Montag, 7. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -14
Papa schüttelt den Kopf und ich mache Fauchgeräusche und tue so, als würde der Drachen, den Papa mir in Hongkong gekauft hat, um die beiden Männer fliegen.

"Ich verspreche Ihnen, dass dies die erste und letzte Reise dieser Art für Sie sein wird! Ich werde Sie kein zweites Mal bemühen!" ergänzt Dennis.

"Ich nehme Sie beim Wort!" sagt Papa und wendet sich dann mir zu.

Kurz darauf verabschiedet sich Dennis. Er wäre in seiner Kabine zu finden, sagt er im Hinausgehen. Ich lege mich in meine Koje und lese in einem Abenteuerbuch, das ich an Bord in der Bibliothek gefunden habe.

*

Wenn ich, Yong Tai, nicht mit Noah das Schiff erkunde und der Mannschaft 'Löcher in den Bauch' frage, bin ich meist bei den ehrenwerten Großeltern. Mein ehrenwerter Vater hält sich zumeist bei seinem amerikanischen Freund in der Eignerkabine auf.

Oft praktizieren meine ehrenwerten Großeltern Tai Chi. Ich schaue zu und ahme sie nach, bis Noah hereinkommt und fragt, ob ich mit ihm spielen möchte.

"Du bist ein fröhlicher, witziger Junge!" habe ich ihn einmal lächelnd genannt und ihm dabei einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange gegeben.

Ich mag ihn sehr, auch wenn ich fünf Jahre älter bin. Er hat immer solch spontane Einfälle, die mich zum Lachen bringen. Aber man muss ihn auch manchmal bremsen, damit er der Besatzung nicht auf die Nerven geht. Dann lade ich ihn zu einem Brettspiel im Salon ein. Dabei schüttet er mir oft sein junges Herz aus.

Die Zeit auf dem Meer vergeht auf diese Weise wie im Flug. Oft stehen wir auch an der Reling und können Wale beobachten. Oder ist es etwa so, dass sie uns beobachten? So vieles lässt mich kindlich staunen. Schließlich laufen wir in Honolulu ein.

Der ehrenwerte Herr, der uns so sehr geholfen hat, lädt uns in seine Gäste-Villa ein. In den darauffolgenden zwei Wochen organisiert er Besichtigungstouren mit Auto und Kleinflugzeugen über die ganze Inselgruppe. Wir verbringen eine wundervolle Zeit.

Schließlich werde ich zu meinem ehrenwerten Vater gerufen. Der ehrenwerte amerikanische Herr und Lama Rinpoche sind auch anwesend. Mein ehrenwerter Vater eröffnet mir, dass der ehrenwerte Herr mir eine Ausbildung zur Immobilienkauffrau anbietet. Ich mache große Augen. Bin ich denn für diesen Beruf wirklich geeignet?

In die Stille meldet sich der ehrenwerte Lama zu Wort:
"Li Yong Tai, habe keine Angst vor der Zukunft und der damit verbundenen vorübergehenden Trennung von deiner ehrenwerten Familie! Du kannst alles schaffen, was du ernsthaft angehst. Bewahre dir deine Neugier und dein Interesse. Bewahre dir dein Mitgefühl, aber beharre auch auf Standpunkten, die du für richtig hältst. Ich wünsche dir alles Glück der Welt!"

Nach einer kurzen Gedankenpause beuge ich meinen Kopf vor dem ehrwürdigen Lama Rinpoche und wende mich meinem ehrenwerten Vater zu:

"Ja, ehrenwerter Vater, ich bin bereit! Ich werde dich nicht enttäuschen!"

Bald darauf begleiten wir Noah, seinen Stiefvater Herrn Mann und Lama Rinpoche zum Kona International Airport im Westen der Insel. Kurz bevor die Drei den Abflugbereich betreten, dreht sich Noah zu mir um und hält mir den Plüschdrachen hin, den er unter dem Arm getragen hat.

"Ich schenke dir den Drachen, Yong Tai! Er wird immer auf dich aufpassen, und dich an mich erinnern!"

Ich erwidere freundlich lächelnd:
"Behalte du ihn! Ich brauche kein Geschenk, um mich immer wieder an dich zu erinnern. Du bist in meinem Herzen."

