Donnerstag, 25. Juli 2024
Neue Philosophie -15
Die beiden Neuankömmlinge mit den mandelförmigen Augen haben sich auf den Boden gesetzt und sind in Gedanken versunken, seit die Beobachter im Dorf zurück sind. Nach zwei Stunden regen sie sich wieder und erklären:

"Wir haben in unserer Meditation erkannt, dass die beiden Transport-Hubschrauber zusammen 160 Soldaten des brasilianischen Militärs abgesetzt haben. Die Soldaten haben sich in zehn Zwölfer-Gruppen aufgeteilt und dringen nun sternförmig in den Regenwald vor. Sie sind mit Maschinenpistolen und jede Menge Munition bewaffnet. Die restlichen 40 Männer bleiben im Camp, führen Kontrollfahrten rundum durch und bewachen die Trinkwasser-Aufbereitung. Außerdem steigen die Hubschrauber auf, um mittels ihrer Infrarot-Ortung 'Feinde' aufzuspüren. Diese Hubschrauber haben jeweils zwei Maschinengewehre an Bord."

Meine junge Lehrerin hält sich spontan an mir fest.

"Nun wird es ernst," bin ich überzeugt. "Wir sollten unser Shapono in aller Stille verlassen und uns auf venezolanischem Gebiet neu ansiedeln."

Der Ältere der beiden Neuankömmlinge schüttelt den Kopf. Er meint:

"Du hast den Regenwald nicht in deine Überlegungen mit einbezogen! Auch die Soldaten denken, sie könnten die Gefahren des Regenwaldes übersehen."

Ich ziehe die Stirn kraus. Meine junge Lehrerin schaut überrascht. Der Häuptling und die Okape -Schamanin- schauen interessiert. Der Mann greift in sein Bündel und zieht eine Drohne daraus hervor. Es folgt eine Steuerung mit einem Bildschirm. Er tauscht den Batteriepack an der Drohne aus, die von sechs Rotoren fortbewegt wird. Nun fragt er mich:

"Kannst du damit umgehen, Shori -Schwager-?"

Ich nicke lächelnd. Er übergibt mir die Steuerung und sagt:

"Lasse die Drohne über das Dach der Regenwaldbäume aufsteigen und fliege in Richtung der Mine. Triffst du auf einen Hubschrauber, verstecke die Drohne im Blattwerk. Du sollst nur beobachten, nichts weiter. Deine Beobachtung erscheint hier auf dem Bildschirm und informiert die Yanomami."

"Okay," antworte ich und lasse die Drohne steigen.

Ich umgehe einige Zweige und habe bald den Bereich der Baumkronen erreicht. Nun lasse ich die Drohne die Richtung zur Mine einschlagen. Bald sehe ich die Hubschrauber vor mir in der Luft schweben. Ich steuere die Drohne so unter das Blätterdach, dass eine der Kameras noch erkennt, was vor sich geht.

Plötzlich kommen zwei riesige Vögel ins Blickfeld. Die Yanomami flüstern so etwas wie Sharipe -'Geister der Lüfte'-. Sie tragen etwas Schweres in ihren Klauen und lassen es über den Hubschraubern fallen. Die Hubschrauber geraten ins Trudeln und stürzen ab. Kurz darauf sieht man zwei Explosionspilze über den Bäumen aufsteigen. Wenig später hört man hier im Shapono zwei dumpfe Schläge schnell hintereinander. Nun fliege ich zurück und lasse die Drohne vor mir landen.

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Montag, 22. Juli 2024
Neue Philosophie -14
Worauf sie mir antwortet:
"Sie müssen stoppen ihre Arbeit und gehen zu ihren Medizinmännern."

Ich nicke. Es handelt sich also um so etwas, wie eine Lebensmittelvergiftung, auf die der Verdauungsapparat mit Leibschmerzen reagiert. Die Yanomami kennen sicher ein Gegengift, das die Wirkung neutralisiert. Ganz bestimmt haben unsere Ärzte die geeignete Therapie dafür. Also wird niemand daran sterben müssen. Aber ob das die Minengesellschaft zum Rückzug bewegt? Zumindest wäre es ein Versuch wert und wir können das Ergebnis sehen. Danach kann man entscheiden, wie es weitergehen soll.

Meine Lehrerin spricht mit dem Häuptling darüber. Anschließend wird eine Versammlung der Männer einberufen. Irgendwie kommt mir der Alltag in dem Shapono -Dorf- so vor, als liegt das Wohl und Wehe in den Händen der Männer. Wirklich patriarchalisch scheint die Gesellschaft der Yanomami dennoch nicht aufgebaut zu sein, denn die Frauen entscheiden viel selbst. Die Männer kümmern sich zum Beispiel nicht um die Hausarbeit, was hier im Regenwald das Kochen, Braten, Sammeln, Fischen und Anbau einiger Pflanzen, sowie das Flechten beinhaltet. Die Männer kümmern sich um das Jagen, den Bau eines neuen Dorfes, das Pflegen ihrer Waffen. Wie man an meiner Lehrerin und einigen wenigen anderen Yanomami-Frauen sehen kann, überschneiden sich die Zuständigkeiten manchmal. Nichts ist in Stein gemeißelt.

