Freitag, 28. Juni 2024
Neue Philosophie -06
Ich laufe hinter ihr her und rufe:
"He, warte mal! Können wir nicht mal miteinander reden? Wo hast du unsere Sprache gelernt? Warst du in einer Schule?"

Sie bleibt abrupt stehen. Ich wäre beinahe in sie gelaufen. Kurz kämpfe ich mit meinem Gleichgewicht. Sie fasst zu und hilft mir, mich zu stabilisieren.

"Wie ein Baby!" murmelt sie.

"Hör mal," sage ich nun. "Ich brauche deine Hilfe."

"Du solltest nicht hier sein!" sagt sie. "Geh zurück zu den Deinen!"

"Nein..." versuche ich eine Gegenrede.

Sie stößt mir beide Hände vor die Brust und wiederholt:

"Geh zurück!"

Die ganze Zeit weht ein leichtes Lüftchen durch das Unterholz. Plötzlich sehe ich Samenschirmchen durch die Luft segeln, wie zuhause der vom Dandelion -Löwenzahn-. Auch meine Retterin schaut auf. Einige der Samen bleiben an meiner Kleidung hängen. Ich will sie abstreifen oder wegpusten. Sie greift mir in die Arme und sagt:

"Nein!"

Nun schaue ich sie verdutzt an und frage:
"Was... Was bedeutet das?"

"Die Saat der heiligen Liane!" flüstert sie. "It’l, die Gottheit des Windes und des Atems lässt die Samen der Heilpflanze an Schirmchen davonsegeln, bis sie sich irgendwo niederlassen. Diese Samen haben dich als 'Erde' gewählt, um etwas Neues hervorzubringen!"

Sie schaut mich überwältigt an, reißt die Augen auf und flüstert:

"Nur besonders reine Seelen..."

Ein schwacher Windstoß und die Wolke der Samen an ihren Schirmchen fliegt weiter. Ich frage sie:

"Was war das gerade?"

Sie greift meine Hand, schaut mich an und sagt:
"Komm!"

Ich bin überrascht wegen ihres plötzlichen Sinneswandels.

Sie fordert mich noch einmal auf:
"Komm!"

Danach dreht sie sich um und läuft weg. Diesmal aber nicht so schnell wie vorhin noch. Ich kann ihr bequem folgen.

Nach ein paar Minuten frage ich sie:
"Wo laufen wir hin?"

Sie antwortet wieder nur:
"Komm!"

Eine Weile verfolge ich die junge Yanomami-Frau. Dann fühle ich mich ermutigt, ihr zuzurufen:

"Wie heißt du eigentlich?"

In diesem Moment tauchen weitere bewaffnete Yanomami auf. Sie haben mich eingekreist und zielen mit ihren Pfeilen auf mich.

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Dienstag, 25. Juni 2024
Neue Philosophie -05
"Damn -Verdammt-!" fluche ich.

Instinktiv lasse ich mich fallen und hebe eine Hand schützend vor mein Gesicht. Aber sie zischt mich nur an, jedes einzelne Wort betonend:

"Für sowas dankt man nicht! Das ist einfach nur traurig!"

Ich kann ihren Gedankengang nicht wirklich nachvollziehen. Deshalb antworte ich, mich immer noch mit einer Hand schützend:

"Tut mir leid! Was auch immer ich getan habe, es tut mir leid!"

Sie zeigt mir ihre Zähne, als wäre sie selbst ein Raubtier, faucht mich an und antwortet:

"Es ist deine Schuld! Ganz allein deine Schuld! Der Jaguar hätte nicht sterben müssen!"

"Er hat mich angegriffen! Warum bin ich jetzt der Böse?" versuche ich mich zu verteidigen.

"Deine Schuld!" wiederholt sie. "Du machst Geräusche wie ein Baby, und weißt nicht was du tust! Du weißt nicht, wie man sich verhält im Urihinari -lebender Wald-.“

Ich erhebe mich wieder und meine:
"Ruhig! Ganz ruhig! Wenn du deinen Waldfreund so gern hast, warum hast du dann nicht zugelassen, dass er mich umbringt? Wo ist da die Logik?"

Sie schaut mich weiterhin vorwurfsvoll an und fragt zurück:

"Warum ich dich retten?"

"Ja, warum hast du mich denn dann gerettet?"

