Donnerstag, 8. Juni 2023
Neue Heimat L98 59b (41)
Dazu muss ich sagen, dass junge Frauen manchmal ihr Volk verlassen, um alleine durch den Wald zu streifen, in der Hoffnung bald ein anderes Volk und dort einen Mann zu finden.

Während meine Mutter mit unserem besten Mann spricht, legt mein Vater meine Hand in die Hand vom Vchhtep und sagt zu 'Schimm':

"Sie ist deine Ssucke -Ehefrau-!"

Zu mir gewandt, sagt er dann:
"Er ist dein Ssuckan -Ehemann-!"

Sicher würden sich meine Eltern über Enkelkinder freuen.

'Schimm' hält sich allerdings zurück. Ich weiß nicht, wovor er Angst hat. Also habe ich mich eines Abends zu ihm gelegt und begonnen, ihn zu streicheln.

Ich verstehe, dass ich sensibel vorgehen muss, um zum Ziel zu kommen. 'Schimm' erwidert meine Zärtlichkeiten, sagt aber:

"Ngachischi, wir gehören zwei unterschiedlichen Spezies an. Ich glaube daher nicht, dass wir Kinder miteinander haben werden. Es sei denn unsere Schamanen finden einen Weg."

*

Ich, Jim Albright, habe mir eine einfache Panflöte aus drei nebeneinander gebundenen Halmen gebaut und bin damit zum See gewandert. Tatsächlich finde ich den jungen Luftgeist dort wieder. Neugierig reagiert er auf die Töne der Flöte. Ich füttere ihn und er lässt es zu, dass ich mich auf seinen Rücken schwinge. Ich übe auf diese Art mit ihm, dass er auf die einfache Melodie aus der improvisierten Flöte zu mir kommt und sich reiten lässt. Wieder fliege ich bis zum Abend mit ihm über den Regenwald und lasse mich von ihm auf dem Heimatbaum absetzen.

Der Rat des Volkes hat mich zum Mittler zwischen den Kulturen ernannt, obwohl der Anführer der Jagdgruppe zuerst dagegengesprochen hat. Der Häuptling hat daraufhin Ngachischi an meine Seite gestellt. Sie kann schon viele Wörter unserer Sprache, die für sie ebenso schwer auszusprechen sind, wie für mich ihre. Nach der Entscheidung des Häuptlings habe ich das Lehren unserer Sprache für sie intensiviert.

Der 'Geist der Lüfte' ist immer größer geworden und hat bald die Größe seines Muttertieres erreicht. Ich habe aus der Haut eines erjagten Tieres einen größeren Sattel mit zwei Sitzen hintereinander hergestellt. Er hat Beinschlaufen für ebenfalls zwei Personen und eine Schlaufe zum Festhalten zwischen den beiden Sitzen.

Danach üben wir das Fliegen mit zwei Personen auf seinem Rücken. Ngachischi ist anfangs sehr zurückhaltend, bald überwiegt aber die Aufregung. Das kann man an ihrer Hautfarbe ablesen: Anfangs hat sich Ngachischi dem Luftgeist vorsichtig mit dunkelbrauner Haut genähert. Nach ein paar Flügen in meinem Rücken ist ihre Hautfarbe hin zu gelb gewechselt.

Ich habe ihr gezeigt, mit welchen Bewegungen ich den Luftgeist steuere. Danach haben wir die Plätze getauscht und ich habe Ngachischi überlassen den Luftgeist zu fliegen. Darüber ist ihre Hautfarbe bald zu grün gewechselt, was Entspannung signalisiert. Zwar ist es eher ein dunkelgrün. Das zeigt, dass eine gewisse Anspannung trotzdem noch vorherrscht.

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Montag, 5. Juni 2023
Neue Heimat L98 59b (40)
Wir klettern geschwinde auf den Waldboden hinunter. 'Schimm' nähert sich dem betäubten Luftgeist und prüft, ob die Flügel nicht verletzt sind. Ein Raubtier will uns anspringen, um sich den jungen Luftgeist als Beute zu sichern. Aber wir erlegen das Tier und zerlegen es. Die Haut des Raubtieres ergibt ein primitives Sattel- und Zaumzeug.

