Sonntag, 13. August 2023
Neue Heimat L98 59b (63)
Ich halte den Atem an. Spricht da Oschacha -Schöpfer- zu uns? Die Stimme hat eine kurze Pause gemacht, wie um ihre Worte auf uns wirken zu lassen. Nun wispert der Wind weiter und gespannt höre ich den Worten zu:

"Wenn Veränderungen Gutes bewirken, wird es Zeit, sie zuzulassen. Wichtig ist, dass die Veränderung nicht mit Waffengewalt daherkommt, kein Blut fließt und keine Tränen der Verzweiflung zurücklässt! Die Männer, die am Alten hängen, meinen es gut. Es sind treue und verantwortungsvolle Leute, die sich Sorgen machen, doch auch sie müssen lernen, Veränderungen zuzulassen, die Gutes bewirken. Wenn die jungen Männer eine Frau suchen, dann bietet den Nachbarvölkern friedliche Besuche an. Feiert Feste, bei denen sich Paare finden können."

Der Wind wird stärker. Er verwirbelt meine Haare. Bevor die Stimme fortfährt, ebbt er aber wieder ab.

"Der Geist dieser Welt stirbt nicht durch ein paar Veränderungen! Der Geist dieser Welt würde keine Veränderungen zulassen, die wider die Natur sind. Vergesst das nie und verliert nie euren Glauben!"

Die Stimme ist immer leiser geworden und auch der Wind ist nur noch ein leiser Hauch. Zum Schluss habe ich wieder das Gefühl, dass der Wind mich streichelt. Mit einem Mal werde ich wach und finde mich in dem Blatt wieder, in das ich mich in der Nacht noch eingerollt habe.

Die Sonne streckt schon ihre Arme über den Horizont. Zuerst bin ich leicht verwirrt. Ich kann mich genau an den Traum, oder die Vision erinnern. Ich krieche aus dem Blatt, das im Begriff steht, sich für den Tag zu entfalten, und klettere auf den Waldboden. Der Raum zwischen den Luftwurzeln füllt sich nach und nach mit Ngachi. Ob wir heute alle gleichzeitig wach geworden sind?

Ich laufe zu Ngachischi und Ngamlorr. Ihr Gesichtsausdruck, die geweiteten Augen, sagen mir, dass auch sie etwas geträumt haben diese Nacht. Mit belegter Stimme fragt Ngachischi mich, unserer Tochter einen Arm auf die Schultern gelegt:

"Hattest du auch diesen Traum?"

"Ja," antworte ich. "Frag' jeden anderen im Volk. Sie alle werden diesen Traum gehabt haben. Es kann kein normaler Traum gewesen sein! Es war eine Vision... und ein Auftrag zugleich."

Es wird im Volk Männer geben, denen das Eingreifen der Himmelswesen missfallen hat. Ihnen hat Oschacha -Schöpfer- 'den Wind aus den Segeln genommen'. Sie werden nun sicher nicht gegen mich opponieren.

*

Ich habe in der Nacht nach dem Fest der Initiation von Piongschi und Ngamlorr einen intensiven Traum gehabt. Unsere höchste Gottheit hat zu mir gesprochen und die Vchhtep -Himmelswesen- in Schutz genommen. Damit hat Oschacha auch meinen Ssuckan -Ehemann- unter seinen Schutz gestellt.

Wir haben am Morgen über das nächtliche Erlebnis gesprochen und so erfahren, dass jeder der Ngachi den gleichen Traum gehabt hat. Sollte im Rat einer der Männer trotzdem das Wort gegen meinen Mann erheben, werde ich 'Schimm' beistehen. Nicht alles, was von den Himmelswesen kommt, muss man ablehnen. Sie bringen auch Gutes in den Wald.

Da ist zuvorderst 'Schimm' selbst! Er ist ein 'Vchhtep', aber ich liebe ihn. Ich weiß, dass er eine Seele von Mann ist: Stolz und stark wie ein Ngachi, sanft und liebevoll wie seinesgleichen.

