktikum machen, für das sie ebenfalls ein Zertifikat bekommen würden. Wenn sie dann in Deutschland zurück sind und eine Ausbildung in diesem Bereich anschließen, können sie sich danach gerne ebenfalls bei uns bewerben, um eine unbefristete Anstellung zu finden," bietet Noah an.
Ich lade ihn ein, zum Essen zu bleiben und dabei das Thema bei den Gelong -Mönchen- im Kloster anzusprechen. Ihm gefällt die Idee und er bedankt sich, indem er sich vor mir verbeugt und die gefalteten Hände an sein Kinn hebt, sicher aus Respekt vor dem Amt, das ich jetzt bekleide. Denn nun erhebt er sich und entfernt sich langsam rückwärtsgehend.
Er geht zum Speisesaal und setzt sich auf den Platz des Vorlesers, wie ich beim Eintreten feststelle. Von dort werden den Mönchen während des Essens uralte buddhistische Texte vorgelesen. Ich erhebe mich ebenfalls, nachdem er meine Wohnung verlassen hat und gehe zur Gästewohnung seiner Eminenz Lama Khön Gyana. Es ist der jüngere Bruder Seiner Heiligkeit des Trülku der Sakya-Schule aus Weiterswiller. Zufällig weilt er zurzeit in unserem Kloster. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Speisesaal der Gelong -Mönche-. Als wir eintreffen referiert Lama Kyobpa gerade über sein Thema:
"...Aber was ist den Buddhisten, ganz besonders den Mönchen erlaubt? Die Selbstlosigkeit, das Mitgefühl und Eintreten für den Schwächeren sind uns ausdrücklich geboten. Als zentralen Punkt sehe ich hier das Mitgefühl, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers, ist das Wesentlichste im Leben der Mönche."
Noahs Augen werden bei unserem Eintritt groß. Seine Eminenz und Lama Kyobpa kennen sich, weil Noah zehn Jahre in Weiterwiller gelebt hat. Wir suchen uns einen Platz und werden sogleich von einem Klosterschüler bedient. Nachdem Lama Kyobpa geendet hat, hebt Seine Eminenz zu sprechen an:
"Liebe Brüder," sagt er. "Ihr wisst, dass uns Abhängigkeit verboten ist, sowie auch persönlicher Besitz. Das Wesentlichste im Leben eines Mönches ist aber die Selbstlosigkeit, das Eintreten für den Schwächeren. Dabei würde ich das Mitgefühl herausstreichen, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers - und natürlich zu einer nahestehenden Person, die ich kenne. Man kann also sagen, dass wir zur Liebe ermutigt werden."
Damit befeuert er eine Debatte, denn die Meisten der anwesenden Gelong halten die Askese für die zentrale Tugend des Mönchtums. Bald stellt sich heraus, welche Gelong offen sind für eine Beziehung.
Mit diesen Gelong führt Lama Kyobpa in den folgenden Tagen Einzelgespräche. Nach zwei Wochen präsentiert er mir zwei Kandidaten für die Position des Managers der Yong-Tai-Foundations. Seine Eminenz Lama Khön Gyana kommt ebenfalls mit. Er zeigt ebenfalls Interesse.
Bei einem Skype-Kontakt, ein Jahr später, berichtet mir Lama Kyobpa, dass er die Gelong zu Lamas geweiht hat und mit den versprochenen Zertifikaten nach Deutschland zurücksendet. Auch ein Teil der Klosterschüler kommt mit nachhause. Dafür sollen andere Klosterschüler mit Interesse zu ihm fliegen. Was er mir zu seiner Eminenz Lama Khön Gyana und Andrea zu berichten weiß, entlockt mir ein jungenhaftes Lächeln. Ich bemerke dazu:
"Ich habe mir gedacht, dass eure Entscheidung diese Richtung nimmt, und wünsche Lama Khön Gyana mit Gelongma Andrea alles Gute für ihre gemeinsame Zukunft. Ich freue mich, dass ein weiteres Mitglied der Khön-Familie bald eine erfüllende Aufgabe bekommt."
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Samstag, 23. April 2022
Lama Rinpoche -28
mariant, 11:51h
"Ja," bestätigt er mir. "Ich habe zwei Zimmer in der Raststätte draußen gemietet."
Ich nicke lächelnd und antworte:
"Das wird das Beste für die Mädchen sein: Sie erst langsam daran gewöhnen, dass ihr Vater ein Mönch ist."
Nun schaut mich Noah prüfend an. Die Weihe zum Gelong -Mönch- fehlt ihm noch, denn bisher ist er erst Klosterschüler. Ich halte seinem Blick stand und zeige ihm ein feines Lächeln.
