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Freitag, 17. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -14
mariant, 11:33h
Lara ist während der Erzählung wieder ins Wohnzimmer gekommen, um ihre Mädchen durch das Fenster zu beobachten. Mama ist ebenfalls hinzugekommen und muss sich wohl setzen, als sie hört was Ashok erzählt. Sie greift meine Hände über den Tisch und schaut mich besorgt an. Auch Papas Miene drückt tiefe Sorge aus.
Ich fühle mich nun bemüßigt, die Wogen etwas zu glätten, und berichte vom Besuch des Polizeikommissars. Dabei erkläre ich, dass ich dem Mann das Stammblatt des Clanchefs mitgegeben habe, den Papa für den Verursacher hält.
Papa nickt und meint:
"Das weitere wird nun die Polizei erledigen."
Er wendet sich an Ashok und fragt ihn, den Atem anhaltend:
"Wer sind Sie?"
"Ich bin ein nepalesischer Sadhu," erklärt dieser. "Ihre verehrte Tochter erschien mir in jungen Jahren wie ein Engel und hat mich aus der Schuldknechtschaft befreit. Sie hat mich einem zufällig anwesenden Sadhu ans Herz gelegt, um mir eine Zukunft zu geben.
Von dem heiligen Mann habe ich alles über den Buddhismus gelernt. Er hat mir beigebracht, den Menschen mit Mitgefühl gegenüber zu treten. Er hat mich außerdem gelehrt, wie man sich ohne Waffen verteidigt. Zu seinem Lernstoff zählte auch die Meditation. Sie hilft dabei, ausgeglichen und gelassen durch das Leben zu gehen. Bei tiefer Meditation kann ich nun auch neben mich treten, dabei mich und meine Umgebung visuell und emotional beobachten."
"Oh," macht Papa, als Ashok geendet hat. Dann fragt er:
"Das war in Nepal, als meine Tochter Sie ausgelöst hat. Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?"
"In unserer Philosophie gibt es Engel oder Feen. Es heißt, sie wohnen auf den höchsten Bergen und sind die Begleiter von 'erleuchteten Wesen', die ihr Wirken zum Wohl der Menschen einsetzen und selber kurz vor dem Übergang ins Nirwana stehen. Ich habe ihre verehrte Tochter gefragt, ob sie ein Engel sei. Mir kam sie damals wie ein Engel vor.
Als sie nun wegfahren wollte, habe ich gefragt, ob sie wieder zurück in die Berge fährt und wo sie dort wohnt. Sie hat mir dann Deutschland und Berlin genannt und hat mir ihren Namen auf ein kleines Blatt Papier geschrieben."
Ashok greift in eine Tasche und legt ein kleines Blatt 'Post-it' auf den Tisch, das längst nicht mehr klebt.
"Und wie geht es weiter?" lässt Papa nicht locker.
Ashok schaut mich an und berichtet weiter:
"Ich habe mich erkundigt, wo Deutschland liegt und bin losgegangen. Unterwegs habe ich immer wieder Pausen eingelegt, um als Tagelöhner auf den Feldern zu arbeiten oder Botendienste zu übernehmen. Als ich genug Geld zusammen hatte, habe ich mein bisschen Englisch vervollkommnet, weil ich mich mit ihrer verehrten Tochter in dieser Sprache ein wenig verständigen konnte. Irgendwann habe ich gehört, dass man in Deutschland eine andere Sprache spricht. Also habe ich auch Deutsch gelernt. Dann habe ich Berlin erreicht und dort nach einer Frau, namens Leni Mrachartz gesucht."
"Was wolltest du von meiner Tochter?" fragt er jetzt.
"Ich wollte sie wiedersehen und ihr Umfeld kennenlernen," rechtfertigt sich Ashok. "Sie ist eine gute Bekannte, die für mich zum Engel geworden ist."
"Okay," meint Papa. "Ich wollte Sie damit jetzt nicht angreifen. Ich freue mich, dass Sie hier sind! Ohne Sie würde meine Tochter jetzt wahrscheinlich gefangen gehalten oder wäre tot."
Nun wendet sich Papa zu mir:
"Du kannst hier nicht bleiben. Besser solltest du in unsere Ferienwohnung auf die Mainau fahren. Dort vermutet dich niemand, Leni."
Ich bin von seinem Vorschlag nicht sehr erbaut und erkläre:
"Wir mussten hierher schon so oft umsteigen und auf den Anschluss warten. Zur Mainau ist das nicht anders. Da gibt es so viele Zugriffsmöglichkeiten... Ich habe Angst!"
