Sonntag, 21. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (35)
Also füge ich mich in mein Schicksal. Die Versammlung zerstreut sich und ich ziehe das Himmelswesen tiefer unter den Heimatbaum. Im Bereich der Luftwurzeln lasse ich mich nieder und ich bedeute ihm, sich so zu mir zu setzen, dass wir uns gegenseitig anschauen. Dann zeige ich auf verschiedene Mitglieder des Volkes in unserer Nähe und sage:

"Ngachi."

Danach tippe ich auf seine Lippen und wiederhole:
"Ngachi."

Wieder weise ich, während ich das Wort ausspreche auf verschiede denkende Wesen in unserer Nähe hin. Es hat anscheinend erkannt, dass ich ihm unsere Sprache beibringen will. Nun versucht es, mich nachzuahmen:

"Gaschi."

Ich habe eben beim Hinsetzen eine grüne, entspannte Hautfärbung angenommen. Nun wird meine Haut dunkler und ich fühle leichten Ärger in mir aufsteigen. Ich spreche ihm das Wort ganz langsam vor. Nach dem zweiten Versuch hat es es mir richtig vorgesprochen.

Nun versuche ich ihm unsere Bezeichnung für Seinesgleichen beizubringen. Das ist insofern schwieriger, da es alleine hier ist. Ich zeige also auf mein Gegenüber und mache eine ungefähr kreisförmige Bewegung Richtung Himmel. Dazu sage ich das Wort:

"Vchhtep."

Dieses Wort hat es schnell nachsprechen können. Nun übernimmt das Himmelswesen plötzlich die Initiative, deutet mit dem Zeigefinger auf seine Brust und sagt:

"Jim!"

Danach legt er eine Hand hinter ein Ohr, vergrößert so die Ohrmuschel und zeigt auf mich.

"Schimm," mache ich ihn nach.

Nun verzieht er seine Kopfhaut, öffnet seinen Mund einen Spalt und nickt mit seinem Kopf. Er zeigt wieder auf sich, wiederholt "Schimm" und drückt seinen Finger danach ganz leicht auf meine Brust. Ich antworte ihm ehrlich:

"Ngachischi."

Er macht seinen Mund ganz breit und fast so rund, wie eine Sonnenfinsternis. Dann wiederholt er:

"Gachischi."

Ich werde wieder dunkler, zeige mit beiden Zeigefingern auf meinen Mund und wiederhole meinen Namen:

"Ngachischi."

Es schaut mich aufmerksam an und wiederholt langsam:

"Ngachischi."

Diese Himmelswesen haben anscheinend ein Problem mit dem Laut 'Ng'. So geht das den ganzen Rest des Tages. Ich weise auf die Pflanzen und Gegenstände um uns herum, spreche ihm unsere Bezeichnung dafür vor und lasse es mich nachsprechen.

Am Abend bringt uns eine Nachbarin zwei Schalen mit Essen. Das ist für mich wieder eine willkommene Gelegenheit, ihm die einzelnen Bezeichnungen vorzusprechen und es wiederholen zu lassen, was ich gesagt habe. Die großen Käferlarven -Cherru- drückt er in eine weiße längliche Frucht -Uchumochi-, damit er sie essen kann. Dadurch laufen über meinen Körper bunte Muster und ich muss lachen. Danach gibt es weichgekochte und zerstoßene Wurzel -Ngorr- mit gebratenem Fisch -Piong-. Alle diese Begriffe lasse ich es nachsprechen.

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Donnerstag, 18. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (34)
Plötzlich trennen uns Männer unseres Volkes, indem sie von der Seite kommen und sich drohend mit gespannten Bögen vor dem Himmelswesen aufbauen. Sie sind vor Ärger tief orange. Ich bleibe stehen, umgehe die Wand aus Männern und springe über einen moosbewachsenen Stamm, der am Boden liegt, neben das Himmelswesen. Vor Stress ist meine Haut im Moment fast schwarz. Ich ziehe mein Messer, fauche und zeige den Männern meine entblößten Eckzähne. Während meine Hautfärbung langsam ins Grünliche wechselt, sage ich zu ihnen:

"Beruhigt euch, Leute! Beruhigt euch!"

"Dieses Wesen wollen wir hier nicht haben!" antwortet der Anführer der Jagdgruppe.

"Es gab ein Zeichen! Dies ist eine Sache für die Schamanin!" antworte ich ihm energisch.

"Bringen wir es also zur Schamanin!" entscheidet der Anführer.

Die Männer nehmen das Wesen in die Mitte und führen es wie einen Gefangenen zum Heimatbaum. Bald erreichen wir den besonders hochgewachsenen Baum mit seiner ausladenden Krone.

Die Männer meines Volkes, die das Himmelswesen in ihre Mitte genommen haben, zeigen eine farbenprächtige Haut. Sie wollen mit ihrem Gefangenen imponieren.

Ich trete vor und begrüße meinen Vater mit dem Respekt, der einem Häuptling gebührt und in brauner Hautfarbe:

"Vater, ich habe dieses Himmelswesen im lebenden Wald getroffen. Ich wollte es töten, denn es gehört nicht hierher. Ischl hat nun die Saat der heiligen Liane auf ihn geblasen. Ich sehe das als ein Zeichen. Deshalb haben wir ihn hierhergebracht. Die ehrenwerte Mutter soll als Schamanin über ihn entscheiden."