"Kommt Zeit, kommt Rat, Noah!" sage ich nur.
Wir gehen zu den Klosterschülerinnen zurück. Der Speisesaal ist inzwischen leer, aber eine Gelongma -Nonne- weiß, wo sich die beiden Mädchen aufhalten. Im Wohntrakt finden wir die Mädchen, wie sie von Hawaii schwärmen. Alle Klosterschülerinnen sind des Englischen mächtig. Nur bei einigen Ausdrücken hapert die Verständigung, aber darüber finden sie schnell hinweg. Hier trenne ich mich von Noah und gehe weiter zu meinem Zimmer.
Fast eine Woche später führe ich Noah mit den Mädchen zu Seiner Heiligkeit.
Als wir den Thronsaal betreten haben, sinkt Noah auf die Knie, hebt die gefalteten Hände an sein Kinn und neigt den Kopf. Er wartet, dass Seine Heiligkeit seine Stimme erhebt. Das Mädchen, das Anne heißt, macht die Geste nach, nur dass sie nur ein Knie beugt. Andrea an seiner anderen Seite schaut mit gerunzelter Stirn in die Runde und hebt nur kurz die gefalteten Hände an ihre Lippen. Dass sich die unterschiedlichen Charaktere so deutlich zeigen, lässt mich innerlich schmunzeln.
"Kommt näher!" fordert Seine Heiligkeit Noah nach einigen Sekunden auf.
Er erhebt sich und schiebt die Mädchen mit seinen Händen in ihrem Rücken näher an Seine Heiligkeit heran. Dieser blickt lächelnd von Anne zu Andrea, um dann zu fragen:
"How do you like your Dad?"
"He's a good man!" platzt Andrea heraus. Anne neigt den Kopf ein wenig und ergänzt: "We love Dad!"
Noah angelt nach seinem Taschentuch und schnäuzt hinein. Tränen füllen seine Augen. Seine Heiligkeit nickt, schaut ihn an und informiert ihn:
"Du bist in Weiterswiller willkommen, Bruder! Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft! Wie sieht bisher deine Planung aus?"
"Meine Mädchen werden dort die Klosterschule besuchen. Vielleicht entwickeln sich Freundschaften unter den Schülerinnen und sie werden eingeladen in deren Familien die Ferien zu verbringen. Dabei lernen sie die Lebensart der Leute kennen und nehmen sie vielleicht zum Teil an. Nach der Schule sollen sie hier in Deutschland studieren, um soziale Berufe ausüben zu dürfen. Danach gehen wir nach Hawaii zurück und reaktivieren Li Yong Tais Villa im Grünen. Sie soll ein Kinderheim für Straßenkinder werden, also für entwurzelte 5-16jährige etwa. Diese Kinder erhalten Unterricht und danach Bewerbungstraining."
"Und was tust du dort?" fragt er konkret.
"Nun, ich werde in Weiterswiller mein Finanzwissen anbieten, wo es gebraucht wird. Auf Hawaii werde ich in dieser Funktion sicher auch gebraucht," antwortet er. "Die Villa, und damit das Kinderheim, bekommt als Dach eine Foundation, die Li Yong Tais Erbe verwaltet."
Seine Heiligkeit nickt.
"Das ist ein guter Plan!" bestätigt er.
Nun schlägt der Khenchen Lama den Gong. Die Lamas dieses Klosters kommen herein und verteilen sich an den Wänden. Einige haben Instrumente dabei. Sie stimmen ein dumpf gesungenes Gebet an, begleitet von Trommel und Flötenmusik. Lama Rinpoche trägt die goldene Kanne mit geweihtem Wasser herein und ein weiterer Lama hat eine goldene Schale in der Hand.
Ich erinnere mich an Lama Rinpoches Prophezeiung vor einigen Tagen und bleibe auf den Knien, meine Mädchen im Arm haltend. Nun werden mir einige Tropfen des Wassers über die Stirn gegossen und mit der Schale wieder aufgefangen. Seine Heiligkeit beugt sich lächelnd vor und setzt mir einen Mönchshut auf.
"Sei gesegnet auf deinem weiteren Lebensweg, Gelong Noah!" sagt er dabei.
Ich werfe mich vor ihm zu Boden, wobei mir der Hut vom Kopf rutscht. Nach einigen Sekunden komme ich wieder hoch. Andrea hat sich nach dem Hut gebückt und reicht ihn mir jetzt. Ich setze ihn lächelnd auf und streiche ihr sanft über ihr Haar.
