Montag, 28. März 2022
Lama Rinpoche -02
mariant, 12:35h
"Ja, das stimmt," bestätige ich. "Alles zusammengenommen haben wir gute Voraussetzungen, ihn hier wiederzufinden."
Ich weiß wohl, dass bei Lama Sherabs Weggang Millionen Lebewesen geboren wurden. Der Junge muss natürlich geprüft werden. Deshalb habe ich Lama Sherabs Reisschale mitgenommen. Lama Tobgyel führt uns zu der Schule des Jungen und zu einem Sportplatz, wo der Junge zweimal in der Woche ein Ballspiel trainiert.
Nachdem wir alles besichtigt haben, fahren wir ins Kloster zurück. Auf der Rückfahrt vereinbare ich mit Lama Tobgyel, dass wir am Nachmittag des folgenden Tages zum Sportplatz zurückkehren. Dort soll der Junge das erste Mal getestet werden. Unterwegs sind ein paar Jugendliche mit uns im Bus, vor denen uns Lama Tobgyel warnt:
"Wegen dieser Leute tragen wir außerhalb des Klosters die hier übliche Alltagskleidung. Unsere Kesa -Mönchsrobe- können wir nur tragen, wenn wir im Taxi unterwegs sind."
Zu meinem jungen Begleiter gewandt, ergänzt er:
"Die jungen Leute können uns nicht gefährlich werden, aber ein Handgemenge würde zuviel Aufmerksamkeit erregen und in den jungen Männern Rachegefühle auslösen, die sie unberechenbar werden lässt."
Der junge Gelong neben mir nickt verstehend.
*
Wir fahren am nächsten Tag nach dem Mittagsmahl mit dem Linienbus wieder zum Stadtrand hinaus und warten dort das Ende des Schulsports vor dem Sportplatz ab. Wieder habe ich Lama Sherabs Reisschale mitgenommen und stelle sie an den Rand des Weges, den die Jungen nehmen werden, wenn sie das Gelände verlassen.
Irgendwann ertönt ein Pfiff und die Jungs streben in ihrer Sportkleidung zu dem Flachbau in der Nähe des Ausgangs. Eine Viertelstunde später verlassen sie das Gelände in Zivil. Wir beobachten die Szene von der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie sind in Zweier- und Dreier-Grüppchen unterwegs und schwingen sich außerhalb des Tores auf ihre Fahrräder. Ein paar der Jungen kommen alleine heraus. So auch der Junge, auf den uns Lama Tobgyel jetzt aufmerksam macht.
Der Junge stutzt, bleibt stehen und bückt sich zu der Schale hinunter. Er nimmt sie, richtet sich wieder auf und schaut sie sich von allen Seiten an. Seine Freunde reden lachend auf ihn ein. Wir haben uns umgedreht und tun, als ob wir uns angeregt unterhalten. Kurze Blicke über die Schulter zeigen mir, dass er die Schale einsteckt und losfährt, nachdem er seine Tasche wieder auf seinem Rücken befestigt hat.
Lama Tobgyel lächelt mir zu:
"Den ersten Test hat er bestanden! Morgen ist Samstag und somit schulfrei. Wir sollten bis Morgen kurz nach Mittag warten, um die Familie zu besuchen."
"Gut," bestätige ich und nicke.
Wir fahren also wieder ins Kloster zurück. Bevor wir uns in unsere Zimmer zurückziehen, frage ich Lama Tobgyel:
"Wie bist du eigentlich auf den Jungen aufmerksam geworden, Bruder Tobgyel?"
"Ich hatte Visionen," antwortet er mir. "Die Visionen begannen wenige Wochen nachdem Lama Sherab verstorben war, wie meine Nachforschungen ergaben. Die Visionen führten mich immer wieder zu diesem brachliegenden Industriegelände. Vor zwei Jahren hat man begonnen, die Gebäude abzureißen und errichtete dann den Wohnblock dort. Nach und nach zogen Mieter ein. Darunter war auch eine alleinerziehende Mutter mit einem Sohn in genau dem richtigen Alter. In meinen Visionen trat nun Lama Sherab in den Vordergrund. Immer wieder verwischten sich seine Umrisse während meiner Meditationen und die des Jungen traten deutlicher hervor. Daraufhin habe ich dir das Telegramm geschickt, denn nun war ich mir sicher."
