Freitag, 12. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (32)
Diese Wesen gehören hier nicht hin, sie stiften nur Unruhe! Meine Haut wird schnell schwarz vor Stress. Ich nehme einen Pfeil aus meinem Köcher, lege ihn an die Sehne und spanne den Bogen. Plötzlich wird mein Blick von einem Samenschirmchen gefesselt. Ich entspanne die Sehne und verfolge die Saat der heiligen Liane mit meinen Augen. Dabei wechselt meine Hautfärbung ins Bräunliche. Das Schirmchen setzt sich kurz auf dem Pfeilschaft ab, dann segelt es weiter in Richtung Boden.

Ich schaue wieder zu dem Himmelswesen hinüber. Es wird in diesem Moment von einem Doppelwesen attackiert. Nun muss ich mich zwischen zwei schlimmen Konsequenzen entscheiden. Töte ich das Himmelswesen, ziehe ich den Zorn der Waldgeister auf mich, die mir gerade ein Zeichen gesetzt haben. Töte ich das Doppelwesen, stirbt ein denkendes Wesen, vielleicht sogar ein Mitglied unseres Volkes, oder gar unserer Familie. Das ist eine ärgerliche Entscheidung, die ich jetzt treffen muss. Meine Haut wird darüber dunkler.

Ich hebe den Bogen wieder, spanne die Sehne an und entlasse den Pfeil mit dem Ziel auf den geöffneten Rachen des Doppelwesens. Ein gequälter Ton entfährt dabei meinem Mund. Ich treffe das Doppelwesen tödlich, will aber seinen Todeskampf verkürzen. Ich bin es meinem Bruder in der Natur schuldig, dass er nicht leiden muss!

Mit langen Sprüngen hetze ich an dem Himmelswesen vorbei und stoße mein Messer in das Herz des Doppelwesens. Dabei murmele ich:

"Bitte, verzeih mir, mein Bruder. Möge dein Geist ein Teil von Jachi -Geist der Toten- werden, mein Bruder!"

Danach erhebe ich mich und nähere mich dem Himmelswesen verhalten. Das Himmelswesen hat ein viereckiges Teil in der Hand und macht Geräusche. Aus dem Teil kommen ebenfalls Geräusche. Das wechselt ein paar Mal, dann schaut das Himmelswesen vom Waldboden zu mir auf und macht Geräusche, während es mich anschaut. Das ist wohl ihre Sprache.

Ich habe mich zu dem Himmelswesen gehockt und versuche, bei ihm eine Gefühlsäußerung zu lesen, so etwas wie Reue vielleicht. Das Himmelswesen neigt sich nun in meine Richtung. Eine kurze Folge von Tönen verlässt seinen Mund. Seine Hautfarbe kann ich leider nicht lesen.

*

Während ich die Szene vor mir beobachte, spreche ich über den Kommunikator mit dem Kommandanten. Ich weiß nicht wieviel Zeit mir bleibt, also nutze ich den Telegrammstil:

"Eine dieser Echsen hat mich eben attackiert. Daraufhin bin ich von einer extraterrestrischen Lebensform gerettet worden, halb und halb Affe und Chamäleon."

Der Kommandant klingt nun vorwurfsvoll:
"Bedenken Sie, dass WIR hier die extraterrestrische Lebensform sind, während die Anderen hier beheimatet sind. Nebenbei, auch wir gleichen Affen bis zu einem gewissen Grad! Versuchen Sie eine friedliche Kontaktaufnahme zustande zu bringen. Wir können hier ja sehen, wo Sie sich befinden. Bedenken Sie bei ihren Handlungen immer, wir sind hier die Gäste und sie die Gastgeber!"

*

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Dienstag, 9. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (31)
Sie dreht das Messer in der Wunde und faucht dabei, oder handelt es sich um eine Art Sprache? Dann ist es ein Flüstern mit vielen Zischlauten. Dabei verändert das Wesen seine Hautfarbe. Als es an mir vorbeigelaufen ist, hat es gelb ausgesehen. Nun wird es dunkler und gleichzeitig blasser. Man könnte das Wesen mit einem Affen auf der Erde vergleichen, der auf Bäumen und am Boden lebt, denn erstens läuft das Wesen auf den Hinterbeinen und trägt Werkzeug und Waffen mit den Vorderbeinen. Gleichzeitig besitzt das Wesen einen Greifschwanz. Wie Chamäleons auf der Erde kann es die Hautfarbe ändern, bestimmt abhängig von Gefühlen, also nicht bewusst steuerbar. So habe ich das in der Schule gelernt.

*

Ich werde seit meiner Geburt von meinem Volk als Ngachischi bezeichnet. Das ist der Name, den meine Eltern mir gegeben haben. Meine Eltern, das sind der Häuptling und die Schamanin meines Volkes. Mein ehrenwerter Vater trägt die Verantwortung für das Wohlergehen meines Volkes. Seine Entscheidungen decken sich immer mit dem Willen der Götter, die meine ehrenwerte Mutter, in Trance ergründet.

Sie hat mich seit frühester Kindheit mit in den Weltenwald genommen und mich in den Pflanzen und deren Wirkung auf uns unterwiesen. Daneben hat sie mich darin unterwiesen, welche Wesen neben uns noch im Wald leben. Sie hat von uns als den denkenden Wesen geredet. Neben uns leben im Wald noch die jagdbaren Wesen, die 'Doppelwesen', deren Leben immer mit einem unserer Leben verknüpft ist. Stirbt ein Doppelwesen, stirbt gleichzeitig auch ein denkendes Wesen, oder umgekehrt.