"Das verstehe ich vollkommen. Ich rufe einen Bekannten im Münchner Flughafen an und lasse mich mit einem speziellen Taxiunternehmen verbinden, das den Transfer von Fluggästen zu ihren Hotels abwickelt. Das wird aber erst in der Dunkelheit geschehen können. Ihr bleibt doch solange hier?"
Ich gebe mich geschlagen. Papa setzt mit versöhnlichem Ton nach:
"Dein junger Bekannter wird dich begleiten und immer in deiner Nähe sein! Einen besseren Beschützer kann ich mir nicht denken."
Papa führt über den Tag verteilt mehrere Telefongespräche. Ich richte mich in einem Gästezimmer ein. Die beiden anderen Gästezimmer belegt Lara mit ihrem Mann und den süßen Töchtern. Laras Mann sitzt beim Abendessen mit am Tisch. Anschließend machen wir es uns am Kamin gemütlich und Ashok muss meinem Schwager von einem gewissen Siddharta Gautama erzählen. Ich höre kaum zu. Dafür bin ich jetzt zu aufgeregt.
Dann hören wir, wie sich ein Hubschrauber nähert. Das Rotorgeräusch wird so laut, dass ich annehme, er landet hier in der Nähe. Bestimmt ist es ein Sanitätshubschrauber, der einen akuten Notfall ins Krankenhaus bringen soll.
Kurz nachdem das Motorgeräusch nicht mehr zu hören ist, klingelt es an der Haustür. Verstört schaue ich von einem der Männer zum anderen. Papa erhebt sich und öffnet die Haustür. Nachdem er einige Worte mit dem späten Besuch gesprochen hat, ruft er:
"Leni, Ashok? Kommt ihr mal?"
Ich fühle mich nun bemüßigt, die Wogen etwas zu glätten, und berichte vom Besuch des Polizeikommissars. Dabei erkläre ich, dass ich dem Mann das Stammblatt des Clanchefs mitgegeben habe, den Papa für den Verursacher hält.
Papa nickt und meint:
"Das weitere wird nun die Polizei erledigen."
Er wendet sich an Ashok und fragt ihn, den Atem anhaltend:
"Wer sind Sie?"
"Ich bin ein nepalesischer Sadhu," erklärt dieser. "Ihre verehrte Tochter erschien mir in jungen Jahren wie ein Engel und hat mich aus der Schuldknechtschaft befreit. Sie hat mich einem zufällig anwesenden Sadhu ans Herz gelegt, um mir eine Zukunft zu geben.
Von dem heiligen Mann habe ich alles über den Buddhismus gelernt. Er hat mir beigebracht, den Menschen mit Mitgefühl gegenüber zu treten. Er hat mich außerdem gelehrt, wie man sich ohne Waffen verteidigt. Zu seinem Lernstoff zählte auch die Meditation. Sie hilft dabei, ausgeglichen und gelassen durch das Leben zu gehen. Bei tiefer Meditation kann ich nun auch neben mich treten, dabei mich und meine Umgebung visuell und emotional beobachten."
"Oh," macht Papa, als Ashok geendet hat. Dann fragt er:
"Das war in Nepal, als meine Tochter Sie ausgelöst hat. Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?"
"In unserer Philosophie gibt es Engel oder Feen. Es heißt, sie wohnen auf den höchsten Bergen und sind die Begleiter von 'erleuchteten Wesen', die ihr Wirken zum Wohl der Menschen einsetzen und selber kurz vor dem Übergang ins Nirwana stehen. Ich habe ihre verehrte Tochter gefragt, ob sie ein Engel sei. Mir kam sie damals wie ein Engel vor.
Als sie nun wegfahren wollte, habe ich gefragt, ob sie wieder zurück in die Berge fährt und wo sie dort wohnt. Sie hat mir dann Deutschland und Berlin genannt und hat mir ihren Namen auf ein kleines Blatt Papier geschrieben."
Ashok greift in eine Tasche und legt ein kleines Blatt 'Post-it' auf den Tisch, das längst nicht mehr klebt.
"Und wie geht es weiter?" lässt Papa nicht locker.
Ashok schaut mich an und berichtet weiter:
"Ich habe mich erkundigt, wo Deutschland liegt und bin losgegangen. Unterwegs habe ich immer wieder Pausen eingelegt, um als Tagelöhner auf den Feldern zu arbeiten oder Botendienste zu übernehmen. Als ich genug Geld zusammen hatte, habe ich mein bisschen Englisch vervollkommnet, weil ich mich mit ihrer verehrten Tochter in dieser Sprache ein wenig verständigen konnte. Irgendwann habe ich gehört, dass man in Deutschland eine andere Sprache spricht. Also habe ich auch Deutsch gelernt. Dann habe ich Berlin erreicht und dort nach einer Frau, namens Leni Mrachartz gesucht."
