Donnerstag, 7. Juli 2022
Aufbruch ins All -09
Howard warnt uns:
"Auf diesem Abschnitt sind Blutegel ein echtes Problem! Steckt also eure Hosenbeine in die Socken!"

Der Dschungelpfad zum Einstieg in die ausgebaute Höhle dürfte für ungeübte ein Kraftakt darstellen, stelle ich fest. Karstfelsen und Urwald prägen den Nationalpark.

"Die Hang Son Doong -Höhle von Fluss und Berg- hatte früher nur einen Zugang durch eine andere Höhle, die Hang En. Dieser Zugang wurde mit wasserdichtem Beton geschlossen. Wir gehen zu der nächstgelegenen der beiden Dolinen. Vor einigen Millionen Jahren, als sich das Wasser des Flusses immer weiter durch den Kalkstein gefressen hatte und die Höhle wuchs, konnte irgendwann das Dach über dem gewaltigen Hohlraum sein eigenes Gewicht nicht mehr tragen und brach an zwei Stellen ein.
Unter den Einbrüchen wuchs dank einer ungewöhnlichen Mischung aus hoher Luftfeuchtigkeit, Licht von oben, Dunkelheit von unten und einer extrem großen Menge uralten Fledermaus-Guanos ein neuer Dschungel. Der tiefste Punkt der Hang Son Doong liegt 490 Meter unter der Erde und sie besitzt eine lichte Höhe von 200 Metern.
Die Doline, die unser Ziel ist, ist mit Beton von dem Rest der Höhle abgetrennt worden. Dem Regenwasser wurde eine Abflussmöglichkeit geschaffen, nicht ohne dabei wieder Turbinen zur Stromerzeugung einzubauen. Sie besitzt einen geheimen Zugang zur simulierten Marshöhle," erklärt Howard, als wir unterwegs rasten.

Immer wieder müssen wir Wasserläufe durchqueren. Selbst ein richtig großer Schritt reicht manchmal nicht, um trockenen Fußes voranzukommen. Die Begleitmannschaft spannt jedesmal ein Seil von einem Ufer zum anderen, an dem wir uns festhalten können, denn manchmal ist die Strömung schon ziemlich stark.

Howard erzählt unterwegs weiteres über unser Ziel:
"Die Höhle ist ein fast komplett gerade verlaufender Tunnel. Es gibt viel, viel längere Höhlen, als die knapp neun Kilometer. Aber die sind dann stellenweise nur ganz, ganz schmal. Die Hang Son Doong ist einfach an jeder Stelle gigantisch. Jede andere Höhle der Welt würde in sie reinpassen!"

Zur größten Höhle der Welt gelangt man nur über Umwege. Wir nehmen eine mühsame Wanderung auf uns.

Ich frage ihn:
"Dehnt sich die Mars City über die gesamte Länge der neun Kilometer aus?"

Er schüttelt den Kopf und erklärt:
"Nein, die Mars City nutzt nur den längsten Hohlraum vom Ende der Höhle bis zur zweiten Doline, von unserem Standort gezählt. Aber das sind immerhin auch vier Kilometer. An ihrer breitesten Stelle misst die Hang Son Doong 280 Meter."

Als wir die Doline endlich erreicht haben, wird es ein wenig heikel. Howard sichert uns an Seilen, bevor es ungefähr 150 Meter in die Tiefe geht. Der Stein ist rutschig. Man muss mit dem Gesicht zum Felsen gewandt absteigen, der dunklen Höhle also den Rücken kehren und trotz Helmlampe fast blind nach kleinen Stufen und Vorsprüngen im Fels tasten, die manchmal ziemlich weit auseinanderliegen.

Am Fuß der Doline, beziehungsweise auf dem Einsturzhügel, stehen wir wieder mitten im Dschungel. Über uns erkennen wir den Himmel durch das ovale Loch, durch das wir heruntergestiegen sind. Der Nebel durch die hohe Luftfeuchtigkeit lässt die Umgebung mystisch wirken. Die Sonne steht günstig. Ihre Strahlen scheinen durch das Loch über uns und durchstoßen wie ein schräger breiter Laserstrahl den Nebel. Ansonsten ist es dämmrig.

Von einem bewachsenen Felsen aus genießen wir eine überwältigende Aussicht. Wir erkennen tief unter uns einen Strand. Dorthin müssen wir hinab, bestätigt uns Howard.

"Der Strand liegt rund 300 Meter unter der Erde," klärt er uns auf.

Also steht uns eine weitere Klettertour bevor. Unten angekommen stehen wir auf feinstem Sand. Bis zum Knöchel sacken wir stellenweise in den pulverigen Boden ein.

"Merkwürdiger Sand," findet ein Mitglied unserer Gruppe.

Unser Guide kommentiert das mit den Worten:
"Kein Sand, uralter Fledermaus-Guano." Und sagt: "Wir sind da!"

