Sonntag, 17. Juli 2022
Aufbruch ins All -14
Die Kellnerin geht derweil zu anderen Gästen. Als es 'Ping' macht, ist sie geschwind am Tresen zurück und übernimmt ein Tablett. Sie bringt es zu mir und serviert mir meine Bestellung. Ich quittiere das mit einem Lächeln und sage:

"Vielen herzlichen Dank! Das gläserne Geschirr hat übrigens eine schlichte Schönheit. Die marsianischen Manufakturen sind wahre Künstler!"

Sie lächelt und schaut mich dabei etwas irritiert an. Ein Gast von einem Nachbartisch erlöst sie, indem er sie zu sich ruft.

Als die Bedienung Minuten später an mir vorbeikommt, auf dem Weg zum Tresen, halte ich sie kurz auf:

"Entschuldigung!"

Sie schaut zu mir und ich frage:
"Gibt es in Olympia eine Stelle, wo man Glaskunst bewundern kann?"

Sie lächelt und meint:
"Aber ja! Der Berufsverband der Kunstglaser unterhält eine bedeutende Ausstellung in der Stadt."

"Vielen Dank!" sage ich, um sie nicht weiter aufzuhalten.

Eine halbe Stunde später habe ich mein Menü aufgegessen. Ich bestelle noch ein Getränk aus dem Aufguss gerösteter Samen und schaue mir über mein Tablet im Internet die Glaskunst-Ausstellung an. Ich habe Glück, dass in diesem Restaurant an jedem Tisch ein Internet-Anschluss existiert. Auf dem Mars ist alles verkabelt. Funk ist in den Lavaröhren problematisch.

Irgendwann kommt die Bedienung an den Tisch. Sie meint:

"Wir nehmen für heute die letzte Bestellung auf. Möchten Sie noch etwas bestellen?"

Die Uhr auf dem Display meines Tablets bestätigt, dass wir schon eine fortgeschrittene Zeit haben. Ich schalte das Tablet aus und wende mich an die wartende Bedienung:

"Nein, danke sehr. Könnte ich bitte die Rechnung haben?"

Sie blättert in ihrem Block und händigt mir den Zettel mit meinen Bestellungen aus. Während ich mich erhebe, geht die Bedienung schnellen Schrittes zur Kasse neben dem Ausgang. Kurz nach ihr erreiche ich sie. Sie fragt, mit Blick auf den Zettel:

"Ist alles in Ordnung?"

Dabei hält sie mir die Hand hin. Ich gebe ihr den Zettel zurück und sie tippt die Artikelnummern in die Kasse, die daraufhin den Gesamtpreis ausspuckt. Meine Karte zückend, zahle ich den Betrag und bedanke mich noch einmal:

"Vielen Dank für das leckere Essen! Darf ich Sie etwas fragen?"

Sie schaut mich jetzt fragend an und antwortet:
"Gerne."

"Sie haben mir vorhin den wertvollen Tipp mit der Ausstellung für Glaskunst gegeben! Dafür habe ich mich noch gar nicht richtig bedankt. Würden Sie mich bitte in die Ausstellung begleiten, wenn sie in den nächsten Tagen Zeit haben? Sie würden mir eine große Freude bereiten!"

*

Ich habe Glück, dass Madikwe die komplette Woche frei hat, nach meinem Besuch des Gründungsmuseums in Olympia. Es ist ihr Ausgleich für den jeweils dreiwöchigen durchgehenden Dienst auch an Sonntagen.

Wir fahren getrennt zu der Ausstellung für Glaskunst, und als ich dort eintreffe, sitzt sie schon wartend im Foyer. Ich zahle meinen Eintritt und erhalte dafür ein Ticket. Dann lasse ich mich von Madikwe durch die Ausstellungsräume führen.

Der Gebäudeblock beherbergt im nichtöffentlichen Teil die Büros des Berufsverbandes der Kunstglaser. Neben dem Ausstellungsbereich dürfen wir auch Künstlerwerkstätten betreten und den Meistern über die Schultern schauen. Ich kann Skulpturen und Vasen in ihrem Entstehungsprozess beobachten. So wird auch die Herstellung von wunderschönen Schalen gezeigt.

Auf dem Weg von Raum zu Raum fragt Madikwe mich über meine Vergangenheit aus. Das verstehe ich sehr gut, denn wann trifft ein Marsianer heutzutage auf einen Erdling. Bereitwillig gebe ich ihr über mich Auskunft.

Anscheinend haben wir nach einiger Zeit alles gesehen, denn Madikwe steuert das Ausstellungsrestaurant an. Auch hier werden wir am Eingang angesprochen und zu einem freien Tisch geführt. Wir bestellen und Madikwe schaut mich aufmerksam an.