"Was wolltest du von meiner Tochter?" fragt er jetzt.
"Ich wollte sie wiedersehen und ihr Umfeld kennenlernen," rechtfertigt sich Ashok. "Sie ist eine gute Bekannte, die für mich zum Engel geworden ist."
"Okay," meint Papa. "Ich wollte Sie damit jetzt nicht angreifen. Ich freue mich, dass Sie hier sind! Ohne Sie würde meine Tochter jetzt wahrscheinlich gefangen gehalten oder wäre tot."
Nun wendet sich Papa zu mir:
"Du kannst hier nicht bleiben. Besser solltest du in unsere Ferienwohnung auf die Mainau fahren. Dort vermutet dich niemand, Leni."
Ich bin von seinem Vorschlag nicht sehr erbaut und erkläre:
"Wir mussten hierher schon so oft umsteigen und auf den Anschluss warten. Zur Mainau ist das nicht anders. Da gibt es so viele Zugriffsmöglichkeiten... Ich habe Angst!"
"Das verstehe ich vollkommen. Ich rufe einen Bekannten im Münchner Flughafen an und lasse mich mit einem speziellen Taxiunternehmen verbinden, das den Transfer von Fluggästen zu ihren Hotels abwickelt. Das wird aber erst in der Dunkelheit geschehen können. Ihr bleibt doch solange hier?"
Ich gebe mich geschlagen. Papa setzt mit versöhnlichem Ton nach:
"Dein junger Bekannter wird dich begleiten und immer in deiner Nähe sein! Einen besseren Beschützer kann ich mir nicht denken."
Papa führt über den Tag verteilt mehrere Telefongespräche. Ich richte mich in einem Gästezimmer ein. Die beiden anderen Gästezimmer belegt Lara mit ihrem Mann und den süßen Töchtern. Laras Mann sitzt beim Abendessen mit am Tisch. Anschließend machen wir es uns am Kamin gemütlich und Ashok muss meinem Schwager von einem gewissen Siddharta Gautama erzählen. Ich höre kaum zu. Dafür bin ich jetzt zu aufgeregt.
Dann hören wir, wie sich ein Hubschrauber nähert. Das Rotorgeräusch wird so laut, dass ich annehme, er landet hier in der Nähe. Bestimmt ist es ein Sanitätshubschrauber, der einen akuten Notfall ins Krankenhaus bringen soll.
Kurz nachdem das Motorgeräusch nicht mehr zu hören ist, klingelt es an der Haustür. Verstört schaue ich von einem der Männer zum anderen. Papa erhebt sich und öffnet die Haustür. Nachdem er einige Worte mit dem späten Besuch gesprochen hat, ruft er:
"Leni, Ashok? Kommt ihr mal?"
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Donnerstag, 16. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -13
mariant, 11:35h
Eine halbe Stunde sind wir im Bahnhof und buchen den Nachtzug nach Nürnberg. Dort wechseln wir nach zwei Stunden Wartezeit in den Zug nach Immenstadt. Nach einer Wartezeit von einer Viertelstunde erreichen wir nach weiterem Umsteigen acht Minuten später Sonthofen, von wo wir nach 15 Minuten Bad Hindelang mit dem Bus erreichen.
Hier kenne ich mich aus. Ich habe meinen Vater hier im Allgäu schon oft besucht. Also gehen wir den Weg vom Busbahnhof zu Fuß. Das Städtchen hat eine sympathische Altstadt mit engen Gassen. Wir durchschreiten einen gemauerten Bogen, in dem im Mittelalter ein schweres eichenes Tor gewesen sein muss. Kurz darauf erreichen wir den Altbau, den mein Vater als sein Altenteil gekauft hat.
In dem Moment öffnet sich die Haustür und zwei junge Mädchen, vier und sechs Jahre alt, stürmen die kurze Treppe herunter. Sie laufen mir in die Arme und rufen erfreut:
"Tante Leni!"
Dann umgehen sie uns und laufen auf den kleinen Spielplatz mit Schaukel, Wippe und einen Sandkasten auf der anderen Seite der Gasse, eingeklemmt zwischen zwei Häusern.
Ihr Ruf hat meine Mutter an die Haustür gelockt. Sie breitet erfreut die Arme aus, über das ganze Gesicht lachend. Ich laufe ihr in die Arme und rufe, glücklich lächelnd:
"Hallo Mama!"
"Guten Morgen, Leni. Wie wundervoll, dich gesund zu sehen!" antwortet sie und macht die Tür frei.
Ashok hat mit meinem Koffer auch schon den Eingang erreicht. Mama begrüßt ihn höflich und schließt die Haustür hinter ihm. Ich habe in der Tür zum Wohnzimmer meine ältere Schwester am Fenster stehend entdeckt und laufe auf sie zu, um sie zu umarmen.
