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Freitag, 10. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -07
mariant, 11:22h
Immer wieder setzt sich Babaji zum Meditieren auf die Erde. Er bringt es mir ebenso bei. Anfangs habe ich immer gedacht, er setzt sich hin, um über irgendetwas nachzudenken. Aber dann hat er sich entschlossen, mich auch darin zu unterweisen.
Dazu soll ich mich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden setzen und die Augen schließen, damit die Einflüsse der Umwelt weitestgehend ausgeschaltet sind. Anschließend soll ich mich entspannen und beginnen, meinen Gedanken zuzuhören, als wäre nicht ich derjenige, der da denkt. Wie mein Lehrer sagt, entdecke ich oft einen Disput zwischen meiner rationalen und der emotionalen Seite. Dann lasse ich meinen Gedanken ihren freien Lauf und beobachte sie. Ich versuche, ihnen passiv zuzuhören.
Dabei merke ich, dass ich mich trotzdem in alle Gedanken irgendwie einmische. Den Einen bevorzuge ich. Einen anderen verwerfe ich. Babaji hat das in unseren Gesprächen danach als das 'kritische Bewusstsein' bezeichnet. Verschiedene Wünsche, Hoffnungen, Pläne usw. kristallisieren sich heraus und der innere Kritiker bewertet sie.
Irgendwann findet dieser innere Kritiker nichts mehr zum Kritisieren. Der Zustand der Neutralität ist erreicht. Der Kritiker hat Pause und übrig bleibt nur die nicht wertende Aufmerksamkeit.
Nun soll ich versuchen die Wurzeln jener Gedanken zu erreichen, die dafür sorgen, dass der Quell der Gedanken einfach nicht abreißen will. Willentlich kommt man an den Bewusstseinszustand des 'Zeugen' nicht heran. Man muss ihn sich allmählich erarbeiten, indem man die Konfliktpunkte und die Quelle der Störgedanken und der Störgefühle in angemessenem Tempo löst, lehrt mich Babaji.
In den Nachgesprächen erklärt er mir auch, dass ich mich vielleicht daran erinnere, wie ich möglicherweise als Kind den Kopf in den Nacken gelegt und einen jungen Jujube -Rosenapfel- in der untergehenden Sonne am Baum gesehen habe, wenn mich die Freude des ersten vollkommen gedankenfreien Augenblicks überrascht. Da ist es nun, das namenlose Staunen. Reine Beobachtung. Keine Wertung. Das Bewusstsein denkt nicht, während es etwas wahrnimmt. Natürlich nimmt es den Apfel wahr und so weiter, doch die Gedanken sind still.
Das Zeugenbewusstsein findet noch ganz im Hier und Jetzt statt. Die Aufmerksamkeit nimmt wahr, dass sich der Geist bestimmte Gedankenbilder spinnt, doch sie identifiziert sich nicht mit der Geschichte, lässt sich nicht von ihr ködern. Der 'Beobachter' hält keinen Gedankensplitter an.
So eröffnet sich mir die Möglichkeit, nun eine gewisse Beeinflussung meines Denkens vorzunehmen. Ich erschaffe mir hilfreiche Vorstellungen im Geist.
In meinen Dyana -Meditationen- versuche ich, mich immer weiter zu entwickeln. Ich trete quasi neben mich und beobachte meine Gedanken und Gefühle. Mein ICH kann mein inneres Wesen nicht fühlen, das kann es nur selbst tun.
Der innere Beobachter, das 'Zeugenbewusstsein', ist nun das Bewusstsein des inneren Wesens, das geweckt werden muss. Denn solange das innere Wesen sich selbst nicht bewusst erkennt, bleibt es inaktiv - es schläft. In diesem Stadium befinde ich mich im Augenblick noch. Wenn Erkennen möglich werden soll, muss es zwei geben: einen Erkennenden und ein Erkanntes, also eine Dualität.
Babaji hat einmal Prana -Lebenshauch, der alles durchdringt- erwähnt, also versuche ich mit neugierigem Interesse, es bei meinen Meditationen zu finden.
Irgendwann sehe ich in der Meditation farbenfrohe Strömungen um mich herum wallen. Ich löse mich aus der Meditation und frage Babaji, was das sein könnte.
Er erklärt mir, dass ich wohl bis zu Prana vorgedrungen bin. Er schärft mir ein, niemals Buddhas Weg zu verlassen. Prana selbst ist wie Yoni und Linga (Yin und Yang) rhythmischer Natur. Mal dominiert Yoni, mal Linga. Niemand darf versuchen, diese Rhythmik anzuhalten. Ich muss immer bestrebt sein, das Karuna -begierdeloses unendliches Mitgefühl- den Menschen zu bringen, auch wenn das wegen der Rhythmik nicht immer gelingt.
