Freitag, 15. Juli 2022
Aufbruch ins All -13
Sie will sich aufsetzen. Eine Pflegekraft fährt das Kopfteil des Bettes ein wenig hoch. Der Mann beugt sich über die alte Frau und greift ihre Hand, die sie ihm entgegenstreckt, um sie sanft zu drücken. Dann sagt die Pflegekraft, er müsse jetzt den Raum verlassen, um sie nicht zu sehr anzustrengen.
Nachdem der Vorhang wieder zugezogen worden ist und die Titelmusik gespielt wird, stehen die Leute von ihren Plätzen auf und verlassen allmählich das Theater. Auch ich reihe mich in den Strom der Leute ein. Ich bin sehr nachdenklich geworden.?

*

Interessant und spaßig ist es, zu sehen wie man damals gelebt hat! Daher sind die ersten Arbeiter fast ausschließlich US-Amerikaner gewesen. Eine ganze Infrastruktur wurde für sie auf dem Mars geschaffen. Unter den hellhäutigen Amerikanern hat es bald vermehrt Fälle von Krebs gegeben, bedingt durch die harte Sonnenstrahlung, die ungehindert die Marsoberfläche bombardiert. Die dunkelhäutigen Amerikaner sind hier klar im Vorteil gewesen. Also hat man bald im Äquatorgürtel rund um den Erdball dunkelhäutige Menschen gesucht, um den amerikanischen Wissenschaftlern und Ingenieuren zuzuarbeiten und die Infrastruktur der Wohnstätten aufrecht zu erhalten.

Scouts aus den Reihen der südafrikanischen Khoisan und der australischen Aborigines haben die Oberfläche des Planeten auf der Suche nach weiteren Lagerstätten von wertvollen Mineralien mit speziellen Mars-Rovern bereist, die eine ummantelte Kabine erhalten haben, und zu ihrer Unterstützung wurden Quadrokopter eingesetzt. Die Oberfläche des Mars hat nach Quadratkilometern etwa die Größe Eurasiens, um sich ein Bild machen zu können.

Bis etwa um das Jahr 2150 haben sich die Leute in verschiedenen Berufsverbänden organisiert, die sich um die bei ihnen organisierten Beschäftigten gekümmert und deren Interessen gegenüber der Corporation vertreten haben. All dies wird wunderbar in den verschiedenen 'Kojen' dargestellt.

Neben den Berufsverbänden wurden später auch Vereine gegründet, um die Freizeit der Menschen zu organisieren. Muss die Arbeit rund um die Uhr aufrechterhalten werden, weil Unterbrechungen teurer werden würden, hat man das in vier Sechsstundenschichten geteilt. Doch bei den Handwerkern und Verkäufern hat es sich herausgebildet, dass sie den Betrieb an zweimal je sechs Stunden offen haben. Genauso hat man auch die Öffnungszeit des Museums eingerichtet.

Ich persönlich habe als Büromensch auch nach sechs Arbeitsstunden frei. Ich übergebe dann an meinen Kollegen der Spätschicht und die Nacht über sind die Büros geschlossen, wie auch sämtliche Freizeitangebote.

Bald haben sich die Berufsverbände zusammengeschlossen, um in verbandsübergreifenden Tagungen allgemeingültige Beschlüsse für ihre Mitglieder zu fassen. Das wiederum hat die Vereine veranlasst, sich zu Verbänden zusammenzuschließen, um ihren Mitgliedern ebenfalls eine Stimme auf den Tagungen zu geben.

Mit der Zeit hat man auf diesen Tagungen ein für alle Marsianer gültiges Regelwerk geschaffen. Auf den Tagungen hat man Räte auf Zeit gewählt, die über dieses Regelwerk wachen und Urteile aussprechen können. Dieser ersten Verfassung ist eine ganze 'Koje' gewidmet.

Am Ende des 22. Jahrhunderts hat man die Tagungen in der Hauptstadt Olympia in einer Lavaröhre des Olympus Mons permanent als Ständeparlament eingerichtet. Man hat sich einen Parlamentssprecher gegeben, sowie eine Regierung aus Ressort-Ministern und einem Premierminister auf Zeit gewählt. Der Premierminister hat sich damals wiederum gegenüber der Mars Ressource Corporation verantworten müssen.
Im Jahr 2214 ist es dann zu einem marsweiten Generalstreik gekommen. Im Ergebnis dieses Volksaufstandes hat sich die irdische Firma aus der direkten Einflussnahme zurückgezogen und ihr Verhältnis über Verträge mit der Regierung des Mars geregelt.

