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Dienstag, 15. März 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -50
mariant, 10:47h
Mit neuer Zuversicht versehen fahre ich nach Paris zurück und fliege nach Hawaii. In den folgenden zehn Monaten bin ich für 'meine' Kinder als Vertrauenslehrerin aktiv. Dann stehen die Sommerferien in Frankreich an. Gyana und Andrea erlauben mir, mich mit Thaye zu beschäftigen und ihm auch das deutsche Kloster zu zeigen. Ich lege Daddys Reisschale und seinen Mönchshut zu den anderen Sachen in meinen Koffer.
In Weiterswiller gehe ich zuerst zu seinem Lehrer und höre eine sehr gute Beurteilung aus dessen Mund. Stolz auf meinen jungen Neffen steigt in mir auf. Anschließend lasse ich mich zu seinem Schlafraum führen. Dort finde ich Thaye im angeregten Gespräch mit seinen Zimmergenossen. Schon auf dem Gang hört man sie lachen. Ich denke, die meisten der Kinder werden von ihren Eltern abgeholt und sind schon in Ferienstimmung.
Als ich in der Tür des Schlafraumes erscheine, schauen zwei oder drei der Jungs auf, darunter auch Thaye. Mein Neffe strahlt über das ganze Gesicht und erhebt sich aus dem Schneidersitz. Er kommt auf mich zugelaufen und versucht mich mit seinen Ärmchen zu umfangen.
"Tante Anne! Du hier?"
"Ja, Thaye," sage ich lächelnd. "Ich habe gehört, dass dein Lehrer dich sehr lobt. Deshalb habe ich gedacht, wir machen eine Reise."
"Fliegen wir nach Hawaii?" fragt der Junge freudestrahlend.
"Nein," dämpfe ich seinen Optimismus. "Wir wollen in den Fußspuren deines Großvaters wandeln. Dazu müssen wir erst einmal mit dem Zug nach Cologne fahren und dort umsteigen."
"Mein Großvater... Das war doch Lama Kyobpa. Hat er in Allemagne gelebt, bevor er nach Hawaii kam?"
"Genauso ist es, Thaye."
*
Wir nehmen in der Herberge vor dem deutschen Kloster ein Zimmer und essen im Restaurant. Anschließend suchen wir unser Zimmer in den oberen Etagen. Thaye erobert sogleich das Obere des Etagenbettes und platziert den Drachen, den ich ihm aus Hawaii mitgebracht habe auf dem Kopfkissen. Ich nehme eine Handtasche mit geheimnisvollem Inhalt aus dem Koffer und sage zu Thaye:
"Komm, wir besuchen als erstes das Kloster!"
Wieder äußere ich dort den Wunsch, den Khenchen Lama zu sehen.
"Es ist Essenszeit," wird mir geantwortet. "Es wird etwas dauern bis er Audienzen macht."
"Ich warte gerne," erwidere ich.
In einem Nebenraum des großen Foyers lasse ich mich in den Schneidersitz nieder und sage zu Thaye:
"Komm zu mir, Thaye. Lama Rinpoche wird bald Zeit für uns haben."
Der Junge setzt sich eine Weile neben mich, dann hält es ihn aber nicht mehr an seinem Platz. Ich erlaube ihm, im Innenhof mit den hiesigen Schülern Ball zu spielen. Ich sehe durch die Tür des Besucherraums noch, wie er Gebetsmühlen dreht und dann durch die Tür zum Innenhof hinausläuft.
Vielleicht eine Viertelstunde später kommt der Gelong zu mir, der für die Besucher zuständig ist und sagt, dass Seine Heiligkeit inzwischen in seinen Privatgemächern weilt. Ich bin kurz in eine leichte Meditation versunken und erhebe mich nun.
Mit einem Riesenschreck muss ich feststellen, dass Thaye fehlt. Sofort laufe ich hinaus auf den Innenhof. Die Jugendlichen dort sagen mir, dass ein Junge, auf den meine Beschreibung passt, kurz da gewesen ist. Dann ist er aber wieder ins Gebäude zurückgegangen.
Der Gelong beruhigt mich:
"Hier im Kloster geht niemand verloren! Ich bringe Sie zu Seiner Heiligkeit und schaue mich danach nach ihrem Jungen um."