"Du weißt ja, Yoni und Linga (Yin und Yang) sind ein Gegensatz rhythmischer Art," hat er mir ins Gewissen geredet. "Auf die Nacht folgt der Tag und wieder die Nacht. Es ist ein ewiger Kreislauf. Wir erkennen das an und werten nicht!"
"Ich glaube aber doch an das Gute, Babaji! Es hat mir sogar Apsara gesandt," sage ich zu ihm.
"Beobachte beim Dhyana -Meditieren- deine Gedanken und Gefühle. Hüte dich vor Zorn, Furcht und Aggressivität! Sie ergreifen schnell Besitz von dir! Du musst diese Gefühle bekämpfen!" antwortet er eindringlich.
"Sind diese Gefühle so stark?" frage ich nun, leicht verunsichert.
"Nein, aber sie sind schneller an der Oberfläche deiner Gedanken. Sie sind verführerischer. Nur wenn man Ruhe bewahrt, erkennt man die Unterschiede zwischen Yoni und Linga. Nur wenn man den inneren Frieden bewahrt, kann man ihn auch nach außen tragen!" erklärt er mit ernstem Gesicht. "Du hast Prana farbig wahrgenommen. So kannst du auch unterscheiden, ob jemand schlimme Gefühle hegt oder gute."
"Wie geht das?" frage ich zurück und schaue Babaji dabei in die Augen.
"Nun, weiche pastellartige Farben symbolisieren die guten und harte leuchtende Farben die schlimmen Gefühle."
In der Folgezeit versuche ich nun keine negativen Gefühle zuzulassen, denn ich will niemand schaden und mich an niemandem bereichern.
Durch meine Verbindung mit Prana -Lebenshauch, der alles durchdringt- habe ich bei meinen von den Meditationen begleiteten Selbstverteidigungs-Übungen bald ebenfalls eine besondere Fertigkeit erlangt.
Dazu soll ich mich mit untergeschlagenen Beinen auf den Boden setzen und die Augen schließen, damit die Einflüsse der Umwelt weitestgehend ausgeschaltet sind. Anschließend soll ich mich entspannen und beginnen, meinen Gedanken zuzuhören, als wäre nicht ich derjenige, der da denkt. Wie mein Lehrer sagt, entdecke ich oft einen Disput zwischen meiner rationalen und der emotionalen Seite. Dann lasse ich meinen Gedanken ihren freien Lauf und beobachte sie. Ich versuche, ihnen passiv zuzuhören.
Dabei merke ich, dass ich mich trotzdem in alle Gedanken irgendwie einmische. Den Einen bevorzuge ich. Einen anderen verwerfe ich. Babaji hat das in unseren Gesprächen danach als das 'kritische Bewusstsein' bezeichnet. Verschiedene Wünsche, Hoffnungen, Pläne usw. kristallisieren sich heraus und der innere Kritiker bewertet sie.
Irgendwann findet dieser innere Kritiker nichts mehr zum Kritisieren. Der Zustand der Neutralität ist erreicht. Der Kritiker hat Pause und übrig bleibt nur die nicht wertende Aufmerksamkeit.
Nun soll ich versuchen die Wurzeln jener Gedanken zu erreichen, die dafür sorgen, dass der Quell der Gedanken einfach nicht abreißen will. Willentlich kommt man an den Bewusstseinszustand des 'Zeugen' nicht heran. Man muss ihn sich allmählich erarbeiten, indem man die Konfliktpunkte und die Quelle der Störgedanken und der Störgefühle in angemessenem Tempo löst, lehrt mich Babaji.
In den Nachgesprächen erklärt er mir auch, dass ich mich vielleicht daran erinnere, wie ich möglicherweise als Kind den Kopf in den Nacken gelegt und einen jungen Jujube -Rosenapfel- in der untergehenden Sonne am Baum gesehen habe, wenn mich die Freude des ersten vollkommen gedankenfreien Augenblicks überrascht. Da ist es nun, das namenlose Staunen. Reine Beobachtung. Keine Wertung. Das Bewusstsein denkt nicht, während es etwas wahrnimmt. Natürlich nimmt es den Apfel wahr und so weiter, doch die Gedanken sind still.
Das Zeugenbewusstsein findet noch ganz im Hier und Jetzt statt. Die Aufmerksamkeit nimmt wahr, dass sich der Geist bestimmte Gedankenbilder spinnt, doch sie identifiziert sich nicht mit der Geschichte, lässt sich nicht von ihr ködern. Der 'Beobachter' hält keinen Gedankensplitter an.