Nach der Zeremonie gehen wir zusammen in mein Zimmer. Dort breitet Noah seine Zukunftsgedanken vor mir aus:
"Ich bin jetzt 34 Jahre alt. Beim Schulabschluss der Mädchen werde ich also 44 Jahre alt werden. Wenn ich darf, würde ich mich die sechs Jahre bis sie ihre Studienabschlüsse in den Händen haben hier im Kloster nützlich machen. Meine Mädchen können am Studienort Appartements mieten und mich jederzeit hier besuchen. Anschließend gehen wir nach Hawaii zurück."
Ich nicke und meine:
"Genauso solltest du eure Zukunft angehen, Noah! Ich wünsche euch alles Gute dafür."
Tags darauf fahre ich sie zum Bahnhof, von wo sie ihre Reise nach Weiterswiller starten, 50 Kilometer nördlich von Straßburg.
*
Zehn Jahre sind inzwischen ins Land gegangen, als ich wieder Besuch von Noah und seinen Zwillingen Anne und Andrea bekomme. Anne soll die Wiedergeburt von Yong Tai sein und Andrea das Kind, das sie damals unter ihrem Herzen trug, als Yong Tai dem feigen Mordanschlag von chinesischen Agenten zum Opfer fiel. Nun haben sie die Klosterschule in Weiterswiller im Elsass erfolgreich durchlaufen. Auch über Noah höre ich Positives: Seine Heiligkeit, der Khenchen Lama in Weiterswiller hat ihn zum Dank für seine Mitarbeit zum Lama geweiht. Er darf sich jetzt Lama Kyobpa nennen, spiritueller Lehrer, Schützer / Verteidiger / Retter.
Ich freue mich über ihren Besuch und frage Noah:
"Was habt ihr als nächsten Schritt vor?"
"Anne und Andrea werden ihr deutsches Abitur an einem Berufskolleg in der Nähe machen," erklärt mir Noah. "Deutsch haben sie in den vergangenen Jahren durch mich gelernt, neben Französisch, dass sie im Elsass brauchten. Jetzt werden sie das Erlernte im Alltag anwenden und perfektionieren können. Danach wird Anne Kinderkrankenschwester und -pflegerin lernen, und Andrea ein Studium in Pädagogik beginnen für den Lehrerberuf."
"Also seid ihr mindestens noch sechs Jahre in Deutschland," schätze ich. "Wo wollt ihr da wohnen?"
"Wenn hier im Kloster für mich Platz ist, würde ich mich gerne in das Kloster integrieren wollen. So haben die Mädchen auch einen Bezugspunkt, der sie an Weiterswiller erinnert. Sie werden in der 80 Kilometer entfernten Kleinstadt eine gemeinsame Wohnung anmieten. Dort gibt es ein Berufskolleg. In zwei Jahren, nach dem Abitur, werden sie sich wohl neu orientieren müssen. Momentan werden die angestrebten Ausbildungen und Studiengänge in der 200 Kilometer entfernten Stadt angeboten. Ich denke, dass mich Anne und Andrea in den Semesterferien besuchen und ihren Dad nicht vergessen werden," antwortet er und zwinkert den Zwillingen zu, die sich an seiner Seite auf dem Boden niedergelassen haben.
Ich nicke lächelnd und antworte:
"Das wird das Beste für die Mädchen sein: Sie erst langsam daran gewöhnen, dass ihr Vater ein Mönch ist."
Nun schaut mich Noah prüfend an. Die Weihe zum Gelong -Mönch- fehlt ihm noch, denn bisher ist er erst Klosterschüler. Ich halte seinem Blick stand und zeige ihm ein feines Lächeln.
"Kommt Zeit, kommt Rat, Noah!" sage ich nur.
Wir gehen zu den Klosterschülerinnen zurück. Der Speisesaal ist inzwischen leer, aber eine Gelongma -Nonne- weiß, wo sich die beiden Mädchen aufhalten. Im Wohntrakt finden wir die Mädchen, wie sie von Hawaii schwärmen. Alle Klosterschülerinnen sind des Englischen mächtig. Nur bei einigen Ausdrücken hapert die Verständigung, aber darüber finden sie schnell hinweg. Hier trenne ich mich von Noah und gehe weiter zu meinem Zimmer.
Fast eine Woche später führe ich Noah mit den Mädchen zu Seiner Heiligkeit.
Als wir den Thronsaal betreten haben, sinkt Noah auf die Knie, hebt die gefalteten Hände an sein Kinn und neigt den Kopf. Er wartet, dass Seine Heiligkeit seine Stimme erhebt. Das Mädchen, das Anne heißt, macht die Geste nach, nur dass sie nur ein Knie beugt. Andrea an seiner anderen Seite schaut mit gerunzelter Stirn in die Runde und hebt nur kurz die gefalteten Hände an ihre Lippen. Dass sich die unterschiedlichen Charaktere so deutlich zeigen, lässt mich innerlich schmunzeln.
