Samstag, 9. September 2023
Neue Heimat L98 59b (72)
Sie nickt und schließt die Wohnungstür, während sie mich ebenfalls lächelnd mit einem "Auf Wiedersehen" verabschiedet.

Anschließend spaziere ich aus der Stadt, neugierig von den anderen Menschen beäugt, die ich freundlich grüße. Draußen rufe ich den Ckurrot mit der Flöte zu mir herunter, steige auf und fliege zum Heimatbaum zurück.


--Ein Experiment--

Mein Name ist Joe Snider. Ich habe nach der Oberschule ein Studium als Ethnologe begonnen. Schon mein Vater ist Ethnologe gewesen. Er gehörte damals zu den wenigen, die sich für ein solches Studium interessiert haben. Dann hat er jahrelang bei den Ngachi geforscht und das Archiv mit vielen wertvollen Informationen über die Indigenen gefüttert.

Seine Berichte über die Lebensweise der Ngachi haben mich in meiner Kindheit immer gefesselt. Das hat bei mir den Wunsch aufkommen lassen, ebenfalls Ethnologe zu werden und dort weiter zu machen, wo mein Vater einen Schnitt gemacht hat. Er hat mit der Zeit so viele Informationen, Geschichten und Mythen gesammelt, dass er einige Jahre damit zugebracht hat, diese zu ordnen und für spätere Studenten aufzubereiten.

Danach ist er in Eseís geblieben. Er ist Professor für Ethnologie geworden und hat interessierte junge Leute unterrichtet. Allerdings ist sein Studiengang wenig besucht. Die jungen Leute interessieren sich kaum für die Welt außerhalb der Hochebene. Der Dschungel ängstigt sie. Das wollen sie jedoch nie zugeben. So bin ich und zwei weitere Studenten allein in der Fachrichtung 'Ethnologie'.

Als ich kurz vor meiner Promotion stehe, fragt mich Dad, ob ich mir vorstellen könnte, 6 bis 12 Monate bei den Indigenen zu leben. Neben der Theorie bräuchte ich auch praktische Erfahrung, um meinen Abschluss zu erhalten. Ich nicke und daraufhin spricht er mit Mister Albright. Der Mann lebt schon fast vierzig Jahre bei den Indigenen.

Er wird von ihnen 'Schimm' genannt, weil sie seinen Vornamen mit ihren Lauten aussprechen. Inzwischen ist er der Häuptling des Volkes, weil seine Frau Ngachischi von ihrer Mutter in die Geheimnisse des Schamanentums eingeweiht wurde, bevor sie starb.

Das Volk der Ngachi ist in den vergangenen Jahrzehnten so angewachsen, dass es geteilt worden ist. Kundschafter der Indigenen haben einen weiteren Heimatbaum lange Zeit gesucht und schließlich gefunden. Der frühere Anführer der Jagdgruppe hat dann seine Leute um sich geschart und ihnen die Wahl gelassen, wer mit ihm gehen oder dableiben will.

Mister Albright und seine indigene Frau werden jetzt um die 60 Jahre alt sein. Jetzt, das bedeutet, wir schreiben dieses Jahr das Jahr 56 nach der Landung auf Angeon. Im Jahr 38 hat Dad seine Forschungen bei den Ngachi begonnen.

*

Chusa -Papa- hat eine Nachricht auf seinen Kommunikator bekommen. Sie stammt von dem Vchhtep -Himmelswesen- 'Luuck', dem ich vor vielen Jahren unsere Lebensweise in vielen Gesprächen und Vorführungen nähergebracht habe. Er schreibt:

"Hallo, Mister Albright. Ich habe einen Anschlag auf Sie vor:
Mein Sohn studiert gerade Ethnologie, wie ich damals. Er ist fast fertig und bräuchte nun auch etwas Praxis. Wäre es möglich, dass er für einen Zeitraum von 6 bis 12 Monaten bei Ihnen lebt?"

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Mittwoch, 6. September 2023
Neue Heimat L98 59b (71)
Mein erster Weg führt mich ins Rathaus. Dort will ich an der Dame im Foyer grüßend vorbeigehen. Sie schaut mich abschätzend an und fragt:

"Guten Tag! Wo möchten Sie hin?"

Es kommt sicher eher selten vor, dass sie einen Mann im Lendenschurz vor sich sieht. Ich entgegne lächelnd:

"Ich bin auf dem Weg zum Premier. Ich habe hier das Jetpack von Mister Snider, der als Ethnologe zu den Ngachi gesandt worden ist. Das möchte ich abgeben, da es hier besser aufgehoben ist als bei dem Dschungelvolk."

"Der Premier weilt schon bei seiner Familie. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, geben Sie mir das Jetpack. Ich werde es hier lagern und meine Ablösung informieren."

"Ach, das ist ja lieb von Ihnen," meine ich und nehme mir das Jetpack von der Schulter.

Ich übergebe es ihr und verabschiede mich. Wieder draußen, orientiere ich mich kurz und gehe dann den von Mister Snider beschriebenen Weg. Bald drücke ich eine Klingel. Eine junge Frau öffnet mir. Sie trägt ein Baby auf einer Hüfte und schaut mich misstrauisch an.