Er schaut enttäuscht, also gehe ich auf sein Angebot ein.

"Vielen Dank, Noah. Dein Drachen wird einen Ehrenplatz erhalten!" verspreche ich ihm.

*

Seit dem Hongkong-Abenteuer sind sieben Jahre vergangen. Viel ist in der Zeit geschehen. Herrn Lis amerikanischer Freund hat auf der Seereise zurück nach Hawaii neben den beruflichen Gesprächen via Satellit viel mit Herrn Li und mir, Dennis, über die Situation der Buddhisten in Deutschland gesprochen.

Das Ergebnis dieser Gespräche hätte ich mir nie zu träumen gewagt: Einer seiner Mitarbeiter hat Monate später unser Kloster an der sächsisch-bayrischen Grenze besucht. Ich werde zu seiner Heiligkeit, dem Khenchen Lama gerufen und darf gegenüber dem Mitarbeiter der Immobilienfirma meine Vorstellungen entwickeln. Er hat einen Katalog mit Luftbildern mitgebracht. Darauf kann man verschiedene Gebirgstäler im deutschen Mittelgebirge erkennen.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 6. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -13
"Ahso," meint Noahs Vater. "Dann könnten wir uns ja auch hier trennen. Wir fliegen planmäßig zurück und du fährst mit deinen Großeltern über den Pazifik."

Yong Tai macht ein tief enttäuschtes Gesicht. Ich schalte mich ein:

"Theoretisch könnten wir das so machen, Herr Mann. Aber es wäre ein Affront gegenüber diesen Leuten hier. Höflicherweise sollten wir die Einladung annehmen und die Gastfreundschaft der Leute genießen."

"Mein ehrenwerter Vater würde sich freuen, Sie alle kennenzulernen und Sie dem ehrenwerten amerikanischen Herrn vorzustellen!" betont Yong Tai, durch mich ermutigt.

Herr Mann hebt die Augenbrauen. Aber er nickt nach einer Gedankenpause. Also ist es abgemacht. Wir fahren mit kleinem Gepäck, auch wir haben unsere Reisedokumente dabei, zu dem Strandbad und halten uns links. Bald verlassen wir die Absperrungen und wandern über einen naturbelassenen Strand.

Nachdem es dunkel geworden ist, hören wir als Erstes Motorengeräusche, so laut wie ein Hubschrauber. Wieder rutscht uns das Herz in die Hose. Ich bin entschlossen, unsere Haut gegenüber den Chinesen so teuer wie möglich zu verkaufen. Dann leuchtet ein Scheinwerfer von See kommend den Strand aus und hat uns schnell erfasst.

Kurz darauf stoppt ein Luftkissenboot auf dem Strand. Inklusive der zwei Mann Besatzung sind wir acht Personen. Mehr Leute passen auch nicht auf das Boot. Nachdem wir hineingeklettert sind, kann ich Yong Tais Vater erkennen. Er aber wehrt alle Wiedersehensfreude höflich ab und verweist auf "Später, bitte!"

Der andere Mann im Boot hat das Fahrzeug gedreht und strebt auf die See zurück, auf ein unbekanntes Ziel zu. Bald taucht das Fahrzeug tiefer ins Wasser ein. Die Schürze wird eingezogen, die für das Luftkissen unter dem Boot gesorgt hat. Zwei Rotore am Heck bringen uns durch die Brandung und mit 30 Knoten Geschwindigkeit hinaus auf den Pazifik.

Außerhalb der von Hongkong beanspruchten Zone, in internationalen Gewässern, wartet eine große Yacht. Wir klettern eine Treppe hinauf, die hinter uns hochgezogen wird. Auch das Fahrzeug wird an Bord genommen. Uns zeigt man nun unsere Kabinen, während die Yacht Kurs Hawaii nimmt. Zwei Wochen wird die Seereise dauern.

