Freitag, 4. März 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -39
Wir bahnen uns den Weg zum Auto zurück und fahren wieder hinunter in die Stadt. Nach dem Essen besuchen wir das buddhistische Kloster. Dazu haben wir alle Drei unsere Mönchskleidung angelegt: Lama Kyobpa betritt in Begleitung zweier Gelongma das Gebäude.

Wir neigen die Köpfe und drehen bedächtig die Gebetsmühlen im Eingangsbereich. Die Gebete darauf kennen wir auswendig und murmeln sie leise vor uns hin.

Ein Gelong -Mönch- tritt näher und begrüßt uns mit der üblichen Geste. Ich gebe den stummen Gruß zurück. Er fragt, wer wir sind und welcher Grund uns hierherführt. Ihm lächelnd zunickend frage ich, ob Seine Heiligkeit so gütig wäre, uns für wenige Minuten sein Ohr zu leihen.

Der Gelong lächelt und führt uns. Vor einer zweiflügeligen Tür bleibt er kurz stehen und sieht mich fragend an.

"Wen darf ich Seiner Heiligkeit melden?"

"Sagen Sie ihm, Lama Kyobpa aus Deutschland und zwei Gelongma, die in Kinderkrankenpflege und als Primaryschool-Teacher ausgebildet sind, fragen nach einem Betätigungsfeld."

Der Mann betritt den Thronsaal und schließt die Tür hinter sich. Kurz darauf ist er wieder zurück und öffnet die Tür für uns. Wir nähern uns Seiner Heiligkeit langsam und ehrerbietig. Vor ihm gehe ich auf die Knie und berühre mit der Stirn den Boden. Ich bin mir sicher, dass meine Mädchen meinem Beispiel folgen.

"Setz dich, Lama Kyobpa und berichte!" fordert mich Seine Heiligkeit der Khenchen Lama auf.

Ich lasse mich im Schneidersitz vor ihm nieder und erzähle, dass wir zehn Jahre in Weiterswiller in Ost-Frankreich gelebt haben, dass die Gelongma hinter mir in Deutschland eine spezielle Ausbildung in der Betreuung von gefährdeten Kindern erhalten haben und dass wir oben am Feuerberg eine Villa umbauen und nutzen können. Dafür wollte ich eine Foundation gründen, die die Finanzen im Auge hat. Dies alles könne man vielleicht als Außenstelle dieses Klosters betrachten.

Seine Heiligkeit hört ruhig zu und stellt hier und da Zwischenfragen zum Verständnis. Danach entlässt er uns. Zum Abschied fragt er noch, wo wir zurzeit wohnen. Er sagt dann, dass wir auf seine Antwort warten sollen.

Auf dem Weg zurück zum Motel sagt Andrea zu mir:
"Dad, wir sollten schon einmal eine Firma damit beauftragen, das Grundstück und das Innere der Villa von der Vegetation zu befreien. Schließlich kann sich ja erst dann ein Architekt ein Bild davon machen, und uns sagen was von der Bausubstanz erhalten werden kann und was nicht."

"Ja, du hast vollkommen Recht!" stimme ich ihr zu.

Am nächsten Tag suchen wir einen Gärtnerei- und Forstbetrieb auf und ich unterzeichne den Auftrag.

Drei Tage später hält ein YellowCab vor der Tür. Ein Gelong bringt uns zu Seiner Heiligkeit ins Kloster. Er hat sich inzwischen in Frankreich und Deutschland über uns erkundigt und meint nun, er warte ab bis die Villa umgebaut ist. Dann würde ein Lama uns dort besuchen und uns Kontakte zu caritativen Vereinen vermitteln. Er sei gegenüber unserem Vorhaben wohlwollend gestimmt.

'Also müssen wir uns nun erst einmal sechs bis zwölf Monate um die Villa kümmern,' schätze ich gedanklich unser Vorhaben ab.

Eine Woche darauf ist die Villa freigelegt. Bevor wir sie in Begleitung eines Architekten besuchen, wollen Anne und Andrea sie in ursprünglichem Zustand sehen. Also fahren wir wieder den Kilauea hinauf und biegen von der Bergstraße in den Privatweg ein. Schon hier haben die Maschinen der Firma eine breite Schneise geschaffen.

Am Tor steigen wir aus und gehen den Weg bis zur Treppe zu Fuß. Anschließend erklimmen wir die Treppe und betreten das Foyer. Von dort zeige ich ihnen den Weg über eine Innentreppe in die Privaträume. Wir schauen uns jeden der Räume an. Sie wecken glückliche Erinnerungen in mir, die jedoch vom schmerzlichen Verlust meiner geliebten Yong Tai verdunkelt werden.

Schließlich stehen wir im Schlafzimmer. Die Tür zum Balkon ist aus den Angeln gerissen. Vorsichtig löse ich sie aus dem Türrahmen und stelle sie daneben gegen die Wand. Anne tritt auf den Balkon hinaus, als wolle sie den Ausblick genießen. Sie nestelt an ihrem Gewand, öffnet es und lässt es fallen. Darunter trägt sie ein blaues Kleid, wadenlang mit großem Rückenausschnitt.

Als wäre ich gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen, bleibe ich stehen. Anne trägt Yong Tais Lieblingskleid! Sie muss es mir aus der Truhe genommen haben. Ich stoße einen heiseren Schrei aus "Yong Tai!", falle auf die Knie und beginne haltlos zu weinen.

Andrea tritt an mich heran und setzt sich neben mich, meine Schultern umfassend. Anne hebt ihr Nonnengewand vom Boden auf und zieht es wieder über das Kleid. Dann kommt auch sie zu mir, um sich sitzend an mich zu lehnen.

"Wir verbrennen die Truhe mit den Erinnerungsstücken, Dad! Jetzt, wo sich der Kreis geschlossen hat, brauchst du nicht mehr zurück zu schauen, nicht wahr?"

Ich nicke unter Tränen. Andrea erklärt:

"Wir haben im Kloster alles über die Nangwa -Wiedergeburt- gelernt. Wir haben uns natürlich früher gefragt, warum du dich gerade um uns so liebevoll kümmerst. Du hast uns von deiner verstorbenen Frau erzählt, und dass wir damals ihr Lieblingsspielzeug gewählt haben und dann nicht mehr hergeben wollten, dass Anne ihren und ich einen Teil deines Charakters besitze. So müssten in uns deine verstorbene Frau und dein ungeborenes Kind weiterleben.
Auch weil du uns auf Hawaii entdeckt hast, Yong Tais Lieblingsplatz, und dass wir dich als kleine Kinder spontan zum Dad gewählt haben, während andere adoptionswillige Paare ihre liebe Not mit uns gehabt haben sollen.
Wir haben uns entschieden, dass es so sein muss. Das bedeutet für die Zukunft, Anne wird sich in ihrer Freizeit um dich kümmern und dir im Alter zur Seite stehen. Ich werde jemanden finden und heiraten, der in deine Fußstapfen treten und dich irgendwann ersetzen kann. Wir werden die Villa und dein Lebenswerk die 'Yong Tai - Foundation' nennen!"

"Ich finde deine Argumentationskette wirklich überzeugend, meine Große," entgegne ich ihr. "Das würde aber bedeuten, dass Anne auf ihr Lebensglück verzichten müsste, wenn sie sich um ihren alten, kranken Dad kümmert und sich damit eine Liebe und Partnerschaft versagt..."

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