Ihr zunickend, grüße ich und stelle mich vor:
"Guten Tag, Frau Snider. Mein Name ist Jim Albright. Ich wohne seit Jahren bei dem Volk, das ihr Mann seit heute besucht. Ich habe ihm geraten, sich von allem zu trennen, was er nicht am Körper tragen kann und unbedingt braucht. Damit hatte ich im Sinn, dass diese Sachen nicht kaputt gehen, während er bei uns arbeitet. Unsere Kinder sind doch sehr neugierig und müssen alles berühren."

"Ah," meint sie. "Dann kommen Sie doch kurz herein."

Ich mache einen Schritt in die Wohnung und sie schließt die Tür hinter mir. Derweil hebe ich den Gurt des Beutels über den Kopf und stelle ihn vorsichtig auf einen Tisch. Danach leere ich den Beutel und lege die Sachen daneben, die mir Mister Snider übergeben hat. Anschließend verabschiede ich mich freundlich und wende mich zur Tür. Sie öffnet mir und fragt zum Abschied:

"Wie geht es meinem Mann?"

"Oh," meine ich. "Ich habe ihm meine Tochter als Interview-Partnerin gegeben. Er wird ihr 'Löcher in den Bauch fragen' und alle neuen Erkenntnisse mit dem Kommunikator in seine Cloud laden. Wenn seine Zeit bei uns zu Ende geht, hat er genug Material, um daraus eine wissenschaftliche Abhandlung zu formen. Meine Tochter ist zweisprachig aufgewachsen. Von daher habe ich sie für geeignet gehalten."

"Ah ja," meint sie. "Und wie kommen Sie jetzt zu ihrem Volk zurück?"

"Sie haben schon einmal von Flugsauriern gehört? Meine Frau und ich fliegen auf zwei dieser Tiere, die wir in den vergangenen Jahren gezähmt haben."

"Oh," macht sie und schaut mich mit großen Augen an. "Na, dann wünsche ich Ihnen einen guten Heimflug."

Ich lächele sie an und nicke. Dann sage ich:
"Auf Wiedersehen. Ihren Mann können Sie ja jederzeit auf seinem Kommunikator erreichen."

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Sonntag, 3. September 2023
Neue Heimat L98 59b (70)
Nach dem Essen meldet sich Mister Albright zu Wort:
"Da wir hier von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang aktiv sind, machen wir uns jetzt am Besten für die Nacht fertig. Die Blätter des Heimatbaumes beginnen schon bald, sich einzurollen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen, wie wir schlafen."

"Ja, das ist interessant," antworte ich ihm und nicke.

Er erhebt sich nun und strebt auf den Baum zu. Die Anderen stehen ebenfalls vom Boden auf und sammeln die Schalen ein. Ich folge Mister Albright und erklimme hinter ihm einen dieser mannsdicken schrägen Stämme.

"Das sind die Luftwurzeln unseres Heimatbaumes," erklärt er beiläufig.

Wir recken uns zu den unteren Ästen und balancieren darauf weiter nach außen. Irgendwann setzt er sich auf einen dünneren Ast und rutscht ein Stück, bis er ein Blatt erreicht, das schon aussieht wie schlanker Kegel.

"Legen Sie sich mit den Füßen voran auf das Blatt und schieben sich so weit vor bis ihr Kopf sich hier knapp unterhalb des Blattstieles befindet. Das Blatt wird Sie bald völlig umschlossen haben und Sie fühlen sich wie in einer Hängematte. Seien Sie morgen Früh aber vorsichtig! Wenn Sie zu spät aufwachen und das Blatt sich schon geöffnet hat, könnten Sie etwa fünf Meter auf den Waldboden unter uns stürzen. Das könnte schmerzhaft sein!"

Ich mache es so, wie es Mister Albright sagt und fühle mich wohl auf dem riesigen Blatt, das sich zunehmend weiter einrollt und mich fürs Erste nicht mehr freigibt. Er kriecht zum Ast zurück und entfernt sich. Ich nehme meinen Kommunikator hervor und spreche kurz mit Padma. Mister Albright hat ihr die Sachen gebracht, die ich ihm übergeben habe. Ich rekapituliere, was ich heute alles erlebt habe und gleite allmählich in den Schlaf.

*

Nachdem ich mir Mister Sniders Jetpack auf den Rücken geschnallt habe und er mir einige Gegenstände für seine Frau übergeben hat, die ich vorübergehend in einem Beutel unterbringe, klettere ich in den Wipfel unseres Heimatbaumes. Ich habe da eine Stelle entdeckt, wo der Ckurrot zwischen zwei übereinanderstehenden Ästen hindurchsegeln kann. Ich stoße Atemluft in die einfache Panflöte und warte ein Weilchen.

Plötzlich höre ich den Schrei eines Luftgeistes und mache mich zum Absprung fertig. Da sehe ich, wie sich mein Ckurrot nähert. Der Flugsaurier hat genau seine Färbung und trägt den braunen Sattel auf dem Rücken. Ich lasse mich fallen als er unter mir hindurch segelt und kralle mich an den Sattelschlaufen fest. Schnell habe ich den festen Sitz im Sattel erlangt und klopfe dem Tier freundschaftlich an den Hals.

Dann dirigiere ich ihn nach Eseís, ein Weg, den er schon mehrfach geflogen ist. Ich lasse ihn am Stadtrand landen, damit ich unter der Bevölkerung keine Panik erzeuge. Um diese Zeit dürften viele Menschen zwischen den Häusern und über die Plaza flanieren. Der Ckurrot startet auf mein Zeichen wieder und wartet, Kreise drehend, in der Luft über der Stadt.

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