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Donnerstag, 9. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -06
mariant, 12:21h
Ich schaue zu Babaji auf. Er nickt mir aufmunternd zu und lächelt freundlich, also nehme ich noch ein letztes Mal die bekannten Eindrücke in mich auf. Danach folge ich ihm auf seinem Weg aus dem Ort. Er stützt sich dabei auf einen geraden Stock, der so lang ist, wie Babaji groß ist.
Schon eine ganze Weile gehen wir stumm nebeneinander her, als ich ihn frage:
"Babaji, ich kenne ja nun Buddhas Leben, aber was ist denn Buddhas Lehre?"
Mich trifft ein freudiger Seitenblick. Dann antwortet der Sadhu:
"Der erste Merksatz 'Dukkha' bedeutet, das Leben ist voller Leid."
"Das habe ich selbst erlebt," antworte ich und frage: "Woher kommt das Leid?"
"Nun, mein Sohn," meint Babaji, "in den meisten Fällen fügen Menschen ihren Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich Leid zu."
"Warum fügen Menschen ihren Mitmenschen Leid zu?" dringe ich wissbegierig weiter in ihn.
Aber der Sadhu -heilige Mann- bleibt gelassen. Er antwortet mir:
"Unwissentlich geschieht das aus Gedankenlosigkeit. Das wissentlich oder absichtlich herbeigeführte Leid wird im zweiten Merksatz Samudaja beschrieben. Er bedeutet, die Ursache für das Leid ist Habgier."
"Ah," mache ich. "Um meinen Mitmenschen kein Leid anzutun, muss ich also auf mich und meine Handlungen achten."
"Ja!" ruft Babaji aus. "Achte stets auf das, was du sagst oder tust. Der dritte Merksatz Nirodha besagt, dass du die Habgier überwinden musst."
"Wie ist das aber dann, wenn mich jemand in böser Absicht überfällt und mir Leid zufügen will?" lasse ich nicht locker.
Mir macht die begonnene Unterweisung durch meinen neuen Babaji -Vater- viel Spaß.
"Niemals darfst du angreifen, Ashok! Damit ginge ja das erste Leid von dir aus. Du brauchst dich aber auch nicht töten lassen, sondern du darfst dich verteidigen. Wenn der Gegner aber übermächtig ist, und du sterben solltest... Habe keine Angst! Der Tod ist nicht das Ende. Du wirst wiedergeboren und der Kreislauf des Lebens beginnt für dich erneut. Das geschieht so oft, bis du ein Leben zu führen verstehst wie Buddha. Dann erreichst du auch das Nirwana."
"Kennst du einen Weg, der mich die Angreifer überwinden lässt, Babaji?"
"Warum fragst du, Ashok?"
"Ja, zum einen habe ich früher oft bei kindlichen Streitereien den Kürzeren gezogen. Das Gefühl der Ohnmacht sitzt tief. Zum anderen mag ich nicht so schnell sterben, wenn sich mir Bewaffnete in den Weg stellen."
"Du darfst dich nur verteidigen, Ashok! Denke immer daran! Etwas anderes ist es, wenn du eine hilflose Person antriffst, der ein Bewaffneter das Leben nehmen will. Hier musst du abwägen. Stirbt die hilflose Person, wird sie wiedergeboren. Der Tod hat seinen Schrecken verloren! Bist du dir aber sicher, die hilflose Person retten zu können ohne dabei selbst zu sterben, darfst du sie verteidigen."
"Und wie geht das, diese Verteidigung? Klappt das auch, wenn der andere ein Messer hat?"
"Wenn das Überraschungsmoment auf deiner Seite ist, klappt das auch, wenn der Andere bewaffnet ist. Du musst eben zuerst danach trachten, ihn zu entwaffnen, um ein Gleichgewicht herzustellen."
Meine Gegner in der Kindheit sind eigentlich nie bewaffnet gewesen. Sie sind entweder kräftiger gewesen oder flinker als ich. Ehe ich weitere Fragen in dieser Richtung stellen kann, redet Babaji weiter:
"Die Lebensregeln der Anhänger Buddhas sind in einem achtfachen Pfad zusammengefasst. Befolgen die Menschen sie genau, so überwinden sie die Habgier und können zur wahren Erkenntnis aller Dinge gelangen. Sie führen den Menschen auf einen Mittelweg zwischen einem Leben in Luxus und einem Leben des Verzichts. Willst du allerdings ein Sadhu werden, sollte dir der Verzicht zur Lebensaufgabe werden, mera beta -mein Sohn-."
