Dienstag, 27. August 2024
Neue Philosophie -26
Der kleine Jaguar ist herangewachsen und hat eines der Kinder im Dorf gebissen, wohl weil der Jaguar sich bedrängt gefühlt hat. Waitheri hat den Jaguar gebändigt und wir haben schnell einen Käfig gebaut, damit Gleiches nicht noch einmal geschieht. Den Jaguar in den Wald bringen, hätte nichts genutzt. Er ist seit Jahren an den Menschen gewöhnt und würde den Weg zurück schnell finden.

Zehn Jahre nach ihrem Erscheinen in unserem Dorf sind die buddhistischen Mönche wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Sie haben die Knoten ihrer Hängematten gelöst. Das ist für die Yanomami die ultimative symbolische Geste des Abschieds. Auf einmal sind überall Tränen. Ein Klagegeschrei erhebt sich im Dorf.

Sie sind zu mir gekommen und haben mir die Drohne übergeben, sowie ein Mini-Solarkraftwerk, um das Fluggerät und die Steuerung aufzuladen. Mit ihm sind in den letzten Jahren immer wieder Kontrollflüge unternommen worden. Das soll ich weiterführen. Auch erhalte ich ein Internet-fähiges Handy. Mittels Skype kann ich so mit ihnen in Verbindung treten, wenn ein erneuter Hilferuf nötig sein sollte.

Sie haben sich für diesen Schritt entschieden, weil es zunehmend unwahrscheinlicher wird, dass von Seiten der Minengesellschaft noch einmal Gefahr droht. Kleine Trupps Goldsucher oder Farmer haben sich nicht als große Gefahr für uns herausgestellt.

Drei Jahre vor ihrem Abschied, als Waitheri fünf Jahre alt ist, beginnt meine 'Kleine' -Bushika- unserer Tochter die unterschiedlichen Pflanzen und Pilze – vor allem die giftigen und die essbaren – zu erklären. Unsere Tochter ist sehr lernbegierig und saugt die Informationen über deren Aussehen und Wirkung regelrecht auf. Welches die Yaro -jagdbaren Tiere- sind und welches die Rishi -Doppeltiere-, weiß sie auch bald sicher zu unterscheiden. In der Mythologie des Volkes bedeutet der Tod eines Doppeltieres, dass zur selben Zeit irgendwo ein Yanomami sterben muss.

Seit sie 8 Jahre alt ist, begleitet sie ihre Mutter auf die Jagd. Bushika bringt ihr bei, sich immer gegen It’ls Atem - den Wind - anzupirschen und dabei kein Geräusch zu verursachen. Sie bringt ihr das Spurenlesen bei und vieles mehr, was man im Urihi -Regenwald- braucht.

Nun ist sie 12 Jahre alt. Bald wird sie ihre erste Blutung haben und damit körperlich zur Frau werden. Waitheri ist in den Augen der Dorfbewohner nun alt genug für den Initiationsritus. Wir haben unsere Tochter feierlich verabschiedet. Sie trägt ein rituelles Messer aus Obsidian mit sich, sowie Pfeil und Bogen, mit dem sie inzwischen sehr gut umzugehen weiß. Der Initiationsritus besagt, dass sie einige Tage auf sich allein gestellt im Wald überleben muss.

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Samstag, 24. August 2024
Neue Philosophie -25
Er muss erkennen, dass er mir gehorchen muss, bevor ich richtig wütend werde. Kete setzt sich hin und gibt auf. Wie immer, wenn ich mit ihm schimpfe, guckt er ärgerlich.

Oma kümmert sich sofort um den Jungen, trägt ihn zu seiner Mutter und verbindet dort seine Wunden. Er bekommt sicher noch eine von Omas berühmten Salben und ist bald wieder gesund.

Kete wurde dagegen schwer bestraft. Ihn im Wald auszusetzen, klappt nicht mehr, sagen Mama und Papa. Er würde den Rückweg finden und bald wieder im Dorf auftauchen. Also bekommt er einen Käfig, aus dem er nicht mehr herauskann. Der Käfig wird außen an der Palisade angebracht, in der Nähe der Aussparung, durch die man das Shabono betritt oder verlässt.

Ich besuche ihn immer wieder, um mit ihm zu sprechen und ihn durch das Gitter hindurch zu streicheln. Das mag er so sehr, dass er einmal durch das Gitter auf mich uriniert hat. Damit zeigen Jaguare, wie sehr sie jemand mögen. Ich habe mich danach gesträubt, mich zu waschen, um den Geruch seiner Freundschaft zu bewahren. Aber Mama ist darin unerbittlich.

Zwei Jahre später entdecke ich ein großes Loch in einer Seitenwand. Es sieht so aus, als hätte sich 'Kete' mit Gewalt die Freiheit erkämpft. Ich bete zu Omama -Schöpfer-, dass er sich um 'Kete' kümmert, ihm vielleicht eine Partnerin zuführt.

*

Seit dem Kampf mit der Minengesellschaft und dem korrupten Militär sind sechzehn Jahre vergangen. Einiges ist in der Zeit passiert. Ich habe eine Yanomami zur Frau genommen und bin im Shabono -Dorf- ein geachteter Jäger geworden. Dazu habe ich die seit Generationen gewachsenen Strukturen nicht angetastet. Obwohl ich die Tochter der Schamanin und des Häuptlings, oder 'Dorfältesten', geheiratet habe, ist mir das nicht zu Kopf gestiegen.

