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Mittwoch, 22. Juni 2022
Eine neue Hoffnung -19
mariant, 11:42h
"Hm, da muss er dieses Formular ausfüllen," antwortet der Mann und zieht ein Blatt aus einer Schreibtisch-Schublade.
Ich gebe es an Ashok weiter, der nun beginnt, die Fragen auf dem Formular zu lesen und die freien Felder auszufüllen. Ich wende mich wieder an den Mann und erkläre:
"Ich bin vor einigen Wochen das Ziel von Verbrechern geworden, die mir nach dem Leben getrachtet haben. Die Polizei hat die Schuldigen inzwischen ermittelt und verhaftet. Der ermittelnde Polizeibeamte hat Herrn Gurun in meinem Büro angetroffen, als er Unterlagen über einen bestimmten Mann aus meiner Kartei erhalten hat. Damals konnte sich Herr Gurun nicht ausweisen und hat gesagt, dass er seine Papiere zuhause liegen hat. Das Kommentar des Beamten damals war 'Wir sprechen uns noch'. Zum Glück haben wir bis jetzt keinen weiteren Besuch von der Polizei gehabt."
"Warum ist er nicht schon vorher, oder zumindest danach unverzüglich zu mir gekommen?" fragt der Angestellte stirnrunzelnd.
"Das war leider nicht möglich," erkläre ich dem Mann. "Herr Gurun hat mich vor einer Entführung bewahrt und tags darauf vor einem Mordanschlag durch Männer eines arabischen Familienclans. Mein Vater hat mir daraufhin geraten ein paar Wochen unterzutauchen, um den Leuten keine Zugriffsmöglichkeit mehr zu bieten. Herr Gurun hat mich zweimal aus einer prekären Situation gerettet und nun wollte ich ihn bei mir haben, quasi als Lebensversicherung."
"Aha," meint der Mann und schaut mich ungläubig an. "Darf ich fragen, wer sie sind?"
"Mein Name ist Leni Mrachartz. Ich bin Geschäftsführerin der Firma Mrachartz Rating, die von meinem Vater gegründet wurde. Wir beschäftigen uns mit dem Rating von Bankkunden. Unsere Kunden sind im Bankenbereich angesiedelt."
"Oh," meint er darauf. "Dann kann ich mir die Geschichte vorstellen. Sie müssen zugeben, dass sie auf unbedarfte Zuhörer wie eine 'Räuberpistole' wirkt."
Er wendet sich an Ashok:
"How did you fend off the criminals? -Wie haben Sie die Verbrecher abwehren können-?"
Ashok lächelt ihn verlegen an und meint:
"Sie können ruhig Deutsch mit mir reden. Ich habe einen Teil meines Lohns während der zweijährigen Reise für Deutschkurse aufgewendet! Wie konnte ich sie abwehren? Ich kenne mich in waffenloser Selbstverteidigung aus, wie viele Asiaten. Wenn der Gegner bewaffnet ist, muss man ihn zuerst entwaffnen, um Chancengleichheit herzustellen. Diese Leute waren dann aber leicht zu überwältigen."
"Oh," macht der Angestellte noch einmal.
In die entstehende Gesprächspause frage ich den Mann:
"Herr Gurun hat mir gesagt, dass es auf dem Gebiet der Tharu keine Standesämter gibt. Er hat also auch keine Geburtsurkunde. Ich habe gelesen, dass die deutschen Standesämter die Vorlage dieses Dokumentes manchmal verlangen. Haben Sie hierfür auch ein Formular?"
Der Angestellte hinter dem Schreibtisch lächelt wissend und greift noch einmal unter seine Tischplatte. Er zieht ein weiteres Formular aus einer Schublade, das Ashok nun auch ausfüllt. Danach verabschiedet sich der Mann von uns, mit der Auflage, in den nächsten Stunden Passfotos machen zu lassen und die ausgefüllten Formulare mit den Passfotos an der Information im Eingang abzugeben. Er verspricht, dass die Dokumente in den nächsten Tagen an der angegebenen Adresse eintreffen werden.
*
Ashok hat neben neuen Papieren und einer Ersatz-Geburtsurkunde eine Duldung für Deutschland erhalten. Er muss sich in Berlin aufhalten und jeden Umzug der Behörde melden, damit sie ihn jederzeit per Brief erreichen kann. Alle halbe Jahre muss er eine Verlängerung der Duldung beantragen. Als Wohnsitz hat Ashok mit meinem Einverständnis mein Appartement angegeben. Er nennt sich im Formular 'Untermieter' und gibt meinen Namen als Hauptmieterin an.