Also folge ich dem Gelong. Im Wohnraum Seiner Heiligkeit finde ich dann Thaye im Lehrgespräch über die mönchischen Tugenden mit dem Khenchen Lama. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Nachdem ich seine Heiligkeit mit einer tiefen Verbeugung begrüßt habe, wende ich mich Thaye zu:
"Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, Thaye! Du warst plötzlich verschwunden. Was hätte ich deinen Eltern sagen sollen, wenn dir ein Unglück geschehen wäre?"
Thaye erhebt sich und umarmt mich.
"Aber Tante Anne, hier bin ich im Haus meines Großvaters. Was soll mir hier schon passieren?"
Ich schüttele gequält lächelnd den Kopf, ob solcher Einfalt, die sicher seinem kindlichen Alter geschuldet ist. Seine Heiligkeit fragt nun:
"Sei gegrüßt, meine Tochter. Hast du die Gegenstände in deiner Tasche, von denen wir bei deinem letzten Besuch gesprochen haben?"
In Weiterswiller gehe ich zuerst zu seinem Lehrer und höre eine sehr gute Beurteilung aus dessen Mund. Stolz auf meinen jungen Neffen steigt in mir auf. Anschließend lasse ich mich zu seinem Schlafraum führen. Dort finde ich Thaye im angeregten Gespräch mit seinen Zimmergenossen. Schon auf dem Gang hört man sie lachen. Ich denke, die meisten der Kinder werden von ihren Eltern abgeholt und sind schon in Ferienstimmung.
Als ich in der Tür des Schlafraumes erscheine, schauen zwei oder drei der Jungs auf, darunter auch Thaye. Mein Neffe strahlt über das ganze Gesicht und erhebt sich aus dem Schneidersitz. Er kommt auf mich zugelaufen und versucht mich mit seinen Ärmchen zu umfangen.
"Tante Anne! Du hier?"
"Ja, Thaye," sage ich lächelnd. "Ich habe gehört, dass dein Lehrer dich sehr lobt. Deshalb habe ich gedacht, wir machen eine Reise."
"Fliegen wir nach Hawaii?" fragt der Junge freudestrahlend.
"Nein," dämpfe ich seinen Optimismus. "Wir wollen in den Fußspuren deines Großvaters wandeln. Dazu müssen wir erst einmal mit dem Zug nach Cologne fahren und dort umsteigen."
"Mein Großvater... Das war doch Lama Kyobpa. Hat er in Allemagne gelebt, bevor er nach Hawaii kam?"
"Genauso ist es, Thaye."
*
Wir nehmen in der Herberge vor dem deutschen Kloster ein Zimmer und essen im Restaurant. Anschließend suchen wir unser Zimmer in den oberen Etagen. Thaye erobert sogleich das Obere des Etagenbettes und platziert den Drachen, den ich ihm aus Hawaii mitgebracht habe auf dem Kopfkissen. Ich nehme eine Handtasche mit geheimnisvollem Inhalt aus dem Koffer und sage zu Thaye:
"Komm, wir besuchen als erstes das Kloster!"
Wieder äußere ich dort den Wunsch, den Khenchen Lama zu sehen.
"Es ist Essenszeit," wird mir geantwortet. "Es wird etwas dauern bis er Audienzen macht."
"Ich warte gerne," erwidere ich.
In einem Nebenraum des großen Foyers lasse ich mich in den Schneidersitz nieder und sage zu Thaye:
"Komm zu mir, Thaye. Lama Rinpoche wird bald Zeit für uns haben."
Der Junge setzt sich eine Weile neben mich, dann hält es ihn aber nicht mehr an seinem Platz. Ich erlaube ihm, im Innenhof mit den hiesigen Schülern Ball zu spielen. Ich sehe durch die Tür des Besucherraums noch, wie er Gebetsmühlen dreht und dann durch die Tür zum Innenhof hinausläuft.
Vielleicht eine Viertelstunde später kommt der Gelong zu mir, der für die Besucher zuständig ist und sagt, dass Seine Heiligkeit inzwischen in seinen Privatgemächern weilt. Ich bin kurz in eine leichte Meditation versunken und erhebe mich nun.
Mit einem Riesenschreck muss ich feststellen, dass Thaye fehlt. Sofort laufe ich hinaus auf den Innenhof. Die Jugendlichen dort sagen mir, dass ein Junge, auf den meine Beschreibung passt, kurz da gewesen ist. Dann ist er aber wieder ins Gebäude zurückgegangen.
Der Gelong beruhigt mich:
"Hier im Kloster geht niemand verloren! Ich bringe Sie zu Seiner Heiligkeit und schaue mich danach nach ihrem Jungen um."