"Kommt näher!" fordert Seine Heiligkeit Noah nach einigen Sekunden auf.
Er erhebt sich und schiebt die Mädchen mit seinen Händen in ihrem Rücken näher an Seine Heiligkeit heran. Dieser blickt lächelnd von Anne zu Andrea, um dann zu fragen:
"How do you like your Dad?"
"He's a good man!" platzt Andrea heraus. Anne neigt den Kopf ein wenig und ergänzt: "We love Dad!"
Noah angelt nach seinem Taschentuch und schnäuzt hinein. Tränen füllen seine Augen. Seine Heiligkeit nickt, schaut ihn an und informiert ihn:
"Du bist in Weiterswiller willkommen, Bruder! Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft! Wie sieht bisher deine Planung aus?"
"Meine Mädchen werden dort die Klosterschule besuchen. Vielleicht entwickeln sich Freundschaften unter den Schülerinnen und sie werden eingeladen in deren Familien die Ferien zu verbringen. Dabei lernen sie die Lebensart der Leute kennen und nehmen sie vielleicht zum Teil an. Nach der Schule sollen sie hier in Deutschland studieren, um soziale Berufe ausüben zu dürfen. Danach gehen wir nach Hawaii zurück und reaktivieren Li Yong Tais Villa im Grünen. Sie soll ein Kinderheim für Straßenkinder werden, also für entwurzelte 5-16jährige etwa. Diese Kinder erhalten Unterricht und danach Bewerbungstraining."
"Und was tust du dort?" fragt er konkret.
"Nun, ich werde in Weiterswiller mein Finanzwissen anbieten, wo es gebraucht wird. Auf Hawaii werde ich in dieser Funktion sicher auch gebraucht," antwortet er. "Die Villa, und damit das Kinderheim, bekommt als Dach eine Foundation, die Li Yong Tais Erbe verwaltet."
Seine Heiligkeit nickt.
"Das ist ein guter Plan!" bestätigt er.
Nun schlägt der Khenchen Lama den Gong. Die Lamas dieses Klosters kommen herein und verteilen sich an den Wänden. Einige haben Instrumente dabei. Sie stimmen ein dumpf gesungenes Gebet an, begleitet von Trommel und Flötenmusik. Lama Rinpoche trägt die goldene Kanne mit geweihtem Wasser herein und ein weiterer Lama hat eine goldene Schale in der Hand.
Ich erinnere mich an Lama Rinpoches Prophezeiung vor einigen Tagen und bleibe auf den Knien, meine Mädchen im Arm haltend. Nun werden mir einige Tropfen des Wassers über die Stirn gegossen und mit der Schale wieder aufgefangen. Seine Heiligkeit beugt sich lächelnd vor und setzt mir einen Mönchshut auf.
"Sei gesegnet auf deinem weiteren Lebensweg, Gelong Noah!" sagt er dabei.
Ich werfe mich vor ihm zu Boden, wobei mir der Hut vom Kopf rutscht. Nach einigen Sekunden komme ich wieder hoch. Andrea hat sich nach dem Hut gebückt und reicht ihn mir jetzt. Ich setze ihn lächelnd auf und streiche ihr sanft über ihr Haar.
Nach der Zeremonie gehen wir zusammen in mein Zimmer. Dort breitet Noah seine Zukunftsgedanken vor mir aus:
"Ich bin jetzt 34 Jahre alt. Beim Schulabschluss der Mädchen werde ich also 44 Jahre alt werden. Wenn ich darf, würde ich mich die sechs Jahre bis sie ihre Studienabschlüsse in den Händen haben hier im Kloster nützlich machen. Meine Mädchen können am Studienort Appartements mieten und mich jederzeit hier besuchen. Anschließend gehen wir nach Hawaii zurück."
Ich nicke und meine:
"Genauso solltest du eure Zukunft angehen, Noah! Ich wünsche euch alles Gute dafür."
Tags darauf fahre ich sie zum Bahnhof, von wo sie ihre Reise nach Weiterswiller starten, 50 Kilometer nördlich von Straßburg.
*
Zehn Jahre sind inzwischen ins Land gegangen, als ich wieder Besuch von Noah und seinen Zwillingen Anne und Andrea bekomme. Anne soll die Wiedergeburt von Yong Tai sein und Andrea das Kind, das sie damals unter ihrem Herzen trug, als Yong Tai dem feigen Mordanschlag von chinesischen Agenten zum Opfer fiel. Nun haben sie die Klosterschule in Weiterswiller im Elsass erfolgreich durchlaufen. Auch über Noah höre ich Positives: Seine Heiligkeit, der Khenchen Lama in Weiterswiller hat ihn zum Dank für seine Mitarbeit zum Lama geweiht. Er darf sich jetzt Lama Kyobpa nennen, spiritueller Lehrer, Schützer / Verteidiger / Retter.
