Freitag, 1. Juli 2022
Aufbruch ins All -04
Mister Berlin führt mich nun durch den Park auf dem Flachdach des Wohnblocks zum Aufzug zurück. Wir fahren auf die unterste Ebene und steigen im Foyer aus der Aufzugkabine. Statt zum Eingang des Wohnblocks nimmt Mister Berlin die entgegengesetzte Richtung. Er geht auf eine Wand zu, die von bunten Glaselementen in einem Fachwerk gebildet wird. Bei unserer Annäherung fährt sie zur Seite und gibt den Blick auf den Innenhof des Wohnblocks frei.

Geradeaus sehe ich verschiedene Möglichkeiten, sich im Freien unter den Tageslichtlampen an der Decke des Lavatunnels sportlich zu betätigen. Alle diese Möglichkeiten sind mit Netzen eingefasst. Das kann ich gut verstehen, denn nehmen wir nur einmal Tischtennis: Die Bälle fliegen in der geringeren Schwerkraft auf dem Mars weiter. Sollte einer der Spieler den Ball verpassen, kann dieser nicht weiter als nur bis ins Netz fliegen.

Mister Berlin wendet sich nach rechts, nachdem wir die Tür passiert haben. Ich erkenne, dass wir hier unter einer Balustrade an den Schaufenstern verschiedener Geschäfte des täglichen Bedarfs vorbeigehen. Hier gibt es fast alles, was ein Marsianer an Nahrungsmitteln, Kleidung, Sportbedarf und Wohnungsausstattung gebrauchen kann.

"Wie werden die Geschäfte beliefert?" frage ich meinen Mentor.

Mein Nebenmann lächelt und erklärt:
"Die Straßen haben Park- und Ladespuren nahe der Fassade der Wohnblocks. Hat ein Geschäftsmann neue Ware bestellt, wird sie an eine Rampe geliefert, wo er sie in Empfang nehmen kann. Der Verkehr fließt daneben weiter."

"Ah," mache ich.

Mister Berlin ist bei einem Herrenausstatter stehengeblieben und betritt mit mir den Laden. Mit seiner Hilfe habe ich bald je vier Garnituren der verschiedensten Kleidungsstücke erstanden. Meine Grundausstattung, wie er sich dazu äußert. Ohne seine Hilfe wäre ich hier sicher hilflos gewesen. Die Marsianer verwenden völlig andere Größenangaben, als diejenigen die ich kenne.

Danach führt er mich in einen Laden für Drogerie-Artikel. Hier habe ich es leichter. Schnell habe ich meine Zahnhygiene-Artikel, Kamm, Bürste und Rasierer beisammen. Anschließend gehen wir weiter unter der Balustrade entlang. Ich schaue mir an, was ich sonst noch hier kaufen kann, wenn ich irgendwann eine eigene Wohnung beziehe. Mister Berlin macht mich auf Geschäfte für Heimtextilien, Möbel und Elektrogeräte der Unterhaltungselektronik aufmerksam. Daneben sehe ich auch ein Restaurant und zwei Garküchen. Bei Letzteren kann ich weniger aufwendige Gerichte kochen lassen und mitnehmen, um sie in meiner Wohnung zu essen.

"Bad- und Küchenausstattung stellt ein Installateur mit Ihnen zusammen, Mister Armstrong. An Handwerker, die mit solchen Ausstattern zusammenarbeiten, oder direkt mit den Ausstattern kommen sie per Internet in Kontakt. Schauen Sie sich deren Seiten an und wählen Sie aus."

Ich nicke und meine: "Okay."

Wir haben den Innenhof unter der Balustrade inzwischen umrundet, treten wieder durch die Tür und fahren mit dem Aufzug auf das Dach des Wohnblocks, wo wir alsbald das Haus der Berlins betreten. Mister Berlin zeigt mir nun mein Gästezimmer und das Bad im Obergeschoss.

Ich lege mein gerade erstandenes Eigentum in einen Schrank und gehe nun auf Anraten meines Gastgebers ins Bett. Seine Schicht beginnt am nächsten Tag in aller Frühe und dauert wieder bis Mittag. Auch ich werde mitkommen und mit den Ingenieuren seiner Abteilung zusammenarbeiten.

*

In den letzten Tagen haben die Ingenieure eine Routine entwickelt, mit deren Hilfe die Rettungskapsel auf dem Mars gelandet und unter die Oberfläche gebracht werden kann. Danach will man sie auseinandernehmen und erforschen.

Hier bei den Ingenieuren habe ich noch weitere Besonderheiten in Bezug auf den Mars erfahren: Dass das Marsjahr mit 687 Sol um einiges länger ist als ein Erdjahr, weiß ich aus der Raumfahrt. So ist ein Mensch, der auf der Erde 50 Jahre alt ist, hier ungefähr 25 Marsjahre alt.