Ich habe erkannt, dass der Rat des Dorfältesten oder 'Häuptlings' in den Versammlungen respektiert wird, aber was letztendlich getan wird, entscheidet die Mehrheit im Rat. In diesem Gremium kann jeder erwachsene Yanomami sprechen. Auch ich gehöre inzwischen dazu. Dennoch halte ich mich zurück, wenn der Chef der Jäger spricht. Das ist übrigens auch der Mann, der mich damals 'verhaftet' hat, als ich zum Dorf der Yanomami geführt worden bin.

Inzwischen ist er mein Shori -Schwager-. Das heißt bei den Yanomami nur, dass wir mehr als freundschaftliche Bande, aber weniger als brüderliche Bande pflegen. Es ist keine familiäre Bezeichnung. Vielleicht anderthalb Jahre nach dem Sieg über das Militär wurde mir eine Tochter geboren. Die Kleine ist unser ganzer Stolz. Sie kommt gut mit den Tieren des Waldes klar, weil sie sie respektiert.

So habe ich, als sie ungefähr drei Jahre alt gewesen ist, ein Jaguarjunges mit ins Dorf gebracht, dessen Mutter in der Spießfalle von Nabuh gestorben ist. Waitheri hat den kleinen Jaguar 'Ketetiwe' genannt, oder kurz 'Kete' und mit dem Jungen gespielt. Das Jaguarbaby hat eine Verletzung am rechten Ohr gehabt, die wir behandelt haben.

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Mittwoch, 21. August 2024
Neue Philosophie -24
"Es wird unser Kind! Ich werde Vater! Wir bekommen ein Kind! ICH WERDE VATER!" ruft er laut ins Shabono hinaus. Ich muss über seine Reaktion lachen, ein glückliches Lachen.

Die Nachbarn, die werdenden Großeltern, Freunde, Verwandte - praktisch das ganze Dorf schaut am Rest des Tages vorbei. Es wird gegessen, getrunken, erzählt, gelacht.

Irgendwann ist der Tag vorbei und wir kuscheln uns aneinander in einer extragroßen Hängematte aus Fasern der Bananenstaude. Bald sind wir eingeschlafen, uns aneinander festhaltend im Glück.

*

Zehn Monde sind seitdem über dem Land der Yanomami -Yanomami thepe urihipe- aufgegangen, als mich ein Schmerz in der Nacht weckt. Ich setze mich auf, drehe mich zur Seite und lasse die Beine aus der Hängematte hängen. Ich stelle sie weit auseinander und beginne, keuchend zu atmen.

Big Forehead ist darüber wach geworden. Er sieht mich sitzen und verlässt vorsichtig die Hängematte. Jetzt beuge ich mich zurück und stütze mich mit den Ellbogen ab.

"Es ist soweit, Waipe -Krieger-!" keuche ich.

Er entfernt sich und weckt meine Mutter, die Schamanin, bevor er wieder zu mir kommt, um mir die Stirn zu kühlen. Die Schamanin bringt noch eine Handvoll alter Frauen mit, als sie beginnt, sich um mich zu kümmern.

"Ganz ruhig, mein Lieber. Es wird alles gut! Ich fühle es..." beruhige ich den aufgeregten werdenden Vater und muss abbrechen, um eine weitere Wehe wegzuatmen.

Meine Mutter, die Schamanin, tritt zwischen mich und Big Forehead. Sie drängt ihn sanft zur Seite.

"Geh' ein wenig aus dem Weg, Sean. Ich brauche den Platz!" fordert sie ihn sanft auf.

Dann beginnt es. Ich keuche wieder eine Wehe weg und spüre dabei, dass sich der Muttermund öffnet und etwas Großes hindurchrutscht. Ich schreie den Schmerz und die Erleichterung hinaus. Meine Mutter beugt sich über mich. Die alten Frauen des Dorfes kommen näher und drängen Big Forehead dadurch noch weiter weg. Dann ist mein Baby draußen und begrüßt die Welt mit Geschrei. Die Frauen säubern es, während die Schamanin die Nachgeburt abnabelt. Dann legen sie mir mein Baby auf die Brust. Ich habe mich mithilfe der Frauen wieder auf die Hängematte gedreht und biete dem kleinen Wesen nun die Brust an. Es nimmt eine Brustwarze in den Mund und beginnt zu saugen.

Nun lassen sie den Waipe zu mir durch, damit er einen Blick auf sein Kind werfen kann. Er scheint völlig fasziniert von dem kleinen Wesen zu sein. Er streicht ihm zart über den Kopf, aber das kleine Wesen lässt sich nicht vom Saugen abhalten. Nun beugt er sich zu mir herunter und küsst mich zärtlich. Anschließend schaue ich ihn mit glücklich funkelnden Augen an und erkläre ihm:

"Es ist ein Mädchen, Lieber! Omama -Schöpfer- hat uns ein Mädchen anvertraut."

Er setzt sich neben mich auf die Hängematte, wodurch sie in Schwingungen gerät. Nachdem er sie ausbalanciert hat, legt er einen Arm um meine Schultern und streicht unserer Kleinen zärtlich über die Wangen. Die Kleine schaut ihn nur an. Mit einem liebevollen Blick auf die Kleine sagt er:

"Waitheri -Furchtlos-..."

Ich lächele den Vater meines Mädchens an und nicke.

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