Ashok ist auch in der Wohnzimmertür aufgetaucht. Er hält sich höflich zurück. Lara, meine Schwester, ist damit beschäftigt gewesen, den Frühstückstisch abzudecken. Mama kommt hinzu und fragt:
"Habt ihr schon gefrühstückt, Leni?"
Ich schüttele den Kopf und sie antwortet:
"Gut, Lara. Dann lass zwei Gedecke auf dem Tisch. Wir können uns ja kurz hinzusetzen."
Lara holt zwei Frühstücksgedecke aus dem Schrank. Ich helfe ihr. Alles ist wie früher. Sie wirft währenddessen ab und zu einen Blick aus dem Fenster, um auf ihre Mädchen zu achten. Dabei flüstert sie mir zu:
"Warum hast du uns nichts von ihm erzählt?"
"Was soll ich erzählen? Er ist doch nur ein Junge," antworte ich, genauso leise.
"Ein Junge? Hast du gesehen, wie er dich ansieht?" fragt sie zurück.
Eine Falte hat sich auf ihrer Stirn gebildet.
"Lara, hör' bitte auf!" antworte ich, verlegen lächelnd.
"Es ist ganz offensichtlich, dass er Gefühle für dich hat!" stellt sie fest.
Inzwischen hat Mama den Tisch wieder für uns gedeckt. Papa kommt herein. Ich lasse Lara stehen und laufe Papa in die Arme. Freudig begrüße ich auch ihn. Lara und Mama haben sich inzwischen an den Tisch gesetzt. Mama bietet Ashok einen Stuhl an. Papa und ich setzen uns hinzu und Mama bedient mich. Sie schaut Ashok an und sagt:
"Nehmen Sie sich ruhig, was Sie mögen, Herr..."
"Gurun," sage ich schnell. "Ashok Gurun. Es ist der kleine Junge, den wir damals in Nepal aus der Schuldknechtschaft befreit haben."
"Oh," macht sie und Papa ergänzt:
"Aus dem kleinen Jungen ist aber inzwischen ein stattlicher junger Mann geworden!"
Ashok schaut ihn lächelnd an. Papa erwidert den Blick wohlwollend. Lara schmunzelt und wendet sich über den Tisch an Ashok:
"Weißt du, Ashok, dass du der erste Freund bist, den meine Schwester jemals nach Hause gebracht hat."
Es ist mir peinlich, dass Lara immer noch keine Ruhe gibt. Ich winde mich und erkläre mit abgewandtem Gesicht:
"Ashok und ich sind bloß gute Bekannte..."
Nun schaut Papa skeptisch von mir zu Lara. Er sagt:
"Lara, bitte sei ruhig."
Als das Frühstück beendet ist, hilft Lara Mama beim endgültigen Abräumen, während Papa fragt:
"Ist in den letzten Tagen irgendwas passiert in Berlin?"
Ich lege meine Stirn in Falten. Die Erinnerung an die Schocks überwältigt mich einen Moment. Papa schaut von mir zu Ashok. Dieser beginnt zu berichten:
"Ehrenwerter Herr Mrachartz, diese Lösegeldgeschichte ist anders als üblich. Man sollte meinen, dass jemand entführt wird, um später gegen Lösegeld freigelassen zu werden. Diese Verbrecher gehen dafür aber zu aggressiv vor, und dadurch lassen sie sich durch mich leicht erfühlen.
Vorgestern habe ich ihre verehrte Tochter in einen Club begleitet. Es ergab sich einfach so, ungeplant. Wir blieben unbehelligt bis Leni aufbrechen wollte. Plötzlich kam es zu einem Messerangriff. Ich konnte ihn leicht abwehren, denn die Leute verstanden sich nicht auf waffenlose asiatische Verteidigungstechnik.
Daraufhin hat mich ihre verehrte Tochter gebeten, sie gestern Morgen zur Arbeit zu begleiten. Wir wurden von einem Auto verfolgt, das sich auf einem mehrspurigen Teilstück neben uns setzte. Der Mann neben dem Fahrer richtete eine Schusswaffe auf Leni. Ich konnte den Mann am Steuer verunsichern, so dass er das Steuer verriss, als sich der Schuss löste. Der Schuss ging ins Leere und der andere Wagen zerschellte an einem der Straßenbäume.
Weitere Verbrecher haben sich während der Arbeitszeit ihrer verehrten Tochter an ihr Auto geschlichen und dort irgendetwas gemacht. Bevor sie möglicherweise eine Autobombe installiert haben und wir auf der Heimfahrt durch eine Explosion getötet worden wären, habe ich ihr geraten, für die Heimfahrt ein Taxi zu rufen und das Bürohaus auf unüblichem Weg über den Hinterausgang zu verlassen.