So eröffnet sich mir die Möglichkeit, nun eine gewisse Beeinflussung meines Denkens vorzunehmen. Ich erschaffe mir hilfreiche Vorstellungen im Geist.
In meinen Dyana -Meditationen- versuche ich, mich immer weiter zu entwickeln. Ich trete quasi neben mich und beobachte meine Gedanken und Gefühle. Mein ICH kann mein inneres Wesen nicht fühlen, das kann es nur selbst tun.
Der innere Beobachter, das 'Zeugenbewusstsein', ist nun das Bewusstsein des inneren Wesens, das geweckt werden muss. Denn solange das innere Wesen sich selbst nicht bewusst erkennt, bleibt es inaktiv - es schläft. In diesem Stadium befinde ich mich im Augenblick noch. Wenn Erkennen möglich werden soll, muss es zwei geben: einen Erkennenden und ein Erkanntes, also eine Dualität.
Babaji hat einmal Prana -Lebenshauch, der alles durchdringt- erwähnt, also versuche ich mit neugierigem Interesse, es bei meinen Meditationen zu finden.
Irgendwann sehe ich in der Meditation farbenfrohe Strömungen um mich herum wallen. Ich löse mich aus der Meditation und frage Babaji, was das sein könnte.
Er erklärt mir, dass ich wohl bis zu Prana vorgedrungen bin. Er schärft mir ein, niemals Buddhas Weg zu verlassen. Prana selbst ist wie Yoni und Linga (Yin und Yang) rhythmischer Natur. Mal dominiert Yoni, mal Linga. Niemand darf versuchen, diese Rhythmik anzuhalten. Ich muss immer bestrebt sein, das Karuna -begierdeloses unendliches Mitgefühl- den Menschen zu bringen, auch wenn das wegen der Rhythmik nicht immer gelingt.
"Du weißt ja, Yoni und Linga (Yin und Yang) sind ein Gegensatz rhythmischer Art," hat er mir ins Gewissen geredet. "Auf die Nacht folgt der Tag und wieder die Nacht. Es ist ein ewiger Kreislauf. Wir erkennen das an und werten nicht!"
"Ich glaube aber doch an das Gute, Babaji! Es hat mir sogar Apsara gesandt," sage ich zu ihm.
"Beobachte beim Dhyana -Meditieren- deine Gedanken und Gefühle. Hüte dich vor Zorn, Furcht und Aggressivität! Sie ergreifen schnell Besitz von dir! Du musst diese Gefühle bekämpfen!" antwortet er eindringlich.
"Sind diese Gefühle so stark?" frage ich nun, leicht verunsichert.
"Nein, aber sie sind schneller an der Oberfläche deiner Gedanken. Sie sind verführerischer. Nur wenn man Ruhe bewahrt, erkennt man die Unterschiede zwischen Yoni und Linga. Nur wenn man den inneren Frieden bewahrt, kann man ihn auch nach außen tragen!" erklärt er mit ernstem Gesicht. "Du hast Prana farbig wahrgenommen. So kannst du auch unterscheiden, ob jemand schlimme Gefühle hegt oder gute."
"Wie geht das?" frage ich zurück und schaue Babaji dabei in die Augen.
"Nun, weiche pastellartige Farben symbolisieren die guten und harte leuchtende Farben die schlimmen Gefühle."
In der Folgezeit versuche ich nun keine negativen Gefühle zuzulassen, denn ich will niemand schaden und mich an niemandem bereichern.
Durch meine Verbindung mit Prana -Lebenshauch, der alles durchdringt- habe ich bei meinen von den Meditationen begleiteten Selbstverteidigungs-Übungen bald ebenfalls eine besondere Fertigkeit erlangt.
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Donnerstag, 9. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -06
mariant, 12:21h
Ich schaue zu Babaji auf. Er nickt mir aufmunternd zu und lächelt freundlich, also nehme ich noch ein letztes Mal die bekannten Eindrücke in mich auf. Danach folge ich ihm auf seinem Weg aus dem Ort. Er stützt sich dabei auf einen geraden Stock, der so lang ist, wie Babaji groß ist.
Schon eine ganze Weile gehen wir stumm nebeneinander her, als ich ihn frage:
"Babaji, ich kenne ja nun Buddhas Leben, aber was ist denn Buddhas Lehre?"
Mich trifft ein freudiger Seitenblick. Dann antwortet der Sadhu:
"Der erste Merksatz 'Dukkha' bedeutet, das Leben ist voller Leid."
"Das habe ich selbst erlebt," antworte ich und frage: "Woher kommt das Leid?"
"Nun, mein Sohn," meint Babaji, "in den meisten Fällen fügen Menschen ihren Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich Leid zu."
"Warum fügen Menschen ihren Mitmenschen Leid zu?" dringe ich wissbegierig weiter in ihn.