Türkisgrünes Wasser liegt spiegelglatt vor dem Strand. Die Träger haben die wasserdichten Rucksäcke in den Sand gestellt. Jeder von uns öffnet nun seinen Rucksack und zieht sich seinen Neopren-Anzug an. Schuhe und Strümpfe kommen in spezielle Beutel. Taucherbrille, Schnorchel und Stirnlampe vervollständigen unser Outfit, denn wir müssen hier ins Wasser. Dann schließen wir unsere Rucksäcke wieder und hängen uns die Gurte selbst über die Schultern. Den Bauchgurt noch und dann betreten wir im Gänsemarsch hintereinander das Wasser.

Unser Guide wartet, bis jeder aus unserer Gruppe nur noch mit dem Kopf über Wasser ist, dann folgt er uns. Wir gehen in die Hocke und sehen ihn im Licht der Stirnlampen an einer Kette, die in kurzen Abständen von einer Stange gehalten wird. Er winkt uns und hangelt sich an der Kette entlang. Wir folgen ihm auf Schnorcheltiefe. Ein Mitarbeiter von ihm macht den Abschluss. Nach einigen Metern müssen wir abtauchen.

Schnell noch tief Luftholen. Dann geht es unter Wasser durch ein offenes Tor. Gleich dahinter können wir wieder auftauchen, aber nun geht es durch einen mannshohen Gang, wobei sich nur unsere Köpfe über Wasser befinden. Nach einigen Metern kommt eine Treppe, über die wir aus dem Wasser steigen und in einen Saal gelangen.

"Hier könnt ihr eure Neopren-Anzüge ausziehen und verstauen," meint Howard nun. "Willkommen in Mars City!"

Er öffnet einen Kasten an der Wand, von dem ein daumendickes Rohr abgeht und in der Decke über uns verschwindet. Er entnimmt ihm einen Handapparat, drückt einige Tasten und spricht dann hinein. Danach wendet er sich wieder uns zu und sagt:

"In wenigen Minuten werdet ihr abgeholt. Wir möchten uns schon einmal von euch verabschieden und den Rückweg antreten."

Er hat den Kasten wieder verschlossen, den Riegel umgelegt und winkt uns zu, während er und sein Mitarbeiter wieder in den überfluteten Gang hinabsteigen.

Kurz darauf hören wir ein quietschendes Geräusch. Als wir unsere Stirnlampen in die Richtung halten, sehen wir eine Tür, in deren Mitte sich ein Rad dreht.

'Wie eine Tresortür!' schießt es mir durch den Kopf.

Wir gehen darauf zu. Die Tür öffnet sich und zwei Männer, ausgerüstet mit starken Taschenlampen kommen eine kleine Treppe zu uns herunter.

"Willkommen in Mars City!" begrüßt uns einer der Beiden. "Ich bin Mitarbeiter des Personalbüros hier und gehöre zu SpaceX. Mein Begleiter ist Wissenschaftler der NASA und wird sie während ihres Aufenthalts betreuen."

Wir schütteln uns die Hände und anschließend treten wir durch die 'Tresortür' nach draußen.

Staunend stehen wir vor riesigen Wohnblocks mit breiten Straßen. Weit über uns an der Höhlendecke geben Tageslicht-Lampen ihr strahlendes Licht ab. Zwar haben wir im Vorfeld schon davon gehört, aber dies alles zu sehen hat noch einmal eine ganz andere Qualität.

Drei dreispurige Straßen umschließen zwei Reihen Häuserblocks auf zwei Ebenen. Man hat die Fahrtrichtungen voneinander getrennt, wie bei Highways und sie übereinandergelegt. Zwischen den Wohnblocks gibt es ein sieben Kilometer langes Pedway-System mittels geschlossener Fußgängertunnel, erklärt uns der SpaceX-Mitarbeiter.

"Dies ist etwas völlig anderes als die Raumstation im Orbit. Dort leben und arbeiten eine Handvoll Wissenschafts-Astronauten. Wir simulieren hier eine Mars-Station. Sie müssen sich folgendes Szenario vergegenwärtigen: Die SpaceX investiert Milliarden Dollar, um Menschen zum Mars zu bringen, die dort forschen wollen. Jedes Unternehmen ist gewinnorientiert. Der Mars besitzt Rohstoffe für Billionen Dollar. Firmen auf der Erde brauchen diese Rohstoffe. Sie sind unser Gewinn. Also muss man eine Menge Menschen und Maschinen dorthin bringen. Dafür baut man solche Städte in die Lavatunnel an den Flanken bestimmter Marsvulkane."

"Eine Stadt ist ein komplexer Organismus," gebe ich zu Bedenken. "Die Menschen, die für Sie die Rohstoffe abbauen, erhalten Lohn und Freizeit. Sie wollen wohnen und essen, sowie sich in ihrer Freizeit entspannen. Dazu sind wieder Menschen nötig, die die Nahrung erzeugen und herstellen. Möbel und anderes herstellen und Zerstreuung in Museen und Ausstellungen anbieten. In Restaurants und Theater arbeiten Menschen, um Zerstreuung zu bieten. Ein Geldkreislauf entsteht."

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