Nachdem Sie ihr geraten haben, eine Zeitlang Berlin den Rücken zu kehren, habe ich ihr geraten, ihr Wohnhaus über den Hintereingang zu betreten und wieder zu verlassen. Wir haben dann für die Fahrt zum Hauptbahnhof auch wieder ein Taxi benutzt."
Hier kenne ich mich aus. Ich habe meinen Vater hier im Allgäu schon oft besucht. Also gehen wir den Weg vom Busbahnhof zu Fuß. Das Städtchen hat eine sympathische Altstadt mit engen Gassen. Wir durchschreiten einen gemauerten Bogen, in dem im Mittelalter ein schweres eichenes Tor gewesen sein muss. Kurz darauf erreichen wir den Altbau, den mein Vater als sein Altenteil gekauft hat.
In dem Moment öffnet sich die Haustür und zwei junge Mädchen, vier und sechs Jahre alt, stürmen die kurze Treppe herunter. Sie laufen mir in die Arme und rufen erfreut:
"Tante Leni!"
Dann umgehen sie uns und laufen auf den kleinen Spielplatz mit Schaukel, Wippe und einen Sandkasten auf der anderen Seite der Gasse, eingeklemmt zwischen zwei Häusern.
Ihr Ruf hat meine Mutter an die Haustür gelockt. Sie breitet erfreut die Arme aus, über das ganze Gesicht lachend. Ich laufe ihr in die Arme und rufe, glücklich lächelnd:
"Hallo Mama!"
"Guten Morgen, Leni. Wie wundervoll, dich gesund zu sehen!" antwortet sie und macht die Tür frei.
Ashok hat mit meinem Koffer auch schon den Eingang erreicht. Mama begrüßt ihn höflich und schließt die Haustür hinter ihm. Ich habe in der Tür zum Wohnzimmer meine ältere Schwester am Fenster stehend entdeckt und laufe auf sie zu, um sie zu umarmen.
Ashok ist auch in der Wohnzimmertür aufgetaucht. Er hält sich höflich zurück. Lara, meine Schwester, ist damit beschäftigt gewesen, den Frühstückstisch abzudecken. Mama kommt hinzu und fragt:
"Habt ihr schon gefrühstückt, Leni?"
Ich schüttele den Kopf und sie antwortet:
"Gut, Lara. Dann lass zwei Gedecke auf dem Tisch. Wir können uns ja kurz hinzusetzen."
Lara holt zwei Frühstücksgedecke aus dem Schrank. Ich helfe ihr. Alles ist wie früher. Sie wirft währenddessen ab und zu einen Blick aus dem Fenster, um auf ihre Mädchen zu achten. Dabei flüstert sie mir zu:
"Warum hast du uns nichts von ihm erzählt?"
"Was soll ich erzählen? Er ist doch nur ein Junge," antworte ich, genauso leise.
"Ein Junge? Hast du gesehen, wie er dich ansieht?" fragt sie zurück.
Eine Falte hat sich auf ihrer Stirn gebildet.
"Lara, hör' bitte auf!" antworte ich, verlegen lächelnd.
"Es ist ganz offensichtlich, dass er Gefühle für dich hat!" stellt sie fest.
Inzwischen hat Mama den Tisch wieder für uns gedeckt. Papa kommt herein. Ich lasse Lara stehen und laufe Papa in die Arme. Freudig begrüße ich auch ihn. Lara und Mama haben sich inzwischen an den Tisch gesetzt. Mama bietet Ashok einen Stuhl an. Papa und ich setzen uns hinzu und Mama bedient mich. Sie schaut Ashok an und sagt:
"Nehmen Sie sich ruhig, was Sie mögen, Herr..."
"Gurun," sage ich schnell. "Ashok Gurun. Es ist der kleine Junge, den wir damals in Nepal aus der Schuldknechtschaft befreit haben."
"Oh," macht sie und Papa ergänzt:
"Aus dem kleinen Jungen ist aber inzwischen ein stattlicher junger Mann geworden!"
Ashok schaut ihn lächelnd an. Papa erwidert den Blick wohlwollend. Lara schmunzelt und wendet sich über den Tisch an Ashok:
"Weißt du, Ashok, dass du der erste Freund bist, den meine Schwester jemals nach Hause gebracht hat."
Es ist mir peinlich, dass Lara immer noch keine Ruhe gibt. Ich winde mich und erkläre mit abgewandtem Gesicht:
"Ashok und ich sind bloß gute Bekannte..."
Nun schaut Papa skeptisch von mir zu Lara. Er sagt:
"Lara, bitte sei ruhig."
