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Samstag, 16. April 2022
Lama Rinpoche -21
mariant, 13:19h
Da nur Yong Tai und ich damit zurechtkommen, holt die alte Dame noch Löffel aus Porzellan für Noah und seinen Vater herbei. Währenddessen muss Yong Tai viel erzählen und immer wieder streicht ihre Großmutter ihr über die Wange und wischt ihre Tränen an ihrer Kleidung ab.
In der ganzen Zeit sind wir quasi Statisten, da wir die Sprache nicht beherrschen und uns nur über das Mienenspiel mitteilen können.
Nach einer ganzen Weile spricht uns der alte Herr auf Englisch an und will von uns wissen, wie man denn so lebt im fernen Deutschland. So berichten nun auch wir ihm aus Deutschland, wobei ich Herrn Mann die Gesprächsführung überlasse.
Am frühen Nachmittag meldet sich Yong Tais Handy. Wir schauen uns teils erschrocken, teils erstaunt an. Yong Tai nimmt das Gespräch an und ruft erstaunt aus: "Fuqin -Papa-!"
Dann gibt sie das Handy an ihren Großvater weiter. Vater und Sohn reden nun eine Weile über Videotelefonie auf Chinesisch miteinander. Schließlich steht der alte Herr auf, öffnet eine Schublade und entnimmt ihr einige Dokumente, die er in eine Tasche steckt.
Da wir unwissend am Tisch sitzen, erklärt uns Yong Tai:
"Mein ehrenwerter Vater berichtet, dass er vor vier Wochen nach Honolulu geflogen ist, nachdem feststand, wann wir fliegen würden. Er ist auf Hawaii mit einem ehrenwerten Herrn bekannt, der mit Immobilien viel Geld gemacht hat. Der ehrenwerte Herr hat sich angeboten, meinem ehrenwerten Vater zu helfen. Nun ist Papa mit dem ehrenwerten Herrn und dessen Männern draußen vor der Küste und schickt nach Sonnenuntergang ein Boot an den Strand. Wir sollen mit der U-Bahn zu dem Strandbad fahren und in nördlicher Richtung am Wasser entlangwandern. Mein ehrenwerter Vater kann mein Handy orten und weiß so, wo wir sind."
"Ahso," meint Noahs Vater. "Dann könnten wir uns ja auch hier trennen. Wir fliegen planmäßig zurück und du fährst mit deinen Großeltern über den Pazifik."
Yong Tai macht ein tief enttäuschtes Gesicht. Ich schalte mich ein:
"Theoretisch könnten wir das so machen, Herr Mann. Aber es wäre ein Affront gegenüber diesen Leuten hier. Höflicherweise sollten wir die Einladung annehmen und die Gastfreundschaft der Leute genießen."
"Mein ehrenwerter Vater würde sich freuen, Sie alle kennenzulernen und Sie dem ehrenwerten amerikanischen Herrn vorzustellen!" betont Yong Tai, durch mich ermutigt.
Herr Mann hebt die Augenbrauen. Aber er nickt nach einer Gedankenpause. Also ist es abgemacht. Wir fahren mit kleinem Gepäck, auch wir haben unsere Reisedokumente dabei, zu dem Strandbad und halten uns links. Bald verlassen wir die Absperrungen und wandern über einen naturbelassenen Strand.
Nachdem es dunkel geworden ist, hören wir als Erstes Motorengeräusche, so laut wie ein Hubschrauber. Wieder rutscht uns das Herz in die Hose. Ich bin entschlossen, unsere Haut gegenüber den Chinesen so teuer wie möglich zu verkaufen. Dann leuchtet ein Scheinwerfer von See kommend den Strand aus und hat uns schnell erfasst.
Kurz darauf stoppt ein Luftkissenboot auf dem Strand. Inklusive der zwei Mann Besatzung sind wir acht Personen. Mehr Leute passen auch nicht auf das Boot. Nachdem wir hineingeklettert sind, kann ich Yong Tais Vater erkennen. Er aber wehrt alle Wiedersehensfreude höflich ab und verweist auf "Später, bitte!"
Der andere Mann im Boot hat das Fahrzeug gedreht und strebt auf die See zurück, auf ein unbekanntes Ziel zu. Bald taucht das Fahrzeug tiefer ins Wasser ein. Die Schürze wird eingezogen, die für das Luftkissen unter dem Boot gesorgt hat. Zwei Rotore am Heck bringen uns durch die Brandung und mit 30 Knoten Geschwindigkeit hinaus auf den Pazifik.
Außerhalb der von Hongkong beanspruchten Zone, in internationalen Gewässern, wartet eine große Yacht. Es könnte auch ein kleines Kreuzfahrtschiff sein. Wir klettern eine seitlich hängende Treppe hinauf, die hinter uns hochgezogen wird. Auch das Wasserfahrzeug wird an Bord genommen. Uns zeigt man nun unsere Kabinen, während die Yacht Kurs auf Hawaii nimmt. Zwei Wochen wird die Seereise dauern.
