Mittwoch, 29. Juni 2022
Aufbruch ins All -02
In einen Raumanzug, der außen an der Karosserie hängt, kommt Leben. Schließlich trennt sich der Anzug vom Fahrzeug und kommt auf mich zu. Einige Minuten darauf umrundet ein weiterer Mann im Raumanzug den Rover und bleibt in der Nähe des Fahrzeuges stehen. Er hat irgendetwas in der Hand, das er auf mich richtet.

Ich nähere mich den Beiden, zeige meine leeren Hände und lege meine rechte Hand auf die linke Brustseite. Der Mann lässt das Teil sinken, das er auf mich gerichtet hat und öffnet eine Fahrzeugtür, nachdem er mehrere Knöpfe daneben gedrückt hat. Er macht die Willkommensgeste und ich klettere in den Rover. Hinter mir wird die Tür wieder verschlossen und kurz darauf höre ich einströmendes Gas.

Beidseitig an der Rückwand des Fahrzeuges öffnen sich Klappen. Zwei großgewachsene dunkelhäutige Männer kriechen in das Innere des Rovers. Ich erinnere mich. Das ist die Technik, mit der man die Mars-Rover seitens der Mars Resource Corporation vor 300 Jahren ausgestattet hat. Durch die Selbstisolation der Menschen hier hat man also auch den technischen Fortschritt vernachlässigt. Die Raumanzüge der Beiden sind nun luftdicht mit der Karosserie verbunden.
Da die beiden Männer hier im Fahrzeug keine Atemmasken tragen, will ich nun auch wenigstens den Helm meines Raumanzuges öffnen. Die Männer reagieren panisch und bedeuten mir, den Helm aufzulassen. Stattdessen soll ich mich in einen freien Sitz setzen und abwarten.

Die Männer wenden den Rover und fahren auf ihrer Spur zurück. Nach etwa drei Stunden Fahrt erreichen wir eine Öffnung in einer steil aufragenden Felswand. Der Rover fährt in die Höhle und bald in eine seitliche Öffnung hinein. Dort stoppen die Männer das Fahrzeug und öffnen die Seitentür, durch die ich den Rover betreten habe. Anscheinend herrschen draußen jetzt der gleiche Atmosphärendruck und das Gasgemisch wie im Fahrzeug.

Meine Begleiter steigen aus und bedeuten mir, ihnen im geschlossenen Raumanzug zu folgen. Einer der Männer legt seine Hand an die Wand vor sich. Kurz darauf öffnet sie sich und wir gehen hindurch. Ich fühle mich hier irgendwie, wie in eine irdische U-Bahn versetzt - jedenfalls kommt es mir so vor.

Ein kleiner fensterloser Triebwagen steht am Rand eines Bahnsteiges. Wir besteigen das Fahrzeug und die Männer drücken verschiedene Knöpfe. Der Triebwagen beschleunigt sanft, um nach weiteren zwei Stunden allmählich abzubremsen. Nachdem das Fahrzeug steht, öffnet sich die Seitentür und wir befinden uns auf einem ebensolchen Bahnsteig.

Meine Begleiter scheinen es eilig zu haben. Wir betreten gemeinsam einen Aufzug. Nach wenigen Minuten verlassen wir den Aufzug und die Männer in meiner Begleitung übergeben mich an Männer in lindgrüner Kleidung, die Atemmasken und jeder eine Gasflasche auf dem Rücken tragen. Man führt mich durch eine Luftschleuse in einen spärlich eingerichteten Raum. Hier darf ich endlich meinen Raumanzug ausziehen und erhalte sterile Kleidung. Dann lässt man mich erst einmal in Ruhe.

In der nächsten Zeit, ich habe aufgehört die Tage zu zählen, erhalte ich Speisen und Getränke durch eine kleine Schleuse gereicht. Auch meine Schmutzwäsche nimmt diesen Weg. Sie kommt durch die Schleuse schrankfertig zu mir zurück. Wenn ich Besuch bekomme, ist der Mann ebenfalls lindgrün gekleidet und trägt eine Atemmaske.

Ich werde in dem Zimmer intervallartig gründlich untersucht und man verabreicht mir Impfungen gegen mögliche Marsmikroben, die mir gefährlich werden könnten. Daneben will man meine Geschichte genauestens erfahren.