Aber der Sadhu -heilige Mann- bleibt gelassen. Er antwortet mir:
"Unwissentlich geschieht das aus Gedankenlosigkeit. Das wissentlich oder absichtlich herbeigeführte Leid wird im zweiten Merksatz Samudaja beschrieben. Er bedeutet, die Ursache für das Leid ist Habgier."
"Ah," mache ich. "Um meinen Mitmenschen kein Leid anzutun, muss ich also auf mich und meine Handlungen achten."
"Ja!" ruft Babaji aus. "Achte stets auf das, was du sagst oder tust. Der dritte Merksatz Nirodha besagt, dass du die Habgier überwinden musst."
"Wie ist das aber dann, wenn mich jemand in böser Absicht überfällt und mir Leid zufügen will?" lasse ich nicht locker.
Mir macht die begonnene Unterweisung durch meinen neuen Babaji -Vater- viel Spaß.
"Niemals darfst du angreifen, Ashok! Damit ginge ja das erste Leid von dir aus. Du brauchst dich aber auch nicht töten lassen, sondern du darfst dich verteidigen. Wenn der Gegner aber übermächtig ist, und du sterben solltest... Habe keine Angst! Der Tod ist nicht das Ende. Du wirst wiedergeboren und der Kreislauf des Lebens beginnt für dich erneut. Das geschieht so oft, bis du ein Leben zu führen verstehst wie Buddha. Dann erreichst du auch das Nirwana."
"Kennst du einen Weg, der mich die Angreifer überwinden lässt, Babaji?"
"Warum fragst du, Ashok?"
"Ja, zum einen habe ich früher oft bei kindlichen Streitereien den Kürzeren gezogen. Das Gefühl der Ohnmacht sitzt tief. Zum anderen mag ich nicht so schnell sterben, wenn sich mir Bewaffnete in den Weg stellen."
"Du darfst dich nur verteidigen, Ashok! Denke immer daran! Etwas anderes ist es, wenn du eine hilflose Person antriffst, der ein Bewaffneter das Leben nehmen will. Hier musst du abwägen. Stirbt die hilflose Person, wird sie wiedergeboren. Der Tod hat seinen Schrecken verloren! Bist du dir aber sicher, die hilflose Person retten zu können ohne dabei selbst zu sterben, darfst du sie verteidigen."
"Und wie geht das, diese Verteidigung? Klappt das auch, wenn der andere ein Messer hat?"
"Wenn das Überraschungsmoment auf deiner Seite ist, klappt das auch, wenn der Andere bewaffnet ist. Du musst eben zuerst danach trachten, ihn zu entwaffnen, um ein Gleichgewicht herzustellen."
Meine Gegner in der Kindheit sind eigentlich nie bewaffnet gewesen. Sie sind entweder kräftiger gewesen oder flinker als ich. Ehe ich weitere Fragen in dieser Richtung stellen kann, redet Babaji weiter:
"Die Lebensregeln der Anhänger Buddhas sind in einem achtfachen Pfad zusammengefasst. Befolgen die Menschen sie genau, so überwinden sie die Habgier und können zur wahren Erkenntnis aller Dinge gelangen. Sie führen den Menschen auf einen Mittelweg zwischen einem Leben in Luxus und einem Leben des Verzichts. Willst du allerdings ein Sadhu werden, sollte dir der Verzicht zur Lebensaufgabe werden, mera beta -mein Sohn-."
"Der achtfache Pfad? Davon habe ich noch nie gehört. Was besagt er, Babaji -Vater-?"
"Erstens, bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Zweitens, sei gütig und friedfertig. Drittens, lüge niemals. Viertens, tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Fünftens, schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Sechstens, gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Siebtens, sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich achtens, konzentriere dich, denke nach und meditiere."
Ich höre Babaji aufmerksam zu und werde sprachlos dabei. Erst nach einer ganzen Weile antworte ich mit hängendem Kopf:
"Das sind schwierige Regeln, Babaji!"
Der heilige Mann schaut mich von der Seite an und meint:
"Sei nicht so schnell entmutigt, Ashok! Alles braucht seine Zeit. Du bist ja auch erst seit heute mein Shiyshya -Schüler-. Denke dich einmal fünf oder zehn Jahre weiter! Dann hast du diese Regeln verinnerlicht und lebst sie. Menschen sind nun einmal nicht perfekt! Aber sie müssen perfekt werden wollen, dann schaffen sie vieles."