Während wir in dem Mehrfamilienhaus ein- und ausgehen, treffen wir öfter eine neue Familie, die unter uns in die leere Drei-Zimmer-Wohnung eingezogen ist. Das Ehepaar ist etwas älter als ich. Sie haben einen behinderten 11jährigen Sohn, der auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Wenn wir uns zufällig im Treppenhaus treffen, hilft Ashok dem Vater des Jungen beim Bewältigen der Treppe mit dem Rollstuhl. Kurze Zeit nach dem ersten Treffen dieser Art im Treppenhaus werden wir von den Leuten zum gemeinsamen Abendessen in ihre Wohnung eingeladen. Wir sagen gerne zu.
Dort treffen wir den schmächtigen Jungen ohne Rollstuhl an, als er aus seinem Zimmer kommt und sich im Flur erst in den Rollstuhl setzt. Die wenigen Schritte macht er in einer Art 'Watschelgang'. Die Beckenseite des Beines, das er gerade belastet, sinkt ein paar Zentimeter.
Mein besorgt fragender Blick trifft die Mutter des Jungen. Sie nickt uns aufmunternd zu und bittet uns an den Esstisch, dem sich der Junge nun auf seinem Rollstuhl nähert.
Die Mutter erklärt, nachdem sie sich auch gesetzt hat:
"Mike hat eine Hüftluxation. Sie ist kurz nach der Geburt festgestellt worden. Die Ärzte haben uns damals zur Operation geraten, aber ihre positive Prognose ist leider nicht eingetreten."
"Was bedeutet 'Hüftluxation'?? frage ich interessiert und mitfühlend.
"Die Kugel am oberen Ende des Oberschenkelknochens steckt normalerweise in einer 'Pfanne' im Hüftknochen. Ist die Pfanne zu klein ausgebildet oder zu flach, hat die Kugel keinen richtigen Halt. Jetzt halten nur noch die Sehnen der Oberschenkelmuskulatur den Knochen ungefähr am Platz. Dadurch entsteht der Watschelgang. Das sieht nicht nur erbarmungswürdig aus, das ist auch schmerzhaft und hält Mike nur wenige Schritte durch."
Ich gebe es an Ashok weiter, der nun beginnt, die Fragen auf dem Formular zu lesen und die freien Felder auszufüllen. Ich wende mich wieder an den Mann und erkläre:
"Ich bin vor einigen Wochen das Ziel von Verbrechern geworden, die mir nach dem Leben getrachtet haben. Die Polizei hat die Schuldigen inzwischen ermittelt und verhaftet. Der ermittelnde Polizeibeamte hat Herrn Gurun in meinem Büro angetroffen, als er Unterlagen über einen bestimmten Mann aus meiner Kartei erhalten hat. Damals konnte sich Herr Gurun nicht ausweisen und hat gesagt, dass er seine Papiere zuhause liegen hat. Das Kommentar des Beamten damals war 'Wir sprechen uns noch'. Zum Glück haben wir bis jetzt keinen weiteren Besuch von der Polizei gehabt."
"Warum ist er nicht schon vorher, oder zumindest danach unverzüglich zu mir gekommen?" fragt der Angestellte stirnrunzelnd.
"Das war leider nicht möglich," erkläre ich dem Mann. "Herr Gurun hat mich vor einer Entführung bewahrt und tags darauf vor einem Mordanschlag durch Männer eines arabischen Familienclans. Mein Vater hat mir daraufhin geraten ein paar Wochen unterzutauchen, um den Leuten keine Zugriffsmöglichkeit mehr zu bieten. Herr Gurun hat mich zweimal aus einer prekären Situation gerettet und nun wollte ich ihn bei mir haben, quasi als Lebensversicherung."
"Aha," meint der Mann und schaut mich ungläubig an. "Darf ich fragen, wer sie sind?"
"Mein Name ist Leni Mrachartz. Ich bin Geschäftsführerin der Firma Mrachartz Rating, die von meinem Vater gegründet wurde. Wir beschäftigen uns mit dem Rating von Bankkunden. Unsere Kunden sind im Bankenbereich angesiedelt."
"Oh," meint er darauf. "Dann kann ich mir die Geschichte vorstellen. Sie müssen zugeben, dass sie auf unbedarfte Zuhörer wie eine 'Räuberpistole' wirkt."