Im Laufe des Tages bemerke ich allerdings, dass der Traum, oder die Vision, uns alle verändert hat. Die Ngachi gehen irgendwie gefühlvoller miteinander um. Ich nehme Ngamlorr in den Arm und auch sie schlingt ihre Arme um mich. Dabei versuche ich, wieder Verbindung zu der Vision, oder gar Oschacha -Schöpfer- zu bekommen. Aber er hält sich wieder aus unserem Alltag heraus. Was gesagt werden musste, ist gesagt worden.

Ich weiß nicht, wie lange wir beide so verharrt haben. 'Schimm' und die anderen Männer sind zur Jagd in der Morgendämmerung aufgebrochen. Langsam lasse ich Ngamlorr los und streiche ihr sanft über die Wange. Sie schaut mich fragend an und flüstert:

"Ich liebe dich, Nußa -Mama-..."

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Donnerstag, 10. August 2023
Neue Heimat L98 59b (62)
"Denk daran," sage ich. "Ich lasse dich aus dieser Höhe in einen Sumpf stürzen, wenn du es nicht schaffst, uns zu euch zu bringen! Orientiere dich am Sonnenstand. Welche Richtung müssen wir nehmen?"

Er weist mir eine Richtung, weiter vom Heimatbaum weg. Plötzlich höre ich die KI des Landers in meinem Kommunikator:

"Voraus auf einer Grasfläche stehen Hütten und dort leben andere Indigene."

"Okay," antworte ich. "Setze die Roboter ab und kreise die Siedlung ein."

Eine Stunde später sind die dort lebenden Indigenen festgesetzt. Wir landen auf dem freien Platz und ich lasse, gemäß meinem Versprechen, den jungen Mann frei. Der Junge läuft zu einem alten Mann und beginnt zu berichten, was sich heute zugetragen hat. Wir führen in den nächsten beiden Tagen die jungen Männer unseres Volkes her, damit sie sich eine Frau aussuchen, die sie heiraten mögen.

Die restlichen Frauen, Kinder und alten Leutchen dieses Volkes lasse ich vom Lander zu ihren Männern bringen. Danach brennen unsere Männer die Hütten des Feindes nieder. Zurück beim Heimatbaum wird ein großes Fest gefeiert, dessen Mittelpunkt die Initiation von Piongschi und Ngamlorr ist.

*

Als das Fest zu Ende ist, es ist schon früher Morgen, klettern die Leute aus dem Volk in den Baum, um sich schlafen zu legen. Die riesigen Blätter in den unteren Etagen des Heimatbaumes haben sich schon zusammengerollt. Es braucht eine gewisse Technik, sie wieder aufzurollen und sich hineinzuschieben, bevor die Göttin der Nacht jeden in ihren Armen wiegen kann.

Plötzlich meine ich, einen kalten Lufthauch zu spüren. Es ist hell, aber Nebel wabert zwischen den Pflanzen. Ich stehe vor dem Stamm eines riesigen Baumes. Es wird sicher zwei oder drei Hände voll Männer brauchen, die sich gegenseitig an den Händen halten, um den Stamm zu umfassen. Der Lufthauch wird etwas wärmer. Er umspielt mein Haar und streicht über mein Gesicht, als wäre ich ein Kind und jemand würde mich sanft streicheln. Es ist ein angenehmes Gefühl. Wäre ich ein geborener Ngachi, würde meine Haut jetzt blassgrün aussehen.

Dann habe ich das Gefühl, dass mich eine Stimme aus dem Windhauch anflüstert.

"Hört mir zu, meine Kinder," haucht die Stimme. Ob in dieser Nacht alle Ngachi den gleichen Traum haben? Die Stimme raunt weiter:

"Die Welt um euch herum hat sich gewandelt. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Und Veränderung ist immer etwas Gutes und etwas Schlechtes zugleich. Alles hat zwei Seiten, und es liegt an jedem selbst, wie man es betrachtet. Mit den Vchhtep -Himmelswesen- ist etwas Neues nach Ckiffenga -Weltenwald- gekommen. Doch nicht alles was neu ist, ist auch etwas Schlimmes..."