Ich freue mich über ihren Besuch und frage Noah:
"Was habt ihr als nächsten Schritt vor?"
"Anne und Andrea werden ihr deutsches Abitur an einem Berufskolleg in der Nähe machen," erklärt mir Noah. "Deutsch haben sie in den vergangenen Jahren durch mich gelernt, neben Französisch, dass sie im Elsass brauchten. Jetzt werden sie das Erlernte im Alltag anwenden und perfektionieren können. Danach wird Anne Kinderkrankenschwester und -pflegerin lernen, und Andrea ein Studium in Pädagogik beginnen für den Lehrerberuf."
"Also seid ihr mindestens noch sechs Jahre in Deutschland," schätze ich. "Wo wollt ihr da wohnen?"
"Wenn hier im Kloster für mich Platz ist, würde ich mich gerne in das Kloster integrieren wollen. So haben die Mädchen auch einen Bezugspunkt, der sie an Weiterswiller erinnert. Sie werden in der 80 Kilometer entfernten Kleinstadt eine gemeinsame Wohnung anmieten. Dort gibt es ein Berufskolleg. In zwei Jahren, nach dem Abitur, werden sie sich wohl neu orientieren müssen. Momentan werden die angestrebten Ausbildungen und Studiengänge in der 200 Kilometer entfernten Stadt angeboten. Ich denke, dass mich Anne und Andrea in den Semesterferien besuchen und ihren Dad nicht vergessen werden," antwortet er und zwinkert den Zwillingen zu, die sich an seiner Seite auf dem Boden niedergelassen haben.
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Freitag, 22. April 2022
Lama Rinpoche -27
mariant, 12:48h
"Behalte sie in liebevoller Erinnerung, aber lasse sie los!" rate ich ihm eindringlich. "Gib sie frei! Bleiben deine Visionen, dann suche nach ihr. Denn was du frei gibst und es strebt aus sich heraus zu dir zurück, ist dein! Nicht jedoch das, was du nicht loslassen kannst!
Suche nach einem Kind, das zum Todeszeitpunkt gezeugt und neun Monate später geboren wurde."
"Was ist mit dem Kind, das sie unter ihrem Herzen trug?" fragt er mich.
"Es könnte direkt ins Nirwana übergegangen sein, so wie auch die Christen glauben, dass solche unschuldigen Kinder sofort ins Paradies kommen," erkläre ich ihm darauf.
Bedächtig nickend, bedankt er sich für meinen Rat.
Einige Monate nach dieser Unterredung kommt er wieder zu mir. Er erklärt mir, dass er meinem Rat gefolgt ist und die Vision sich verflüchtigt hat. Nun aber hat er sie wieder gesehen. Sie hat ein Baby im Arm getragen und ist einen Weg entlang gegangen, an dessen Rand Pflanzen wachsen, wie er sie von Hawaii kennt.
Ich ermuntere ihn jetzt:
"Dann musst du nach Hawaii reisen und dort suchen!"
Eine Woche darauf fliegt er mit einer Linienmaschine zum Kona International Airport nach Hawaii und will zuerst das dortige buddhistische Kloster aufsuchen, wie ich ihm geraten habe. Ich wünsche ihm viel Glück, wohl wissend, dass seine Suche ungleich schwieriger wird, als Lama Dorjes Suche damals. Vor allem, wie will er kleine Kinder prüfen, ob sie die Nangwa -Wiedergeburt- von Yong Tai und dem damals noch ungeborenen Kind sind?
*
Zwei Wochen nachdem Noah nach Hawaii geflogen ist, ist er wieder zurück. Das überrascht mich. Ich hätte mit einer längeren Suche gerechnet. Ich sitze gerade vor meiner Liege auf dem Boden und meditiere, als ich Bewegung in meiner Nähe wahrnehme. Also öffne ich die Augen und erkenne zwei dunkelhäutige Mädchen, etwa fünf Jahre alt. Noah steht bei ihnen und ermahnt sie gerade:
"Sit down, quiet, please."