Als das Frühstück beendet ist, hilft Lara Mama beim endgültigen Abräumen, während Papa fragt:
"Ist in den letzten Tagen irgendwas passiert in Berlin?"
Ich lege meine Stirn in Falten. Die Erinnerung an die Schocks überwältigt mich einen Moment. Papa schaut von mir zu Ashok. Dieser beginnt zu berichten:
"Ehrenwerter Herr Mrachartz, diese Lösegeldgeschichte ist anders als üblich. Man sollte meinen, dass jemand entführt wird, um später gegen Lösegeld freigelassen zu werden. Diese Verbrecher gehen dafür aber zu aggressiv vor, und dadurch lassen sie sich durch mich leicht erfühlen.
Vorgestern habe ich ihre verehrte Tochter in einen Club begleitet. Es ergab sich einfach so, ungeplant. Wir blieben unbehelligt bis Leni aufbrechen wollte. Plötzlich kam es zu einem Messerangriff. Ich konnte ihn leicht abwehren, denn die Leute verstanden sich nicht auf waffenlose asiatische Verteidigungstechnik.
Daraufhin hat mich ihre verehrte Tochter gebeten, sie gestern Morgen zur Arbeit zu begleiten. Wir wurden von einem Auto verfolgt, das sich auf einem mehrspurigen Teilstück neben uns setzte. Der Mann neben dem Fahrer richtete eine Schusswaffe auf Leni. Ich konnte den Mann am Steuer verunsichern, so dass er das Steuer verriss, als sich der Schuss löste. Der Schuss ging ins Leere und der andere Wagen zerschellte an einem der Straßenbäume.
Weitere Verbrecher haben sich während der Arbeitszeit ihrer verehrten Tochter an ihr Auto geschlichen und dort irgendetwas gemacht. Bevor sie möglicherweise eine Autobombe installiert haben und wir auf der Heimfahrt durch eine Explosion getötet worden wären, habe ich ihr geraten, für die Heimfahrt ein Taxi zu rufen und das Bürohaus auf unüblichem Weg über den Hinterausgang zu verlassen.
Nachdem Sie ihr geraten haben, eine Zeitlang Berlin den Rücken zu kehren, habe ich ihr geraten, ihr Wohnhaus über den Hintereingang zu betreten und wieder zu verlassen. Wir haben dann für die Fahrt zum Hauptbahnhof auch wieder ein Taxi benutzt."
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Mittwoch, 15. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -12
mariant, 11:39h
"Haben Sie Unterlagen über den Mann?" fragt der Beamte.
"Ja, kommen Sie eben zum Schreibtisch," erkläre ich und erhebe mich.
Der Beamte folgt mir an den Schreibtisch. Dort rufe ich die Übersicht unserer 'Kunden' auf den Bildschirm und starte die Suchfunktion. Dann frage ich den Polizisten:
"Ist er das? Sie haben doch die Unterschrift auf dem Brief."
"Kann ich die Datei haben?" fragt er.
Ich lasse nun das Stammblatt mit allen Einträgen ausdrucken und übergebe es ihm. Dann frage ich:
"Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"
Er nickt und schiebt den Ausdruck in seine Mappe.
"Ich würde Ihnen raten, ein paar Tage zuhause zu bleiben, oder aus Berlin wegzugehen. Vielleicht zu Ihrem Vater."
"Ich werde darüber nachdenken," verspreche ich. "Haben Sie vielen Dank!"
Er geht zur Tür und nickt mir zu.
"Auf Wiedersehen." Und zu Ashok gewandt: "Wir sprechen uns noch!"
Inzwischen ist Feierabend. Draußen auf dem Gang ist Unruhe, wie jeden Tag zu dieser Zeit. Ashok wendet sich mir zu und meint:
"Du solltest deinen Wagen stehen lassen! Wir verlassen das Gebäude über den Hinterausgang und gehen in eine Nebenstraße. Dort rufst du ein Taxi für die Heimfahrt."
"Aber warum denn?" frage ich verständnislos.
"Jemand hat sich während des Tages an deinem Auto zu schaffen gemacht. Es könnte vielleicht explodieren, wenn wir drinsitzen!"
"Woher weißt du das?" frage ich nun empört. "Sag' nicht, du hast meditiert! Erfährt man dabei so etwas?"
Ashok nickt mit ernstem Gesicht.
"Mit Meditation lässt sich vieles erreichen," erklärt er. "Im Internet steht, dass Meditation inzwischen in die westliche Medizin Einzug gehalten hat. Man wird damit ruhiger, gelassener, heißt es dort. Das stimmt auch, aber wenn man in eine tiefe Meditation geht, wenn man es schafft sich soweit 'fallenzulassen', dann kann man quasi neben sich treten und in der Umgebung umherwandern. Man kann sehen, was andere machen, aber nicht eingreifen.