Irgendwann, bestimmt nach mehreren Wochen, erhalte ich Besuch von einem älteren weißhaarigen Mann ohne die übliche Atemmaske. Erstaunt blicke ich auf. Der Mann stellt sich höflich vor und erklärt mir, dass meine Quarantäne vorbei sei und ich zu einem Treffen mit Wissenschaftlern im 'Amt' eingeladen bin.

Der Mann begleitet mich zu der U-Bahn-Station, über die ich in ihr Institut gekommen bin und übergibt mich an einen jüngeren Mann, der mich weiterhin führen soll. Vor mir am Bahnsteig steht wieder ein Triebwagen, wie ich ihn schon kenne.

Unterwegs frage ich den jungen Mann:
"Mister Carlson, was ist das eigentlich für ein Treffen, zu dem Sie mich hinführen sollen?"

Der Mann schaut mich lächelnd an und erklärt:
"Zum einen wollen die Wissenschaftler ihre Geschichte noch einmal aus ihrem eigenen Mund hören. Vielleicht ist davon etwas interessant für sie. Zum anderen werden sie bestimmt gefragt, wie Sie sich ihre Zukunft vorstellen. Wollen Sie von einem irdischen Raumschiff abgeholt werden? Oder wollen Sie Bürger des Mars werden? Für alle diese Fragen sind Sie im Amt in Olympia an der richtigen Adresse!"

"Ah, okay. Unser Ziel ist also die Hauptstadt des Mars."

"Ja, und dort das Präsidialamt..."

Ich mache große Augen. Ob ich etwa das Staatsoberhaupt zu Gesicht bekomme? Eigentlich ist mein Fall doch gar nicht so wichtig. Andererseits, wann passiert so etwas schon, dass man einen Menschen aus Raumnot retten muss? Ob es durch meine Aktion zu diplomatischen Verwicklungen zwischen den Planeten kommt?

Nach etwa drei Stunden Fahrt, in denen ich mir unter anderem die Technik der Rohrbahn erklären lasse, erreichen wir eine ebenso kleine Station in Olympia, wie unsere Startstation. Mein Begleiter erklärt mir zur Rohrbahn, dass sie selbständig eine Haltestelle anfährt und auch abfährt. Nach dem Eintritt schließt sich die Kabine und das Rohr hermetisch ab und ein Überdruck schiebt das Fahrzeug mit bis zu 500 Stundenkilometer vorwärts.

"Unser Rohrnetz," erklärt er, "ist vom öffentlichen Netz getrennt. Dafür sind unsere Fahrzeuge auch deutlich kleiner."

An der Haltestelle in Olympia steigen wir aus und fahren von der Station mit einem Aufzug zu einem größeren Raum auf einer höheren Ebene. Neugierig schaue ich mich um und erkenne links in einer Raumecke ein Treppenhaus. Ihm gegenüber liegt rechts ein großzügiger Eingangsbereich mit vier Glastüren. Vor mir sitzt eine Dame hinter einem Schalter und schaut bei unserem Näherkommen auf. Mein Begleiter ergreift das Wort:

"Sol, Mistress Albright. Ich bringe Ihnen den Raumfahrer, den wir in den letzten Wochen unter Quarantäne hatten."

Mistress Albright nickt und lächelt mich an:
"Ah, Sie sind Mister Armstrong. Warten Sie einen Moment. Ich rufe jemand, der sich um Sie kümmert."

"Ich verabschiede mich dann," meint mein Begleiter zwinkernd. "Ich muss zur Quarantäne-Station zurück."

Ich nicke ihm freundlich zu. Während er zum Aufzug zurückgeht, sagt Mistress Albright zu mir:

"Setzen Sie sich ruhig einen Moment."

Also gehe ich nun zu einer Sitzgruppe neben dem Treppen-haus. Mistress Albright nimmt einen Handapparat auf und spricht hinein.

Vielleicht fünf Minuten darauf kommt ein älterer Mann die Treppe herunter. Er schaut sich kurz um, grüßt die Concierge freundlich und wendet sich danach zu mir um:

"Guten Tag, Mister Armstrong, oder 'Sol', wie man hier sagt," begrüßt er mich. "Ich bin John Berlin. Würden Sie mich bitte begleiten?"

Ich stehe auf und strecke ihm meine Hand entgegen. Mister Berlin lächelt entschuldigend, zeigt seine offene Hand und legt sie sich auf die Herzgegend. Dann macht er eine einladende Handbewegung Richtung Treppe und sagt, immer noch lächelnd:

"Kommen Sie bitte mit."