Sehr bald nach unserem Aufbruch habe ich von Babaji einen eigenen Stock bekommen, mit dessen Hilfe das Gehen nicht so ermüdend ist. Er hat mir irgendwann von einer Selbstverteidigungstechnik erzählt, die er 'Kalaripayattu' nennt. Sie ist aus der genauen Beobachtung unserer wilden Brüder und Schwestern in der Natur entstanden. Wie sich Vögel, Raubtiere und ihre Beute verhalten, haben unsere Vorfahren nachgeahmt und daraus Griffe und Bewegungen entwickelt, mit oder ohne Stock oder andere Hilfsmittel.
Die Zeit vergeht so schnell. Nun ziehe ich schon zwei Jahre mit Babaji durch das Land und wir bringen den Menschen Buddhas Lehre nahe. Ich bemühe mich, in meinem Verhalten Babaji nachzueifern und ihm kleine Dienste zu erweisen, die ihm das Leben leichter machen.
Er bringt mir den Dharma, die Lehren Buddhas, auf mündlichem Wege bei. Allmählich trage ich sie in meinem Herzen und in meinem Geist. Sie geben mir eine gewisse mentale Stärke, Gelassenheit und Geduld im Alltag.
Schon eine ganze Weile gehen wir stumm nebeneinander her, als ich ihn frage:
"Babaji, ich kenne ja nun Buddhas Leben, aber was ist denn Buddhas Lehre?"
Mich trifft ein freudiger Seitenblick. Dann antwortet der Sadhu:
"Der erste Merksatz 'Dukkha' bedeutet, das Leben ist voller Leid."
"Das habe ich selbst erlebt," antworte ich und frage: "Woher kommt das Leid?"
"Nun, mein Sohn," meint Babaji, "in den meisten Fällen fügen Menschen ihren Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich Leid zu."
"Warum fügen Menschen ihren Mitmenschen Leid zu?" dringe ich wissbegierig weiter in ihn.
Aber der Sadhu -heilige Mann- bleibt gelassen. Er antwortet mir:
"Unwissentlich geschieht das aus Gedankenlosigkeit. Das wissentlich oder absichtlich herbeigeführte Leid wird im zweiten Merksatz Samudaja beschrieben. Er bedeutet, die Ursache für das Leid ist Habgier."
"Ah," mache ich. "Um meinen Mitmenschen kein Leid anzutun, muss ich also auf mich und meine Handlungen achten."
"Ja!" ruft Babaji aus. "Achte stets auf das, was du sagst oder tust. Der dritte Merksatz Nirodha besagt, dass du die Habgier überwinden musst."
"Wie ist das aber dann, wenn mich jemand in böser Absicht überfällt und mir Leid zufügen will?" lasse ich nicht locker.
Mir macht die begonnene Unterweisung durch meinen neuen Babaji -Vater- viel Spaß.
"Niemals darfst du angreifen, Ashok! Damit ginge ja das erste Leid von dir aus. Du brauchst dich aber auch nicht töten lassen, sondern du darfst dich verteidigen. Wenn der Gegner aber übermächtig ist, und du sterben solltest... Habe keine Angst! Der Tod ist nicht das Ende. Du wirst wiedergeboren und der Kreislauf des Lebens beginnt für dich erneut. Das geschieht so oft, bis du ein Leben zu führen verstehst wie Buddha. Dann erreichst du auch das Nirwana."
"Kennst du einen Weg, der mich die Angreifer überwinden lässt, Babaji?"
"Warum fragst du, Ashok?"
"Ja, zum einen habe ich früher oft bei kindlichen Streitereien den Kürzeren gezogen. Das Gefühl der Ohnmacht sitzt tief. Zum anderen mag ich nicht so schnell sterben, wenn sich mir Bewaffnete in den Weg stellen."
"Du darfst dich nur verteidigen, Ashok! Denke immer daran! Etwas anderes ist es, wenn du eine hilflose Person antriffst, der ein Bewaffneter das Leben nehmen will. Hier musst du abwägen. Stirbt die hilflose Person, wird sie wiedergeboren. Der Tod hat seinen Schrecken verloren! Bist du dir aber sicher, die hilflose Person retten zu können ohne dabei selbst zu sterben, darfst du sie verteidigen."
"Und wie geht das, diese Verteidigung? Klappt das auch, wenn der andere ein Messer hat?"
"Wenn das Überraschungsmoment auf deiner Seite ist, klappt das auch, wenn der Andere bewaffnet ist. Du musst eben zuerst danach trachten, ihn zu entwaffnen, um ein Gleichgewicht herzustellen."