Einige wenige kommen im Verlauf der Meditation mit Prana in Kontakt. So nennen wir die Lebenskraft, die alles durchdringt. Wir können sie wie Wellen sehen, die uns umwabern. Für mich sind sie bunt. Sanfte Gemüter lassen sie pastellfarben aussehen. Aggressive Gemüter leuchten rot zum Beispiel."
Meine Augen sind bei seinen Ausführungen immer größer geworden. Ich will mehr darüber wissen. Er aber schüttelt den Kopf.
"Lass uns jetzt gehen. Ich erzähle dir in Ruhe gerne mehr."
Also nehmen wir ein Taxi für die Heimfahrt. Bevor das Taxi in die Straße einbiegt, in der ich wohne, will Ashok aussteigen. Ich zahle also und führe Ashok auf seinen Wunsch hin zum Hintereingang des Hauses, den man von der Parallelstraße aus über einen Spielplatz erreichen kann.
Anschließend lege ich einen leeren Koffer auf mein Bett und beginne, einige ausgewählte Kleidungsstücke, sowie meine Unterwäsche und Hygieneartikel einzupacken.
Dabei kann ich nicht anders, als den Gedanken laut auszusprechen, der mir gerade durch den Kopf geht.
"Ich mag es nicht, mich zu verstecken!"
"Die Polizei wird sicher bald die Schuldigen verhaftet haben," versucht Ashok mich zu beruhigen.
"Ich bin jetzt drei Jahre die Nachfolgerin meines Vaters in der Geschäftsführung... Und nun soll ich mich wegducken?"
Mein Schock löst sich langsam und macht einer gewissen Erregung Platz.
"Manchmal müssen wir loslassen und tun, was von uns verlangt wird," antwortet er mir darauf mit sanfter Stimme.
Dabei schaut er mich voller Zuneigung an. Das Kleid, das ich gerade aus dem Schrank genommen habe, lege ich vorsichtig im Koffer ab. Sein Blick verwirrt mich wieder. Gefühle melden sich. Ich richte mich auf und wende mich ihm zu.
"Ashok," spreche ich ihn an.
Er schaut mich direkt an. Ich schüttele leicht den Kopf und wende meinen Blick von ihm ab.
"Bitte, Ashok!" flüstere ich. "Sieh' mich nicht so an!"
"Warum nicht?" fragt er.
"Es ist mir irgendwie unangenehm!" gebe ich zu.
Er hebt die gefalteten Hände an sein Kinn und neigt mir den Kopf mit einem feinen Lächeln leicht zu.
"Entschuldigung, verehrte Frau Mrachartz!"
Endlich kann ich den Koffer schließen. Ashok hebt den Koffer vom Bett. Ich lasse es gerne zu, dass er ihn trägt. Anschließend rufe ich wieder ein Taxi und wir gehen ihm in die Parallelstraße entgegen.
"Fahren Sie bitte zum Hauptbahnhof."
"Sehr wohl, werte Dame!" antwortet der Mann.
Wir nehmen auf der Fond-Sitzbank Platz. Als der Mann abgefahren ist, lege ich meinen Kopf an Ashoks Schulter und flüstere:
"Auf einmal habe ich Angst!"
"Keine Sorge, meine Apsara -Fee, Engel-. Es wird schon schiefgehen!"
Ich wende ihm meinen Blick zu, sehe ihn lächeln und lache befreit auf. Mit neuem Mut harre ich der Dinge, die noch kommen werden.
*
"Ja, kommen Sie eben zum Schreibtisch," erkläre ich und erhebe mich.
Der Beamte folgt mir an den Schreibtisch. Dort rufe ich die Übersicht unserer 'Kunden' auf den Bildschirm und starte die Suchfunktion. Dann frage ich den Polizisten:
"Ist er das? Sie haben doch die Unterschrift auf dem Brief."
"Kann ich die Datei haben?" fragt er.
Ich lasse nun das Stammblatt mit allen Einträgen ausdrucken und übergebe es ihm. Dann frage ich:
"Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"
Er nickt und schiebt den Ausdruck in seine Mappe.
"Ich würde Ihnen raten, ein paar Tage zuhause zu bleiben, oder aus Berlin wegzugehen. Vielleicht zu Ihrem Vater."
"Ich werde darüber nachdenken," verspreche ich. "Haben Sie vielen Dank!"
Er geht zur Tür und nickt mir zu.
"Auf Wiedersehen." Und zu Ashok gewandt: "Wir sprechen uns noch!"