Er selbst lässt sich seitlich von mir an den Tisch im Schneidersitz nieder. Eins der Mädchen sucht seine Nähe und lehnt sich an ihn. Das andere, exakt gleich aussehende Mädchen, wählt meine Liege als Sitzplatz. Noah berichtet mir, wie er die Mädchen gefunden hat und was er mit ihnen auf Hawaii erlebt hat. Er sagt, dass sie früher adoptionswillige Paare regelrecht vergrault haben. Er habe den Kindern im Kinderheim Spielzeug gespendet und das Souvenir aus Hongkong, den Plüschdrachen, sowie Yong Tais Lieblingspuppe hinzugetan.
Genau diese beiden Spielzeuge haben sich die Zwillinge ausgesucht und niemanden der anderen Kinder auch nur in die Nähe der Spielzeuge gelassen. Das hat zu Streit unter den Kindern geführt, so dass die Betreuer gezwungen gewesen sind, einzugreifen und die beiden Spielzeuge vorübergehend sicherzustellen. Anschließend habe er sich um eine Probewoche mit den Zwillingen bemüht, wie die adoptionswilligen Paare vor ihm auch.
Die Mädchen sind ihm gegenüber ganz anders aufgetreten, als das Personal des Kinderheims die vorangegangenen Adoptionsversuche beschrieben haben. Sie haben ihn gleich am ersten Tag von sich aus 'Daddy' genannt. Nach einer ganzen Weile, als Noah geendet hat, erheben wir uns, um zum Abendessen zu gehen. Noah erklärt das den Mädchen:
"Wir bringen euch eben zum Abendessen zu den Klosterschülerinnen. Ich gehe mit Lama Rinpoche zum Abt des Klosters, um dort mein Abendessen einzunehmen. Ich muss auch noch etwas wichtiges mit Seiner Heiligkeit besprechen. Danach hole ich euch ab und wir gehen zum Schlafen in unsere Zimmer."
"Daddy? Will you read a story before sleeping?" fragt das Mädchen, dass sich neben mir auf meiner Liege niedergelassen hat.
"Yes, I will!" verspricht er ihr.
Sie rutscht von der Liege, läuft auf ihn zu und umarmt ihn.
'So viel Vertrauen und keine Scheu, nachdem sie sich erst kurz kennen, ist bemerkenswert!' denke ich mir.
Sie folgen Noah und mir zum Speisesaal. Dort finden wir schon Klosterschülerinnen und Gelongma -Nonnen- vor. Wir erklären ihnen, dass die Mädchen heute hier speisen, und dass sie eine weite Reise hinter sich haben. Sie können kein Deutsch sprechen, aber auf Englisch wäre eine Verständigung möglich. Dann gehen wir weiter in Richtung des Thronsaals.
Nach dem Essen bleiben Noah und ich beim Khenchen Lama sitzen. Noah berichtet auch Seiner Heiligkeit von den letzten Ereignissen auf Hawaii und fragt:
"Ich möchte die Mädchen einerseits mit der asiatischen Lebensweise vertraut machen und sie eine Klosterschule besuchen lassen. Dazu, denke ich, ist das Kloster nahe Katmandu sehr geeignet. Was haltet Ihr davon?"
"Du sagst, du erkennst in Anne deine verstorbene Frau Li Yong Tai wieder - und Andrea müsste demnach die Seele deines ungeborenen Kindes beherbergen..."
"Ja, Eure Heiligkeit. Obwohl gleichaussehend, kann man beide leicht auseinanderhalten. Anne ist anlehnungsbedürftig, zurückhaltend, trotzdem neugierig. Ihr erster Griff unter all den Spielsachen galt Yong Tais Lieblingspuppe, die sie seitdem nicht mehr aus den Augen lässt. Andrea ist immer zu irgendwelchen Streichen aufgelegt und zieht Anne oft mit. Ihr erster Griff galt dem Stoffdrachen, den ich vor langer Zeit von meinem Vater in Hongkong geschenkt bekommen habe. Ich habe ihn Yong Tai damals beim Abschied auf Hawaii zur Erinnerung geschenkt. Andrea hat viel von meinem Charakter," erklärt Noah.
Seine Heiligkeit nickt. Er meint:
"Das Kloster nahe Katmandu, wo Lama Rinpoche seine Ausbildung begonnen hat, ist weit entfernt. Hast du schon einmal etwas über die Sakya-Schule gehört?"
"Ja, Eure Heiligkeit," antwortet er irritiert. "Im tibetischen Buddhismus gibt es vier Schulen. Eine davon ist Sakya. Anders als in den anderen Schulen, bei denen die Nangwa -Reinkarnation- des vorherigen Trülku -Oberhauptes- gesucht wird, wird dort seit der Gründung vor 900 Jahren der erstgeborene Sohn des bisherigen Trülku sein Nachfolger."
