Freitag, 8. April 2022
Lama Rinpoche -13
Ich bin sehr stolz auf Dennis, dass Seine Heiligkeit ihn zum Lama -spirituellen Lehrer- ernannt hat. Er hat mit dem Titel auch einen einheimischen Namen erhalten. Obwohl er nun eine Stimme hat bei den Versammlungen der Lamas und sein Wissen in Kungfu an die Klosterschüler weitergibt, besucht er mich, Vanessa, regelmäßig und fragt häufig nach meinem Befinden.

In der Näherei des Klosters in Nepal habe ich eine erfüllende Beschäftigung gefunden und die Gelongma -Nonne- Amba -Mutter Erde- ist mir eine gute Freundin geworden.

In Deutschland habe ich es früher schwer gehabt. Ich bin in der Ausbildung mit Dennis schwanger geworden. Danach hat mich der Kerl, Dennis Erzeuger, sitzen gelassen. Das hat mich aus der Bahn geworfen. Ich habe zu trinken angefangen und meine Prüfung nicht geschafft. So bin ich zum Sozialfall geworden. Das Amt hat mir eine Wohnung in einem neu errichteten Wohnblock zugewiesen, gerade noch so weit von Dennis Schule entfernt, dass er den Schulweg mit dem Rad zurücklegen kann.

Als Dennis im dritten Schuljahr gewesen ist, sind plötzlich diese Mönche gekommen. Sie haben etwas von 'Wiedergeburt' erzählt, und dass Dennis darauf getestet werden soll - im Himalaya! Ich dürfe ihn begleiten, haben sie gesagt.

Auf Anraten meiner besten Freundin, Alice, habe ich also alle Brücken hinter mir abgebrochen und bin nach Nepal übergesiedelt. Hier bin ich herzlich aufgenommen worden. Niemand hat mich zu irgendetwas überredet. Man hat mir Angebote gemacht. So habe ich die Näherei im Kloster kennengelernt und mit Hilfe der Gelongma Amba meine Sucht überwunden.

Ein Jahr, nachdem aus Dennis Lama Rinpoche geworden ist, hieß es plötzlich, er würde in Deutschland gebraucht. Also sind wir in die Heimat zurückgeflogen. Nun habe ich ein Gästezimmer in dem Kloster bezogen, von dem wir vor zehn Jahren nach Nepal gesandt worden sind.

Da ich noch im Schlaf-Wach-Rhythmus von Nepal bin, habe ich den ersten Tag im Kloster verschlafen. Am Abend klopft es an die Tür, nachdem ich schon eine gute Stunde wieder wach bin. Ich habe das einfache braune Gewand angezogen, das ich in der Näherei in Nepal getragen habe.

Ein junger Mann von höchstens 18 Jahren und asiatischem Aussehen in roter Klosterkleidung tritt ein und bringt mir das Essen auf mein Zimmer. Ich bedanke mich durch das Neigen des Kopfes und das Führen der gefalteten Hände an mein Kinn. Dann bin ich erst einmal wieder alleine. Die erhabene Aussicht aus dem Fenster meines Zimmers in Nepal fehlt mir hier.

Noch einmal eine Stunde später betreten Dennis und Peter mein Zimmer. Wir setzen uns um den niedrigen Tisch auf den Boden und Dennis berichtet, was heute hier geschehen ist:

"Seine Heiligkeit hat mich zum Leiter der Klosterschule gemacht..."

Ich schaue Dennis ungläubig an. Gelong Peter ist inzwischen um die Vierzig und hat langjährige Erfahrungen mit Jugendlichen. Nun bekommt er einen gut zwanzig Jahre jüngeren Vorgesetzten vor die Nase gesetzt? Wie fühlt sich das an?

Peter lächelt. Er scheint meine Gedanken zu erraten und erklärt mir:

"Es ist ja nicht so, dass ab jetzt ein neuer Wind wehen soll. Lama Rinpoche übernimmt die Verantwortung, verteilt die Zuständigkeiten und hat bei Beratungen das letzte Wort. Ich führe meine Arbeit so weiter wie bisher, habe noch einen Bereich hinzubekommen, bin dafür um einen anderen Bereich entlastet worden. Ich stimme mich mit deinem Sohn ab, meine Schwester. Du sollst auch eine Aufgabe bekommen, aber lass dir das von Lama Rinpoche erklären."

Erstaunt und leicht verunsichert wende ich mich wieder Dennis zu.

"Ich habe vorhin mit den Lamas und Gelong des Klosters zu Abend gegessen," erzählt Dennis. "Danach hatte ich eine kurze Unterredung mit Seiner Heiligkeit, wo er mir das alles eröffnet hat. Dann hat er von einem Missstand berichtet: Die Buddhisten sähen es gerne, wenn ein Lama eine Hochzeit leiten würde. Die Summe der Reisen können aber nicht vom Kloster bezahlt werden. Bahnticket und Übernachtung zu spenden, können sich nur Reiche leisten. Die Ärmeren bleiben auf der Strecke. Das Fest selbst kostet ja schon eine Menge Euros. Nun sind aber doch alle Menschen gleich! Also soll ich mir etwas einfallen lassen, über das die Lamas dann beraten wollen..."

"Oh," mache ich, "und an was denkst du da?"

"Ich habe mich mit Peter beraten. Wir müssen Einnahmen generieren. Davon kann ich den Führerschein machen und einen kleinen Lieferwagen kaufen, so einen Kombiwagen ohne hintere seitliche Fenster. Damit komme ich zu den Leuten und kann im Auto übernachten."

"Und wie soll das Kloster an das Geld dafür kommen?" frage ich zweifelnd.

Er lächelt mich mit seinem gewinnenden Lächeln an, das er seit seiner frühen Kindheit 'draufhat', wenn er etwas von mir will und antwortet:

"Das Kloster ist gegenüber dem Finanzamt als Verein angemeldet. Wir dürfen Einkünfte erwirtschaften, nur eben keine Gewinne erzielen. Bisher bestehen die Einkünfte des Klosters hauptsächlich aus Spenden. Das muss sich ändern! Hier kommt die Schneiderei ins Spiel. Mädchen nach dem Schulabschluss, aber ohne Perspektive, kannst du damit eine Zukunft geben. Wir verhandeln mit Modedesignern, ob sie unsere Näherinnen in ihr Studio übernehmen, oder mit nepalesischen Klöstern. Was deine Näherinnen fertigen, versuchen wir gegen Umsatzprozente in kleinen Modegeschäften zu platzieren."

"Das ist eine gute Idee," meine ich.

In meiner Werkstatt im Keller steht eine Ankleidepuppe, ein Zuschneidetisch und acht Nähmaschinen. Im Philosophie-Unterricht der Klosterschule, die Peter bisher gemanagt hat, haben wir bisher etwa 30 Schüler und drei Schülerinnen.
Wir besprechen danach noch Belangloses. Anschließend verabschieden sich beide, denn es ist schon nahe an Mitternacht.

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