Aber auch die Maßeinheiten sind andere: Auf der Erde hat man bestimmt, dass ein Viertel-Erdumfang 10 Millionen Meter lang ist. Hier auf dem Mars ist Wasser das wichtigste Gut. Ein Liter, und damit 1 Kilogramm auf der Erde, passt wegen der geringeren Schwerkraft in einen Behälter von ungefähr 2.600 irdischen Kubikzentimeter Inhalt. Um hier wieder auf einen Wert von 1.000 zu kommen, hat man die Länge eines marsianischen Zentimeters auf 1,38 irdische Zentimeter festgesetzt. Ein marsianischer Liter (Hohlmaß) liegt nun bei 2,6 irdischen Litern, aber bei 1.000 marsianischen Kubikzentimetern.

Entsprechend ist der Marsumfang nun keine 21.344 irdische Kilometer lang, sondern 15.467 marsianische Kilometer. Aber zurück zu alltäglichen Zahlen: Ich bin nach irdischen Maßeinheiten 1,83 Meter groß und 80 kg schwer. Umgerechnet auf marsianische Maßeinheiten heißt das, ich bin 1,33 Meter groß und 30 kg schwer. Es wird einige Zeit dauern, bis ich mich hieran gewöhnt habe!

Heute habe ich ein offizielles Schreiben aus dem Büro des Präsidenten bekommen. Mit leicht zittrigen Fingern öffne ich es und entdecke darin die Erlaubnis, mich auf dem Mars niederzulassen. Erfreut zeige ich den Brief meinem Mentor Mister Berlin, der mich ermuntert, mir nun eine eigene Wohnung zu suchen. Es darf ja ruhig eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung sein. Über die Finanzierung sollte ich nebenbei mit meiner Bank sprechen.

Also erkundige ich mich zuerst bei der Bank, die mir Mister Berlin empfohlen hat und wo ich in seinem Beisein mein Gehaltskonto eingerichtet habe. Ich darf mir eine Wohnung suchen im Wert von 12000 Stein im Mietkauf, sagt man mir dort. Also müsste ich fünf Jahre, oder einhundert Marsmonate lang 140 Stein an die Bank zahlen, die dafür der Wohnungsbau-Gesellschaft die 12000 Stein auszahlt. Hinzu kommen noch die Gebühren und Nebenkosten, von denen die Wasserkosten die höchsten sind. Das ist verständlich, weil auf dem Mars Wasser ein rares Gut ist.

Nun schaue ich in den Angeboten der Wohnungsbau-Gesellschaften, die jeweils einen Wohnblock bewirtschaften. Ich finde in dem Wohnblock, auf dem das Haus der Berlins steht, tatsächlich eine ansprechende Wohnung. So unterschreibe ich nach der Besichtigung schon den Mietkauf-Vertrag.

Eigentlich ist es eine 'Drei-Zimmer-Wohnung'. Ein Zimmer ist jedoch als großer Balkon ausgebildet, zur Hälfte in den Außenmauern, zur anderen Hälfte auf einer Bodenplatte aus der Fassade herausschauend. Jede zweite Wohnung in dieser Etage und zum Innenhof des Wohnblocks gelegen, hat diesen Zu-schnitt, wie ich sehen kann. Wenn nötig, kann ich diesen 'Balkon' auch in einen 'Wintergarten' verwandeln, indem ich die Balkonbrüstung mit Glasbausteinen schließen lasse. Ich denke aber, dass das noch Zeit hat.

Die Küche sieht nicht viel anders aus, als ich es kenne. Sie enthält Schränke und Schubladen für die Küchenutensilien und Kühlschränke für die Lebensmittel, um sie länger haltbar zu machen. Eine Mikrowelle, einen Geschirrspüler und verschiedene Kleingeräte findet man auch in der Küche.

Das zentrale Gerät ist nicht der Herd, wie in früheren Jahrhunderten üblich, sondern eine Universal-Küchenmaschine, die wiegen, zerkleinern, rühren, kneten und erhitzen kann. Die Küchenmaschine ist zudem an das Internet angeschlossen und besitzt so einen riesigen Fundus an Rezepten für Gerichte, die man mit den Lebensmitteln auf dem Mars herstellen kann. Hat man sich ein Gericht ausgesucht und laut Zutatenliste alles bereit, gibt das Gerät eine Schritt-für-Schritt-Anleitung zur Herstellung des Menüs.

Um mich nach den Gepflogenheiten auf dem Mars zu richten, muss ich mir als nächstes einen 'Heimstein' suchen, wie Mister Berlin es mir angeraten hat. Dafür nähere ich mich der Wand des Lavatunnels und schlendere ziellos an ihr entlang, in der Hand einen metallenen Pickel. Ein schwarzer Stein fällt mir nach einer ganzen Weile ins Auge, der irgendwie glasartig aussieht und in der Wand steckt. Ich schlage das Mineral mit dem Pickel vorsichtig aus der Wand und nehme es mit nachhause.

Als nächstes kümmere ich mich um die Möblierung und Dekoration meiner Wohnung. Mistress Berlin deckt mich mit einer Erstausstattung an Heimtextilien ein. Die Eheleute lassen es sich auch nicht nehmen und schenken mir Gläser, Geschirr und Besteck, sowie Küchenutensilien.

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