"Morgen werden wir Kontakt aufnehmen!" erkläre ich lächelnd.
*
Am späten Mittag des darauffolgenden Tages, einem Samstag, bestellt Lama Tobgyel ein Taxi für uns, so dass wir in unserer Kesa -Mönchsrobe- zu diesem Wohnblock hinausfahren können. Meinen jungen Begleiter lassen wir im Kloster zurück, damit wir die Familie nicht zu sehr stressen. Dort angekommen führt mich Lama Tobgyel schnell von der Straße zu einem Hauseingang und klingelt an einem Namensschild. Kurz darauf höre ich ein Summen und die Tür lässt sich aufdrücken. Wir steigen die Treppe hinauf in den zweiten Stock.
"Hallo, Frau Bäcker," grüßt Lama Tobgyel freundlich die Frau, die vorsichtig durch den Türspalt schaut. "Dürfen wir kurz hereinkommen? Wir behelligen Sie auch nicht lange!"
Die Frau erweitert den Türspalt. Ihr Gesicht ist immer noch ein einziges Fragezeichen.
"Ja, bitte," bestätigt sie und fragt sogleich: "Was möchten Sie?"
Wir falten die Hände und verneigen uns. Lama Tobgyel redet weiter:
"Ihr Sohn muss gestern eine Reisschale gefunden haben, die Lama Sherab gehört hat, einem verehrten Bruder, der leider verstorben ist."
"Oh," macht sie. "Na, kommen Sie erst einmal herein. Was kann ich Ihnen anbieten? Kaffee oder Tee?"
"Tee, wenn Sie so freundlich wären," bittet Lama Tobgyel.
Wir betreten die Wohnung. Die Frau führt uns ins Wohnzimmer. Dort meint sie:
"Entschuldigen Sie mich bitte kurz."
Sie geht in die Küche, ruft aber vom Flur aus:
"Dennis? Da ist Besuch für dich!"
Kurz darauf streckt der Junge seinen Kopf neugierig ins Wohnzimmer. Er macht große Augen als er uns sieht.
Ich weiß wohl, dass bei Lama Sherabs Weggang Millionen Lebewesen geboren wurden. Der Junge muss natürlich geprüft werden. Deshalb habe ich Lama Sherabs Reisschale mitgenommen. Lama Tobgyel führt uns zu der Schule des Jungen und zu einem Sportplatz, wo der Junge zweimal in der Woche ein Ballspiel trainiert.
Nachdem wir alles besichtigt haben, fahren wir ins Kloster zurück. Auf der Rückfahrt vereinbare ich mit Lama Tobgyel, dass wir am Nachmittag des folgenden Tages zum Sportplatz zurückkehren. Dort soll der Junge das erste Mal getestet werden. Unterwegs sind ein paar Jugendliche mit uns im Bus, vor denen uns Lama Tobgyel warnt:
"Wegen dieser Leute tragen wir außerhalb des Klosters die hier übliche Alltagskleidung. Unsere Kesa -Mönchsrobe- können wir nur tragen, wenn wir im Taxi unterwegs sind."
Zu meinem jungen Begleiter gewandt, ergänzt er:
"Die jungen Leute können uns nicht gefährlich werden, aber ein Handgemenge würde zuviel Aufmerksamkeit erregen und in den jungen Männern Rachegefühle auslösen, die sie unberechenbar werden lässt."
Der junge Gelong neben mir nickt verstehend.
*
Wir fahren am nächsten Tag nach dem Mittagsmahl mit dem Linienbus wieder zum Stadtrand hinaus und warten dort das Ende des Schulsports vor dem Sportplatz ab. Wieder habe ich Lama Sherabs Reisschale mitgenommen und stelle sie an den Rand des Weges, den die Jungen nehmen werden, wenn sie das Gelände verlassen.