"Der achtfache Pfad? Davon habe ich noch nie gehört. Was besagt er, Babaji -Vater-?"
"Erstens, bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Zweitens, sei gütig und friedfertig. Drittens, lüge niemals. Viertens, tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Fünftens, schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Sechstens, gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Siebtens, sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich achtens, konzentriere dich, denke nach und meditiere."
Ich höre Babaji aufmerksam zu und werde sprachlos dabei. Erst nach einer ganzen Weile antworte ich mit hängendem Kopf:
"Das sind schwierige Regeln, Babaji!"
Der heilige Mann schaut mich von der Seite an und meint:
"Sei nicht so schnell entmutigt, Ashok! Alles braucht seine Zeit. Du bist ja auch erst seit heute mein Shiyshya -Schüler-. Denke dich einmal fünf oder zehn Jahre weiter! Dann hast du diese Regeln verinnerlicht und lebst sie. Menschen sind nun einmal nicht perfekt! Aber sie müssen perfekt werden wollen, dann schaffen sie vieles."
Sehr bald nach unserem Aufbruch habe ich von Babaji einen eigenen Stock bekommen, mit dessen Hilfe das Gehen nicht so ermüdend ist. Er hat mir irgendwann von einer Selbstverteidigungstechnik erzählt, die er 'Kalaripayattu' nennt. Sie ist aus der genauen Beobachtung unserer wilden Brüder und Schwestern in der Natur entstanden. Wie sich Vögel, Raubtiere und ihre Beute verhalten, haben unsere Vorfahren nachgeahmt und daraus Griffe und Bewegungen entwickelt, mit oder ohne Stock oder andere Hilfsmittel.
Die Zeit vergeht so schnell. Nun ziehe ich schon zwei Jahre mit Babaji durch das Land und wir bringen den Menschen Buddhas Lehre nahe. Ich bemühe mich, in meinem Verhalten Babaji nachzueifern und ihm kleine Dienste zu erweisen, die ihm das Leben leichter machen.
Er bringt mir den Dharma, die Lehren Buddhas, auf mündlichem Wege bei. Allmählich trage ich sie in meinem Herzen und in meinem Geist. Sie geben mir eine gewisse mentale Stärke, Gelassenheit und Geduld im Alltag.
Schon eine ganze Weile gehen wir stumm nebeneinander her, als ich ihn frage:
"Babaji, ich kenne ja nun Buddhas Leben, aber was ist denn Buddhas Lehre?"
Mich trifft ein freudiger Seitenblick. Dann antwortet der Sadhu:
"Der erste Merksatz 'Dukkha' bedeutet, das Leben ist voller Leid."
"Das habe ich selbst erlebt," antworte ich und frage: "Woher kommt das Leid?"
"Nun, mein Sohn," meint Babaji, "in den meisten Fällen fügen Menschen ihren Mitmenschen wissentlich oder unwissentlich Leid zu."
"Warum fügen Menschen ihren Mitmenschen Leid zu?" dringe ich wissbegierig weiter in ihn.
Aber der Sadhu -heilige Mann- bleibt gelassen. Er antwortet mir:
"Unwissentlich geschieht das aus Gedankenlosigkeit. Das wissentlich oder absichtlich herbeigeführte Leid wird im zweiten Merksatz Samudaja beschrieben. Er bedeutet, die Ursache für das Leid ist Habgier."
"Ah," mache ich. "Um meinen Mitmenschen kein Leid anzutun, muss ich also auf mich und meine Handlungen achten."
"Ja!" ruft Babaji aus. "Achte stets auf das, was du sagst oder tust. Der dritte Merksatz Nirodha besagt, dass du die Habgier überwinden musst."
"Wie ist das aber dann, wenn mich jemand in böser Absicht überfällt und mir Leid zufügen will?" lasse ich nicht locker.
Mir macht die begonnene Unterweisung durch meinen neuen Babaji -Vater- viel Spaß.
"Niemals darfst du angreifen, Ashok! Damit ginge ja das erste Leid von dir aus. Du brauchst dich aber auch nicht töten lassen, sondern du darfst dich verteidigen. Wenn der Gegner aber übermächtig ist, und du sterben solltest... Habe keine Angst! Der Tod ist nicht das Ende. Du wirst wiedergeboren und der Kreislauf des Lebens beginnt für dich erneut. Das geschieht so oft, bis du ein Leben zu führen verstehst wie Buddha. Dann erreichst du auch das Nirwana."
