Dienstag, 21. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -18
"Das verspreche ich dir sehr gerne!" antwortet Ashok mit ernstem Gesicht. "Und noch mehr: Ich werde stets auf dich achten, dass dir niemand etwas antun kann!"

Wieder küssen wir uns leidenschaftlich. In eine Atempause hinein sage ich:

"Mein Siddharta! Mein Prinz!"

In den folgenden Wochen unternehmen wir alles gemeinsam. Wir kennen die Mainau bald in- und auswendig. Dass wir in getrennten Schlafzimmern schlafen, empfinde ich nicht gut, obwohl... Es ist ja auf meinen Wunsch geschehen. Bevor wir zusammen einschlafen, sind wir zärtlich zueinander. Anfangs hat er mich schüchtern gestreichelt. Ich habe seine Hand geführt, damit er die Stellen auf meiner Haut erkennt, die mich wohlig erzittern lassen. Irgendwann rückt er nahe an mich heran und legt seine Hand um meine Schultern. Ich flüstere:

"Ich weiß nicht, wie lange es her ist, dass mich jemand so lieb festgehalten hat."

Er legt seine Wange an meine und antwortet:
"Du siehst wunderschön aus!"

Da Ashok damit offensichtlich an mir vorbeiredet und mir doch dabei ein liebes Kompliment macht, muss ich lachen. Ich drehe mich auf den Rücken und gebe ihm einen Kuss.

Am darauffolgenden Morgen beim Frühstück frage ich ihn:

"Du warst noch nicht bei den Behörden, seitdem du in Deutschland bist? Du hast keine Aufenthaltsgenehmigung?"

Er schüttelt den Kopf und schaut mich aufmerksam an.

"Nein, daran habe ich nicht gedacht," antwortet er.

"Du hast auch keine Papiere von nepalesischen Behörden, keine Geburtsurkunde?" frage ich weiter.

"Nein," antwortet Ashok. "So etwas bekommst du bei den Tharu nicht. Und wenn du diese Papiere von den indischen oder nepalesischen Behörden haben willst, brauchst du Geld!"

Ich nicke und verspreche ihm:
"Ich werde mich darum kümmern, sobald wir von hier wegkommen!"

*

Irgendwann danach erhalte ich einen Anruf von Papa, in dem er erklärt, dass der Clanchef und seine Familienmitglieder, die mir nach dem Leben getrachtet haben, verhaftet worden sind. Der Haftrichter hat Untersuchungshaft beantragt. Papa ist einverstanden, dass wir erst einmal wieder zurück nach Bad Hindelang kommen. Wir sagen Frau Meyer Bescheid und ich packe meinen Koffer. Danach fahren wir mit der Bodenseefähre nach Lindau und spazieren gemütlich zum Bahnhof. Dort kaufe ich unsere Fahrkarten und wir warten bis unser Zug abfährt.

Wir fahren mit Zügen, die alle paar Kilometer an kleinen Bahnhöfen halten und an Haltepunkten auf freier Strecke bremsen, wenn dort Menschen stehen. Unsere Zugverbindung beinhaltet auch viermaliges Umsteigen und dauert daher sieben Stunden bis zum Zielbahnhof. In Bad Hindelang angekommen, gehen wir wieder nebeneinander zu Fuß in die Altstadt zum Haus meiner Eltern.

Ich habe sie informiert, wann unser Zug eintrifft. Daher finden wir das Haus noch hell erleuchtet, obwohl es schon spät ist. Ich klingele und Mama kommt an die Haustür. Sie öffnet uns und schließt mich in die Arme. Dann reicht sie Ashok die Hand und nähert sich mit ihrer Wange der seinen. Papa kommt in dem Moment aus dem Wohnzimmer und wir begrüßen uns ebenfalls herzlich.

Danach gehen wir alle vier nach oben in die Schlafräume. Ich ziehe Ashok demonstrativ mit zu mir in mein Zimmer. Dort räume ich zuerst den Koffer aus. Ashok sieht sich derweil im Zimmer um. An der Wand hängen ein paar Fotografien, die Papa vergrößern gelassen und hinter Glas eingerahmt hat.

Er fragt auf einmal:
"Hm, bist du das?"

Ich schaue von meiner Arbeit auf und gehe zu ihm. Bei ihm, umfasse ich seine Hüfte und lehne mich an ihn.

?Ja, das war, als ich in der GIZ war. Das ist eine Organisation, die sich um die ländliche und gesellschaftliche Entwicklung in Asien und Afrika kümmert. Nach der Rückkehr aus Nepal wollte ich unbedingt etwas Caritatives tun."

"Ah," macht er nun, dreht sich zu mir um und küsst mich. "Das finde ich sehr gut von dir! Du bist eben doch ein Engel, auch wenn du es nicht wahrhaben willst."

Am nächsten Morgen spreche ich beim Frühstück mit meinen Eltern den Behördenkram an. Lara ist mit ihrer Familie inzwischen längst abgereist. So sitzen wir zu viert am Tisch.

Papa meint:
"Die Behörden haben inzwischen Erfahrung mit Immigranten, die auf ihrer oft gefahrvollen Reise ihre Papiere verloren haben. Geht doch in Berlin zur Ausländerbehörde und erzählt dem Beamten von der gefahrvollen zweijährigen Reise Ashoks und dass ihm eines Morgens seine Papiere fehlten, dass man sie ihm im Schlaf gestohlen hat. Fragt der bearbeitende Beamte, wo das geschehen ist, dann nennt einen Ort im Osten Irans oder Süden Afghanistans, wo Ashok auch wirklich durchgekommen ist und wo er vielleicht gearbeitet hat, um seine Reisekasse aufzufüllen."

Mama nickt dazu und auch ich finde diesen Rat vernünftig. Wir bleiben noch ein paar Tage, dann machen wir uns auf den Heimweg nach Berlin. Dort begleite ich Ashok in die Ausländerbehörde und führe das einleitende Gespräch mit dem Angestellten. Dessen Namen habe ich vom Türschild abgelesen.

"Hallo, guten Morgen, Herr Schneider. Ich, oder besser, mein Bekannter hat ein Problem. Er stammt aus der Tharu-Ethnie, die in Nordindien und Süd-Nepal siedelt. Er hat sich auf den Weg nach Deutschland gemacht. Unterwegs sind ihm seine Papiere gestohlen worden. Nun bräuchte er neue."

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