Samstag, 3. August 2024
Neue Philosophie -18
"Das ist nicht schwer zu erkennen! Hat er auch herausgefunden, woher das Leid kommt?" werfe ich dazwischen.

"Nun, Shori -Schwager-," antwortet er lächelnd. "In den meisten Fällen fügen Menschen ihren Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich Leid zu."

"Warum fügen Menschen ihren Mitmenschen Leid zu?" bohre ich weiter.

"Unwissentlich geschieht das aus Gedankenlosigkeit," antwortet mir mein Gegenüber geduldig. "Die Ursache für das wissentlich oder absichtlich herbeigeführte Leid ist die Habgier."

"Aha, das ist genau das, was wir hier wieder sehen!" rufe ich aus.

"Genau!" meint mein Gesprächspartner. "Der Buddhist ist nun gehalten, die Habgier zu überwinden."

"Was aber eher ein frommer Wunsch ist..." stelle ich fest.

"Bei denen, die nie von Buddhas Lehren gehört haben, sicher!" meint er. "Aber auch unter Buddhisten gibt es schwarze Schafe. Das ist keine Frage! Den anderen hat Buddha Lebensregeln mit auf ihren Weg gegeben, die man in dem 'achtfachen Pfad' zusammengefasst hat."

"Was besagt der?" frage ich, nun interessiert schauend.

"Befolgen die Menschen diese Regeln genau, überwinden sie die Habgier und können zur wahren Erkenntnis der Dinge gelangen," redet der Mann weiter. "Sie führen den Menschen auf einen Mittelweg zwischen einem Leben in Luxus und einem Leben des Verzichts."

"Hm, okay," dränge ich. "Und wie lauten nun die Regeln?"

"Erstens, bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Zweitens, sei gütig und friedfertig. Drittens, lüge niemals. Viertens, tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Fünftens, schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Sechstens, gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Siebtens, sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich achtens, konzentriere dich, denke nach und meditiere."

"Diese Regeln erscheinen mir aber wenig alltagstauglich!" meine ich. "Wie soll ich mich immer richtig verhalten? Oftmals weiß ich gar nicht, was richtig ist und was falsch. Das erkenne ich immer erst später, wenn es kaum noch ein Zurück gibt!"

"Ich hörte, Sie haben sich vom Sicherheitsdienst der Mine anwerben lassen, dann aber die Erkenntnis gewonnen und infolgedessen die Seite gewechselt."

"Ja, und?" frage ich und schaue ihn provozierend an.

Der Mann lächelt gütig und antwortet:
"Sie haben genau das Richtige getan! Nämlich das, was Ihnen ihr Gewissen vorgibt. Die nächsten Regeln betreffen ebenfalls ihr Gewissen. Niemand verbietet Ihnen aber, sich angemessen zu verteidigen. Letzteres haben wir gerade im Rahmen unserer Möglichkeiten getan - und dabei die Anzahl der Todesopfer so gering wie möglich gehalten."

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Mittwoch, 31. Juli 2024
Neue Philosophie -17
"Okay," antworte ich. "Sie sagen, Sie sind Buddhisten. Wie kommt es, dass Sie ausgerechnet jetzt, da alles eskaliert, hier auftauchen? Sie sagen, sie haben die Tierwelt - und hier besonders die Insekten - gegen die Feinde der Yanomami gehetzt und dadurch in die Flucht geschlagen. Was ist Ihre Intention bei der Sache?"

"Hm," macht der ältere der Mandeläugigen. "Mit Ihren Worten unterstellen Sie uns gewisse eigennützige Motive, auf die wir nun in weiteren Gesprächen drängen wollen würden..."

Er schüttelt mit einem traurigen Gesichtsausdruck seinen Kopf. Dann redet er weiter:

"Zum einen ist möglicherweise nur die erste Schlacht geschlagen worden. Der Gegner kann durchaus bestrebt sein zurückzukommen. Das kommt darauf an, wieviel Geld die Mine der Betreibergesellschaft wert ist. Das brasilianische Militär wird höhere Ansprüche stellen, um mit mehr Schlagkraft wiederzukommen.
Zum anderen haben wir nicht vor, uns in das alltägliche Leben der Yanomami einzumischen. Wir freuen uns eher, wenn sie ihr seit Generationen angestammtes Leben unbehelligt fortführen können. Sie würden niemals gegen Mutter Natur handeln!"

