Samstag, 11. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -08
Irgendwann wendet sich der Babaji mir zu und sagt:
"Ashok, du bist soweit. Du hast dir mit den Jahren den Rang eines Sadhu erarbeitet. Nun darfst du die gelbe Kesa -Mönchsrobe- tragen."

Er singt das Mantra 'Om mani padme hum' und reinigt den Boden unter unseren Füßen. Danach ruft er Prana an und bittet es zu fließen. Ich verbeuge mich vor Babaji, nehme seine Hände in meine und führe sie an meine Stirn. Zum Abschluss legt er mir segnend die Hand aufs Haar, dreht sich um und macht einen weiten Schritt. Nun bin ich ebenfalls ein Wandermönch und kann mein Wissen weitergeben. Hier trennen sich unsere Wege.

Ich erinnere mich wieder der Begegnung mit der Apsara, namens Leni. Sie hat mir gesagt, dass sie weit nach Sonnenuntergang wohnt. Ich denke, ich muss schauen, wo sie wohnt, egal wie lange ich unterwegs sein werde.

*

Zwei Jahre bin ich unterwegs gewesen. Nun bin ich 23 Jahre alt und habe viel gelernt über die westliche Technologie. Dabei habe ich Englisch besser zu sprechen gelernt und Deutsch, als mir jemand gesagt hat, dass in Deutschland diese Sprache gesprochen wird. Um das zu schaffen, habe ich zwischendurch immer wieder gearbeitet. Nun besitze ich auch eins dieser 'Handys'. Auch habe ich mir Kleidung gekauft, die in der westlichen Zivilisation mehr akzeptiert wird als die Dhoti -traditionelle weite Männerhose- und die Kesa -Mönchsrobe-.

Über das Handy komme ich ins Internet und als ich in Deutschland bin, gehe ich nach Berlin und suche die Adresse auf, die für eine Leni Mrachartz angegeben ist. Ich setze mich in Sichtweite des Mehrfamilienhauses auf den Boden und beginne zu meditieren. Ich versuche, ob ich meine Apsara -Engel, Fee, Elfe, Nymphe- in dem Haus erspüren kann.

Es dauert allerdings mehrere Stunden, in denen ich meinen Sitzplatz öfter wechsele und die Abenddämmerung eingesetzt hat, bis ich sie erfühle. Sie kommt gerade auf das Haus zu, in dem sie wohnt. Ich erhebe mich und nähere mich ihr.

Mir ist bewusst, dass ich mich in den vergangenen zwölf Jahren verändert haben muss. Also gehe ich nicht direkt auf sie zu, sondern wie zufällig, als ob ich an ihr vorbeigehen will. Sie sieht mich kommen und ihr Blick bleibt auf mich geheftet. Ich tue so, als ob ich das bemerke und sage "Hello!"

Dabei versuche ich in meinem alten Akzent zu sprechen, mit dem ich damals geredet habe. Sie schaut mich genauer an. Man sieht, wie es in ihr arbeitet. Plötzlich fragt sie:

"Ashok? Is it you?"

Ich falte meine Hände und führe die Fingerspitzen an mein Kinn.

"Ja, Leni. Ich bin es! Und ich kann jetzt Deutsch mit dir reden."

"Meine Güte, bist du groß geworden! Erzähle! Hast du Zeit, kurz mit zu mir zu kommen?"

Ich nicke ihr freundlich zu und bestätige:
"Ja, ich habe Zeit."

Sie geht zur Haustür und schließt auf. Unterwegs im Treppenhaus fragt sie mich:

"Wie bist du denn hierhergekommen?"

"Das war eine Reise von ungefähr zwei Jahren. Unterbrochen von Arbeit und Lernen."

"Oh!" macht sie.

Wir sind vor einer Wohnungstür angekommen, die sie ebenfalls aufschließt und mich dann hereinbittet. Sie führt mich in den Livingroom und bietet mir an, mich zu setzen. Sie hat dort eine Couch und einen Sessel an einem Couchtisch stehen. Ich setze mich im Schneidersitz zwischen die Sitzmöbel auf den Boden, wie ich das gewohnt bin. Sie meint dazu:

"Du darfst dich ruhig in den Sessel setzen."

"Vielen Dank," antworte ich und setze mich ihr gegenüber.

Sie hat es sich schon auf der Couch bequem gemacht und fordert mich noch einmal auf:

"Jetzt erzähle mal. Was ist damals zuerst geschehen, als wir mit dem Bus weggefahren sind? - Oh, was magst du denn trinken?"

"Gerne Wasser oder Tee," sage ich und beginne: "Als euer Bus das Dorf verlassen hat, ist der Sadhu auch aufgebrochen und ich bin ihm gefolgt. Wir sind von Dorf zu Dorf gewandert, wo der Sadhu über Siddharta Gautama und seine Lehre geredet hat. Ich habe sie inzwischen verinnerlicht. Bevor ich in Richtung Sonnenuntergang aufgebrochen bin, hat er mich auch zum Sadhu geweiht, weil ich alles gelernt habe, was auch er weiß."

"Das muss aber eine entbehrungsreiche Reise gewesen sein," meint sie.

"Das macht nichts. Das bin ich gewohnt," antworte ich und lächele sie an.

"Ich komme gerade von der Arbeit und möchte duschen," erklärt sie mir. "Ich hoffe, es macht dir nichts aus."

Ich schüttele mit beruhigender Miene den Kopf und entgegne ihr:

"Fühl' dich wie zuhause, Leni. Meine Anwesenheit soll nicht störend auf dich wirken!"

Sie lächelt mir zu und erhebt sich. Später höre ich Wasser laufen und als sie den Livingroom wieder betritt, hat sie ein enges Kleid mit Spaghetti-Trägern in lichtgelb an. Sehr feminin.

*

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