Dienstag, 1. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -08
"Nun ja, man hat mir die Brotdose geklaut. Zuerst bin ich hinterhergelaufen, aber da es gleich drei Jungs in meinem Alter waren, konnte ich sie ihnen zuerst nicht abjagen. Dann habe ich mich an deine Worte erinnert 'Ruhe bewahren'. Ich habe sie ruhig beobachtet, um den richtigen Zeitpunkt heraus zu finden. Sie haben sich mir genähert, um mich zu provozieren. Dann habe ich es geschafft, denjenigen zu Boden zu werfen, der meine Brotdose gerade in der Hand hatte. Ich habe die Brotdose eingesteckt und mich danach um die Stirnwunde des Jungen gekümmert."

Dennis legt mir lächelnd seine Hand auf die Schulter und schaut mir in die Augen. Dadurch werde ich etwas unsicher und schaue zu Boden, aber er lobt mich:

"Das war sehr richtig von dir, Noah! So musst du das immer wieder tun, wenn irgend möglich. So gewinnst du ehrliche Freunde und verschaffst dir Respekt unter den Anderen!"

"Ja, stimmt," bestätige ich ihm. "Als der Markus auf dem Boden lag und blutete, hat sich ein ganzer Kreis Zuschauer um uns gebildet. Seitdem lässt man mich in Ruhe und der Markus hat mir die Freundschaft angeboten."

Dennis erhebt sich vom Hocker und fährt mir mit der Hand kurz durch mein Haar.

"Du hast die Philosophie hinter dem Kungfu verstanden, mein Junge," sagt er und präzisiert es noch einmal: "Niemals angreifen, nur verteidigen! Und dem Gegner Respekt erweisen!
Dann wollen wir einmal das Gelernte von letzter Woche wiederholen..."

Nach der halben Stunde gehen wir wieder gemeinsam zu Mama, die bei Dennis Mutter sitzt und Tee trinkt. Auf dem Weg dorthin frage ich Dennis:

"Gibt es nicht auch Wettkämpfe unter Gleichaltrigen, wo man das Erlernte real anwenden kann. Bis ich wieder einmal in so eine Situation komme, wie heute, können Monate oder Jahre vergehen. In der Zeit kann man viel vergessen haben."

"So eine Situation kann morgen schon wieder eintreten, oder natürlich auch erst in Monaten oder Jahren. Du musst eben ständig bereit sein, immer im Training bleiben, Noah," erwidert er. "Übe deine Fertigkeiten täglich, während du lebst."

"Gibt es denn keine Wettkämpfe unter Gleichaltrigen?" lasse ich jedoch nicht locker.

"Unsere Klosterschüler sind viel älter als du. Zu Trainingszwecken gibt es in den Klosterschulen in Nepal schon Wettkämpfe, auch unter Schülern in deinem Alter. Aber das liegt 10.000 Kilometer entfernt..."

"Mein neuer Freund ist so alt wie ich!" meine ich.

Dennis schüttelt lächelnd den Kopf.

"Ich möchte keine Kungfu-Schule hier in der Stadt gründen!" sagt er bestimmend. "Mir ging es um dich, um dein Selbstbewusstsein, um deine Charakterbildung. Sobald du dir Respekt verschafft und Freunde gefunden hast, ist meine Aufgabe erledigt. Du trittst dann ganz anders auf als früher!
Und natürlich, musst du am Ball bleiben, wie ich schon sagte. Ständig weiter trainieren!"

"In Nepal sind die Klosterschüler jünger?" frage ich lauernd.

"Ja," gibt Dennis zu. "Dort kommen sie mit fünf oder sechs Jahren zu uns und verlassen die Schule mit etwa fünfzehn, um eine Ausbildung zu machen - wenn sie nicht im Kloster bleiben."

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