Wir steigen zwei Etagen höher und gehen einen Gang entlang, bis wir vor einer Tür halten. Unterwegs erklärt Mister Berlin mir, dass das Händeschütteln seit einer Pandemie kurz nach der Kolonisation des Planeten nicht mehr praktiziert wird. Damals mussten sich die Menschen gegen marsianische Viren und Bakterien wehren. Gut die Hälfte der Bevölkerung ist damals gestorben bis Impfstoffe entwickelt worden sind. Mir fällt ein, davon im Geschichtsunterricht in meiner Schulzeit einmal gehört zu haben.

Mein Begleiter klopft schließlich an eine Tür und öffnet sie einen Moment später. Mit einer Handbewegung gibt er mir den Vortritt und schließt die Tür hinter mir wieder, nachdem auch er den Raum betreten hat.

Er begrüßt die Runde in dem Raum mit "Sol!", während wir Platz nehmen.

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Dienstag, 28. Juni 2022
Aufbruch ins All -01
--Gestrandet auf dem Mars--

Mein Name ist Tim Armstrong. Ich bin Pilot eines Shuttles, das eine Ablösemannschaft zu einem der Astroiden bringen soll, deren Mineralien wir abbauen. Auf der Rücktour werde ich die jetzige Mannschaft zur Erde bringen, damit sie ihren wohlverdienten Urlaub antreten können. Ich habe den Autopiloten eingeschaltet und hänge meinen Gedanken nach.

Heute, im Jahr 2728, hat die Menschheit Mars, Erde und die Venus besiedelt. Daneben haben wir begonnen Bergbau auf großen Asteroiden zu betreiben. Dies ist dadurch begünstigt worden, dass die Regierung des Mars die jahrhundertealten Verträge mit der 'Mars Ressource Corporation' gekündigt und die mehrheitlich irdischen Vertreter und Mitarbeiter der Corporation ausgewiesen hat.

Der Mars hat die freigewordenen Stellen danach mit Marsianern besetzt und angeboten, die geförderten Rohstoffe an die Corporation für viel Geld zu verkaufen. Darauf ist die Gesellschaft nicht eingegangen. Sie hat sich neuformiert und umbenannt. Seitdem heißt sie 'Space Ressource Corporation' und baut die Bodenschätze auf Ceres und anderen Asteroiden ab.

Wenige Jahre danach hat der Mars die kommerzielle Raumfahrt eingestellt und die wissenschaftliche Raumfahrt weitgehend reduziert. Meine Überlegungen zur Vergangenheit des menschlichen Aufbruchs ins Weltall und dem damit verbundenen Technologiesprung führen dazu, dass ich ein wenig einnicke. Die heutigen Raumschiffe funktionieren weitgehend autonom und ich fliege nur noch zur Sicherheit im Cockpit mit.

Plötzlich schrecke ich aus meinen Gedanken auf. Ich höre den Kollisionsalarm schrillen. Mit Mühe komme ich aus meiner Gedankenwelt in die Gegenwart zurück. Ich gebe dem Autopiloten per Knopfdruck den Befehl einen Ausweichkurs zu berechnen. Da bin ich auch schon mitten in einem Meteoritenschwarm. Seit wann schrillt der Kollisionsalarm schon?

Schuldbewusst informiere ich die Passagiere, dass sie ihre Raumanzüge schließen müssen. Anschließend schalte ich den Autopiloten ab und versuche, durch einige gewagte Flugmanöver den größten Brocken auszuweichen und aus dem Schwarm heraus zu kommen.

Da schlägt ein dicker Brocken in die Passagierkabine ein. Reflexartig drücke ich den roten Knopf. Sofort lösen Sprengsätze die Kommandokapsel vom havarierten Raumschiff. Der Bewegungsimpuls der Sprengsätze bringt mich an den Rand des Schwarms. Ziellos herumtrudelnd lasse ich den Autopiloten nach der nächsten menschlichen Ansiedlung suchen. Gleichzeitig stabilisiere ich durch kurze Stöße mit den Navigationsdüsen die Fluglage.

Nach kurzer Zeit erscheint auf dem Monitor vor mir der Mars und eine geschwungene Linie vom aktuellen Standort dorthin. Ich werde den gesamten Treibstoff der Rettungskapsel, die einmal die Kommandokapsel eines irdischen Raumschiffes gewesen ist, für den Trip verbrauchen!