Ein weiterer Erfolg des Volksaufstandes ist es gewesen, dass ein Petitionsamt eingerichtet worden ist. Hierhin können alle Einwohner des Mars Eingaben stellen, denen dann nachgegangen wird. An der Spitze des Petitionsamtes hat man einen Mann gestellt, der vom Volk direkt gewählt wird, ganz im Gegensatz zu den Parlamentariern. Dieser Mann hat den Titel des Präsidenten des Mars erhalten. Er kann die Petitionen bündeln und daraus Volksbegehren schneidern, die er den Marsianern zur Abstimmung vorlegt. Mit den Ergebnissen dieser Volksbegehren kann er Politik machen, indem er sie dem Parlament zur Abstimmung vorlegt. Das Parlament kann nun den Inhalt der Volksbegehren leicht abändern, aber seine Substanz nicht verändern.

Mitte des 23. Jahrhunderts hat der Mars nun die Verträge mit der Mars Ressource Corporation insoweit gekündigt, dass die Ressourcen des Mars als Eigentum der Marsianer angesehen werden und die Corporation für den Abbau zahlen muss. Der Mars hat sich abgeschottet.

Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts ist die Bevölkerung des Mars immer wieder durch Auswanderer von der Erde aufgefrischt worden. Das hat mehrere Gründe gehabt: Einmal wurden hellhäutige Menschen, die an Krebs gestorben sind, durch Dunkelhäutige ersetzt. Aber es sind auch Menschen an einer unbekannten Virusinfektion gestorben. Oftmals ist es sogar zu multiplen Virusinfektionen gekommen.

Laut der Wissenschaftler hat es sich dabei um Krankheitserreger gehandelt, die seit Jahrmillionen auf dem Mars existieren. Da die Menschen in den Lavaröhren in irdischem Atmosphärendruck und ohne Raumanzüge leben, hat es nun die verschiedensten Infektionswege für die marsianischen Krankheitserreger gegeben. Die Wissenschaftler haben unter Hochdruck an Impfstoffen gearbeitet. Trotzdem wurde die Bevölkerung des Mars um die Hälfte reduziert.

Die Überlebenden und nun immunisierten Menschen kann man seitdem als echte Marsianer bezeichnen. Würde einer von ihnen auf der Erde landen, müsste er einen Raumanzug tragen, weil er die irdischen Mikroben nicht vertragen würde - und er bräuchte ein Außenskelett aus Metall, wegen der dreifach höheren Schwerkraft auf der Erde.

Mitte des 23. Jahrhunderts hat man auch eine Kalenderreform eingeführt. Seitdem gilt nicht mehr der Erdumlauf als Zählung, sondern der Marsumlauf. Die Woche hat sieben Tage behalten. So dauert ein Marsjahr 98 Wochen und einen Tag. Das Jahr bekommt zwanzig 'Monate' von 34 bis 35 Tagen Länge. Das Jahr der Kalenderreform, 2250, heißt nun 1196 seit Christi Geburt.

*

Als ich die Koje zur Kalenderreform erreicht habe, schaue ich zufällig auf meine Armband-Uhr. Ich bin überrascht, dass ich nun schon vier Stunden durch die Gänge gewandert bin. Zum Glück brauche ich heute nicht arbeiten. Es ist Sonntag. So habe ich noch drei Stunden, bis das Museum schließt. Die Faltkarte macht mich auf ein Restaurant aufmerksam.

Nach den trockenen Vorträgen in vielen 'Kojen' spüre ich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Also folge ich der Wegbeschreibung und betrete eine Viertelstunde später das Restaurant. Am Eingang spricht mich eine Mitarbeiterin an. Auch sie trägt die silbergraue Kleidung der Museumsangestellten. Sie heißt mich willkommen und fragt, wieviel Personen zu bewirten wären.

"Vielen Dank," erwidere ich. "Ich bin alleine und möchte mich nach dem Besuch dieses sehr informativen Museums bei Speise und Trank etwas ausruhen."

Die junge Frau nickt lächelnd und weist in den Raum:
"Bitte, folgen Sie mir."

An einem kleinen freien Tisch angekommen, bietet sie mir an:

"Bitte, setzen Sie sich hier."

Sie überreicht mir eine Speisekarte und begibt sich zum Eingang zurück, um weitere Ankömmlinge zu den Tischen zu führen. Einige Minuten später kommt eine andere Mitarbeiterin an meinen Tisch und fragt, ob ich mir schon etwas ausgesucht hätte.

Ich bestelle ein Menü und eine Flasche eines unvergorenen Getränkes.

"Okay, bitte warten Sie einen Moment," antwortet die Kellnerin, nickt und geht zum Tresen, um meine Bestellung in eine Maschine einzutippen. Sie erhält einen Bon und gibt ihn dem Mann hinter dem Tresen. Dieser hängt ihn an eine Leiste und kümmert sich weiter um die Zubereitung der Speisen.

... link (0 Kommentare)   ... comment