"Kennst du einen Weg, der mich die Angreifer überwinden lässt, Babaji?"
"Warum fragst du, Ashok?"
"Ja, zum einen habe ich früher oft bei kindlichen Streitereien den Kürzeren gezogen. Das Gefühl der Ohnmacht sitzt tief. Zum anderen mag ich nicht so schnell sterben, wenn sich mir Bewaffnete in den Weg stellen."
"Du darfst dich nur verteidigen, Ashok! Denke immer daran! Etwas anderes ist es, wenn du eine hilflose Person antriffst, der ein Bewaffneter das Leben nehmen will. Hier musst du abwägen. Stirbt die hilflose Person, wird sie wiedergeboren. Der Tod hat seinen Schrecken verloren! Bist du dir aber sicher, die hilflose Person retten zu können ohne dabei selbst zu sterben, darfst du sie verteidigen."
"Und wie geht das, diese Verteidigung? Klappt das auch, wenn der andere ein Messer hat?"
"Wenn das Überraschungsmoment auf deiner Seite ist, klappt das auch, wenn der Andere bewaffnet ist. Du musst eben zuerst danach trachten, ihn zu entwaffnen, um ein Gleichgewicht herzustellen."
Meine Gegner in der Kindheit sind eigentlich nie bewaffnet gewesen. Sie sind entweder kräftiger gewesen oder flinker als ich. Ehe ich weitere Fragen in dieser Richtung stellen kann, redet Babaji weiter:
"Die Lebensregeln der Anhänger Buddhas sind in einem achtfachen Pfad zusammengefasst. Befolgen die Menschen sie genau, so überwinden sie die Habgier und können zur wahren Erkenntnis aller Dinge gelangen. Sie führen den Menschen auf einen Mittelweg zwischen einem Leben in Luxus und einem Leben des Verzichts. Willst du allerdings ein Sadhu werden, sollte dir der Verzicht zur Lebensaufgabe werden, mera beta -mein Sohn-."
"Der achtfache Pfad? Davon habe ich noch nie gehört. Was besagt er, Babaji -Vater-?"
"Erstens, bemühe dich um Weisheit und verhalte dich immer richtig. Zweitens, sei gütig und friedfertig. Drittens, lüge niemals. Viertens, tue keinem Lebewesen Böses an und stehle nicht. Fünftens, schade niemandem und zerstöre die Natur nicht. Sechstens, gib dir Mühe und erfülle deine Pflichten. Siebtens, sei achtsam, denke und handele stets besonnen. Und schließlich achtens, konzentriere dich, denke nach und meditiere."
Ich höre Babaji aufmerksam zu und werde sprachlos dabei. Erst nach einer ganzen Weile antworte ich mit hängendem Kopf:
"Das sind schwierige Regeln, Babaji!"
Der heilige Mann schaut mich von der Seite an und meint:
"Sei nicht so schnell entmutigt, Ashok! Alles braucht seine Zeit. Du bist ja auch erst seit heute mein Shiyshya -Schüler-. Denke dich einmal fünf oder zehn Jahre weiter! Dann hast du diese Regeln verinnerlicht und lebst sie. Menschen sind nun einmal nicht perfekt! Aber sie müssen perfekt werden wollen, dann schaffen sie vieles."
Sehr bald nach unserem Aufbruch habe ich von Babaji einen eigenen Stock bekommen, mit dessen Hilfe das Gehen nicht so ermüdend ist. Er hat mir irgendwann von einer Selbstverteidigungstechnik erzählt, die er 'Kalaripayattu' nennt. Sie ist aus der genauen Beobachtung unserer wilden Brüder und Schwestern in der Natur entstanden. Wie sich Vögel, Raubtiere und ihre Beute verhalten, haben unsere Vorfahren nachgeahmt und daraus Griffe und Bewegungen entwickelt, mit oder ohne Stock oder andere Hilfsmittel.
Die Zeit vergeht so schnell. Nun ziehe ich schon zwei Jahre mit Babaji durch das Land und wir bringen den Menschen Buddhas Lehre nahe. Ich bemühe mich, in meinem Verhalten Babaji nachzueifern und ihm kleine Dienste zu erweisen, die ihm das Leben leichter machen.
Er bringt mir den Dharma, die Lehren Buddhas, auf mündlichem Wege bei. Allmählich trage ich sie in meinem Herzen und in meinem Geist. Sie geben mir eine gewisse mentale Stärke, Gelassenheit und Geduld im Alltag.
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