Sie wechselt zweimal von einem Fuß auf den anderen. Man hat den Eindruck, als setzt sie mehrmals zu einer Antwort an. Dann sagt sie:

"Du starkes Herz! Keine Angst, aber dumm. Unwissend wie ein Kind!"

Die beiden letzten Sätze ruft sie mir ins Gesicht, nachdem sie sich vorgebeugt hat. Danach wendet sie sich ab und läuft davon. Schnell bücke ich mich nach meiner Lanze, nehme sie auf und laufe weiter hinter ihr her. Dabei rufe ich ihr nach:

"Na gut, wenn ich hier draußen wie ein Kind bin, vielleicht kann ich ja etwas von dir lernen?"

"Ihr Nabuh -Weißen- könnt nicht lernen! Weil ihr nicht sehen könnt!"

Ich verfolge sie weiter durch das Unterholz und antworte:

"Dann bring mir bei, wie man sieht!"

"Keiner kann dir beibringen zu sehen!"

"Boah," mache ich nun.

Mich umschauend, erkenne ich, dass ich nicht weiß, wo ich bin. Würde ich jetzt stehenbleiben und mich von ihr trennen, würde ich mich hundertprozentig verirren. Ich muss ihr folgen.

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Samstag, 22. Juni 2024
Neue Philosophie -04
Ein junger Baum, noch nicht armdick, erscheint mir für eine Lanze geeignet zu sein. Ich säge ihn mit meinem Messer zurecht, kappe die Zweige und spitze ein Ende an. Danach gehe ich an dem Felssturz entlang und schaue, ob ich irgendwo hinauf klettern kann.

Plötzlich faucht mich ein Tier an. Ich nehme meine Aufmerksamkeit von der Felswand, halte den primitiven Speer waagerecht vor mich und drehe mich um. Ein riesiger Jaguar steht nur wenige Meter entfernt und blickt mich aus tückischen Augen an. Die Großkatze reißt wieder ihr Maul auf, faucht mich an und knickt in den Hinterläufen etwas ein. Es scheint, dass sie mich anspringen will.

Ich halte meinen Speer in ihre Richtung, denn ich will mein Leben so teuer wie möglich verkaufen. Da rauscht ein Pfeil nahe an mir vorbei und verschwindet im aufgerissenen Maul der Großkatze. Ich habe noch nicht reagiert, da rauscht ein zweiter Pfeil aus der gleichen Richtung an mir vorbei, der im Brustkorb des Jaguars stecken bleibt. Das Raubtier fällt hin, als wäre es vom Blitz getroffen.

Ich lasse mich sofort fallen und drehe mich im Fallen, wie ich das bei der Army gelernt habe. Mein Retter entpuppt sich als eine junge Frau, in einem Alter um die 18 Jahre. Sie kommt nun herangelaufen, überläuft mich aber und geht bei dem Jaguar auf die Knie.

Dort holt sie einen Dolch mit schwarzer glänzender Klinge hervor. Das Material kenne ich von meinen vielen Auslandseinsätzen. Sie besitzt einen Obsidian-Dolch. Sie stößt den Dolch zwischen die Rippen der Großkatze und murmelt dabei auf Yanomam:

"Bitte, verzeih mir, mein Bruder. Möge dein Geist Teil von Yoasi -Geist der Toten- werden, mein Bruder!"

Danach erhebt sie sich und kommt zu mir.

Ich habe mich in der Zwischenzeit auf dem Waldboden gedreht und hingesetzt. Nun äußere ich mich kleinlaut in Englisch:

"Ich weiß nicht, ob du mich verstehst, aber ich möchte mich bei dir bedanken."

Sie hockt sich zu mir und schaut mich mit einem vorwurfsvollen Blick an. Ich sage daraufhin noch einmal "Danke!" und neige mich etwas in ihre Richtung.

Sie erhebt sich schnell und läuft davon. Ich komme nun auch hoch und laufe ihr nach:

"He, nicht so schnell! Wo läufst du denn hin? Ich... Ich wollte doch nur 'Danke' sagen!"

Sie ist plötzlich stehen geblieben, dreht sich zu mir um und holt mit dem Arm aus, in dem sie ihre Waffen trägt. Ein Schmerz, wie von einem Peitschenhieb, durchdringt mich.

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