*

Mein Name ist Noah. Ich habe eine unbeschwerte Zeit mit Yong Tai auf der Hochsee-Yacht. Wir haben uns angefreundet. Mit ihr kann ich über alles reden, was mich bewegt. An Bord hecken wir manchen Spaß gemeinsam aus. Anfangs habe ich zufällig ein paar Sätze mitbekommen, die Papa mit Yong Tais Papa gewechselt hat, als ich aus unserer Kabine in den Salon zum Essen gekommen bin. Papa hat gefragt:

"Warum sind wir nicht einfach zum Flieger und ganz normal mit Ihren Eltern über Dubai nach Deutschland geflogen?"

"Wir fliegen über Honolulu und San Francisco," beruhigt Herr Li meinen Vater. "Ich wollte sichergehen, dass Sie nicht alle am Flughafen verhaftet worden wären..."

"Oh, so schlimm?" staunt Papa.

"Sie kennen die chinesischen Behörden nicht und die Lager..." antwortet Herr Li.

Papa nickt stumm.

Später, als wir wieder in der Kabine sind, kommt Dennis zu uns herein. Ich will gerade Yong Tai besuchen.

"Hey," sagt er lachend zu mir. "Versenkt das Schiff nicht!"

Fröhlich lachend verabschiede ich mich und laufe zu Herrn Li. Ich begrüße ihn, wie Dennis es mir beigebracht hat, indem ich mich leicht verbeuge und die gefalteten Hände an das Kinn hebe. Anschließend frage ich ihn höflich, ob ich wieder mit Yong Tai spielen darf. Herr Li antwortet lächelnd:

"Sie braucht hin und wieder auch etwas Ruhe! Du nicht? Komm in einer Stunde wieder, Noah."

"Okay!" sage ich und gehe zur Kabine zurück, die ich mit Papa teile. Dort sagt Dennis gerade:

"... Seien Sie mir nicht böse, dass ich bei dieser Reise mehreres gebündelt habe. Nun wird es doch kein Kurzurlaub in Hongkong geben, dafür ein Urlaub auf Hawaii."

"Sie hätten mir aber sagen müssen, dass diese Reise kein unbeschwerter Trip werden würde!" meint Papa.

Dennis zuckt die Schultern und fragt zurück:
"Wären Sie dann bereit gewesen, mich als mein Onkel zu begleiten? Eine bessere Tarnung gab es für mich nicht, um in den Rachen des chinesischen Drachens zu gelangen. Und eine bessere Chance auf ein gutes Ende der Geschichte für meine Schülerin und deren Großeltern auch nicht..."

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 5. Februar 2022
Doch die Liebe währet ewiglich -12
Um das lange Sitzen auszugleichen, rege ich den Besuch eines Parks an. Dort macht Noah große Augen. Neben der alten chinesischen Architektur und den fremden Pflanzen faszinieren ihn die vielen fremden Menschen, die auf dem Rasen Tai Chi praktizieren, eine chinesische Atemtechnik.

Nach einer Stunde Aufenthalt gehen wir wieder ins Hotel zurück. Unterwegs fragt Herr Mann unsere Begleiterin Yong Tai:

"Yong Tai, kennst du eigentlich solch eine Landschaft wie die, die wir eben gesehen haben."

"In meiner Heimatstadt gibt es einen 'Ostasiatischen Garten'," erklärt sie ihm, "aber der ist nichts gegenüber diesen hier. Der Eindruck ist auch für mich überwältigend gewesen."

In der Hotellobby kann man Bücher, Videos und Spielzeug kaufen. Ich überrede Papa, mir einen gelben Stoff-Drachen mit breitem Kopf zu kaufen, bevor wir mit dem Aufzug auf unsere Zimmer fahren. Wir übernachten im Hotel und frühstücken am Morgen in einem großen Hotel-Restaurant, in dem nur europäische Geschäftsleute anwesend zu sein scheinen. Dementsprechend ist das Frühstück eher französisch als asiatisch.

Am Vormittag nehmen wir die U-Bahn, um in den Stadtteil an der Peripherie zu kommen, in dem Yong Tais Großeltern wohnen. Hier sind die Häuser höchstens drei Stockwerke hoch. Unsere junge Gästeführerin orientiert sich an den Straßennamen und hat einen Stadtplan im Handy.