Also folge ich dem Gelong. Im Wohnraum Seiner Heiligkeit finde ich dann Thaye im Lehrgespräch über die mönchischen Tugenden mit dem Khenchen Lama. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Nachdem ich seine Heiligkeit mit einer tiefen Verbeugung begrüßt habe, wende ich mich Thaye zu:
"Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht, Thaye! Du warst plötzlich verschwunden. Was hätte ich deinen Eltern sagen sollen, wenn dir ein Unglück geschehen wäre?"
Thaye erhebt sich und umarmt mich.
"Aber Tante Anne, hier bin ich im Haus meines Großvaters. Was soll mir hier schon passieren?"
Ich schüttele gequält lächelnd den Kopf, ob solcher Einfalt, die sicher seinem kindlichen Alter geschuldet ist. Seine Heiligkeit fragt nun:
"Sei gegrüßt, meine Tochter. Hast du die Gegenstände in deiner Tasche, von denen wir bei deinem letzten Besuch gesprochen haben?"
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Montag, 14. März 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -49
mariant, 11:39h
Der Gelong fordert mich höflich auf, ihm zu folgen. Wir gehen durch die Gänge des Klosters zu den Privaträumen des Khenchen Lama. Dort klopft er an. Ein weiterer Gelong öffnet. Es ist der Sekretär Seiner Heiligkeit. Er hört sich an, was mein Führer sagt und wendet sich anschließend mir zu:
"Verehrte Schwester, Seine Heiligkeit ist gerade in einer Meditation versunken..."
Ich frage ihn nun:
"Darf ich mich nicht leise zu ihm setzen und warten?"
Bevor der Sekretär mich abwimmelt und auf irgendwann später vertröstet, drücke ich mich an ihm vorbei und steuere direkt den Wohnraum Seiner Heiligkeit an, um mich ihm gegenüber leise niederzulassen. In dieser Stellung warte ich. Lama Rinpoche ist mit über achtzig Jahren ein Mann, der uns auch, genau wie Daddy, in einer tiefen Meditation verlassen könnte, wie ich insgeheim befürchte.
Doch plötzlich öffnet er die Augen, sieht mich und seine Augen leuchten im Erkennen auf. Er hebt mir beide Arme mit offenen Händen entgegen. Ich greife über den niedrigen Tisch und drücke sie, während ich mich tief verbeuge.
Der Sekretär tritt hinzu. Seinem Gesichtsausdruck ist zu entnehmen, dass er die 'Störung' Seiner Heiligkeit auf mich abwälzen will. Aber Lama Rinpoche schickt ihn zurück. Er begrüßt mich:
"Sei gegrüßt, meine Schwester. Bringst du mir Neuigkeiten von Hawaii? Wie geht es Lama Kyobpa, deiner ehrenwerten Schwester und Seiner Eminenz Lama Khön Gyana?"
Ich habe einen Kloß im Hals und Tränen in den Augen. Eine Zeitlang kann ich nicht antworten. Seine Heiligkeit holt ein Tuch aus seinem Gewand, das er mir reicht. Nachdem ich mich wieder gefasst habe, beginne ich zu berichten:
"Der ehrwürdige Lama Kyobpa, mein geliebter Daddy, ist vor sechs Jahren heimgegangen. Er ist aus einer tagelangen tiefen Meditation nicht wieder erwacht..."
Seine Heiligkeit legt mir seine Hände tröstend auf die Unterarme.
"Dein ehrenwerter Daddy lässt dich nicht im Stich, Anne oder Yong Tai. Er hat die Foundation vertrauensvoll in eure und die Hände Seiner Eminenz gelegt und dürfte irgendwo in deiner Nähe bleiben wollen. Habt ihr schon nach einer möglichen Wiedergeburt gesucht?"
Ich schüttele den Kopf und erkläre dem Khenchen Lama:
"Seine Eminenz und meine verehrte Schwester hatten vor sechs Jahren Nachwuchs geplant, nachdem das Lehrerkollegium soweit angewachsen ist, dass sie in der Arbeit mit den Kindern kürzertreten können. Neun Monate nach Daddys Heimgang gebar Andrea einen süßen Jungen, dessen Patentante ich seitdem bin.