Nun ist aus historischen Gründen die politische Atmosphäre zwischen der Erde und dem Mars nicht die Angenehmste. Einem Raumfahrer in Not müssen sie aber helfen. Das ist ein Gebot, dass noch aus der Seefahrt vor 1000 Jahren stammt. Also gebe ich dem Autopiloten das Okay und werde erst einmal in den Sitz gepresst. Nach einiger Zeit schalten sich die Triebwerke ab und ich bin zum Warten in der Schwerelosigkeit verdammt.

Nach einem Monat gerate ich in das Schwerefeld des Mars und gehe mit den Steuerdüsen auf eine weite Umlaufbahn, darauf achtend, dass ich Phobos und Deimos nicht zu nahe komme. Während ich überlege, wie ich die Landung schaffe ohne in der Atmosphäre gegrillt zu werden, entdecke ich einen Orbiter.

Es ist eine alte Raumstation mit einem Lander, die die Mars Ressource Corporation in der Vergangenheit benutzt hat. Damals hat die Vorgängergesellschaft der Space Ressource Corporation den Mars quasi als ihr Firmeneigentum angesehen und ausgebeutet, bis die Marsianer sich dagegen aufgelehnt haben.

Wie dem auch sei. Ich muss den Orbiter erreichen, überlege ich. Dann kann ich mit dem Lander zum Mars hinunter. Vorsichtig manövriere ich meine Rettungskapsel näher heran. Da die Technik während der letzten Jahrhunderte weiter fortgeschritten ist, passt nun natürlich kein Andock-Mechanismus mehr.

Deshalb feuere ich aus mehreren Dutzend Metern Entfernung eine Leine aus Karbon ab, deren Spitze mit Widerhaken versehen ist und sich irgendwo verhaken muss. Nach dem zweiten Versuch gelingt es mir und ich ziehe die Rettungskapsel näher an die Raumstation heran. Nun muss ich aussteigen und mit den Anzugdüsen zur Station hinüberwechseln. Ich vertäue aber die Rettungskapsel noch mit der Station, bevor ich eine Luftschleuse öffne und in die Station gelange.

In der Schleuse schließe ich die Außentür. Nachdem der Luftdruck in der Schleuse ausgeglichen ist, lässt sich die innere Schleusentür leicht öffnen und ich kann die Station betreten. Zielstrebig gehe ich in die Richtung, in der ich den Marslander von der Rettungskapsel aus gesehen habe. Ich schleuse mich wieder aus dem Orbiter und öffne die Schleusentür des Landers. Während der Luftdruck im Lander ansteigt, setze ich mich in den Kontursessel des Piloten. Da trifft mich die Ernüchterung.

Natürlich hat der Lander noch keinen Autopiloten. Was muss ich tun, damit der Computer erwacht? Welche Befehle in welcher Reihenfolge erwartet die Elektronik von mir? Was ich hier vor mir sehe, gibt mir das Gefühl, in die raumfahrerische Steinzeit versetzt worden zu sein.

Ich suche nach dem Funkgerät und drücke die Mayday-Taste.

Es dauert eine gute Stunde bis sich etwas tut. Eine Stimme aus dem Funkgerät fordert mich zur Identifikation auf. Ich erkläre wer und wo ich bin, und dass ich Hilfe bei der Landung benötige. Irgendjemand muss mich 'heruntersprechen'.

Es dauert noch einmal ungefähr eine halbe Stunde. Ein anderer Mann in der Gegenstation auf dem Mars sagt mir, was ich tun muss. Dabei geht er eine Checkliste durch und ich muss jeden Schritt bestätigen. Etwa zwei Stunden später landet das vorsintflutliche Gerät sicher auf der Marsoberfläche. Nun soll ich warten.
Nach ungefähr weiteren dreißig Stunden, meine Vorräte sind fast verbraucht, taucht draußen ein Rover auf, so ein Fahrzeug mit hermetisch geschlossener Kabine. Ich verlasse erfreut den Lander und gehe auf das Fahrzeug zu, das inzwischen gestoppt hat.

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Montag, 27. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -24
"Liebes, was ist passiert?"

"Padma! Padma steht..."

Ich komme hinzu und wir beide schauen nach Padma, die am Schrank auf dem Boden sitzt und ängstlich zu uns hochschaut. Sie kann die plötzliche Aufregung sicher nicht verstehen und denkt wohl, sie hätte etwas falsch gemacht.

Ich gehe zu Padma hin, nehme sie hoch, drücke sie an mich und gebe ihr einen sanften Kuss auf die Wange. Dann rede ich beruhigend und ermunternd auf sie ein und setze sie wieder an den Schrank. Ich schaue nach ihrem Teddy und stelle ihn auf das untere offene Element.