Der junge Luftgeist ist inzwischen wieder erwacht und 'Schimm' füttert ihn. Dabei spricht er mit ihm in weichen Tönen. Er gewinnt Vertrauen zu 'Schimm' und lässt sich nach einer Weile Sattel- und Zaumzeug anlegen. Bis dahin müssen wir zwei Nächte neben den gefährlichen Krallen und dem zahnbewerten Maul auf dem Waldboden verbringen, und ihn immer wieder füttern.

Am Morgen des darauffolgenden Tages lässt 'Schimm' den jungen Luftgeist zum Ufer des Sees hüpfen. Als er dort seine Hautflügel ausbreitet, um zu starten, schwingt 'Schimm' sich auf seinen Rücken und steckt seine Beine in vorbereitete Schlaufen.

Der Luftgeist ist zuerst irritiert, führt dann aber flatternd seinen Start durch und hebt ab mit 'Schimm' auf dem Rücken. In der Luft rollt der Luftgeist zwar, um die Last auf seinem Rücken loszuwerden. 'Schimm' bleibt aber sitzen. Er klopft dem Luftgeist auf den Hals und streichelt ihn. Dann kann ich beide nicht mehr beobachten. Ich warte noch bis in den Nachmittag hinein. Schließlich gehe ich zum Heimatbaum zurück.

Ich erzähle meiner Mutter, der Schamanin, von den Erlebnissen der letzten Tage. Sie sagt anerkennend:

"Dein 'Schimm' ist ein großer Tschangßu -Mann-. Er hat ein großes Herz und ist risikofreudig, wenn er ein Ziel verfolgt. Er wird zurückkommen, meine Tochter! Sei nicht traurig."

Am Morgen des nächsten Tages ist große Aufregung beim Ngachi -Volk-. Man hat einen Luftgeist gesichtet. Minuten später klettert 'Schimm' aus dem Heimatbaum zum Boden herab. Ich laufe auf ihn zu und umarme ihn.

Die Schamanin tritt näher, gefolgt vom Häuptling. Der Anführer der Jagdgruppe und seine Männer bleiben etwas auf Abstand. Ich weiß, der Anführer der Jagdgruppe hat sich Hoffnungen gemacht mich zur Frau zu nehmen, bevor 'Schimm' bei uns aufgetaucht ist. Nun sieht er mich in inniger Umarmung mit dem Vchhtep -Himmelswesen-...

Der Häuptling schaut in die Runde. Nachdem das Volk nahe genug ist, um ihn verstehen zu können, legt er 'Schimm' seine Hand auf die Schulter und sagt laut:

"Du bist nun ein Angck -Sohn- der Ngachi! Damit bist du ein Teil des Volkes."

Die Menge beginnt zu jauchzen und zu singen. Fast geht es unter, dass er 'Schimm' an meine Seite stellt. Ich soll 'Schimms' Frau sein. Außerdem erhebt er den Vchhtep -Himmelswesen- auf eine Stufe mit dem Anführer der Jagdgruppe, und damit in den Rat unseres Volkes. Darüber wird dieser ganz schwarz auf der Haut, was seine Anspannung verrät. Die Schamanin schaut dem Anführer der Jagdgruppe ernst in die Augen und prophezeit ihm, dass er alsbald die Frau eines anderen Volkes im Wald finden wird und sich in sie verliebt.

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Freitag, 2. Juni 2023
Neue Heimat L98 59b (39)
Monde sind vergangen, ich habe Vertrauen zu dem Himmelswesen gefasst und ihm von unseren Göttersagen erzählt:

"Wir befinden uns hier im Ckiffenga -Weltenwald-. Für uns er ist nicht bloß zur Nutzung bestimmt. Er lebt und steht im ständigen Austausch mit den Ngachi denkenden Wesen-. Der Wald ist sehr komplex. Mit uns im Austausch sind die jagdbaren Tiere-, die Doppeltiere und die Geister. Über allen stehen die Götter. Darunter ist Oschacha -der Schöpfer- der Höchste. Ohne ihn gäbe es das alles nicht. Das Reich der Toten verwaltet Jachi. Dass wir atmen können und der Wind die Pflanzen bestäubt, dafür sorgt Ischl.
Jedes Tier und jede Pflanze besitzen einen Geist, der von innen wirkt. Beim Tod verlässt der Geist den Körper und wandert durch den Wald auf der Suche nach einem ungeborenen Wesen, in das er fahren kann. Ist das nach einer gewissen Zeit noch nicht geschehen, geht der Geist zu Jachi.
Wir Ngachi möchten, dass der Weltenwald so bleibt, wie er schon immer war - und das für immer! Wir möchten in ihm leben können, in guter Gesundheit, und mit uns die Geister, die jagdbaren Tiere und alle Fische. Wir kultivieren nur die Pflanzen, die uns ernähren! Wir möchten, dass der Wald ein ruhiger Ort bleibt, dass der Himmel klar über uns steht, dass sich die Dunkelheit der Nacht weiterhin und mit aller Regelmäßigkeit über die denkenden Wesen und Tierwesen senkt, und dass man die Sterne sehen kann, 'Schimm'!"

