Mittwoch, 29. Juni 2022
Aufbruch ins All -02
In einen Raumanzug, der außen an der Karosserie hängt, kommt Leben. Schließlich trennt sich der Anzug vom Fahrzeug und kommt auf mich zu. Einige Minuten darauf umrundet ein weiterer Mann im Raumanzug den Rover und bleibt in der Nähe des Fahrzeuges stehen. Er hat irgendetwas in der Hand, das er auf mich richtet.

Ich nähere mich den Beiden, zeige meine leeren Hände und lege meine rechte Hand auf die linke Brustseite. Der Mann lässt das Teil sinken, das er auf mich gerichtet hat und öffnet eine Fahrzeugtür, nachdem er mehrere Knöpfe daneben gedrückt hat. Er macht die Willkommensgeste und ich klettere in den Rover. Hinter mir wird die Tür wieder verschlossen und kurz darauf höre ich einströmendes Gas.

Beidseitig an der Rückwand des Fahrzeuges öffnen sich Klappen. Zwei großgewachsene dunkelhäutige Männer kriechen in das Innere des Rovers. Ich erinnere mich. Das ist die Technik, mit der man die Mars-Rover seitens der Mars Resource Corporation vor 300 Jahren ausgestattet hat. Durch die Selbstisolation der Menschen hier hat man also auch den technischen Fortschritt vernachlässigt. Die Raumanzüge der Beiden sind nun luftdicht mit der Karosserie verbunden.
Da die beiden Männer hier im Fahrzeug keine Atemmasken tragen, will ich nun auch wenigstens den Helm meines Raumanzuges öffnen. Die Männer reagieren panisch und bedeuten mir, den Helm aufzulassen. Stattdessen soll ich mich in einen freien Sitz setzen und abwarten.

Die Männer wenden den Rover und fahren auf ihrer Spur zurück. Nach etwa drei Stunden Fahrt erreichen wir eine Öffnung in einer steil aufragenden Felswand. Der Rover fährt in die Höhle und bald in eine seitliche Öffnung hinein. Dort stoppen die Männer das Fahrzeug und öffnen die Seitentür, durch die ich den Rover betreten habe. Anscheinend herrschen draußen jetzt der gleiche Atmosphärendruck und das Gasgemisch wie im Fahrzeug.

Meine Begleiter steigen aus und bedeuten mir, ihnen im geschlossenen Raumanzug zu folgen. Einer der Männer legt seine Hand an die Wand vor sich. Kurz darauf öffnet sie sich und wir gehen hindurch. Ich fühle mich hier irgendwie, wie in eine irdische U-Bahn versetzt - jedenfalls kommt es mir so vor.

Ein kleiner fensterloser Triebwagen steht am Rand eines Bahnsteiges. Wir besteigen das Fahrzeug und die Männer drücken verschiedene Knöpfe. Der Triebwagen beschleunigt sanft, um nach weiteren zwei Stunden allmählich abzubremsen. Nachdem das Fahrzeug steht, öffnet sich die Seitentür und wir befinden uns auf einem ebensolchen Bahnsteig.

Meine Begleiter scheinen es eilig zu haben. Wir betreten gemeinsam einen Aufzug. Nach wenigen Minuten verlassen wir den Aufzug und die Männer in meiner Begleitung übergeben mich an Männer in lindgrüner Kleidung, die Atemmasken und jeder eine Gasflasche auf dem Rücken tragen. Man führt mich durch eine Luftschleuse in einen spärlich eingerichteten Raum. Hier darf ich endlich meinen Raumanzug ausziehen und erhalte sterile Kleidung. Dann lässt man mich erst einmal in Ruhe.

In der nächsten Zeit, ich habe aufgehört die Tage zu zählen, erhalte ich Speisen und Getränke durch eine kleine Schleuse gereicht. Auch meine Schmutzwäsche nimmt diesen Weg. Sie kommt durch die Schleuse schrankfertig zu mir zurück. Wenn ich Besuch bekomme, ist der Mann ebenfalls lindgrün gekleidet und trägt eine Atemmaske.

Ich werde in dem Zimmer intervallartig gründlich untersucht und man verabreicht mir Impfungen gegen mögliche Marsmikroben, die mir gefährlich werden könnten. Daneben will man meine Geschichte genauestens erfahren.

Irgendwann, bestimmt nach mehreren Wochen, erhalte ich Besuch von einem älteren weißhaarigen Mann ohne die übliche Atemmaske. Erstaunt blicke ich auf. Der Mann stellt sich höflich vor und erklärt mir, dass meine Quarantäne vorbei sei und ich zu einem Treffen mit Wissenschaftlern im 'Amt' eingeladen bin.

Der Mann begleitet mich zu der U-Bahn-Station, über die ich in ihr Institut gekommen bin und übergibt mich an einen jüngeren Mann, der mich weiterhin führen soll. Vor mir am Bahnsteig steht wieder ein Triebwagen, wie ich ihn schon kenne.