Meine Gegner in der Kindheit sind eigentlich nie bewaffnet gewesen. Sie sind entweder kräftiger gewesen oder flinker als ich. Ehe ich weitere Fragen in dieser Richtung stellen kann, redet Babaji weiter:
"Die Lebensregeln der Anhänger Buddhas sind in einem achtfachen Pfad zusammengefasst. Befolgen die Menschen sie genau, so überwinden sie die Habgier und können zur wahren Erkenntnis aller Dinge gelangen. Sie führen den Menschen auf einen Mittelweg zwischen einem Leben in Luxus und einem Leben des Verzichts. Willst du allerdings ein Sadhu werden, sollte dir der Verzicht zur Lebensaufgabe werden, mera beta -mein Sohn-."
"Der achtfache Pfad? Davon habe ich noch nie gehört. Was besagt er, Babaji -Vater-?"
"Erstens, bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Zweitens, sei gütig und friedfertig. Drittens, lüge niemals. Viertens, tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Fünftens, schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Sechstens, gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Siebtens, sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich achtens, konzentriere dich, denke nach und meditiere."
Ich höre Babaji aufmerksam zu und werde sprachlos dabei. Erst nach einer ganzen Weile antworte ich mit hängendem Kopf:
"Das sind schwierige Regeln, Babaji!"
Der heilige Mann schaut mich von der Seite an und meint:
"Sei nicht so schnell entmutigt, Ashok! Alles braucht seine Zeit. Du bist ja auch erst seit heute mein Shiyshya -Schüler-. Denke dich einmal fünf oder zehn Jahre weiter! Dann hast du diese Regeln verinnerlicht und lebst sie. Menschen sind nun einmal nicht perfekt! Aber sie müssen perfekt werden wollen, dann schaffen sie vieles."
Sehr bald nach unserem Aufbruch habe ich von Babaji einen eigenen Stock bekommen, mit dessen Hilfe das Gehen nicht so ermüdend ist. Er hat mir irgendwann von einer Selbstverteidigungstechnik erzählt, die er 'Kalaripayattu' nennt. Sie ist aus der genauen Beobachtung unserer wilden Brüder und Schwestern in der Natur entstanden. Wie sich Vögel, Raubtiere und ihre Beute verhalten, haben unsere Vorfahren nachgeahmt und daraus Griffe und Bewegungen entwickelt, mit oder ohne Stock oder andere Hilfsmittel.
Die Zeit vergeht so schnell. Nun ziehe ich schon zwei Jahre mit Babaji durch das Land und wir bringen den Menschen Buddhas Lehre nahe. Ich bemühe mich, in meinem Verhalten Babaji nachzueifern und ihm kleine Dienste zu erweisen, die ihm das Leben leichter machen.
Er bringt mir den Dharma, die Lehren Buddhas, auf mündlichem Wege bei. Allmählich trage ich sie in meinem Herzen und in meinem Geist. Sie geben mir eine gewisse mentale Stärke, Gelassenheit und Geduld im Alltag.
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Mittwoch, 8. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -05
mariant, 12:48h
Er zeigt ein Pokerface, wartet eine ganze Weile und korrigiert dann auf 48.000 Rupien. Schließlich einigen wir uns auf die Mitte und ich zahle ihn 46.500 Rupien aus. Ashok bekommt große Augen. Er beugt sich vor und will seine Lippen auf meine Füße drücken, während wir uns lächelnd erheben. Wir heben die gefalteten Hände ans Kinn und verabschieden uns. Ich beuge mich zu dem Jungen hinunter und ziehe ihn auf seine Füße.
Auf dem Rückweg zu unserer Gastfamilie, fragt Frau Müller:
"Du bist ja die geborene Verhandlerin! Hast du das von deinem Vater? Was passiert nun mit dem Restgeld?"
"Hm," meine ich, "wer von den Mittschülern das Geld braucht, kann seinen Anteil zurückerhalten. Den Rest spende ich der Organisation, die die Tharu hier betreut, wenn das okay ist."
Die gleiche Frage stelle ich später meinen Mitschülern. Sie sind einverstanden, das Geld zu spenden. Dann wende ich mich an den Mönch und den Jungen. Ich biete Ashok an, von jetzt an den Mönch zu begleiten und alles von ihm zu lernen, was dieser an Wissen vermitteln kann. Freudig verabschiedet sich der Junge von uns und schaut den Mönch an.
*
Die Woche bei den Tharu ist wie im Flug vorüber gegangen. Die Leute sind uns sehr hilfsbereit und aufmerksam vorgekommen. Entsprechend herzlich fällt der Abschied aus, als der Bus in der Dorfmitte hält und unser Gepäck auf das Dach verladen wird.
Wir haben gelernt, dass die Tharu ursprünglich im Dschungel gelebt haben. Als der Chitwan-Nationalpark eingerichtet worden ist, sind sie zwangsumgesiedelt worden und betreiben nun am Rand des Dschungels ihre Landwirtschaft. Wenn sie Feste feiern, und wir durften eines miterleben, haben sie uns ihre traditionellen Tänze und ihre Musik vorgeführt.