Ich habe mich seither oft mit Thaye beschäftigt. Irgendwann hat er den alten Drachen entdeckt: Das Stofftier, dass Daddy in seiner Jugend Yong Tai geschenkt hat! Seitdem hat er es immer zum Einschlafen gebraucht. Letztes Jahr, als er zum ersten Mal in einem Schlafsaal mit Gleichaltrigen übernachten sollte, hat er es mir geschenkt, damit es ab jetzt 'auf mich aufpasst'.
Nun bin ich mit Thaye nach Europa gekommen, weil seine Eltern entschieden haben, dass er die Klosterschule in Weiterswiller besucht. Nach den Feierlichkeiten bin ich nun zu Ihnen weitergereist, Eure Heiligkeit..."
"Du hast einen bestimmten Verdacht, meine Tochter..." lässt sich Seine Heiligkeit vernehmen.
Ich nicke.
"Meiner Meinung nach muss Daddy in Thaye aufgegangen sein."
"Hast du ihm einmal Dinge vorgelegt, die Lama Kyobpa gehört haben, ganz profane, wie seine Reisschale zum Beispiel?"
"Noch nicht," antworte ich ihm. "Ich will kein großes Aufhebens machen. Dass Thaye den Drachen entdeckt hat und nur mit ihm in seinem Bettchen durchschlafen konnte, ist in den Augen seiner Eltern kein Beweis. Sie wollen anscheinend keine alten Geschichten aufwühlen."
"Dir ist es aber wichtig genug, um mit dem Wissen wieder ruhig schlafen zu können. Du wärst innerlich befreit, dankbar und glücklich, wenn du in Thaye mehr als deinen Neffen sehen könntest?"
Ich lächele Seine Heiligkeit befreit an. Der alte Mann scheint mich zu verstehen.
"Wenn sich bei der Prüfung aber herausstellen sollte, dass Thaye doch nicht die Seele Noahs beherbergt... Würde das etwas an deinen Gefühlen zu dem Jungen ändern? Noah könnte doch auch hier in der Nähe des Klosters wiedergeboren sein..."
"Nein!" sage ich, vielleicht eine Spur zu heftig. "Thaye wird immer meine Liebe als Tante behalten, egal ob Daddy in ihm weiterlebt oder nicht!"
"Okay," entscheidet Seine Heiligkeit nun. "Dann reise mit gutem Gewissen nach Hawaii zurück. Thaye ist in Weiterswiller in guten Händen! In den großen Ferien im nächsten Jahr kommst du ihn wieder besuchen und machst mit ihm eine 'Reise in das Land seines Großvaters, des großen Lamas Kyobpa'. Komm hierher, zeige ihm das Kloster. Bei dieser Gelegenheit werden wir ihn prüfen. Dazu musst du aber ein paar profane Gegenstände aus dem Besitz deines ehrenwerten Daddys mitbringen, von denen Thaye nichts wissen darf!"
"Verehrte Schwester, Seine Heiligkeit ist gerade in einer Meditation versunken..."
Ich frage ihn nun:
"Darf ich mich nicht leise zu ihm setzen und warten?"
Bevor der Sekretär mich abwimmelt und auf irgendwann später vertröstet, drücke ich mich an ihm vorbei und steuere direkt den Wohnraum Seiner Heiligkeit an, um mich ihm gegenüber leise niederzulassen. In dieser Stellung warte ich. Lama Rinpoche ist mit über achtzig Jahren ein Mann, der uns auch, genau wie Daddy, in einer tiefen Meditation verlassen könnte, wie ich insgeheim befürchte.
Doch plötzlich öffnet er die Augen, sieht mich und seine Augen leuchten im Erkennen auf. Er hebt mir beide Arme mit offenen Händen entgegen. Ich greife über den niedrigen Tisch und drücke sie, während ich mich tief verbeuge.
Der Sekretär tritt hinzu. Seinem Gesichtsausdruck ist zu entnehmen, dass er die 'Störung' Seiner Heiligkeit auf mich abwälzen will. Aber Lama Rinpoche schickt ihn zurück. Er begrüßt mich:
"Sei gegrüßt, meine Schwester. Bringst du mir Neuigkeiten von Hawaii? Wie geht es Lama Kyobpa, deiner ehrenwerten Schwester und Seiner Eminenz Lama Khön Gyana?"
Ich habe einen Kloß im Hals und Tränen in den Augen. Eine Zeitlang kann ich nicht antworten. Seine Heiligkeit holt ein Tuch aus seinem Gewand, das er mir reicht. Nachdem ich mich wieder gefasst habe, beginne ich zu berichten:
"Der ehrwürdige Lama Kyobpa, mein geliebter Daddy, ist vor sechs Jahren heimgegangen. Er ist aus einer tagelangen tiefen Meditation nicht wieder erwacht..."
