Sonntag, 13. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -20
Sich Noah zuwendend, schaut sie erst erstaunt, schenkt ihm dann aber ein strahlendes Lächeln. Sie sagt:

"Noah, du? Meine Güte, bist du groß geworden!"

Mein Begleiter, bisher stumm die neuen Eindrücke verarbeitend, antwortet ihr:

"Du aber auch... Ich meine... Du bist noch schöner geworden!"

Sie lacht fröhlich auf und neigt ihren Kopf.

"Noah," erklärt sie ihm. "Du wirst für mich immer der kleine Junge von damals bleiben, mit seinen witzigen Einfällen."

Ich schalte mich ein und verspreche ihr:
"Ich kann Euch versichern, dass Sie unsere Anwesenheit nicht behelligen wird, verehrte Frau Li!"

Li Yong Tai bietet uns Platz an. Wir setzen uns in die Sitzgruppe. Ihr Begleiter bleibt stehen und stellt sich vor:

"Ich bin der Personenschützer der Dame. Sie hat mich über Ihren Auftrag informiert. Die Situation ist gefährlicher als die Chefin bereit ist zuzugeben!"

"Ich brauche keine weiteren schießwütigen Cowboys," weist sie ihn zurecht. "Ich brauche Antworten! Ich will wissen, wer mich töten will und warum!"

"Wir sind hier, um Euch zu beschützen!" werfe ich dazwischen. "Nicht um Nachforschungen anzustellen. Dafür ist hierzulande die Polizei zuständig!"

Noah mischt sich ein und verspricht:
"Wir werden herausfinden, wer dahintersteckt, Yong Tai!"

Ich wende mich Noah zu und weise ihn zurecht:
"Wir werden unseren Auftrag nicht ausweiten, mein junger Schüler!"

Noah rudert etwas zurück, als er antwortet:
"Natürlich dient das nur dazu, die ehrenwerte Dame zu beschützen, verehrter Tsopo -Meister-!"

Yong Tai ist unserem verbalen Schlagabtausch mit gerunzelter Stirn gefolgt. Sie wirft vermittelnd ein:

"Vielleicht werden allein durch Eure Anwesenheit die Geheimnisse gelüftet - in der Art, dass der oder die Verbrecher sich aus der Deckung wagen.
Wenn Ihr mich nun entschuldigen würdet. Ich ziehe mich zurück."

Wir erheben uns höflich und neigen den Kopf. Sie erhebt sich ebenfalls und geht davon. Es ist ja auch schon später Abend. Als wir mit dem Personenschützer allein sind, sagt dieser:

"Mich beruhigt es, dass Sie hier sind!
Ich halte mich zumeist im provisorischen Kontrollzentrum auf. Nach Mitternacht löst mich mein Kollege ab. In den Treppenhäusern, unten im Eingang und im Aufzug sind Kameras installiert und die Chefin trägt einen Sender am Körper, für den Fall, dass sie entführt wird.
Ich zeige Ihnen eben noch Ihre Zimmer!"

Er führt uns zu der Zimmerflucht für Gäste und öffnet zwei in asiatischem Stil eingerichtete Zimmer. Ich bedanke mich und wünsche eine 'Gute Nacht'.

*

Nachdem ich, Yong Tai, die Tür zu meiner kleinen Wohnung hinter mir zugezogen habe, lehne ich mich mit dem Rücken an das Türblatt. Ich bin verwirrt. In meinem Kopf dreht sich alles.

Noah, der witzige kleine Junge ist in Gestalt eines jungen Mannes zu mir gekommen. Er hat allerdings nicht geahnt, zu wem ihn sein Tsopo Lama Rinpoche führt. Das habe ich an seiner Reaktion beim Verlassen des Aufzuges gesehen. Er ist genauso verwirrt gewesen und hat nicht die richtigen Worte gefunden.

Noah befindet sich offensichtlich auf dem Weg, ein Mönch zu werden. Ich dagegen bin trotz meiner jungen Jahre schon Europa-Chefin eines großen weltweit operierenden Immobilienkonzerns. Mein Chef auf Hawaii setzt großes Vertrauen in mich, dem ich unbedingt gerecht werden will! Muss ich mich deshalb als Workaholic bezeichnen?

Auf jeden Fall bringt eine emotionale Annäherung zwischen Noah und mir uns Beiden nur Probleme. Das kann nicht klappen! Ich muss meine Gefühle unterdrücken...

Ich löse mich von der Tür und entkleide mich, um ins Bad zu gehen. Unter der Dusche hoffe ich diese Gedanken vertreiben zu können.

Das warme Wasser durchfeuchtet mein Haar, läuft über meine Schultern und Rücken. Unwillkürlich streichele ich zart über meine Brust. Seitdem ich die Ausbildung beendet habe und von meinem Chef übernommen worden bin, sehne ich mich nach Liebe, nach einem jungen Mann, der genauso für mich empfindet, wie ich für ihn.

Eine Stimme in meinem Inneren flüstert gerade: 'Nutze die Gelegenheit!' Ich schüttele den Kopf, trockne mich ab und ziehe meine Nachtkleidung an. Im Bett kann ich lange nicht einschlafen. Ich will nicht, dass Noah wegen mir seine Klosterlaufbahn abbricht! Irgendwann bin ich schließlich doch eingeschlafen.

*

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