Von der U-Bahn-Haltestelle dauert es noch eine halbe Stunde zu Fuß bis wir vor einem metallenen Tor stehen. Sie drückt dagegen und es öffnet sich quietschend. Wir stehen in einem Innenhof. Links von uns sitzt ein Mann hinter dem Fenster eines Anbaus.

Yong Tai geht darauf zu und klopft an die Tür daneben. Der Mann erhebt sich und steht kurz darauf in der Tür. Sie begrüßen sich nach Landesart mit Verbeugen und reden eine Weile auf Chinesisch miteinander. Danach schließt sich die Tür und Yong Tai kommt zu uns zurück.

"Meine ehrenwerten Großeltern bewohnen das Appartement 305. Das hat mir eben der Hausmeister berichtet."

Sie führt uns nun quer über den Hof bis zu einem Eingang, der von der Figur des chinesischen Glücksdrachens eingerahmt ist. Hinter dem Eingang zeigt sie uns einen Aufzug mit schmiedeeiserner Schiebetür. Dennis öffnet die Tür und wir betreten einen altertümlichen, ruckelnden Aufzug.

Im dritten Stock verlassen wir ihn und stehen in einem Gang, an dessen einer Seite Fenster zu dem Innenhof hinausgehen, durch den wir hereingekommen sind. Auf der anderen Seite des Ganges reihen sich nummerierte Türen aneinander. Wir suchen die 305 und Yong Tai betätigt die Klingel.

Es dauert eine Weile, bis eine alte Frau uns die Tür öffnet. Sie überblickt kurz die Gruppe, die im Gang vor ihr steht und wendet sich dann an Yong Tai, die sich verbeugt und die alte Frau anspricht. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und spielt ihr eine Videobotschaft ihres Vaters vor.

Unter vielen Verbeugungen dürfen wir nun eintreten. Die alte Frau hat Tränen in den Augen und ruft nach ihrem Mann, der sich bald darauf zu uns gesellt. Wir werden an den Tisch gebeten und kurz darauf stehen Tee und je eine Schale mit Hähnchenteilen und Bambussprossen in Brühe vor uns - natürlich mit Essstäbchen.

Da nur Yong Tai und ich damit zurechtkommen, holt die alte Dame noch Löffel aus Porzellan für Noah und seinen Vater herbei. Währenddessen muss Yong Tai viel erzählen und immer wieder streicht ihre Großmutter ihr über die Wange und wischt ihre Tränen an ihrer Kleidung ab.

In der ganzen Zeit sind wir quasi Statisten, da wir die Sprache nicht beherrschen und uns nur über das Mienenspiel mitteilen können.

Nach einer ganzen Weile spricht uns der alte Herr auf Englisch an und will von uns wissen, wie man denn so lebt im fernen Deutschland. So berichten nun auch wir ihm aus Deutschland, wobei ich Herrn Mann die Gesprächsführung überlasse.

Am frühen Nachmittag meldet sich Yong Tais Handy. Wir schauen uns teils erschrocken, teils erstaunt an. Yong Tai nimmt das Gespräch an und ruft erstaunt aus: "Fuqin! -Papa-!"

Dann gibt sie das Handy an ihren Großvater weiter. Vater und Sohn reden nun eine Weile über Videotelefonie auf Chinesisch miteinander. Schließlich steht der alte Herr auf, öffnet eine Schublade und entnimmt ihr einige Dokumente, die er in eine Tasche steckt.

Da wir unwissend am Tisch sitzen, erklärt uns Yong Tai:

"Mein ehrenwerter Vater berichtet, dass er vor vier Wochen nach Honolulu geflogen ist, nachdem feststand, wann wir fliegen würden. Er ist auf Hawaii mit einem ehrenwerten Herrn bekannt, der mit Immobilien viel Geld gemacht hat. Der ehrenwerte Herr hat sich angeboten, meinem ehrenwerten Vater zu helfen. Nun ist Papa mit dem ehrenwerten Herrn und dessen Männern draußen vor der Küste und schickt nach Sonnenuntergang ein Boot an den Strand. Wir sollen mit der U-Bahn zu dem Strandbad fahren und in nördlicher Richtung am Wasser entlangwandern. Mein ehrenwerter Vater kann mein Handy orten und weiß so, wo wir sind."

... link (0 Kommentare)   ... comment