Seine Heiligkeit legt mir seine Hände tröstend auf die Unterarme.
"Dein ehrenwerter Daddy lässt dich nicht im Stich, Anne oder Yong Tai. Er hat die Foundation vertrauensvoll in eure und die Hände Seiner Eminenz gelegt und dürfte irgendwo in deiner Nähe bleiben wollen. Habt ihr schon nach einer möglichen Wiedergeburt gesucht?"
Ich schüttele den Kopf und erkläre dem Khenchen Lama:
"Seine Eminenz und meine verehrte Schwester hatten vor sechs Jahren Nachwuchs geplant, nachdem das Lehrerkollegium soweit angewachsen ist, dass sie in der Arbeit mit den Kindern kürzertreten können. Neun Monate nach Daddys Heimgang gebar Andrea einen süßen Jungen, dessen Patentante ich seitdem bin.
Ich habe mich seither oft mit Thaye beschäftigt. Irgendwann hat er den alten Drachen entdeckt: Das Stofftier, dass Daddy in seiner Jugend Yong Tai geschenkt hat! Seitdem hat er es immer zum Einschlafen gebraucht. Letztes Jahr, als er zum ersten Mal in einem Schlafsaal mit Gleichaltrigen übernachten sollte, hat er es mir geschenkt, damit es ab jetzt 'auf mich aufpasst'.
Nun bin ich mit Thaye nach Europa gekommen, weil seine Eltern entschieden haben, dass er die Klosterschule in Weiterswiller besucht. Nach den Feierlichkeiten bin ich nun zu Ihnen weitergereist, Eure Heiligkeit..."
"Du hast einen bestimmten Verdacht, meine Tochter..." lässt sich Seine Heiligkeit vernehmen.
Ich nicke.
"Meiner Meinung nach muss Daddy in Thaye aufgegangen sein."
"Hast du ihm einmal Dinge vorgelegt, die Lama Kyobpa gehört haben, ganz profane, wie seine Reisschale zum Beispiel?"
"Noch nicht," antworte ich ihm. "Ich will kein großes Aufhebens machen. Dass Thaye den Drachen entdeckt hat und nur mit ihm in seinem Bettchen durchschlafen konnte, ist in den Augen seiner Eltern kein Beweis. Sie wollen anscheinend keine alten Geschichten aufwühlen."
"Dir ist es aber wichtig genug, um mit dem Wissen wieder ruhig schlafen zu können. Du wärst innerlich befreit, dankbar und glücklich, wenn du in Thaye mehr als deinen Neffen sehen könntest?"
Ich lächele Seine Heiligkeit befreit an. Der alte Mann scheint mich zu verstehen.
"Wenn sich bei der Prüfung aber herausstellen sollte, dass Thaye doch nicht die Seele Noahs beherbergt... Würde das etwas an deinen Gefühlen zu dem Jungen ändern? Noah könnte doch auch hier in der Nähe des Klosters wiedergeboren sein..."
"Nein!" sage ich, vielleicht eine Spur zu heftig. "Thaye wird immer meine Liebe als Tante behalten, egal ob Daddy in ihm weiterlebt oder nicht!"
"Okay," entscheidet Seine Heiligkeit nun. "Dann reise mit gutem Gewissen nach Hawaii zurück. Thaye ist in Weiterswiller in guten Händen! In den großen Ferien im nächsten Jahr kommst du ihn wieder besuchen und machst mit ihm eine 'Reise in das Land seines Großvaters, des großen Lamas Kyobpa'. Komm hierher, zeige ihm das Kloster. Bei dieser Gelegenheit werden wir ihn prüfen. Dazu musst du aber ein paar profane Gegenstände aus dem Besitz deines ehrenwerten Daddys mitbringen, von denen Thaye nichts wissen darf!"
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Sonntag, 13. März 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -48
mariant, 11:40h
"Sollte es ein Sohn werden, nennen wir ihn 'Thaye Tenzin' -grenzenloses Wissen-," sagt Gyana. "Bei einem Namen für eine Tochter bin ich mir noch nicht sicher... 'Yong Tai' vielleicht?"
"Nein!" sage ich, wieder selbstsicher. "Nicht genauso wie die Foundation! Das wäre eine zu große Bürde für das Kind!"