An der Versammlung nehmen auch die beiden Gäste teil, die besser als ich Yanomam sprechen können. Sie haben allerdings mandelförmige Augen, wie bei Ostasiaten üblich. Eine Henimou -Expedition- zur Mine wird vereinbart, die am nächsten Tag in aller Frühe gestartet werden soll. Gegen 4:30 Uhr am folgenden Morgen weckt mich meine junge Lehrerin energisch. Jeder Mann trägt einen ausgehöhlten Kürbis, gefüllt mit dem Saft der Timbó-Liane und mit einem Holzpfropfen verschlossen, den Schnüre an seinem Platz halten. Auch ich erhalte einen Kürbis an einer langen Leine, die ich mir um die Stirn hänge, so dass die Last auf meinem Rücken hängt.

Die Männer umgehen am Tag nach unserer Ankunft auf meinen Rat hin die Mine und schütten den Inhalt der Kürbisse in die Trinkwasser-Aufbereitungsanlage an einem nahen Fluss. Von dort führt eine Rohrleitung zu den Unterkünften. Meine Lehrerin macht den Ausflug mit, um als Übersetzerin für mich zu dienen.

Tatsächlich bleiben die Bulldozer kurze Zeit später stehen. Die Yanomami kehren anschließend in ihr Dorf zurück. Nur zwei Männer bleiben versteckt in der Nähe und beobachten, was sich in der Mine tut. Gegen Abend wird das Geräusch von Hubschraubern immer lauter. Es sind Militärhubschrauber mit roten Kreuzen in weißem Feld. Sie leuchten das Camp der Arbeiter aus und tragen einige der Minenarbeiter in ihre Maschinen.

Die ganze darauffolgende Nacht kommen neue Hubschrauber an, um weitere Männer aus dem Camp zu evakuieren. Die Mine scheint erst einmal verwaist zu sein. Zwei Wochen später landet ein bewaffneter Militärhubschrauber im Camp. Nach einigen Minuten startet er wieder und einen Tag darauf landen zwei Transport-Hubschrauber und spucken unzählige Soldaten aus. Die Beobachter sind nun ebenfalls ins Dorf zurückgekommen und berichten, was sie gesehen haben. Leider weiß ich nicht, wieviel Männer abgesetzt wurden. Yanomami haben kein Zählsystem. Sie zählen nur Eins, Zwei, Viele.

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Freitag, 19. Juli 2024
Neue Philosophie -13
Meine Worte berühren ihn unangenehm. Nun fragt er mich:

"Aber was können wir als Einzelne oder kleine Gruppen schon gegen die mächtigen wirtschaftlichen Interessen tun?"

Deshalb stelle ich ihm eine Gegenfrage:
"Du ein Krieger. Du starkes Herz! Keine Angst, aber unwissend noch wie Kind! Du kämpfen für uns?"

"Und wie gedenkst du mit Speeren und Pfeilen gegen Maschinengewehre zu bestehen? Wir sollten besser andere Siedlungsgebiete suchen," meint er.

"Die Weißen uns töten mit ihren Napenaperipe -krankmachende Geister der Weißen (Viren)-. Wenn du bist ein Krieger und kämpfst für gerechte Sache, dann Timbó -Lianengift- in ihr Trinkwasser schütte."

"Was passiert dann?"

*

Die junge Frau ist von dem älteren Mann wahrscheinlich beauftragt worden, mich in die Welt der Yanomami einzuführen. Jedenfalls hat sie mich beiseite gezogen und mir bedeutet mich auf dem Boden neben sie niederzulassen. Sie kann gebrochenes Englisch. Dadurch ist eine Verständigung zwischen uns leidlich möglich. Wahrscheinlich ist vor Jahren einmal ein Wissenschaftler aus den Staaten hier gewesen...

Sie beginnt damit, mir Begriffe in ihrer Muttersprache vorzusprechen und lässt sie mich nachsprechen. Daneben erklärt sie mir ihre archaische Weltsicht. Mich macht besonders betroffen, dass sie uns Weißen unterstellt, an die von uns produzierten Waren soviel Gedanken zu verschwenden, wie gegenüber einer Geliebten.

Plötzlich wird es laut im mittleren Rund des Shabono. Drei Männer haben das Dorf betreten. Alle Drei sind wie Yanomami gekleidet - genau wie ich inzwischen auch -, aber nur einer der drei Männer scheint ein echter Yanomami zu sein. Meine junge Lehrerin erhebt sich und nähert sich der Gruppe, die inzwischen von dutzenden Mitgliedern unseres Dorfes umringt werden. Auch der Häuptling und die Schamanin gehen näher heran. Neugierig erhebe ich mich ebenfalls, bleibe aber im Hintergrund. Von der Unterhaltung kann ich bis jetzt nur einzelne Worte verstehen.

Sie hat mir eine Bewährungsprobe vorgeschlagen, so dass ich mir selbst und meinen neuen Bekannten zeigen kann auf welcher Seite ich stehe. Ich soll mich mit anderen Männern des Dorfes an die Mine heranschleichen und den Saft einer Lianenart in ihr Wasseraufbereitungssystem schütten. Interessiert habe ich die Wirkung dieses Saftes erfragt:

"Was passiert dann?"

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