Freitag, 20. September 2024
Neue Philosophie -34
Nun schaut er mich aufmerksam an. Plötzlich sehe ich einen Schatten vor der Sonne, der den Zeremonienplatz inmitten des Shabono -Dorfes- kurz beschattet. Ich schaue in den Himmel und sehe zwei Harpyien, die hintereinander fliegen und eine Hängematte zwischen ihren Klauen tragen. Sie setzen die Matte ab und einen Sekundenbruchteil später landen sie ebenfalls. Sie beugen sich zu ihren Klauen herunter und beißen die Fasern der Bananenstaude durch, woraus die Hängematte hergestellt ist. Danach breiten sie ihre Flügel aus und starten mit einem Schrei.

Mich hält nun nichts mehr auf meinem Platz. Ich springe auf und laufe zu Waitheri, um sie in den Arm zu nehmen.

*

Mein Name ist Waitheri. Ich bin die Enkelin der Okape -Schamanin- unseres Dorfes und auch des Häuptlings. Mama hat mich schon früh in den Urihi -Erdenwald- mitgenommen, um mir zu zeigen und zu erklären, was für mich dort überlebenswichtig ist. Sie hat mir den Unterschied zwischen den Yaro -jagdbaren Tieren- und den Rishi -Doppeltieren- genannt und mir gezeigt, um welche es sich jeweils handelt. Die Rishi heißen so, weil ihr Schicksal mit jeweils einem Yanomami verbunden ist. Stirbt ein Rishi, stirbt zugleich auch ein Yanomami - und umgekehrt. Darum haben wir einen heiligen Respekt vor ihnen.

Außerdem gibt es noch die Waldgeister und unsere Götter. Alles hängt miteinander zusammen. Daneben gibt es im Urihi noch eine Menge Pflanzen und Pilze, die gesund- oder krankmachend wirken. Durch die Wirkung einiger Pflanzensäfte nimmt die Schamanin Kontakt mit der Welt der Götter und Geister auf. Mama zeigt mir auch diese Pflanzen und erklärt sie mir.

Noch bevor ich meine erste Blutung bekomme und dadurch zur Frau werde, muss ich die Initiation über mich ergehen lassen. Das bedeutet, ich gehe zum ersten Mal alleine mit meinen Waffen in den Wald und soll dort ein Yaro schießen, es ins Dorf zurückbringen, um danach in den Kreis der Jäger aufgenommen zu werden. Als vollwertiger Jäger bin ich auch berechtigt, im Rat des Dorfes meine Stimme zu erheben. Ich bin dann keine Suweheri -'auf dem Weg zur Frau'- mehr.

Mithilfe eines mir wohlgesonnenen Rishi, des Jaguars Ketetiwe, den meine Eltern großgezogen haben, ist es mir gelungen, ein geschossenes Pekari ins Dorf zurückzubringen. Wie es unter Jägern Brauch ist, habe ich es verschenkt. Als Adressat habe ich mir den Chef der Jäger unseres Dorfes ausgesucht, denn sein Urteil wiegt schwer im Rat des Shabono. Er hat nun meine Eltern und mich zu einem Festmahl eingeladen, bei dem das Pekari gegessen wird. Den Rest haben die Nachbarn erhalten. So wird alles verbraucht, was erjagt wird.

Papa hat von Hwamape -Besuchern-, die sich manchmal seltsam verhalten, vor meiner Geburt eine ‚Hornisse‘ geschenkt bekommen. Sie sieht zwar nicht aus wie eine echte Hornisse, aber wenn sie fliegt macht sie genau das Geräusch dieses wütenden Waldgeistes. Sie zeigt Papa, was in etwa einem Tag Fußmarsch Entfernung vor sich geht.

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