"Okay, okay," meint er versöhnlich. "Kommt Zeit, kommt Rat!"
*
Wir haben uns im Falle eines Mädchens für 'Meto Drime' -makellose Blume- entschieden. Dabei habe ich auf Gyanas Wissen vertraut, mich selbst aber eher am Klang der Namen orientiert.
Die Schwangerschaftswochen sind Wechselbäder der Gefühle. Auch mir fehlt Daddy sehr. Seine Nähe hat mir bisher immer die nötige Sicherheit vermittelt. Bei den Untersuchungen wird schließlich klar, dass ich einen süßen Jungen unter dem Herzen trage. Wieder informiere ich Anne, meine Zwillingsschwester als Erste.
Es wird eine schwierige Geburt. Anne ist auch im Krankenhaus an meiner Seite, während Gyana die Sitzungen des Lehrerkollegiums leitet. Kurz löst sie Gyana ab, damit auch er mich einmal besuchen kann. Endlich, nach einer Woche unter Beobachtung darf ich das Krankenhaus verlassen. Ich trage meinen Jungen Thaye Tenzin in einer Babytrage an meiner Brust.
Im Auto muss ich ihn kurzzeitig in eine Babyschale legen. Neben meinem Jungen sitzend schaue ich ihm glücklich beim Schlafen zu. Anne sitzt vor mir auf dem Beifahrersitz und einer der jungen Mönche, die Daddy ausgebildet hat, steuert den Wagen. Gyana wird neben seiner Verwaltungstätigkeit nun auch die Ausbildung der Mönche weiterführen.
Zuhause angekommen, wacht Thaye auf und beginnt zu weinen. Ich mache ihm geschwind eine Flasche fertig, die er gierig leert. Kurz darauf ist er wieder eingeschlafen.
*
Während der letzten zwei Jahren hat Thaye von jedem Besucher ein Babyspielzeug geschenkt bekommen. Es hat sich inzwischen so viel angesammelt, dass Andrea damit den Laufstall füllt. Sie hat sich mit Gyana abgesprochen, dass wir die Spielsachen, die Thaye 'links liegen lässt', an unser altes Kinderheim abgeben, wo wir vor fast vierzig Jahren von Daddy entdeckt worden sind.
Irgendwann sieht Thaye Daddys Drachen auf einem Sideboard liegen. Er läuft auf seinen kurzen Beinchen dorthin und reckt sich danach. Ich, Anne, passe gerade auf Thaye auf. Als ich das sehe, gehe ich zu ihm und reiche ihm das Stofftier. Er setzt sich vor das Sideboard und knuddelt den Drachen. Nach einigen Minuten legt er es beiseite und erhebt sich, indem er sich am Möbel abstützt. Anschließend beugt er sich nach dem Stofftier und fällt auf alle Viere. Dann geht der Kleine in die Hocke und arbeitet sich wieder in den Stand, während er das Stofftier mit einer Hand festhält.
Nun kommt Thaye mit dem Drachen in der Hand strahlend auf mich zu gelaufen und breitet die Arme aus. Ich nehme ihn hoch und setze ihn auf meinen Schoß. Er kuschelt sich bei mir an und legt mir das Stofftier in die Hand. Daraufhin streiche ich ihm sanft über seinen kleinen Haarschopf. Die Geste meines Neffen weckt Emotionen in mir, die ich im Augenblick nicht recht verstehen kann.
In der Folgezeit schläft er nur noch mit dem Drachen an seiner Seite ruhig ein. Das andere Spielzeug wird immer nur kurze Zeit beachtet, dann muss wieder das Stofftier herhalten. Und immer wieder drückt er es mir in die Hand, als soll ich es für ihn aufbewahren.
Dieses Verhalten bleibt so bis er mit gleichaltrigen Kindern bei uns in die Vorschule kommt. Jetzt muss er bei der kleinen Gruppe Jungs, mit denen er sich einigermaßen beim Spielen versteht, in einem gemeinsamen Schlafraum übernachten.
"Tante Anne," sagt er am ersten Abend, bevor er dorthin geht. "Ich schenke dir den Drachen! Er wird immer auf dich aufpassen, auch wenn ich einmal nicht in deiner Nähe bin!"
Ich bin gerührt und meine Augen werden feucht. Ihn an mich drückend, sage ich:
"Du bist ein lieber kleiner Kerl, Thaye. Und du bist doch nicht allzuweit von mir entfernt. Dein ehrenwerter Vater hat beschlossen, dich alsbald in Kungfu unterrichten zu lassen. Dann wirst du sehr gut auf mich aufpassen können."