"Padma, hol' dir deinen Teddy, Liebes. Hol ihn dir!"

Sie streckt ihre Ärmchen wie eben und fasst mit den Händen die Kante. Dann zieht sie sich hoch, nimmt sich ihren Teddy und schaut uns dabei prüfend an.

"Komm, mein Mädchen. Komm zu Papa," ermuntere ich Padma, den Tränen nah.

Sie lässt den Schrank los, wendet sich mir zu und macht breitbeinig wegen der Schiene einen Schritt, dann geben die Beinchen nach und sie sitzt wieder auf dem Teppich. Also gehe ich zu ihr, setze mich neben sie auf den Boden, streichele sie und lobe sie:

"Das hast du fein gemacht, mein Mädchen. Ich bin so stolz auf dich, Maus!"

Padma strahlt über das ganze Gesicht, krabbelt zu mir, zieht sich an mir hoch und hält mir ihren Teddy hin. Ich nehme den Teddy und stütze sie dabei im Rücken.

"Du bist ja schon ein großes Mädchen, Padma. Ich bin so stolz auf dich!" sage ich noch einmal.

Dann lasse ich mich nach hinten fallen und Padma krabbelt auf meine Brust. Sie legt sich so hin, dass sie sicher meinen Herztönen lauschen kann, während ich sie streichele.

Bald danach hält das Krankenhaus die Zeit für gekommen, die Stellung der Oberschenkel allmählich wieder in die Senkrechte zu bringen. Innerhalb eines halben Jahres werden die verstellbaren Schalen, in denen die Oberschenkel fixiert sind mit dem Schraubenzieher gelöst und so verändert, dass sie allmählich normal steht. Dann wird die Schiene endgültig entfernt.

Nun dauert es nicht mehr lange bis Padma drei Jahre alt wird. Das wollen wir gebührend feiern. Ich bestelle beim Konditor einen Geburtstagskuchen mit Marzipanplatte obenauf. Darauf schreibt der Konditor mit Lebensmittelfarbe einen Geburtstagsgruß und malt einen grünen Saurier in die Mitte. Oma und Opa, Onkel und Tante und unsere kleinen Nichten kommen zum Kaffee und bringen Geschenke mit. Padma kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Am Abend, als sie müde eingeschlafen ist, denke ich, dass es ein schöner Kindergeburtstag für Padma gewesen ist, besonders da die Party danach noch auf den Spielplatz hinter das Haus verlegt worden ist. Wir schauen uns aneinander gekuschelt noch einen Film im Fernsehen an, bevor wir ebenfalls schlafen gehen.

Lenis Eltern, und Lara mit Mann und Kindern sind da schon längst auf der Autobahn nach Süddeutschland. Ich gehe stundenweise mit Padma in die Mutter-Kind-Spielgruppe im Pfarrheim, während Leni ins Büro fährt. Im Pfarrheim bin ich zwar mit ein paar anderen Männern in der Minderheit und wegen meiner Herkunft entwickeln sich immer wieder Gespräche mit den anderen Elternteilen. Wichtig ist Leni und mir, dass Padma hier das Spielen mit Gleichaltrigen lernt.

Allmählich wird unsere Wohnung zu klein. Bisher hat Padma in ihrem Kinderbettchen bei uns im Schlafzimmer geschlafen. Bald wird sie ein eigenes Zimmer brauchen, wo sie ungestört ihre Hausaufgaben machen kann. Da lese ich, dass im benachbarten Stadtteil eine Drei-Zimmer-Wohnung angemietet werden kann. Dort hätte Padma ein Kinderzimmer.
Nach unserem Umzug schauen wir uns nach einem Kindergartenplatz um und melden Padma dort an. Zwei Jahre später ist es Zeit, dass sie in die Schule kommt. Glücklicherweise ist die Grundschule gleich neben dem Kindergarten. Anfangs machen wir weiterhin einen gemeinsamen Spaziergang zur Schule, wie vorher zum Kindergarten. Später geht Padma den Schulweg allein.

In den vergangenen Jahren habe ich den Führerschein gemacht und Leni hat mir zur bestandenen Prüfung einen Kleinwagen geschenkt. Dieser fahrbare 'Einkaufskorb' und 'Kinderwagen' ist gerade richtig für mich. Jetzt hole ich Padma zum Schulschluss ab und bringe sie in mein 'Ashram'. Dort mache ich uns ein schnelles Mittagessen, zumeist auf Reisbasis. Danach zieht sich Padma zurück und macht ihre Hausaufgaben.