Unterwegs frage ich den jungen Mann:
"Mister Carlson, was ist das eigentlich für ein Treffen, zu dem Sie mich hinführen sollen?"

Der Mann schaut mich lächelnd an und erklärt:
"Zum einen wollen die Wissenschaftler ihre Geschichte noch einmal aus ihrem eigenen Mund hören. Vielleicht ist davon etwas interessant für sie. Zum anderen werden sie bestimmt gefragt, wie Sie sich ihre Zukunft vorstellen. Wollen Sie von einem irdischen Raumschiff abgeholt werden? Oder wollen Sie Bürger des Mars werden? Für alle diese Fragen sind Sie im Amt in Olympia an der richtigen Adresse!"

"Ah, okay. Unser Ziel ist also die Hauptstadt des Mars."

"Ja, und dort das Präsidialamt..."

Ich mache große Augen. Ob ich etwa das Staatsoberhaupt zu Gesicht bekomme? Eigentlich ist mein Fall doch gar nicht so wichtig. Andererseits, wann passiert so etwas schon, dass man einen Menschen aus Raumnot retten muss? Ob es durch meine Aktion zu diplomatischen Verwicklungen zwischen den Planeten kommt?

Nach etwa drei Stunden Fahrt, in denen ich mir unter anderem die Technik der Rohrbahn erklären lasse, erreichen wir eine ebenso kleine Station in Olympia, wie unsere Startstation. Mein Begleiter erklärt mir zur Rohrbahn, dass sie selbständig eine Haltestelle anfährt und auch abfährt. Nach dem Eintritt schließt sich die Kabine und das Rohr hermetisch ab und ein Überdruck schiebt das Fahrzeug mit bis zu 500 Stundenkilometer vorwärts.

"Unser Rohrnetz," erklärt er, "ist vom öffentlichen Netz getrennt. Dafür sind unsere Fahrzeuge auch deutlich kleiner."

An der Haltestelle in Olympia steigen wir aus und fahren von der Station mit einem Aufzug zu einem größeren Raum auf einer höheren Ebene. Neugierig schaue ich mich um und erkenne links in einer Raumecke ein Treppenhaus. Ihm gegenüber liegt rechts ein großzügiger Eingangsbereich mit vier Glastüren. Vor mir sitzt eine Dame hinter einem Schalter und schaut bei unserem Näherkommen auf. Mein Begleiter ergreift das Wort:

"Sol, Mistress Albright. Ich bringe Ihnen den Raumfahrer, den wir in den letzten Wochen unter Quarantäne hatten."

Mistress Albright nickt und lächelt mich an:
"Ah, Sie sind Mister Armstrong. Warten Sie einen Moment. Ich rufe jemand, der sich um Sie kümmert."

"Ich verabschiede mich dann," meint mein Begleiter zwinkernd. "Ich muss zur Quarantäne-Station zurück."

Ich nicke ihm freundlich zu. Während er zum Aufzug zurückgeht, sagt Mistress Albright zu mir:

"Setzen Sie sich ruhig einen Moment."

Also gehe ich nun zu einer Sitzgruppe neben dem Treppen-haus. Mistress Albright nimmt einen Handapparat auf und spricht hinein.

Vielleicht fünf Minuten darauf kommt ein älterer Mann die Treppe herunter. Er schaut sich kurz um, grüßt die Concierge freundlich und wendet sich danach zu mir um:

"Guten Tag, Mister Armstrong, oder 'Sol', wie man hier sagt," begrüßt er mich. "Ich bin John Berlin. Würden Sie mich bitte begleiten?"

Ich stehe auf und strecke ihm meine Hand entgegen. Mister Berlin lächelt entschuldigend, zeigt seine offene Hand und legt sie sich auf die Herzgegend. Dann macht er eine einladende Handbewegung Richtung Treppe und sagt, immer noch lächelnd:

"Kommen Sie bitte mit."

Wir steigen zwei Etagen höher und gehen einen Gang entlang, bis wir vor einer Tür halten. Unterwegs erklärt Mister Berlin mir, dass das Händeschütteln seit einer Pandemie kurz nach der Kolonisation des Planeten nicht mehr praktiziert wird. Damals mussten sich die Menschen gegen marsianische Viren und Bakterien wehren. Gut die Hälfte der Bevölkerung ist damals gestorben bis Impfstoffe entwickelt worden sind. Mir fällt ein, davon im Geschichtsunterricht in meiner Schulzeit einmal gehört zu haben.

Mein Begleiter klopft schließlich an eine Tür und öffnet sie einen Moment später. Mit einer Handbewegung gibt er mir den Vortritt und schließt die Tür hinter mir wieder, nachdem auch er den Raum betreten hat.

Er begrüßt die Runde in dem Raum mit "Sol!", während wir Platz nehmen.

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