"Das heißt also, in der Sakya-Schule wird nicht so viel Wert auf die Askese gelegt. Sollte in einem Gelong die Liebe zu einer weiblichen Person in seiner Nähe entfacht werden, heiraten sie und zeugen Kinder. Die Tugenden des Mönchtums sind damit natürlich nicht außer Kraft gesetzt! Die Tugend des Mitgefühls gegenüber allen Lebewesen wurde stattdessen ausgeweitet! Warum rede ich davon? Ich kenne deinen Lebensweg, mein Bruder, und sehe Parallelen bei der Sakya-Schule. Nun gibt es in wenigen hundert Kilometern Entfernung eine Sakya-Schule. Sie liegt im Elsass, nur fünfzig Kilometer von Straßburg entfernt. Dort bist du mit den Zwillingen am besten aufgehoben. Wenn du magst, nehme ich Kontakt dorthin auf."
Noah verbeugt sich tief vor Seiner Heiligkeit und bestätigt, dass die Zwillinge dort sicher am besten aufgehoben wären. Danach erheben wir uns. Während sich Noah voller Ehrfurcht langsam rückwärts der Tür nähert, bin ich schon vorgegangen und halte sie ihm auf. Draußen frage ich Noah:
"Habt ihr schon eine Unterkunft?"
Suche nach einem Kind, das zum Todeszeitpunkt gezeugt und neun Monate später geboren wurde."
"Was ist mit dem Kind, das sie unter ihrem Herzen trug?" fragt er mich.
"Es könnte direkt ins Nirwana übergegangen sein, so wie auch die Christen glauben, dass solche unschuldigen Kinder sofort ins Paradies kommen," erkläre ich ihm darauf.
Bedächtig nickend, bedankt er sich für meinen Rat.
Einige Monate nach dieser Unterredung kommt er wieder zu mir. Er erklärt mir, dass er meinem Rat gefolgt ist und die Vision sich verflüchtigt hat. Nun aber hat er sie wieder gesehen. Sie hat ein Baby im Arm getragen und ist einen Weg entlang gegangen, an dessen Rand Pflanzen wachsen, wie er sie von Hawaii kennt.
Ich ermuntere ihn jetzt:
"Dann musst du nach Hawaii reisen und dort suchen!"
Eine Woche darauf fliegt er mit einer Linienmaschine zum Kona International Airport nach Hawaii und will zuerst das dortige buddhistische Kloster aufsuchen, wie ich ihm geraten habe. Ich wünsche ihm viel Glück, wohl wissend, dass seine Suche ungleich schwieriger wird, als Lama Dorjes Suche damals. Vor allem, wie will er kleine Kinder prüfen, ob sie die Nangwa -Wiedergeburt- von Yong Tai und dem damals noch ungeborenen Kind sind?
*
Zwei Wochen nachdem Noah nach Hawaii geflogen ist, ist er wieder zurück. Das überrascht mich. Ich hätte mit einer längeren Suche gerechnet. Ich sitze gerade vor meiner Liege auf dem Boden und meditiere, als ich Bewegung in meiner Nähe wahrnehme. Also öffne ich die Augen und erkenne zwei dunkelhäutige Mädchen, etwa fünf Jahre alt. Noah steht bei ihnen und ermahnt sie gerade:
"Sit down, quiet, please."
Er selbst lässt sich seitlich von mir an den Tisch im Schneidersitz nieder. Eins der Mädchen sucht seine Nähe und lehnt sich an ihn. Das andere, exakt gleich aussehende Mädchen, wählt meine Liege als Sitzplatz. Noah berichtet mir, wie er die Mädchen gefunden hat und was er mit ihnen auf Hawaii erlebt hat. Er sagt, dass sie früher adoptionswillige Paare regelrecht vergrault haben. Er habe den Kindern im Kinderheim Spielzeug gespendet und das Souvenir aus Hongkong, den Plüschdrachen, sowie Yong Tais Lieblingspuppe hinzugetan.
Genau diese beiden Spielzeuge haben sich die Zwillinge ausgesucht und niemanden der anderen Kinder auch nur in die Nähe der Spielzeuge gelassen. Das hat zu Streit unter den Kindern geführt, so dass die Betreuer gezwungen gewesen sind, einzugreifen und die beiden Spielzeuge vorübergehend sicherzustellen. Anschließend habe er sich um eine Probewoche mit den Zwillingen bemüht, wie die adoptionswilligen Paare vor ihm auch.