Meine Mutter tritt vor und macht eine abwehrende Handbewegung mit beiden Händen zu den Seiten, als will sie die Menge teilen. Auch sie zeigt mit ihrer braunen Haut ihre Zurückhaltung.

"Lasst es los! Ich werde mir dieses Himmelswesen genau ansehen," sagt sie zu den Männern um ihn herum.

Während die Schamanin noch näher an das Himmelswesen herantritt, stellt der Häuptling fest:

"Dies ist das erste Himmelswesen, das sich zu uns gewagt hat."

Der Anführer der Jagdgruppe schlägt vor:
"Ich könnte es ganz einfach töten!"

Darauf antwortet der Häuptling streng:
"Nein! Wir müssen mehr über sein Volk und ihn erfahren."

Die Schamanin hat ihre Betrachtung abgeschlossen und erklärt dem Himmelswesen:

"Meine Tochter wird dir unsere Bräuche lehren. Sie wird dir beibringen wie wir sprechen und uns im Weltenwald bewegen!"

Da das Himmelswesen unsere Sprache nicht spricht, steht es nur erwartungsvoll da. Mir geht auf, was die Entscheidung bedeutet und ich begehre weinerlich auf, während meine Haut beinahe grau wird:

"Nei-ei-ei-ein-!"

Die Hautfärbung meines Vaters, des Häuptlings, wechselt nach gelb. Sein Wort lässt also keinen Widerspruch zu. Laut sagt er:

"Es ist entschieden!"

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Montag, 15. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (33)
Da ich seine Laute nicht verstehen kann und seine Haut keine Gefühlsäußerung zeigt, springe ich auf und laufe davon. Ich höre Laute aus dem Mund des Himmelswesens hinter mir. Es verfolgt mich. Vor Aufregung werde ich ganz gelb. Also bleibe ich nach einer kurzen Strecke stehen und drehe mich zu ihm um. Mit aller Kraft hole ich mit dem Bogen aus und treffe es, so dass es auf den Rücken fällt. Ich höre einen kurzen Laut und es hebt eine Hand schützend vor sein Gesicht.

Ich bin wütend. Entsprechend färbt sich meine Haut orange. Als es so vor mir liegt, entblöße ich meine Eckzähne und fauche es an:

"Dein Verhalten ist einfach nur traurig! Das Doppelwesen hätte nicht sterben müssen! Es ist alles nur deine Schuld!"

Leider kann ich das Himmelswesen nicht verstehen und es mich wohl auch nicht. Es erhebt sich nun wieder und breitet seine Arme bei hochgezogenen Schultern aus.

Ich wende mich ab und laufe weiter in Richtung auf unseren Heimatbaum zu. Wieder gibt es Laute von sich und läuft mir weiter nach. Es macht viel zu viel Geräusche hier im lebenden Wald. Damit gefährdet es uns beide. Darüber werde ich ganz orange.

Deshalb bleibe ich abrupt stehen und wende mich zu ihm um. Es ist so nah hinter mir, dass es beinahe gegen mich läuft, weil es nicht so schnell stoppen kann. Instinktiv bücke ich mich und das Himmelswesen purzelt über meinen Rücken, um danach auf dem Waldboden zu landen.

Ich sage zu ihm:
"Du solltest nicht hier sein! Geh zu den anderen Himmelswesen zurück!"

Es erhebt sich wieder. Da es natürlich auf meine Aufforderung nicht reagiert, stoße ich ihm beide Hände vor die Brust und wiederhole:

"Geh zurück!"

Ischl, der Gott der Winde und des Atems, weht schon die ganze Zeit sanft durch das Unterholz des Waldes. Plötzlich sehe ich eine ganze Wolke von Samenschirmchen der heiligen Liane, die er vor sich her bläst. Das Himmelswesen steht voll in der Flugrichtung der Schirmchen. Viele davon bleiben an ihm hängen. Meine Augen weiten sich. Es versucht nun, sie durch Pusten und Abstreifen von sich zu entfernen. Ich greife ihm in die Arme und versuche, es von seinem Vorhaben abzuhalten.

"Nein, das ist nicht gut!" erkläre ich ihm.

Hoffentlich versteht es die Gestik. Es schaut mich an und lässt die Samen der heiligen Liane nun in Ruhe. Ich bin überwältigt von der Geste, die nur von den Göttern oder Geistern kommen kann. Flüsternd kommt mir über die Lippen:

"Nur besonders reine Seelen..."

Ein schwacher Windstoß nun, nur ein kurzes Ausatmen unseres Windgottes Ischl, und die Samen fliegen weiter. Das Himmelswesen öffnet den Mund und lässt wieder Töne hören. Ich greife nach seiner Hand, sage "Komm!" und ziehe ihn mit mir fort.

Danach drehe ich mich um und laufe langsam vor ihm her, so dass es mir ohne weiteres folgen kann. Zwischendurch lässt es mich immer wieder kurz Töne hören. Ich sende ihm mit einer grünen Hautfärbung beruhigende Signale.

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