"Das sind löbliche Worte, die sie da aussprechen! Wie begründen sie Ihre Worte?"

"Um den Grund unseres Handelns zu verstehen, müssen Sie sich etwas in unserer Weltanschauung auskennen. Darf ich Sie Ihnen erklären, Shori -Schwager-?"

"Gerne."

"Da muss ich allerdings einige tausend Jahre zurückgehen. Damals lebte ein Mann namens Siddharta Gautama, von Geburt an reich. Zufällig erlebte er, wie es vielen Menschen außerhalb der Villa seines Vaters erging, wieviel Leid sie in ihrem Leben ertragen mussten. Er sagte sich von seinem bisherigen Leben los und lebte asketisch. Dabei meditierte er oft, um zum Grund des Leids vorzudringen und eine Lehre zu etablieren, die den Ausgleich zwischen arm und reich predigt."

"Damit hatte er aber wenig Erfolg!" werfe ich ein.

"Nun, das liegt wieder am individuellen Charakter der einzelnen Menschen. Grundsätzlich hat er mit seiner Lehre und die Weisen nach ihm, mit ihren Anwendungsbeispielen, schon eine Menge bewirkt - im asiatischen Raum allerdings nur."

"Was besagt nun die Lehre dieses Mister Gautama?"

"Er hat sie für den Normalsterblichen in wenigen Merksätzen zusammengefasst. Zuerst postuliert er, es gibt das Leid in der Welt."

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Sonntag, 28. Juli 2024
Neue Philosophie -16
Einer der Mandeläugigen öffnet seine Augen und lächelt. Er erklärt mir:

"Zwei Harpyien, die 'Geister der Lüfte', wie die Yanomami sie nennen, haben Brennholz in die Rotore der Hubschrauber fallen lassen, während sie selbst mit fast 80 Stundenkilometer über sie hinweg geflogen sind..."

"Ja," meine ich, immer noch unter dem Eindruck der Beobachtung stehend. "Aber wie..."

"Warte bitte! Die Bodenmannschaften müssen noch beschäftigt werden. Sie haben schon ihren Zusammenhalt in Trupps zu 12 Mann aufgegeben und versuchen einzeln oder in Zweiergrüppchen weiterzukommen."

Er sagt es und versinkt wieder in Gedanken, während beide im Schneidersitz bei uns sitzen. Junge Yanomami-Frauen der in der Nähe wohnenden Familien bringen uns bald zu essen. Es ist eine Yanomami-Diät aus Kochbananen und großen Käferlarven. Auch gebratenen Fisch und zerstampften Maniok gibt es. Diesmal rührt sich der jüngere der beiden Mandeläugigen. Er bedankt sich bei der jungen Frau, die ihm sein Essen reicht und beginnt beim Essen zu erzählen.

"Die Soldaten haben sich aufgeteilt und den Rückzug zur Mine angetreten. Die Tiere des Regenwaldes machen ihnen schwer zu schaffen. Immer wieder fallen Haho -Vogelspinnen- aus dem Blattwerk auf sie herab. Dann machen ihnen Ukushi -Stechmücken-, Pareto -Fliegen- und Kopina -Wespen- das Leben schwer. Viele Soldaten sind total zerstochen. Ihnen juckt der ganze Körper."

In diesem Moment regt sich auch der Ältere. Lächelnd bedankt er sich für das Essen und ergänzt:

"Inzwischen ist die komplette Invasionsarmee auf dem Rückzug. In der Mine hat man Sanitätshubschrauber angefordert."

"Woher wissen Sie..." setze ich noch einmal an.

Der Ältere wendet sich nun mir zu:
"Mister Potter, ich darf sie doch hier Shori -Schwager- nennen, in buddhistischen Gesellschaften kennt man das Meditieren. Mit viel Übung erreichen Sie die tiefe Meditation, die Sie befähigt aus sich heraus zu treten und mit anderen Lebewesen in Kontakt zu treten. Sie müssen akzeptieren, dass wir die Tiere des Waldes gegen die Aggressoren in Gang gesetzt haben. Sie kämpfen für uns, ohne jemand von der Gegenseite zu töten."

"Hm," mache ich. "Gilt das auch für den Absturz der Hubschrauber?"

"Leider wird es immer wieder Kolateralschäden geben, Mister Potter! So ganz lässt sich das nie vermeiden. Aber die Gegenseite geht dieses Risiko schließlich bewusst ein!"

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