Sonntag, 30. Januar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -06
mariant, 12:22h
Dennis lächelt, neigt den Kopf leicht und hebt die gefalteten Hände.
"Nennen Sie mich Herr Bäcker, oder Dennis, oder Lama Rinpoche," antwortet er. "Es ist alles richtig. Wichtig ist ihre Einstellung dahinter, mit der Sie mir gegenübertreten."
Mama lächelt unsicher und verlässt mit mir schnell das Kloster.
*
Bis auf die Sonntage gehe ich jetzt schon seit zwei Wochen meist mit Mama in das buddhistische Kloster in unserer Heimatstadt. Lama Rinpoche, der im bürgerlichen Leben Dennis Bäcker heißt und etwa acht Jahre älter ist als ich, bringt mir die ostasiatische Verteidigungstechnik bei, die vor langer Zeit von Mönchen entwickelt und vervollkommnet worden ist.
Allerdings geht Dennis dabei etwas außergewöhnlich vor, was sicher der Zeit geschuldet ist, denn den Klosterschülern brennt kein Problem unter den Nägeln. Trotzdem mache ich allmählich gerne mit und bin nicht mehr so schnell enttäuscht, weil ich den Sinn hinter manchem nicht gleich erkennen kann.
Wenn Papa mich ins Kloster bringt, was heute erst das dritte Mal in der Zeit passiert ist, unterhält er sich mit dem Lama. Dennis ruft dann einen Gelong, wie man hier die jungen Mönche nennt, und lässt mich mit ihm Krafttraining machen.
So auch heute: Ich habe zuerst Liegestütze gemacht. Die Füße lagen zuerst auf einem Hocker, später auf einem der niedrigen Tische. Danach habe ich einen Handstand machen müssen, die Füße dabei an die Wand gelehnt. Der Gelong hat einen weiteren Hocker herbeigeholt. Nun soll ich im Handstand auf beide Hocker steigen und wieder herab. Währenddessen hat mich der Gelong an den Beinen festgehalten.
Anschließend hat er meine Arme massiert und mit irgendetwas eingerieben.
Danach ist der Gelong in die Hocke gegangen und hat sich in der Stellung umgedreht, während er mit dem Fuß nach etwas Unsichtbarem getreten hat. Das habe ich nachmachen sollen. Danach habe ich das Stehen auf einem Bein geübt. Das ist ziemlich schwierig gewesen, besonders auf dem linken Bein. Aber der Gelong hat mich stets aufgefangen. Dabei haben wir viel gelacht. So macht mir das Training Spaß!
Schließlich ist meine heutige halbe Stunde vorbei und der Gelong bringt mich zu Dennis zurück. Dort treffe ich Papa im Gespräch mit Dennis über die Wiedergeburt.
"Schauen Sie, was Sie Himmel nennen, heißt bei uns Nirwana," sagt Dennis gerade. "Was sie Fegefeuer nennen, bezeichnen wir vielleicht als die Wiedergeburt, obwohl es das nicht wirklich trifft. Die ewige Verdammnis, die Hölle, kennen wir nicht!"
"Ich hörte von meiner Schwester, dass Sie die Wiedergeburt eines tibetischen Mönches sein sollen, der seine letzten Jahre in Nepal verbracht hat..." will Papa wissen.
"... und in seinen letzten Lebensjahren immer davon sprach, unseren Glaubensbrüdern im Westen beistehen zu wollen," ergänzt Dennis den Satz von Papa.
"Seien Sie mir nicht böse," antwortet Papa nun lächelnd, "aber ich glaube nicht an die Wiedergeburt!"
"Das verlangt auch niemand von Ihnen!" stellt Dennis fest. "Hier geht es um Toleranz seinen Mitmenschen gegenüber. Ich gebe Ihnen ein Beispiel unserer Denkweise: Meine Tasse ist das Gefäß, der Körper. Der Tee darin ist die Seele."
Dennis schlägt die Tasse auf die Tischkante. Sie zerbricht. Der Tee läuft über den Tisch und tropft auf den Boden. Dazu sagt er erklärend:
"Nun ist die Tasse keine Tasse mehr. Aber was ist der Tee auf dem Tisch und dem Boden?"
"Immer noch Tee," antwortet Papa.
Dennis erhebt sich und holt einen Putzlappen herbei. Damit wischt er den Tee auf.
"Nun befindet sich der Tee im Tuch. Ich könnte das Tuch auswringen und den Tee in eine neue Tasse gießen. Dann hat er ein neues Gefäß."
"Den würde ich dann aber nicht mehr trinken wollen!" meint Papa grinsend dazu. Auch ich muss bei der Vorstellung schüchtern lächeln.
Dennis lächelt ebenfalls, geht zum Putzeimer und lässt das Tuch hineinfallen. Das Experiment ist spaßig, aber doch interessant gewesen.
"Sie erkennen aber nun den buddhistischen Denkansatz," meint Dennis. "Wie gesagt, Sie müssen nicht daran glauben!"
Danach wendet er sich mir zu und sagt:
"Übermorgen bin ich wieder für dich da, Noah. Habt eine gute Heimfahrt und dir viel Spaß und Glück in der Schule!"
"Vielen Dank, Dennis! Und, bis Übermorgen dann," antworte ich und mache seine Abschiedsgeste mit den gefalteten Händen nach.
"Wiedersehen, Herr Bäcker," sagt Papa und streckt Dennis demonstrativ die Hand hin.
Dennis drückt sie kurz und lächelt uns zum Abschied zu. Wir verlassen seine Privaträume eigenständig, da wir den Weg nach draußen inzwischen kennen.
Auf der Heimfahrt hänge ich still meinen Gedanken nach. Morgen ist Sonntag und am Montagmorgen schreiben wir eine Klassenarbeit. Die will ich nicht verpatzen.