Inzwischen ist Feierabend. Draußen auf dem Gang ist Unruhe, wie jeden Tag zu dieser Zeit. Ashok wendet sich mir zu und meint:
"Du solltest deinen Wagen stehen lassen! Wir verlassen das Gebäude über den Hinterausgang und gehen in eine Nebenstraße. Dort rufst du ein Taxi für die Heimfahrt."
"Aber warum denn?" frage ich verständnislos.
"Jemand hat sich während des Tages an deinem Auto zu schaffen gemacht. Es könnte vielleicht explodieren, wenn wir drinsitzen!"
"Woher weißt du das?" frage ich nun empört. "Sag' nicht, du hast meditiert! Erfährt man dabei so etwas?"
Ashok nickt mit ernstem Gesicht.
"Mit Meditation lässt sich vieles erreichen," erklärt er. "Im Internet steht, dass Meditation inzwischen in die westliche Medizin Einzug gehalten hat. Man wird damit ruhiger, gelassener, heißt es dort. Das stimmt auch, aber wenn man in eine tiefe Meditation geht, wenn man es schafft sich soweit 'fallenzulassen', dann kann man quasi neben sich treten und in der Umgebung umherwandern. Man kann sehen, was andere machen, aber nicht eingreifen.
Einige wenige kommen im Verlauf der Meditation mit Prana in Kontakt. So nennen wir die Lebenskraft, die alles durchdringt. Wir können sie wie Wellen sehen, die uns umwabern. Für mich sind sie bunt. Sanfte Gemüter lassen sie pastellfarben aussehen. Aggressive Gemüter leuchten rot zum Beispiel."
Meine Augen sind bei seinen Ausführungen immer größer geworden. Ich will mehr darüber wissen. Er aber schüttelt den Kopf.
"Lass uns jetzt gehen. Ich erzähle dir in Ruhe gerne mehr."
Also nehmen wir ein Taxi für die Heimfahrt. Bevor das Taxi in die Straße einbiegt, in der ich wohne, will Ashok aussteigen. Ich zahle also und führe Ashok auf seinen Wunsch hin zum Hintereingang des Hauses, den man von der Parallelstraße aus über einen Spielplatz erreichen kann.
Anschließend lege ich einen leeren Koffer auf mein Bett und beginne, einige ausgewählte Kleidungsstücke, sowie meine Unterwäsche und Hygieneartikel einzupacken.
Dabei kann ich nicht anders, als den Gedanken laut auszusprechen, der mir gerade durch den Kopf geht.
"Ich mag es nicht, mich zu verstecken!"
"Die Polizei wird sicher bald die Schuldigen verhaftet haben," versucht Ashok mich zu beruhigen.
"Ich bin jetzt drei Jahre die Nachfolgerin meines Vaters in der Geschäftsführung... Und nun soll ich mich wegducken?"
Mein Schock löst sich langsam und macht einer gewissen Erregung Platz.
"Manchmal müssen wir loslassen und tun, was von uns verlangt wird," antwortet er mir darauf mit sanfter Stimme.
Dabei schaut er mich voller Zuneigung an. Das Kleid, das ich gerade aus dem Schrank genommen habe, lege ich vorsichtig im Koffer ab. Sein Blick verwirrt mich wieder. Gefühle melden sich. Ich richte mich auf und wende mich ihm zu.
"Ashok," spreche ich ihn an.
Er schaut mich direkt an. Ich schüttele leicht den Kopf und wende meinen Blick von ihm ab.
"Bitte, Ashok!" flüstere ich. "Sieh' mich nicht so an!"
"Warum nicht?" fragt er.
"Es ist mir irgendwie unangenehm!" gebe ich zu.
Er hebt die gefalteten Hände an sein Kinn und neigt mir den Kopf mit einem feinen Lächeln leicht zu.
"Entschuldigung, verehrte Frau Mrachartz!"
Endlich kann ich den Koffer schließen. Ashok hebt den Koffer vom Bett. Ich lasse es gerne zu, dass er ihn trägt. Anschließend rufe ich wieder ein Taxi und wir gehen ihm in die Parallelstraße entgegen.
"Fahren Sie bitte zum Hauptbahnhof."
"Sehr wohl, werte Dame!" antwortet der Mann.
Wir nehmen auf der Fond-Sitzbank Platz. Als der Mann abgefahren ist, lege ich meinen Kopf an Ashoks Schulter und flüstere:
"Auf einmal habe ich Angst!"
"Keine Sorge, meine Apsara -Fee, Engel-. Es wird schon schiefgehen!"
Ich wende ihm meinen Blick zu, sehe ihn lächeln und lache befreit auf. Mit neuem Mut harre ich der Dinge, die noch kommen werden.
*
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