Außerdem gibt es noch die Geistwesen im Wald. Sie helfen den Wesen im Wald, wenn sie in Bedrängnis sind. So zeigt sich der Weltenwald als sehr komplex. Über den Geistwesen stehen unsere Götter. Der Höchste ist Oschacha, der Schöpfer. Direkt unter ihm steht an zweiter Stelle Jachi, der Geist der Toten. Die vielen anderen Geistwesen im Wald, sind wahrscheinlich verstorbene Wesen, die noch kein neues Wesen gefunden haben, das im Bauch seiner Mutter heranwächst.

Nun hat man mich nach einer festlichen Zeremonie allein in den Wald gesandt. Es soll meine Initiation werden. Bisher habe ich als kindliches Wesen gegolten. Aber vor ein paar Tagen habe ich nach dem Aufwachen einen Tropfen Blut zwischen meinen Beinen entdeckt. Ängstlich habe ich mich meiner Mutter gezeigt. Sie hat jedoch freudig entspannt reagiert und mich mit ihren Gefühlen angesteckt.

Anschließend sind mehrere alte Frauen hinzugekommen. Man hat eine weiße Paste angerührt und mir Muster auf die Haut gemalt, die mich in die Hand der Geistwesen empfehlen. Nun streife ich mit meinem Steinmesser, Bogen und Pfeile durch den Weltenwald.

Plötzlich höre ich ein 'Geist der Lüfte' über mir im Kampf mit einem unbekannten Flugwesen. Der Luftgeist siegt und das andere Flugwesen stürzt mit Getöse in einen nahen See. Neugierig, aber vorsichtig, nähere ich mich der Stelle. Ich erkenne am Seeufer eines dieser Himmelswesen. Er muss wohl auf dem Flugwesen geritten und rechtzeitig abgesprungen sein.

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Samstag, 6. Mai 2023
Neue Heimat L98 59b (30)
Während ich am Rande eines Sees auf dem Waldboden lande, verheddert sich der Biologe mit den Fallschirmseilen und stürzt in den See, wie auch das Kleinflugzeug. Beide gehen unter. Nachdem ich mich vom Fallschirm befreit habe, hole ich meinen Kompass aus der Tasche und will mir meinen Weg zum Gebirge suchen.

Da meldet sich mein Funkgerät:
"Hallo, Mister Albright?"

Ich antworte sofort:
"Albright hier. Bei mir ist alles in Ordnung. Wir hatten einen Unfall. Ich konnte mich mit dem Schleudersitz retten. Doctor Myers hat es leider nicht geschafft. Er und unser Fluggerät sind hier in einem See versunken."

"Wie konnte das passieren?"

"Ein Flugdrachen, ungefähr so groß wie unser Kleinflugzeug, fühlte sich gestört und attackierte uns."

"Hm... Bleiben Sie, wo Sie sind! Wir kommen mit dem Lander und holen Sie und ihr Kleinflugzeug heraus."

"Okay!" gebe ich zurück und schaue mich um.

Der Kommandant kann mich anpeilen. Also wird er in wenigen Minuten hier sein. Er will auch das Fluggerät aus dem See bergen und vielleicht ebenfalls die Leiche von Doctor Myers, falls sie ihn finden. Plötzlich höre ich ein Fauchen. Irgendetwas nähert sich zwischen den Bäumen meinem Standort. Ich besitze außer meinem Survival-Messer keine Waffe.

Nun sehe ich eine Kreatur, ähnlich einem Waran, in Bodennähe auf mich zustürmen. Schnell springe ich zur Seite und mache sofort noch zwei weitere Sätze weg. Die waranähnliche Kreatur peitscht mit ihrem Schwanz nach mir und verschwindet im Wasser. Die Schwanzspitze hat mich noch geradeso an einer Wade erwischt. Das wird wohl einen blauen Fleck ergeben. Zum Glück nicht mehr.

Ich gebe meine Beobachtung über Funk weiter:
"Achtung! Keine Taucher in den See schicken! Unterwassermonster, wie Echsen!"

"In Ordnung! Danke sehr!" antwortet der Kommandant.

Ich höre ein Plätschern hinter mir und sehe den Kopf des Wesens an der Wasseroberfläche auftauchen. Gehetzt schaue ich mich um. Wenn ich auf einen Baum klettere, gerate ich hoffentlich nicht vom Regen in die Traufe. Gefährliche Tiere gibt es hier sicher überall. Die Fauna dieses Planeten hat gegeneinander aufgerüstet. Aber wie ich aus dem Unterricht weiß, ist es auf der Erde nicht anders gewesen.

Das Tier kriecht an Land in der eindeutigen Absicht, mich zu seiner Mahlzeit zu machen. Ich will am Ufer des Sees entlanglaufen, mich aus der unmittelbaren Gefahrenzone bringen, als ein Pfeil zwischen den Bäumen hervorschießt und im geöffneten zahnbewehrten Maul der Echse stecken bleibt. Das Fauchen der Echse verstummt und das Maul klappt zu. Der Pfeilschaft fällt neben dem Maul auf den Boden und die Echse bleibt an Ort und Stelle liegen.

Sie bewegt sich nicht mehr. Stattdessen raschelt es hinter mir. Ich lasse mich sofort fallen und drehe mich im Fallen, um sehen zu können, was da auf mich zu kommt und entsprechend reagieren zu können. Ein Wesen huscht an mir vorbei auf den Waran zu, dreht ihn auf den Rücken und stößt ihm ein langes Messer, wie eine Machete, zwischen die Rippen.

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