"Was verleitet einen Mann von der Erde, der sich auf dem Mars niederlassen will, eine junge Frau anzusprechen, ob sie für ihn den Fremdenführer macht?" fragt sie mit einem feinen Lächeln.

"Ich bin der Meinung, dass man im täglichen Leben immer einmal jemand kennenlernen kann. Man muss nur die Augen offenhalten und respektvoll vorgehen. Geht es der jungen Dame nicht ähnlich, hat sie die Möglichkeit jederzeit Nein zu sagen. Dieses Nein muss man als Mann unbedingt respektieren.
Zeigt die junge Dame dagegen Interesse wäre es wunderbar, wenn man etwas über ihre Vorlieben erführe. Man könnte sie dann zu den Orten begleiten und gemeinsame Freizeit verbringen. Vielleicht entdeckt die junge Dame Sympathien und es entwickelt sich eine Freundschaft. Sollte mit der Zeit eine Sehnsucht nach dem Anderen hinzukommen, wäre in einer unbestimmten Zukunft vielleicht eine Ehe ins Auge zu fassen..."

Bei den letzten Sätzen zwinkere ich ihr zu. Sie geht darauf ein und meint:

"Bei einem solchen Fahrplan sollte der Mann der Frau aber wirklich großen Respekt entgegenbringen. Er sollte sich als Beschützer erweisen und unmerklich die Führung übernehmen. Die marsianische Frau ist willensstark und kann sich im Alltag durchsetzen. Sie ist diejenige, die die Führung an DEN Mann abgibt, den sie mag, wenn SIE den Zeitpunkt für gekommen hält.
Heiratet sie ihn, ordnet sie sich ihm unter und ist subtil verführerisch. Aber erst dann! Eine Vereinigung vor der Ehe ist gesellschaftlich nicht erwünscht. Ja, sogar intime körperliche Berührungen sind unerwünscht. Sie haben sicher von der großen Pandemie vor Jahrhunderten gehört."

"Meine liebe Madikwe," sage ich und lächele glücklich. Ich schaue ihr in die Augen und ergänze: "Deinen Fahrplan in ein Leben zu zweit werde ich genauso respektieren, wie dich als Person. Ich kann dir nur zeigen, wie sehr ich dich respektiere und ehre, indem wir unsere Freizeit gemeinsam verbringen, so oft es unsere Arbeit zulässt. Damit erhältst du jede Menge Gelegenheiten, meine Gesinnung zu prüfen. Ebenso erkennst du so wie ich dich führen und beschützen würde, wenn das in ernsthaften Situationen nötig würde.
Was das Epidemologische angeht: Natürlich habe ich die erste Zeit auf dem Mars unter Quarantäne verbracht und mir wurden Impfungen verabreicht."

"Das sehe ich genauso, Tim" pflichtet sie mir bei.

Was sie mir über die marsianische Frau im Allgemeinen gesagt hat, kann ich tatsächlich auf die Mitarbeiterinnen im Amt übertragen. Sie sind willens- und durchsetzungsstark. Dass das nicht bedeutet, dass der marsianische Mann sich der Frau unterordnet, hat mir Madikwe nun 'im Vertrauen' mitgeteilt.

Man kann auch herauslesen, dass es auf dem Mars keine wirkliche Gleichberechtigung gibt. Die marsianische Frau kennt die 'Selbstverwirklichung' nicht. Sie tut alles für ihren Vater, ihren Chef, ihre Firma, ihren Mann. Darin findet sie ihre Erfüllung. Der 'Türöffner' ist wie überall Respekt! Klar, gilt das nicht für jeden Marsianer, genauso wie man die Menschen auf der Erde nicht 'über einen Kamm scheren' kann.

Im Verlauf unseres Gespräches stelle ich fest, dass Madikwe vielseitig interessiert ist. Sie mag Ausstellungen und Museen, genauso wie quirlige Sportevents. Die komplette Woche hat Madikwe noch frei. Sicher wird sie Freunde haben und hat mit ihrer Clique einiges vor an ihren freien Abenden. Dennoch frage ich an, ob ich sie wiedersehen und mit ihr einen Club besuchen darf. Madikwe lächelt mich über den Bildschirm des Tablets an und sagt zu, auch wenn sie den Termin um einen Tag verschiebt, weil sie am vorgeschlagenen Termin schon besetzt ist.

Als es schließlich ans Nachhausefahren geht, darf ich sie bis zu ihrem Wohnblock begleiten. Ich nutze dieselbe Cab, um von dort zu mir heim zu kommen. Als wir bei ihr ankommen, bleiben wir noch einen Moment sitzen. Sie gibt mir ihre Nummer, über die sowohl Videotelefonie, als auch Textnachrichten-Übertragung möglich ist - wenn das Gerät am Internetkabel hängt.

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