Die Mädchen sind ihm gegenüber ganz anders aufgetreten, als das Personal des Kinderheims die vorangegangenen Adoptionsversuche beschrieben haben. Sie haben ihn gleich am ersten Tag von sich aus 'Daddy' genannt. Nach einer ganzen Weile, als Noah geendet hat, erheben wir uns, um zum Abendessen zu gehen. Noah erklärt das den Mädchen:
"Wir bringen euch eben zum Abendessen zu den Klosterschülerinnen. Ich gehe mit Lama Rinpoche zum Abt des Klosters, um dort mein Abendessen einzunehmen. Ich muss auch noch etwas wichtiges mit Seiner Heiligkeit besprechen. Danach hole ich euch ab und wir gehen zum Schlafen in unsere Zimmer."
"Daddy? Will you read a story before sleeping?" fragt das Mädchen, dass sich neben mir auf meiner Liege niedergelassen hat.
"Yes, I will!" verspricht er ihr.
Sie rutscht von der Liege, läuft auf ihn zu und umarmt ihn.
'So viel Vertrauen und keine Scheu, nachdem sie sich erst kurz kennen, ist bemerkenswert!' denke ich mir.
Sie folgen Noah und mir zum Speisesaal. Dort finden wir schon Klosterschülerinnen und Gelongma -Nonnen- vor. Wir erklären ihnen, dass die Mädchen heute hier speisen, und dass sie eine weite Reise hinter sich haben. Sie können kein Deutsch sprechen, aber auf Englisch wäre eine Verständigung möglich. Dann gehen wir weiter in Richtung des Thronsaals.
Nach dem Essen bleiben Noah und ich beim Khenchen Lama sitzen. Noah berichtet auch Seiner Heiligkeit von den letzten Ereignissen auf Hawaii und fragt:
"Ich möchte die Mädchen einerseits mit der asiatischen Lebensweise vertraut machen und sie eine Klosterschule besuchen lassen. Dazu, denke ich, ist das Kloster nahe Katmandu sehr geeignet. Was haltet Ihr davon?"
"Du sagst, du erkennst in Anne deine verstorbene Frau Li Yong Tai wieder - und Andrea müsste demnach die Seele deines ungeborenen Kindes beherbergen..."
"Ja, Eure Heiligkeit. Obwohl gleichaussehend, kann man beide leicht auseinanderhalten. Anne ist anlehnungsbedürftig, zurückhaltend, trotzdem neugierig. Ihr erster Griff unter all den Spielsachen galt Yong Tais Lieblingspuppe, die sie seitdem nicht mehr aus den Augen lässt. Andrea ist immer zu irgendwelchen Streichen aufgelegt und zieht Anne oft mit. Ihr erster Griff galt dem Stoffdrachen, den ich vor langer Zeit von meinem Vater in Hongkong geschenkt bekommen habe. Ich habe ihn Yong Tai damals beim Abschied auf Hawaii zur Erinnerung geschenkt. Andrea hat viel von meinem Charakter," erklärt Noah.
Seine Heiligkeit nickt. Er meint:
"Das Kloster nahe Katmandu, wo Lama Rinpoche seine Ausbildung begonnen hat, ist weit entfernt. Hast du schon einmal etwas über die Sakya-Schule gehört?"
"Ja, Eure Heiligkeit," antwortet er irritiert. "Im tibetischen Buddhismus gibt es vier Schulen. Eine davon ist Sakya. Anders als in den anderen Schulen, bei denen die Nangwa -Reinkarnation- des vorherigen Trülku -Oberhauptes- gesucht wird, wird dort seit der Gründung vor 900 Jahren der erstgeborene Sohn des bisherigen Trülku sein Nachfolger."
"Das heißt also, in der Sakya-Schule wird nicht so viel Wert auf die Askese gelegt. Sollte in einem Gelong die Liebe zu einer weiblichen Person in seiner Nähe entfacht werden, heiraten sie und zeugen Kinder. Die Tugenden des Mönchtums sind damit natürlich nicht außer Kraft gesetzt! Die Tugend des Mitgefühls gegenüber allen Lebewesen wurde stattdessen ausgeweitet! Warum rede ich davon? Ich kenne deinen Lebensweg, mein Bruder, und sehe Parallelen bei der Sakya-Schule. Nun gibt es in wenigen hundert Kilometern Entfernung eine Sakya-Schule. Sie liegt im Elsass, nur fünfzig Kilometer von Straßburg entfernt. Dort bist du mit den Zwillingen am besten aufgehoben. Wenn du magst, nehme ich Kontakt dorthin auf."
Noah verbeugt sich tief vor Seiner Heiligkeit und bestätigt, dass die Zwillinge dort sicher am besten aufgehoben wären. Danach erheben wir uns. Während sich Noah voller Ehrfurcht langsam rückwärts der Tür nähert, bin ich schon vorgegangen und halte sie ihm auf. Draußen frage ich Noah:
"Habt ihr schon eine Unterkunft?"
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