Er wendet sich an Ashok:
"How did you fend off the criminals? -Wie haben Sie die Verbrecher abwehren können-?"
Ashok lächelt ihn verlegen an und meint:
"Sie können ruhig Deutsch mit mir reden. Ich habe einen Teil meines Lohns während der zweijährigen Reise für Deutschkurse aufgewendet! Wie konnte ich sie abwehren? Ich kenne mich in waffenloser Selbstverteidigung aus, wie viele Asiaten. Wenn der Gegner bewaffnet ist, muss man ihn zuerst entwaffnen, um Chancengleichheit herzustellen. Diese Leute waren dann aber leicht zu überwältigen."
"Oh," macht der Angestellte noch einmal.
In die entstehende Gesprächspause frage ich den Mann:
"Herr Gurun hat mir gesagt, dass es auf dem Gebiet der Tharu keine Standesämter gibt. Er hat also auch keine Geburtsurkunde. Ich habe gelesen, dass die deutschen Standesämter die Vorlage dieses Dokumentes manchmal verlangen. Haben Sie hierfür auch ein Formular?"
Der Angestellte hinter dem Schreibtisch lächelt wissend und greift noch einmal unter seine Tischplatte. Er zieht ein weiteres Formular aus einer Schublade, das Ashok nun auch ausfüllt. Danach verabschiedet sich der Mann von uns, mit der Auflage, in den nächsten Stunden Passfotos machen zu lassen und die ausgefüllten Formulare mit den Passfotos an der Information im Eingang abzugeben. Er verspricht, dass die Dokumente in den nächsten Tagen an der angegebenen Adresse eintreffen werden.
*
Ashok hat neben neuen Papieren und einer Ersatz-Geburtsurkunde eine Duldung für Deutschland erhalten. Er muss sich in Berlin aufhalten und jeden Umzug der Behörde melden, damit sie ihn jederzeit per Brief erreichen kann. Alle halbe Jahre muss er eine Verlängerung der Duldung beantragen. Als Wohnsitz hat Ashok mit meinem Einverständnis mein Appartement angegeben. Er nennt sich im Formular 'Untermieter' und gibt meinen Namen als Hauptmieterin an.
Während wir in dem Mehrfamilienhaus ein- und ausgehen, treffen wir öfter eine neue Familie, die unter uns in die leere Drei-Zimmer-Wohnung eingezogen ist. Das Ehepaar ist etwas älter als ich. Sie haben einen behinderten 11jährigen Sohn, der auf den Rollstuhl angewiesen ist.
Wenn wir uns zufällig im Treppenhaus treffen, hilft Ashok dem Vater des Jungen beim Bewältigen der Treppe mit dem Rollstuhl. Kurze Zeit nach dem ersten Treffen dieser Art im Treppenhaus werden wir von den Leuten zum gemeinsamen Abendessen in ihre Wohnung eingeladen. Wir sagen gerne zu.
Dort treffen wir den schmächtigen Jungen ohne Rollstuhl an, als er aus seinem Zimmer kommt und sich im Flur erst in den Rollstuhl setzt. Die wenigen Schritte macht er in einer Art 'Watschelgang'. Die Beckenseite des Beines, das er gerade belastet, sinkt ein paar Zentimeter.
Mein besorgt fragender Blick trifft die Mutter des Jungen. Sie nickt uns aufmunternd zu und bittet uns an den Esstisch, dem sich der Junge nun auf seinem Rollstuhl nähert.
Die Mutter erklärt, nachdem sie sich auch gesetzt hat:
"Mike hat eine Hüftluxation. Sie ist kurz nach der Geburt festgestellt worden. Die Ärzte haben uns damals zur Operation geraten, aber ihre positive Prognose ist leider nicht eingetreten."
"Was bedeutet 'Hüftluxation'?? frage ich interessiert und mitfühlend.
"Die Kugel am oberen Ende des Oberschenkelknochens steckt normalerweise in einer 'Pfanne' im Hüftknochen. Ist die Pfanne zu klein ausgebildet oder zu flach, hat die Kugel keinen richtigen Halt. Jetzt halten nur noch die Sehnen der Oberschenkelmuskulatur den Knochen ungefähr am Platz. Dadurch entsteht der Watschelgang. Das sieht nicht nur erbarmungswürdig aus, das ist auch schmerzhaft und hält Mike nur wenige Schritte durch."
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