Irgendwann ertönt ein Pfiff und die Jungs streben in ihrer Sportkleidung zu dem Flachbau in der Nähe des Ausgangs. Eine Viertelstunde später verlassen sie das Gelände in Zivil. Wir beobachten die Szene von der gegenüberliegenden Straßenseite. Sie sind in Zweier- und Dreier-Grüppchen unterwegs und schwingen sich außerhalb des Tores auf ihre Fahrräder. Ein paar der Jungen kommen alleine heraus. So auch der Junge, auf den uns Lama Tobgyel jetzt aufmerksam macht.
Der Junge stutzt, bleibt stehen und bückt sich zu der Schale hinunter. Er nimmt sie, richtet sich wieder auf und schaut sie sich von allen Seiten an. Seine Freunde reden lachend auf ihn ein. Wir haben uns umgedreht und tun, als ob wir uns angeregt unterhalten. Kurze Blicke über die Schulter zeigen mir, dass er die Schale einsteckt und losfährt, nachdem er seine Tasche wieder auf seinem Rücken befestigt hat.
Lama Tobgyel lächelt mir zu:
"Den ersten Test hat er bestanden! Morgen ist Samstag und somit schulfrei. Wir sollten bis Morgen kurz nach Mittag warten, um die Familie zu besuchen."
"Gut," bestätige ich und nicke.
Wir fahren also wieder ins Kloster zurück. Bevor wir uns in unsere Zimmer zurückziehen, frage ich Lama Tobgyel:
"Wie bist du eigentlich auf den Jungen aufmerksam geworden, Bruder Tobgyel?"
"Ich hatte Visionen," antwortet er mir. "Die Visionen begannen wenige Wochen nachdem Lama Sherab verstorben war, wie meine Nachforschungen ergaben. Die Visionen führten mich immer wieder zu diesem brachliegenden Industriegelände. Vor zwei Jahren hat man begonnen, die Gebäude abzureißen und errichtete dann den Wohnblock dort. Nach und nach zogen Mieter ein. Darunter war auch eine alleinerziehende Mutter mit einem Sohn in genau dem richtigen Alter. In meinen Visionen trat nun Lama Sherab in den Vordergrund. Immer wieder verwischten sich seine Umrisse während meiner Meditationen und die des Jungen traten deutlicher hervor. Daraufhin habe ich dir das Telegramm geschickt, denn nun war ich mir sicher."
"Morgen werden wir Kontakt aufnehmen!" erkläre ich lächelnd.
*
Am späten Mittag des darauffolgenden Tages, einem Samstag, bestellt Lama Tobgyel ein Taxi für uns, so dass wir in unserer Kesa -Mönchsrobe- zu diesem Wohnblock hinausfahren können. Meinen jungen Begleiter lassen wir im Kloster zurück, damit wir die Familie nicht zu sehr stressen. Dort angekommen führt mich Lama Tobgyel schnell von der Straße zu einem Hauseingang und klingelt an einem Namensschild. Kurz darauf höre ich ein Summen und die Tür lässt sich aufdrücken. Wir steigen die Treppe hinauf in den zweiten Stock.
"Hallo, Frau Bäcker," grüßt Lama Tobgyel freundlich die Frau, die vorsichtig durch den Türspalt schaut. "Dürfen wir kurz hereinkommen? Wir behelligen Sie auch nicht lange!"
Die Frau erweitert den Türspalt. Ihr Gesicht ist immer noch ein einziges Fragezeichen.
"Ja, bitte," bestätigt sie und fragt sogleich: "Was möchten Sie?"
Wir falten die Hände und verneigen uns. Lama Tobgyel redet weiter:
"Ihr Sohn muss gestern eine Reisschale gefunden haben, die Lama Sherab gehört hat, einem verehrten Bruder, der leider verstorben ist."
"Oh," macht sie. "Na, kommen Sie erst einmal herein. Was kann ich Ihnen anbieten? Kaffee oder Tee?"
"Tee, wenn Sie so freundlich wären," bittet Lama Tobgyel.
Wir betreten die Wohnung. Die Frau führt uns ins Wohnzimmer. Dort meint sie:
"Entschuldigen Sie mich bitte kurz."
Sie geht in die Küche, ruft aber vom Flur aus:
"Dennis? Da ist Besuch für dich!"
Kurz darauf streckt der Junge seinen Kopf neugierig ins Wohnzimmer. Er macht große Augen als er uns sieht.
... comment