Bevor der Bus abfährt werde ich beinahe von einem Jungen umgerannt. Ich schaue genauer hin und sage überrascht:
"Ashok! What's going on?"
"Apsara!" ruft er aus und schnappt nach Atem. "Do you live on the high mountains there?"
Ich umarme den Jungen und erkläre:
"No, Ashok, I live very far away! In a country called Germany and in a big city called Berlin there."
Ashok macht ein enttäuschtes Gesicht. Ich denke, ich muss ihn noch einmal erinnern:
"Stick to the monk and learn a lot from him for your future!"
"Please, what's your name?" fragt er nun.
Ich streiche ihm durchs Haar und antworte:
"My name is Leni Mrachartz."
Er macht ein zweifelndes Gesicht und bittet:
"Please write it down!"
Ihm zunickend, tue ich ihm den Gefallen. Dann steige auch ich in den Bus und wir begeben uns auf die Rückfahrt nach Katmandu.
*
Nachdem die Touristen weggefahren sind, unter ihnen auch meine Apsara -Engel, Fee, Elfe, Nymphe-, verlasse ich an der Seite des heiligen Mannes unser Dorf. Ich, Ashok, will den Rat der Apsara mit Namen 'Leni' genau befolgen.
Seine Erzählung über den Lebenslauf Buddhas habe ich nun schon oft gehört. Um den Mann und seine Handlungen zu verstehen, frage ich den Sadhu -heiliger Mann-:
"Siddharta hat all den Reichtum seiner Familie zurückgelassen? Was aus seiner Frau und seinem Sohn wird, hat ihn dabei nicht gekümmert? Warum?"
"Ihn hat das Schicksal der Menschen interessiert und er hat sich gefragt, wie sie ihr Leiden beenden können. Darüber hat er nachgedacht, wenn er sich auf seinen Wanderungen einmal niedergelassen hat," antwortet mir der heilige Mann.
"Er wollte also, dass die Menschen nicht mehr leiden," hake ich noch einmal nach.
"Genau!" bekräftigt der Sadhu.
Nun gehe ich eine ganze Weile nachdenklich neben dem Sadhu her. Irgendwann frage ich ihn direkt:
"Und du? Du ziehst umher und erzählst den Menschen die Geschichte. Was bezweckst du damit, Babaji -Vater-?"
"Ich habe mich als junger Mann, ungefähr in deinem Alter, auf die Wanderschaft begeben und bin dem Sadhu gefolgt, der damals in unser Dorf gekommen ist, wie ich zu euch. Ich wollte die gleichen Erfahrungen machen, wie Siddharta vor langer Zeit. Ich wollte über die Meditation mit der Zeit selber zum Erleuchteten werden."
"Und?" frage ich ihn. "Bist du es geworden, Babaji?"
"Egal was du beginnst, mein Junge: es ist noch nie ein Meister aus den Wolken gefallen. Alles braucht seine Zeit! Geduld ist eine wichtige Eigenschaft, und natürlich Gelassenheit. Ein Sadhu muss den Leuten Gutes tun, ihnen Freude bereiten, bescheiden leben und seine Mitmenschen immer wieder seelisch aufrichten. Siddharta Gautama Buddha ist 80 Jahre alt geworden, bis er starb und ins Nirwana einging."
"Du wanderst bisher alleine durch die Landschaft. Gibst du mir als deinem Shiyshya -Schüler- die Upadesha -Lehren-, so dass ich Moksha -Befreiung- erreiche. Ich will dir gerne dienen und dabei meine Augen und Ohren offenhalten, um zu lernen!"
"Dein Interesse zeigt mir, dass in dir eine gute Seele wirkt, mein Sohn!"
Mein Herz macht einen Sprung. Der Sadhu empfiehlt mir:
"Du solltest dich noch einmal umsehen, Ashok. Es wird für lange Zeit das letzte Mal sein."
Auf dem Rückweg zu unserer Gastfamilie, fragt Frau Müller:
"Du bist ja die geborene Verhandlerin! Hast du das von deinem Vater? Was passiert nun mit dem Restgeld?"
"Hm," meine ich, "wer von den Mittschülern das Geld braucht, kann seinen Anteil zurückerhalten. Den Rest spende ich der Organisation, die die Tharu hier betreut, wenn das okay ist."
Die gleiche Frage stelle ich später meinen Mitschülern. Sie sind einverstanden, das Geld zu spenden. Dann wende ich mich an den Mönch und den Jungen. Ich biete Ashok an, von jetzt an den Mönch zu begleiten und alles von ihm zu lernen, was dieser an Wissen vermitteln kann. Freudig verabschiedet sich der Junge von uns und schaut den Mönch an.