Anschließend bringe ich ihn zu seinem Schlafraum, wo er mich abschließend noch einmal an sich drückt.
Mit Beginn des nächsten Schuljahres soll Thaye in der Schule des Klosters von Weiterswiller eingeschult werden, haben Gyana und Andrea beschlossen. Dort ist die Gefahr einer unbewussten Bevorzugung des eigenen Kindes nicht gegeben. Dort lehrt sein Onkel Lama Khön Trizin. Ich darf Thaye zur Einschulung begleiten.
Wir fliegen über San Franzisko und New York um den halben Erdball nach Paris. Im Bahnhof unter dem Flughafen Charles de Gaulle kaufe ich uns Zug-Tickets nach Straßburg und endlich mit dem Bus nach Weiterswiller. Thaye hat unterwegs zweimal mit dem Kopf in meinem Schoß geschlafen. Währenddessen haben mich Gefühlsstürme wachgehalten, deren stärkstes ein Glücksgefühl gewesen ist. Ich habe das Gefühl gehabt, die ganze Welt umarmen zu können.
Zwei Tage nach der Einschulung bin ich in das deutsche Kloster weitergefahren, weil ich ein dringendes Anliegen an Seine Heiligkeit Khenchen Lama Rinpoche habe.
Dort angekommen frage ich den Gelong im Foyer mit der üblichen Ehrenbezeugung nach einer Audienz bei Seiner Heiligkeit:
"Wann kann ich Seine Heiligkeit Lama Rinpoche kurz sprechen?"
"In welcher Angelegenheit möchten Sie Seine Heiligkeit sprechen?" fragt er zurück.
Ich nicke lächelnd und erkläre ihm:
"Mein Name ist Anne Mann. Mein Vater war einmal Schüler Seiner Heiligkeit. Nun ist er heimgegangen. Ich denke, das wird Seine Heiligkeit auch interessieren. Ich bin extra aus Hawaii angereist, dem letzten Wirkungsort von Lama Kyobpa."
"Nein!" sage ich, wieder selbstsicher. "Nicht genauso wie die Foundation! Das wäre eine zu große Bürde für das Kind!"
"Okay, okay," meint er versöhnlich. "Kommt Zeit, kommt Rat!"
*
Wir haben uns im Falle eines Mädchens für 'Meto Drime' -makellose Blume- entschieden. Dabei habe ich auf Gyanas Wissen vertraut, mich selbst aber eher am Klang der Namen orientiert.
Die Schwangerschaftswochen sind Wechselbäder der Gefühle. Auch mir fehlt Daddy sehr. Seine Nähe hat mir bisher immer die nötige Sicherheit vermittelt. Bei den Untersuchungen wird schließlich klar, dass ich einen süßen Jungen unter dem Herzen trage. Wieder informiere ich Anne, meine Zwillingsschwester als Erste.
Es wird eine schwierige Geburt. Anne ist auch im Krankenhaus an meiner Seite, während Gyana die Sitzungen des Lehrerkollegiums leitet. Kurz löst sie Gyana ab, damit auch er mich einmal besuchen kann. Endlich, nach einer Woche unter Beobachtung darf ich das Krankenhaus verlassen. Ich trage meinen Jungen Thaye Tenzin in einer Babytrage an meiner Brust.
Im Auto muss ich ihn kurzzeitig in eine Babyschale legen. Neben meinem Jungen sitzend schaue ich ihm glücklich beim Schlafen zu. Anne sitzt vor mir auf dem Beifahrersitz und einer der jungen Mönche, die Daddy ausgebildet hat, steuert den Wagen. Gyana wird neben seiner Verwaltungstätigkeit nun auch die Ausbildung der Mönche weiterführen.
Zuhause angekommen, wacht Thaye auf und beginnt zu weinen. Ich mache ihm geschwind eine Flasche fertig, die er gierig leert. Kurz darauf ist er wieder eingeschlafen.
*
Während der letzten zwei Jahren hat Thaye von jedem Besucher ein Babyspielzeug geschenkt bekommen. Es hat sich inzwischen so viel angesammelt, dass Andrea damit den Laufstall füllt. Sie hat sich mit Gyana abgesprochen, dass wir die Spielsachen, die Thaye 'links liegen lässt', an unser altes Kinderheim abgeben, wo wir vor fast vierzig Jahren von Daddy entdeckt worden sind.