Währenddessen setze ich mich in einen Nebenraum und meditiere, bis sie mich stört, weil sie mit irgendeiner Aufgabe nicht klarkommt. Ich helfe ihr und bald fragt sie mich, warum ich auf dem Boden sitze und worüber ich so angestrengt nachdenke.

"Das nennt man meditieren," erkläre ich ihr. "Dadurch kann man wunderbar entspannen, Padma. Es lehrt gelassen und geduldig zu werden. Mit der Zeit wird man dadurch auch achtsam. Man hetzt nicht mehr, sondern nimmt sich Zeit, die kleinen Schönheiten im Leben zu erkennen. Du hast sicher schon einmal eine Pusteblume gesehen und deren Samen in die Luft gepustet.
Achtsam sein, heißt aber nicht trödeln. Wenn man einen Auftrag hat, muss man ihn erst einmal erledigen. Wenn man mit einer Gruppe unterwegs ist, muss man oft gewisse Zeiten einhalten. Darum gelingt das meist erst in Ruhe."

Meine Kleine schaut mich groß an und geht wieder an ihre Hausaufgaben. Irgendwann fragt sie mich:

"Kann man durch meditieren auch seine Hausaufgaben besser erledigen?"

Ich muss lachen und nehme sie in meine Arme.

"Deine Hausaufgaben dienen der Übung und Vertiefung der Lerninhalte aus dem Unterricht. Dazu musst du gut aufpassen, was die Lehrerin sagt und wie sie es an der Tafel vormacht. Hast du etwas nicht richtig verstanden, solltest du dich melden und direkt nachfragen! Sie wird es dann mit einfacheren Worten noch einmal versuchen.
Um Lerninhalte in den Kopf zu bekommen und im Gedächtnis abzulegen, ist die Meditation der falsche Weg!"

"Manches fällt mir aber schwer zu begreifen!" mault Padma.

"Das ist nur natürlich, Liebes. Wir sind alle Menschen, und damit nicht perfekt. Aber wir müssen perfekt werden wollen! Verstehst du? Dazu dienen deine Fragen. Frag' den Lehrern ruhig 'Löcher in den Bauch' bis du etwas verstanden hast!"

"Okay," meint meine Kleine, umarmt mich kurz und läuft wieder an ihren Schreibtisch.

Als sie schließlich die Mittelstufe abgeschlossen hat, biete ich ihr an nach der Schule das Meditieren zu lernen. Schon in der Mittelstufe habe ich begonnen, ihr den Buddhismus nahe zu bringen. Sie hat das Glück, dass ihr Sportlehrer die Klasse gefragt hat, wer sich für Judo interessiert. Er hat damit zweierlei im Sinn, hat er mir bei einem Tag der Offenen Tür erzählt.

Zum einen sollen die Schüler Selbstvertrauen gewinnen und sich zu wehren wissen, ganz besonders die Mädchen, und zum anderen will er ihren Ehrgeiz anstacheln und sie im örtlichen Judo-Verein anmelden und an Wettbewerben teilnehmen lassen. Ich habe lächelnd genickt und meine Zustimmung gegeben.

'Die Idee des Mannes ist nicht schlecht,' denke ich mir.

Als Padma dann vor der Wahl steht, welchen Beruf sie später ausüben möchte, kommt sie auf die Idee, dass die Firma ihres Großvaters in die dritte Generation geht, wenn sie sie später einmal übernimmt. Da meine 'Große' ein gutes Zahlenverständnis besitzt, schlagen wir ihr also eine Ausbildung im Bankenbereich vor. Leni besorgt ihr einen Ausbildungsplatz.

Ich bin seit Jahren durch den Kontakt mit buddhistischen Menschen in ganz Deutschland zu deren Familienfesten unterwegs gewesen, wenn ich eingeladen werde, um als 'heiliger Mann' eine Hochzeit oder eine Beerdigung zu leiten. Besonders die indischen Mitbürger betiteln mich dann mit 'Paramapaavan', was in Deutsch 'deine Heiligkeit' bedeutet. Ich lasse sie, obwohl es mir egal ist, wie man mich anspricht.

Eine Handvoll Männer lebt inzwischen ebenfalls im Ashram in Berlin und wird von mir zum 'Sadhu' ausgebildet. Sie sind unverschuldet in die Arbeitslosigkeit gerutscht und erhalten so eine neue Hoffnung, eine neue Perspektive für ihr Leben.

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