Donnerstag, 14. April 2022
Lama Rinpoche -19
mariant, 12:43h
Ich habe den Unterricht mit Noah auf dreimal wöchentlich reduziert, da ich denke, ich muss ihm etwas bieten, das ihn 'bei der Stange hält'. In diesen Tagen spricht mich Mama an und sagt, eine ihrer Klosterschülerinnen hätte ihr eine traurige Geschichte erzählt, die ich mir unbedingt auch einmal anhören müsste. Also mache ich mich nach dem gemeinsamen Abendessen im Thronsaal zu ihr auf den Weg.
Bei ihr angekommen, klopfe ich wie üblich an ihre Tür. Mama öffnet mir und lässt mich eintreten. Außer ihr befindet sich ein asiatisches Mädel von vielleicht 15 oder 16 Jahren im Zimmer. Sie dreht sich neugierig zu mir um und verbeugt sich vor mir so tief, dass ihre Nase sicher fast den Boden berührt.
Ich strecke ihr meine Hand mit nach oben gerichteter Handfläche entgegen und hebe die Hand leicht an. Dabei spreche ich mit sanfter Stimme:
"Erhebe dich, meine Tochter!"
Ich selbst bin zwar fast 20 und damit im richtigen Alter für sie. Als Lama muss ich sie aber als 'meine Tochter' ansprechen, auch wenn sie doppelt so alt wäre. Das Mädel kommt in aufrecht kniende Stellung hoch, setzt sich auf ihre Fersen und wartet ab.
Nun lasse ich mich am Tisch nieder. Sie nimmt die Teekanne hoch und füllt mir und Mama die Tassen, bevor sie sich selbst Tee einschenkt. Ich lasse sie ruhig gewähren, hebe die gefalteten Hände an mein Kinn und verbeuge mich, dankbar lächelnd.
"Hab Dank, meine Tochter," kommentiere ich ihr Tun.
Mama hat bisher geschwiegen. Nun ergreift sie das Wort:
"Dies ist Yong Tai, eine meiner Schülerinnen. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Ich denke, du solltest dir einmal anhören, was sie zu sagen hat."
Also schaue ich sie interessiert an. Zunächst schaut sie wieder zu Boden, dreht sich etwas und verbeugt sich noch einmal in meine Richtung.
"Nun, Yong Tai?" ermuntere ich sie mit sanfter Stimme.
Es hat keinen Sinn, in sie dringen zu wollen. Sie muss erst Vertrauen aufbauen. Nach einer Weile beginnt sie zu erzählen:
"Die ehrwürdige Mimo -Frau, Mutter- hat mich ermuntert, offen über das Schicksal meiner Familie zu sprechen, ehrwürdiger Lama."
"Ja?" frage ich.
"Es ist so, dass meine ehrenwerten Großeltern in unserer früheren Heimat Hongkong zurzeit unter Druck gesetzt werden, damit mein ehrenwerter Vater mit seiner Familie zurückkehrt. Dort droht ihm aber die Verhaftung, und meiner ehrenwerten Mutter und mir das Umerziehungslager.
Meine ehrenwerten Eltern sind mit mir vor etwa 14Jahren nach Deutschland gekommen, weil der ehrenwerte Vater in der Heimat gegen die Chinesen und deren Einfluss in Hongkong demonstriert hat und deshalb von den Chinesen schon einmal verhaftet worden ist.
Nun liegen unsere Hoffnungen hier im Kloster."
Ich greife ihre Hand über den Tisch und bedecke sie mit meiner anderen Hand. Sie beugt sich spontan vor und berührt meinen Handrücken mit ihrer Stirn. Dann richtet sie sich wieder auf und fragt:
"Ist es möglich, meine ehrenwerten Großeltern aus Hongkong herauszuholen, um ihnen hier einen Lebensabend in Freiheit und ohne Repressalien zu gönnen?"
Ich nicke lächelnd und frage zurück:
"Gibt es sonst noch Verwandte in Hongkong, in anderen Städten oder in Taiwan?"
"Die ehrenwerten Großeltern durften nur ein Kind haben. Sie sind vor Jahrzehnten aus der Provinz nach Hongkong gereist und geblieben, weil es dort Arbeit für sie gab," erklärt sie mir.
"Ah, ihr habt schon eine Odyssee hinter euch," antworte ich. "Ich werde Seiner Heiligkeit deine Geschichte vortragen! Gemeinsam werden wir eine Lösung finden!"
Vor Freude verbeugt sich das Mädel noch einmal neben dem Tisch bis ihre Stirn fast den Boden berührt. Anschließend schickt Mama sie in ihren Schlafsaal. Sie erhebt sich mit glücklichem Gesicht und hat Mamas Zimmer kurz darauf verlassen.
Am nächsten Morgen berichte ich Seiner Heiligkeit nach dem Frühstück von Yong Tais Geschichte. Er nickt dazu und klatscht in die Hand. Den Gelong, der nun zum Thronsaal hereinschaut, schickt er nach der Klosterschülerin. Ich bleibe neben Seiner Heiligkeit auf dem Boden sitzen.
