Sonntag, 3. April 2022
Lama Rinpoche -08
Anschließend leeren wir die Reisschalen in einen Behälter an der Zimmertür, bevor die Nonne, die mich hergeführt hat, mich wieder zu meinem Zimmer zurückbringt. An der Tür bedanke ich mich durch eine leichte Verbeugung und das Heben der gefalteten Hände. Sie wiederholt mich lächelnd.

In meinem Zimmer spüle ich meine Reisschale über dem Waschbecken im Bad. Dann wechsele ich meine Jeans und wasche den Speisefleck im Bad aus. Anschließend schaue ich mir die Berglandschaft vor meinem Fenster genauer an. In der Ferne kann ich viele weiße und einige rote Punkte erkennen. Sie sind in ständiger Bewegung auf dem grünen Berghang.
Während meiner Betrachtungen klopft es wieder an meine Tür. Also reiße ich mich von dem Panorama los und gehe zur Tür, um sie zu öffnen. Draußen im Gang stehen Peter, der junge deutsche Mönch, mit Dennis.

"Hallo," begrüße ich beide erfreut.

Peter kommt zu mir herein. Dennis, der einen ernsten, fast feierlichen Gesichtsausdruck macht, folgt ihm. Peter setzt sich im Schneidersitz an den Tisch auf den Boden und bittet uns, ebenfalls Platz zu nehmen. Schnell gehe ich an die Truhe, in der ich die Kissen gefunden habe und lege mir eins unter. Dabei frage ich, ob die anderen Beiden auch ein Kissen haben möchten. Sie schütteln aber den Kopf. Also setze ich mich in der Art der Nonnen auf mein Kissen und lausche, was die Beiden zu berichten haben.

"Jetzt erzähle deiner Mama einmal, was du heute erlebt hast," fordert Peter Dennis auf.

Was mir Dennis danach erzählt, macht mich ein wenig stolz. Aber dennoch bin ich vorsichtig. Ich frage Peter:

"Wenn ich auf Dennis' Zukunft blicke... Ist das alles gut für ihn?"

Peter meint darauf:
"Gerne erzähle ich Ihnen einmal meinen eigenen Werdegang."

Er macht eine Gedankenpause, dann breitet er seinen bisherigen Lebenslauf vor uns aus:

"Ich habe nach der Schule eine Ausbildung im Metallbereich gemacht, danach das Abitur nachgeholt und begonnen zu studieren. Ich wollte damals Ingenieur werden. Einer meiner Mitstudenten kam aus China und lehrte an einem Nachmittag in der Woche Kungfu. - Ähnlich wie die Jungs draußen auf dem Innenhof, machten alle auf Kommando die gleichen Bewegungen und er ging herum und korrigierte uns.
Dabei lernt man nicht viel, wenn man es nicht ständig, auch in seiner Freizeit, wiederholt und die innere Einstellung fehlt. Dann kam die Prüfung für den untersten Gürtelgrad. Ich war erstaunt über die Härte, mit der mein Sparringsgegner mich anging und zog mich erst einmal zurück, obwohl ich an diesem Tag die Prüfung bestanden habe.
In der Folgezeit reifte in mir der Entschluss, nach Asien zu reisen und Land und Leute kennenzulernen. Ich beantragte ein Urlaubssemester und flog als Backpacker hierher. Mit einem Wörterbuch bewaffnet, schaute ich mich bei den Leuten um. Bald kam ich zu diesem Kloster. Hier bot man mir an, die Landessprache und die Sitten und Gebräuche zu erlernen. Ich bezog also ein Gästezimmer wie dieses hier und nahm Sprachunterricht.
Unwillkürlich kam ich dabei mit der buddhistischen Philosophie in Kontakt. Beim Zuschauen der Kungfu-Übungen erzählte ich meinem Tendzin -buddhistischer Lehrer- von meinen diesbezüglichen Vorerfahungen. Er antwortete: 'Kungfu ist keine Kampfkunst. Es durchzieht das ganze Leben. Es bildet den Charakter. Es dient der Selbstverteidigung und zum Frieden schaffen. Das Kungfu ist nicht schlecht, sondern allenfalls ist der Lehrer schlecht.'
Ich habe dann mein Studium an den Nagel gehängt, bin drei Jahre in diesem Kloster geblieben und ging dann nach Deutschland zurück. Dort trat ich dem Kloster bei, wo sie mich kennengelernt haben. Ich habe mich auf die Hausaufgabenbetreuung und Prüfungsvorbereitung der Klosterschüler spezialisiert."

Dennis hängt während Peters Bericht zunehmend an seinen Lippen. Ich frage ihn:

"Was kann ich denn machen, während Dennis Schulzeit hier? Das sind dann sicher keine drei Jahre, sondern länger..."

"Ja," meint Peter. "Wir sollten hier von etwa zehn Jahren ausgehen. Er wird zuerst intensiv in Nepali unterrichtet. Sie können, wie gesagt, ebenfalls an dem Sprachunterricht teilnehmen. Er lernt daneben mit den anderen Schülern auf Nepali zu rechnen und andere Schulfächer. Wie in Deutschland der Religionsunterricht, erlernt er hier die buddhistische Philosophie. Sie wird ihm hier auch vorgelebt und so wird er sie verinnerlichen.
Dann kommt Kungfu hinzu, wie in Deutschland der Sportunterricht. Wie gesagt, es ist kein Kampfsport, sondern fordert den ganzen Körper, die Muskulatur, die Atmung und den Geist.
Wie Sie nun die zehn Jahre an seiner Seite hier im Kloster verbringen wollen? Suchen Sie sich eine Beschäftigung, die Ihnen Spaß macht, die Sie erfüllt. Eine Beschäftigung, bei der Sie sich sagen 'Oh, ist schon Abend?'. Sind Sie künstlerisch begabt, finden Sie in der Landschaft viele Motive. Mögen Sie nähen oder die Arbeit mit Tieren? Die Nonnen können Ihnen da vieles zeigen, wie Sie sich einbringen können!"

"Die Arbeit mit Tieren ist sicher interessant," antworte ich. "Meine Eltern hatten einen Hund... Aber dazu muss ich die Menschen verstehen und mich ihnen mitteilen können."

Peter nickt: "Ich werde Ihnen und Dennis in den nächsten Monaten die Sprache beibringen. Dazu werden wir auch hin und wieder das Kloster verlassen, damit Sie, zum Beispiel auf dem Markt, Ihre neu erworbenen Kenntnisse anwenden können."

Ich bin sofort einverstanden und bestätige:
"Ja, das fände ich gut!"

Besonders gefällt mir, dass ich mich nicht nur innerhalb der Klostermauern aufhalten soll, sondern auch schonmal nach draußen komme.

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