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Montag, 7. August 2023
Neue Heimat L98 59b (61)
"Danke, Lander Eins," gebe ich zurück und vergewissere mich: "Der Untergrund ist kein Problem für die Roboter?"

"Nein, alle sind mit Jetpacks ausgestattet," erinnert mich die KI.

"Ich lande auf der Insel und treibe die Männer zu den Robotern. Sie haben die Insel sicher inzwischen eingekreist?"

"Das ist soeben geschehen!"

Ich winke Ngachischi, mir zu folgen. Ein Laserstrahl vom Lander zeigt mir das Ziel an. Wir lassen die Churrot -Luftgeister- sich auf die Insel stürzen. Sie geben dabei helle langgezogene Schreie ab. Die Feinde schauen nach oben, sehen die scheinbar angreifenden Luftgeister und suchen ihr Heil in der Flucht. Die meisten Männer nehmen sich nicht die Zeit, sich die Dinge an die Füße zu schnallen, mit denen sie es geschafft haben, über den morastigen Boden die Insel zu erreichen. Es sind lange biegsame Zweige, deren Enden man zusammenbindet und mit einem Netzwerk aus Stöcken versieht.

So erreicht nur die Hälfte der Männer das Ufer, während die anderen Männer im Morast versinken. Dort werden sie von den Robotern des Landers in Empfang genommen, gefesselt und in den Lander geschafft. Währenddessen sind wir von den Rücken der Churrot gesprungen und auf die kleine Baumgruppe in der Mitte der Insel zugelaufen. Am Rand der Baumgruppe wurde Ngamlorr so zwischen zwei junge Bäume gefesselt, dass sie auf Spannung stehen.

Ich erreiche mein Mädchen, schneide die Fesseln durch und lasse sie in Ngachischis Arme sinken, die in diesem Moment heran ist. Nun schaue ich mich auf der Insel und der umgebenden Wasserfläche um. Ich sehe einige Feinde langsam im See versinken und laufe zu meinem Churrot. Er hat ein Tau aufgewickelt am Sattel hängen. Schnell knote ich eine Schlaufe hinein, die sich zuzieht.

Damit gehe ich zum Ufer und schaue auf den See hinaus. Einer der Männer scheint noch ziemlich jung zu sein. Diesen Mann wähle ich aus und werfe die Schlaufe nach ihm. Sie trifft ihn am Hals und einer Schulter. Er greift danach und schlüpft mit beiden Armen hinein. Nun ziehe ich ihn zurück auf die Insel. Ich knie mich auf seinen Rücken und fasse seine Unterarme zusammen.

Dann frage ich ihn:
"Ihr wart auf einem Jagdausflug und eure Beute sollten Frauen sein?"

Er macht eine zustimmende Geste.

"Okay, wenn du mir eure Siedlung zeigst, lasse ich dich dort frei. Ansonsten lasse ich dich aus großer Höhe in einen Sumpf fallen, denn dann bist du wertlos für mich!"

"Ich werde dich führen," antwortet er.

Ich fessele seine Hände auf den Rücken und stelle ihn auf seine Füße. Anschließend rede ich in meinen Kommunikator:

"Lander Eins, hast du eine neue Heimat für die Männer gefunden und sie dort abgesetzt?"

"Wird sogleich erledigt, Mister Albright!"

"Okay, komm danach zurück und kreise die Siedlung ein, aus der die Männer stammen. Ich führe dich dorthin, wenn du wieder hier bist."

"Wird gemacht!"

Wir warten etwa eine halbe Stunde bis ich den Lander wieder über dem See sehe. Währenddessen steigen wir auf die Churrot. Mein Mädchen nimmt vor ihrer Mutter Platz und ich setze den gefangenen jungen Mann vor mich. Danach starten wir. Ich fliege voraus. Der junge Mann hört sich unsicher an:

"Von hier oben sieht alles so anders aus..."

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