Wenige Minuten später öffnet sich die Tür des Thronsaales erneut. Der Gelong lässt die Schülerin eintreten und schließt hinter ihr die Tür. Yong Tai fällt an der Tür auf die Knie und verbeugt sich ehrfurchtsvoll in Richtung Seiner Heiligkeit.
"Komm näher, meine Tochter!" fordert Seine Heiligkeit sie mit sanfter mitfühlender Stimme auf.
Schüchtern rutscht sie auf ihren Knien näher, immer wieder den Boden mit der Stirn berührend.
"Berichte mir vom Schicksal deiner ehrenwerten Familie," ermuntert Seine Heiligkeit das Mädel.
Sie wiederholt, was sie mir am Vorabend schon berichtet hat.
"Kennst du den Weg vom Flughafen zur Adresse deiner ehrenwerten Großeltern?" fragt Seine Heiligkeit, nachdem sie geendet hat.
Sie schüttelt traurig den Kopf. Die ganze Zeit hält sie ihren Blick zu Boden gerichtet.
"Aber deine ehrenwerten Eltern haben die Adresse?" hakt Seine Heiligkeit nach.
Nun nickt sie heftig und hebt die gefalteten Hände an ihre Lippen.
"Wir werden deiner ehrenwerten Familie helfen!" kündigt Seine Heiligkeit ihr an. "Dafür muss ich aber mit deinem ehrenwerten Vater sprechen! Ist es möglich, dass er das Kloster in Kürze aufsucht?"
Jetzt schießen ihr Tränen in die Augen und laufen die Wangen hinunter. Sie legt sich platt auf den Boden. Ihre Schultern zucken durch das Weinen. Ich erhebe mich nun und nähere mich ihr, um sie sanft an den Schultern anzuheben. Sie lehnt sich bei mir an und ich trockne ihr die Tränen.
"Berichte deinen ehrenwerten Eltern von der Unterredung und dass dein ehrenwerter Vater baldmöglichst das Kloster aufsuchen soll," flüstere ich mit sanfter Stimme.
Ich habe selten ein so glückliches Gesicht gesehen! Sie erhebt sich vollends und verlässt rückwärtsgehend mit vielen Verbeugungen den Raum. Als ich mit Seiner Heiligkeit alleine bin, wendet er sich an mich.
"Was sagst du, Bruder Rinpoche?"
"Ich würde in Zivil nach Hongkong fliegen und die Schülerin als 'Gästebetreuerin' mitnehmen, die einem Touristen ihre Heimat zeigt. Wir besuchen ihre Großeltern und sie redet mit ihnen, dass wir dann zu viert die Stadt verlassen."
"Die Idee, als Tourist einzureisen ist nicht schlecht. Aber die Leute mit dem Flugzeug ausreisen zu lassen, ist gefährlich, Bruder Rinpoche."
Bei ihr angekommen, klopfe ich wie üblich an ihre Tür. Mama öffnet mir und lässt mich eintreten. Außer ihr befindet sich ein asiatisches Mädel von vielleicht 15 oder 16 Jahren im Zimmer. Sie dreht sich neugierig zu mir um und verbeugt sich vor mir so tief, dass ihre Nase sicher fast den Boden berührt.
Ich strecke ihr meine Hand mit nach oben gerichteter Handfläche entgegen und hebe die Hand leicht an. Dabei spreche ich mit sanfter Stimme:
"Erhebe dich, meine Tochter!"
Ich selbst bin zwar fast 20 und damit im richtigen Alter für sie. Als Lama muss ich sie aber als 'meine Tochter' ansprechen, auch wenn sie doppelt so alt wäre. Das Mädel kommt in aufrecht kniende Stellung hoch, setzt sich auf ihre Fersen und wartet ab.
Nun lasse ich mich am Tisch nieder. Sie nimmt die Teekanne hoch und füllt mir und Mama die Tassen, bevor sie sich selbst Tee einschenkt. Ich lasse sie ruhig gewähren, hebe die gefalteten Hände an mein Kinn und verbeuge mich, dankbar lächelnd.
"Hab Dank, meine Tochter," kommentiere ich ihr Tun.
Mama hat bisher geschwiegen. Nun ergreift sie das Wort:
"Dies ist Yong Tai, eine meiner Schülerinnen. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Ich denke, du solltest dir einmal anhören, was sie zu sagen hat."
Also schaue ich sie interessiert an. Zunächst schaut sie wieder zu Boden, dreht sich etwas und verbeugt sich noch einmal in meine Richtung.
"Nun, Yong Tai?" ermuntere ich sie mit sanfter Stimme.
Es hat keinen Sinn, in sie dringen zu wollen. Sie muss erst Vertrauen aufbauen. Nach einer Weile beginnt sie zu erzählen:
"Die ehrwürdige Mimo -Frau, Mutter- hat mich ermuntert, offen über das Schicksal meiner Familie zu sprechen, ehrwürdiger Lama."
"Ja?" frage ich.