*
"Nennen Sie mich Herr Bäcker, oder Dennis, oder Lama Rinpoche," antwortet er. "Es ist alles richtig. Wichtig ist ihre Einstellung dahinter, mit der Sie mir gegenübertreten."
Mama lächelt unsicher und verlässt mit mir schnell das Kloster.
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Bis auf die Sonntage gehe ich jetzt schon seit zwei Wochen meist mit Mama in das buddhistische Kloster in unserer Heimatstadt. Lama Rinpoche, der im bürgerlichen Leben Dennis Bäcker heißt und etwa acht Jahre älter ist als ich, bringt mir die ostasiatische Verteidigungstechnik bei, die vor langer Zeit von Mönchen entwickelt und vervollkommnet worden ist.
Allerdings geht Dennis dabei etwas außergewöhnlich vor, was sicher der Zeit geschuldet ist, denn den Klosterschülern brennt kein Problem unter den Nägeln. Trotzdem mache ich allmählich gerne mit und bin nicht mehr so schnell enttäuscht, weil ich den Sinn hinter manchem nicht gleich erkennen kann.
Wenn Papa mich ins Kloster bringt, was heute erst das dritte Mal in der Zeit passiert ist, unterhält er sich mit dem Lama. Dennis ruft dann einen Gelong, wie man hier die jungen Mönche nennt, und lässt mich mit ihm Krafttraining machen.
So auch heute: Ich habe zuerst Liegestütze gemacht. Die Füße lagen zuerst auf einem Hocker, später auf einem der niedrigen Tische. Danach habe ich einen Handstand machen müssen, die Füße dabei an die Wand gelehnt. Der Gelong hat einen weiteren Hocker herbeigeholt. Nun soll ich im Handstand auf beide Hocker steigen und wieder herab. Währenddessen hat mich der Gelong an den Beinen festgehalten.
Anschließend hat er meine Arme massiert und mit irgendetwas eingerieben.
Danach ist der Gelong in die Hocke gegangen und hat sich in der Stellung umgedreht, während er mit dem Fuß nach etwas Unsichtbarem getreten hat. Das habe ich nachmachen sollen. Danach habe ich das Stehen auf einem Bein geübt. Das ist ziemlich schwierig gewesen, besonders auf dem linken Bein. Aber der Gelong hat mich stets aufgefangen. Dabei haben wir viel gelacht. So macht mir das Training Spaß!
Schließlich ist meine heutige halbe Stunde vorbei und der Gelong bringt mich zu Dennis zurück. Dort treffe ich Papa im Gespräch mit Dennis über die Wiedergeburt.
"Schauen Sie, was Sie Himmel nennen, heißt bei uns Nirwana," sagt Dennis gerade. "Was sie Fegefeuer nennen, bezeichnen wir vielleicht als die Wiedergeburt, obwohl es das nicht wirklich trifft. Die ewige Verdammnis, die Hölle, kennen wir nicht!"
"Ich hörte von meiner Schwester, dass Sie die Wiedergeburt eines tibetischen Mönches sein sollen, der seine letzten Jahre in Nepal verbracht hat..." will Papa wissen.
"... und in seinen letzten Lebensjahren immer davon sprach, unseren Glaubensbrüdern im Westen beistehen zu wollen," ergänzt Dennis den Satz von Papa.
"Seien Sie mir nicht böse," antwortet Papa nun lächelnd, "aber ich glaube nicht an die Wiedergeburt!"
"Das verlangt auch niemand von Ihnen!" stellt Dennis fest. "Hier geht es um Toleranz seinen Mitmenschen gegenüber. Ich gebe Ihnen ein Beispiel unserer Denkweise: Meine Tasse ist das Gefäß, der Körper. Der Tee darin ist die Seele."
Dennis schlägt die Tasse auf die Tischkante. Sie zerbricht. Der Tee läuft über den Tisch und tropft auf den Boden. Dazu sagt er erklärend:
"Nun ist die Tasse keine Tasse mehr. Aber was ist der Tee auf dem Tisch und dem Boden?"
"Immer noch Tee," antwortet Papa.
Dennis erhebt sich und holt einen Putzlappen herbei. Damit wischt er den Tee auf.
"Nun befindet sich der Tee im Tuch. Ich könnte das Tuch auswringen und den Tee in eine neue Tasse gießen. Dann hat er ein neues Gefäß."
"Den würde ich dann aber nicht mehr trinken wollen!" meint Papa grinsend dazu. Auch ich muss bei der Vorstellung schüchtern lächeln.
Dennis lächelt ebenfalls, geht zum Putzeimer und lässt das Tuch hineinfallen. Das Experiment ist spaßig, aber doch interessant gewesen.
"Sie erkennen aber nun den buddhistischen Denkansatz," meint Dennis. "Wie gesagt, Sie müssen nicht daran glauben!"
Danach wendet er sich mir zu und sagt:
"Übermorgen bin ich wieder für dich da, Noah. Habt eine gute Heimfahrt und dir viel Spaß und Glück in der Schule!"
"Vielen Dank, Dennis! Und, bis Übermorgen dann," antworte ich und mache seine Abschiedsgeste mit den gefalteten Händen nach.
"Wiedersehen, Herr Bäcker," sagt Papa und streckt Dennis demonstrativ die Hand hin.
Dennis drückt sie kurz und lächelt uns zum Abschied zu. Wir verlassen seine Privaträume eigenständig, da wir den Weg nach draußen inzwischen kennen.
Auf der Heimfahrt hänge ich still meinen Gedanken nach. Morgen ist Sonntag und am Montagmorgen schreiben wir eine Klassenarbeit. Die will ich nicht verpatzen.
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