Irgendwann sieht Thaye Daddys Drachen auf einem Sideboard liegen. Er läuft auf seinen kurzen Beinchen dorthin und reckt sich danach. Ich, Anne, passe gerade auf Thaye auf. Als ich das sehe, gehe ich zu ihm und reiche ihm das Stofftier. Er setzt sich vor das Sideboard und knuddelt den Drachen. Nach einigen Minuten legt er es beiseite und erhebt sich, indem er sich am Möbel abstützt. Anschließend beugt er sich nach dem Stofftier und fällt auf alle Viere. Dann geht der Kleine in die Hocke und arbeitet sich wieder in den Stand, während er das Stofftier mit einer Hand festhält.
Nun kommt Thaye mit dem Drachen in der Hand strahlend auf mich zu gelaufen und breitet die Arme aus. Ich nehme ihn hoch und setze ihn auf meinen Schoß. Er kuschelt sich bei mir an und legt mir das Stofftier in die Hand. Daraufhin streiche ich ihm sanft über seinen kleinen Haarschopf. Die Geste meines Neffen weckt Emotionen in mir, die ich im Augenblick nicht recht verstehen kann.
In der Folgezeit schläft er nur noch mit dem Drachen an seiner Seite ruhig ein. Das andere Spielzeug wird immer nur kurze Zeit beachtet, dann muss wieder das Stofftier herhalten. Und immer wieder drückt er es mir in die Hand, als soll ich es für ihn aufbewahren.
Dieses Verhalten bleibt so bis er mit gleichaltrigen Kindern bei uns in die Vorschule kommt. Jetzt muss er bei der kleinen Gruppe Jungs, mit denen er sich einigermaßen beim Spielen versteht, in einem gemeinsamen Schlafraum übernachten.
"Tante Anne," sagt er am ersten Abend, bevor er dorthin geht. "Ich schenke dir den Drachen! Er wird immer auf dich aufpassen, auch wenn ich einmal nicht in deiner Nähe bin!"
Ich bin gerührt und meine Augen werden feucht. Ihn an mich drückend, sage ich:
"Du bist ein lieber kleiner Kerl, Thaye. Und du bist doch nicht allzuweit von mir entfernt. Dein ehrenwerter Vater hat beschlossen, dich alsbald in Kungfu unterrichten zu lassen. Dann wirst du sehr gut auf mich aufpassen können."
Anschließend bringe ich ihn zu seinem Schlafraum, wo er mich abschließend noch einmal an sich drückt.
Mit Beginn des nächsten Schuljahres soll Thaye in der Schule des Klosters von Weiterswiller eingeschult werden, haben Gyana und Andrea beschlossen. Dort ist die Gefahr einer unbewussten Bevorzugung des eigenen Kindes nicht gegeben. Dort lehrt sein Onkel Lama Khön Trizin. Ich darf Thaye zur Einschulung begleiten.
Wir fliegen über San Franzisko und New York um den halben Erdball nach Paris. Im Bahnhof unter dem Flughafen Charles de Gaulle kaufe ich uns Zug-Tickets nach Straßburg und endlich mit dem Bus nach Weiterswiller. Thaye hat unterwegs zweimal mit dem Kopf in meinem Schoß geschlafen. Währenddessen haben mich Gefühlsstürme wachgehalten, deren stärkstes ein Glücksgefühl gewesen ist. Ich habe das Gefühl gehabt, die ganze Welt umarmen zu können.
Zwei Tage nach der Einschulung bin ich in das deutsche Kloster weitergefahren, weil ich ein dringendes Anliegen an Seine Heiligkeit Khenchen Lama Rinpoche habe.
Dort angekommen frage ich den Gelong im Foyer mit der üblichen Ehrenbezeugung nach einer Audienz bei Seiner Heiligkeit:
"Wann kann ich Seine Heiligkeit Lama Rinpoche kurz sprechen?"
"In welcher Angelegenheit möchten Sie Seine Heiligkeit sprechen?" fragt er zurück.
Ich nicke lächelnd und erkläre ihm:
"Mein Name ist Anne Mann. Mein Vater war einmal Schüler Seiner Heiligkeit. Nun ist er heimgegangen. Ich denke, das wird Seine Heiligkeit auch interessieren. Ich bin extra aus Hawaii angereist, dem letzten Wirkungsort von Lama Kyobpa."
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