"Es ist so, dass meine ehrenwerten Großeltern in unserer früheren Heimat Hongkong zurzeit unter Druck gesetzt werden, damit mein ehrenwerter Vater mit seiner Familie zurückkehrt. Dort droht ihm aber die Verhaftung, und meiner ehrenwerten Mutter und mir das Umerziehungslager.
Meine ehrenwerten Eltern sind mit mir vor etwa 14Jahren nach Deutschland gekommen, weil der ehrenwerte Vater in der Heimat gegen die Chinesen und deren Einfluss in Hongkong demonstriert hat und deshalb von den Chinesen schon einmal verhaftet worden ist.
Nun liegen unsere Hoffnungen hier im Kloster."
Ich greife ihre Hand über den Tisch und bedecke sie mit meiner anderen Hand. Sie beugt sich spontan vor und berührt meinen Handrücken mit ihrer Stirn. Dann richtet sie sich wieder auf und fragt:
"Ist es möglich, meine ehrenwerten Großeltern aus Hongkong herauszuholen, um ihnen hier einen Lebensabend in Freiheit und ohne Repressalien zu gönnen?"
Ich nicke lächelnd und frage zurück:
"Gibt es sonst noch Verwandte in Hongkong, in anderen Städten oder in Taiwan?"
"Die ehrenwerten Großeltern durften nur ein Kind haben. Sie sind vor Jahrzehnten aus der Provinz nach Hongkong gereist und geblieben, weil es dort Arbeit für sie gab," erklärt sie mir.
"Ah, ihr habt schon eine Odyssee hinter euch," antworte ich. "Ich werde Seiner Heiligkeit deine Geschichte vortragen! Gemeinsam werden wir eine Lösung finden!"
Vor Freude verbeugt sich das Mädel noch einmal neben dem Tisch bis ihre Stirn fast den Boden berührt. Anschließend schickt Mama sie in ihren Schlafsaal. Sie erhebt sich mit glücklichem Gesicht und hat Mamas Zimmer kurz darauf verlassen.
Am nächsten Morgen berichte ich Seiner Heiligkeit nach dem Frühstück von Yong Tais Geschichte. Er nickt dazu und klatscht in die Hand. Den Gelong, der nun zum Thronsaal hereinschaut, schickt er nach der Klosterschülerin. Ich bleibe neben Seiner Heiligkeit auf dem Boden sitzen.
Wenige Minuten später öffnet sich die Tür des Thronsaales erneut. Der Gelong lässt die Schülerin eintreten und schließt hinter ihr die Tür. Yong Tai fällt an der Tür auf die Knie und verbeugt sich ehrfurchtsvoll in Richtung Seiner Heiligkeit.
"Komm näher, meine Tochter!" fordert Seine Heiligkeit sie mit sanfter mitfühlender Stimme auf.
Schüchtern rutscht sie auf ihren Knien näher, immer wieder den Boden mit der Stirn berührend.
"Berichte mir vom Schicksal deiner ehrenwerten Familie," ermuntert Seine Heiligkeit das Mädel.
Sie wiederholt, was sie mir am Vorabend schon berichtet hat.
"Kennst du den Weg vom Flughafen zur Adresse deiner ehrenwerten Großeltern?" fragt Seine Heiligkeit, nachdem sie geendet hat.
Sie schüttelt traurig den Kopf. Die ganze Zeit hält sie ihren Blick zu Boden gerichtet.
"Aber deine ehrenwerten Eltern haben die Adresse?" hakt Seine Heiligkeit nach.
Nun nickt sie heftig und hebt die gefalteten Hände an ihre Lippen.
"Wir werden deiner ehrenwerten Familie helfen!" kündigt Seine Heiligkeit ihr an. "Dafür muss ich aber mit deinem ehrenwerten Vater sprechen! Ist es möglich, dass er das Kloster in Kürze aufsucht?"
Jetzt schießen ihr Tränen in die Augen und laufen die Wangen hinunter. Sie legt sich platt auf den Boden. Ihre Schultern zucken durch das Weinen. Ich erhebe mich nun und nähere mich ihr, um sie sanft an den Schultern anzuheben. Sie lehnt sich bei mir an und ich trockne ihr die Tränen.
"Berichte deinen ehrenwerten Eltern von der Unterredung und dass dein ehrenwerter Vater baldmöglichst das Kloster aufsuchen soll," flüstere ich mit sanfter Stimme.
Ich habe selten ein so glückliches Gesicht gesehen! Sie erhebt sich vollends und verlässt rückwärtsgehend mit vielen Verbeugungen den Raum. Als ich mit Seiner Heiligkeit alleine bin, wendet er sich an mich.
"Was sagst du, Bruder Rinpoche?"
"Ich würde in Zivil nach Hongkong fliegen und die Schülerin als 'Gästebetreuerin' mitnehmen, die einem Touristen ihre Heimat zeigt. Wir besuchen ihre Großeltern und sie redet mit ihnen, dass wir dann zu viert die Stadt verlassen."
"Die Idee, als Tourist einzureisen ist nicht schlecht. Aber die Leute mit dem Flugzeug ausreisen zu lassen, ist gefährlich, Bruder Rinpoche."
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