"Wenn du damit die Vchhtep ansprichst, liebe Ngachischi. Ich kann nur für mich sprechen. Ich akzeptiere deinen Wunsch rückhaltlos! Die Vchhtep, die ich kenne, schätze ich genauso ein. Aber ob das für alle Zeiten gilt, weiß heute niemand zu sagen. Man könnte versuchen, einen Vertrag zu schließen, der euch deinen Wunsch garantiert. Vielleicht kann auch jemand von den Ngachi dauerhaft bei den Vchhtep leben und auf deren Entscheidungen im Sinne der Ngachi einwirken?"

"Das sollten wir im nächsten Rat thematisieren, 'Schimm'!"

Im Laufe der Zeit ist in mir neben Vertrauen auch Zuneigung zu dem Vchhtep gewachsen. Es hat sich bei einer Mutprobe als großer Tschangßu -Mann- erwiesen. Das ist folgendermaßen geschehen:

Ich habe ihm von dem 'Geist der Lüfte' erzählt, der damals sein Flugwesen besiegt hat. Das Himmelswesen hat nun wissen wollen, wo die 'Geister der Lüfte' leben. Die Luftgeister sind Einzelgänger. Sie dulden nur zur Paarung einen anderen Luftgeist in ihrer Nähe. Darum ist es damals auch zu dem Luftkampf gekommen.

Trotzdem lässt sich 'Schimm' nicht davon abbringen, ein Nest in einem Baumwipfel zu suchen und getarnt hinter Blattwerk den Luftgeist zu beobachten. Ich halte es für ein tollkühnes Unternehmen. Es kommt zum Streit. 'Schimm' verlässt daraufhin den Heimatbaum und läuft in Richtung des Sees. Ich folge ihm mit Abstand, auch um ihn gegen Angriffe der Waldtiere zu schützen.

Beim See angekommen, klettert das Himmelswesen auf einen besonders hohen Baum, um sich aus dessen Laub heraus zu orientieren. Ich bin ihm hinterher geklettert und so schauen wir gemeinsam, ob sich etwas tut. Es dauert einige Stunden bis der Luftgeist kommt und sich auf einem der benachbarten Bäume niederlässt. Er hat ein Tier im Maul und man kann sehen, dass es hinter einem Flechtwerk nun munter wird.

'Schimm' will in das Flechtwerk hineinschauen. Das Himmelswesen klettert von dem Baum herunter und auf den Baum hoch, auf dem der Luftgeist wohnt. Der Stamm des Baumes bietet Deckung. Wir sehen in dem Flechtwerk einen jungen Luftgeist. Es handelt sich also um ein Chock -Nest-. Der junge Luftgeist dürfte bald ausfliegen. Er ist zwar längst noch nicht so groß wie das Elterntier, aber ich glaube, ich habe manchmal schon 'Geister der Lüfte' in der Größe des Jungtieres am Himmel gesehen.

An den folgenden Tagen klettern wir regelmäßig auf den Baum. Nachdem fast zwei Hände voll Tage vergangen sind, klettert der junge Luftgeist auf den Rand des Chock -Nestes-, breitet seine Flughaut aus und stürzt sich aus dem Nest. Das Elterntier beobachtet alles von über den Baumwipfeln. Das Jungtier schlägt ein paar Male mit den Flughäuten und landet auf einem benachbarten Baum. Dort lässt es sich nieder und faltet seine Flughäute an seinen Körper.

Das Elterntier hat noch eine letzte Schleife gezogen und segelt davon. Es wird erst zur nächsten Brutsaison wiederkommen. Plötzlich hebt 'Schimm' seinen Bogen und ein Betäubungspfeil verlässt die Sehne. Der junge Luftgeist kippt von dem Ast, während seine riesigen Krallen ihn noch halten. Der Körper rutscht jetzt aber an das Ende des Astes, der sich nach unten biegt. Nun stürzt der junge Luftgeist ab.

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