*
Die Woche bei den Tharu ist wie im Flug vorüber gegangen. Die Leute sind uns sehr hilfsbereit und aufmerksam vorgekommen. Entsprechend herzlich fällt der Abschied aus, als der Bus in der Dorfmitte hält und unser Gepäck auf das Dach verladen wird.
Wir haben gelernt, dass die Tharu ursprünglich im Dschungel gelebt haben. Als der Chitwan-Nationalpark eingerichtet worden ist, sind sie zwangsumgesiedelt worden und betreiben nun am Rand des Dschungels ihre Landwirtschaft. Wenn sie Feste feiern, und wir durften eines miterleben, haben sie uns ihre traditionellen Tänze und ihre Musik vorgeführt.
Bevor der Bus abfährt werde ich beinahe von einem Jungen umgerannt. Ich schaue genauer hin und sage überrascht:
"Ashok! What's going on?"
"Apsara!" ruft er aus und schnappt nach Atem. "Do you live on the high mountains there?"
Ich umarme den Jungen und erkläre:
"No, Ashok, I live very far away! In a country called Germany and in a big city called Berlin there."
Ashok macht ein enttäuschtes Gesicht. Ich denke, ich muss ihn noch einmal erinnern:
"Stick to the monk and learn a lot from him for your future!"
"Please, what's your name?" fragt er nun.
Ich streiche ihm durchs Haar und antworte:
"My name is Leni Mrachartz."
Er macht ein zweifelndes Gesicht und bittet:
"Please write it down!"
Ihm zunickend, tue ich ihm den Gefallen. Dann steige auch ich in den Bus und wir begeben uns auf die Rückfahrt nach Katmandu.
*
Nachdem die Touristen weggefahren sind, unter ihnen auch meine Apsara -Engel, Fee, Elfe, Nymphe-, verlasse ich an der Seite des heiligen Mannes unser Dorf. Ich, Ashok, will den Rat der Apsara mit Namen 'Leni' genau befolgen.
Seine Erzählung über den Lebenslauf Buddhas habe ich nun schon oft gehört. Um den Mann und seine Handlungen zu verstehen, frage ich den Sadhu -heiliger Mann-:
"Siddharta hat all den Reichtum seiner Familie zurückgelassen? Was aus seiner Frau und seinem Sohn wird, hat ihn dabei nicht gekümmert? Warum?"
"Ihn hat das Schicksal der Menschen interessiert und er hat sich gefragt, wie sie ihr Leiden beenden können. Darüber hat er nachgedacht, wenn er sich auf seinen Wanderungen einmal niedergelassen hat," antwortet mir der heilige Mann.
"Er wollte also, dass die Menschen nicht mehr leiden," hake ich noch einmal nach.
"Genau!" bekräftigt der Sadhu.
Nun gehe ich eine ganze Weile nachdenklich neben dem Sadhu her. Irgendwann frage ich ihn direkt:
"Und du? Du ziehst umher und erzählst den Menschen die Geschichte. Was bezweckst du damit, Babaji -Vater-?"
"Ich habe mich als junger Mann, ungefähr in deinem Alter, auf die Wanderschaft begeben und bin dem Sadhu gefolgt, der damals in unser Dorf gekommen ist, wie ich zu euch. Ich wollte die gleichen Erfahrungen machen, wie Siddharta vor langer Zeit. Ich wollte über die Meditation mit der Zeit selber zum Erleuchteten werden."
"Und?" frage ich ihn. "Bist du es geworden, Babaji?"
"Egal was du beginnst, mein Junge: es ist noch nie ein Meister aus den Wolken gefallen. Alles braucht seine Zeit! Geduld ist eine wichtige Eigenschaft, und natürlich Gelassenheit. Ein Sadhu muss den Leuten Gutes tun, ihnen Freude bereiten, bescheiden leben und seine Mitmenschen immer wieder seelisch aufrichten. Siddharta Gautama Buddha ist 80 Jahre alt geworden, bis er starb und ins Nirwana einging."
"Du wanderst bisher alleine durch die Landschaft. Gibst du mir als deinem Shiyshya -Schüler- die Upadesha -Lehren-, so dass ich Moksha -Befreiung- erreiche. Ich will dir gerne dienen und dabei meine Augen und Ohren offenhalten, um zu lernen!"
"Dein Interesse zeigt mir, dass in dir eine gute Seele wirkt, mein Sohn!"
Mein Herz macht einen Sprung. Der Sadhu empfiehlt mir:
"Du solltest dich noch einmal umsehen, Ashok. Es wird für lange Zeit das letzte Mal sein."
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