Unterwegs vertreiben sich Noah und Yong Tai die Zeit mit Erkunden des Schiffes. Sie fragen der Mannschaft 'Löcher in den Bauch' und spielen im Salon Gesellschaftsspiele. Ich halte mich zumeist in meiner Kabine auf und meditiere oder unterhalte mich mit dem Schiffseigner, zu dem auch Herr Li und Herr Mann gehen.
Die zwei Wochen auf dem Meer vergeht auf diese Weise wie im Flug. Der Schiffseigner interessiert sich nebenbei in den Gesprächen für mein Kloster. Gerne gebe ich ihm Auskunft. Auch beobachte ich mit den Anderen die Wale von der Reling aus, wenn die Schiffsführung über die Bordsprechanlage darauf aufmerksam macht. Schließlich laufen wir in Honolulu Harbour ein.
Der Schiffseigner besitzt auch eine Villa am Hang des Kilauea, in die er uns einlädt. In den darauffolgenden zwei Wochen organisiert er Besichtigungstouren mit Auto und Kleinflugzeugen über die ganze Inselgruppe. Wir verbringen eine wundervolle Zeit. Der CEO der weltweit operierenden Immobiliengesellschaft, dem die Hochseeyacht und die Villa gehört, und Herr Li reden in meinem Beisein über Yong Tais Zukunft. Der CEO bietet Herrn Li an, sie als Auszubildende einzustellen. Ich finde, das ist eine gute Idee. Yong Tai wird durch einen Bediensteten hinzugerufen und ihr das Angebot unterbreitet.
Sie ist vollkommen überrascht. Das sieht man ihr an. In der entstehende Gesprächspause melde ich mich zu Wort:
"Li Yong Tai, habe keine Angst vor der Zukunft und der damit verbundenen vorübergehenden Trennung von deiner ehrenwerten Familie! Du kannst alles schaffen, was du ernsthaft angehst. Bewahre dir deine Neugier und dein Interesse. Bewahre dir dein Mitgefühl, aber beharre auch auf Standpunkten, die du für richtig hältst. Ich wünsche dir alles Glück der Welt!"
Sie hört zu, was ich ihr zu sagen habe, dann nickt sie, wendet sich ihrem Vater zu und sagt mit fester Stimme:
"Ja, ehrenwerter Vater, ich bin bereit! Ich werde dich nicht enttäuschen!"
Bald darauf fliege ich mit Noah und seinen Vater vom Kona International Airport über San Franzisko und New York nach Frankfurt zurück. Zum Abschied schenkt Noah Yong Tai seinen Drachen aus Hongkong.
*
Sieben Jahre sind seit dem Hongkong-Abenteuer vergangen. In dieser Zeit ist viel passiert. Herrn Lis amerikanischer Freund hat auf der Seereise zurück nach Hawaii neben den beruflichen Gesprächen via Satellit viel mit Herrn Li und mir über die Situation der Buddhisten in Deutschland gesprochen.
Das Ergebnis dieser Gespräche hätte ich mir nie zu träumen gewagt: Einer seiner Mitarbeiter hat Monate später unser Kloster an der sächsisch-bayrischen Grenze besucht. Ich werde zu Seiner Heiligkeit, dem Khenchen Lama, gerufen und darf gegenüber dem Mitarbeiter der Immobilienfirma meine Vorstellungen entwickeln. Der Mann hat einen Katalog mit Luftbildern mitgebracht. Darauf kann man verschiedene Gebirgstäler im deutschen Mittelgebirge erkennen.
In der ganzen Zeit sind wir quasi Statisten, da wir die Sprache nicht beherrschen und uns nur über das Mienenspiel mitteilen können.
Nach einer ganzen Weile spricht uns der alte Herr auf Englisch an und will von uns wissen, wie man denn so lebt im fernen Deutschland. So berichten nun auch wir ihm aus Deutschland, wobei ich Herrn Mann die Gesprächsführung überlasse.
Am frühen Nachmittag meldet sich Yong Tais Handy. Wir schauen uns teils erschrocken, teils erstaunt an. Yong Tai nimmt das Gespräch an und ruft erstaunt aus: "Fuqin -Papa-!"
Dann gibt sie das Handy an ihren Großvater weiter. Vater und Sohn reden nun eine Weile über Videotelefonie auf Chinesisch miteinander. Schließlich steht der alte Herr auf, öffnet eine Schublade und entnimmt ihr einige Dokumente, die er in eine Tasche steckt.
Da wir unwissend am Tisch sitzen, erklärt uns Yong Tai:
"Mein ehrenwerter Vater berichtet, dass er vor vier Wochen nach Honolulu geflogen ist, nachdem feststand, wann wir fliegen würden. Er ist auf Hawaii mit einem ehrenwerten Herrn bekannt, der mit Immobilien viel Geld gemacht hat. Der ehrenwerte Herr hat sich angeboten, meinem ehrenwerten Vater zu helfen. Nun ist Papa mit dem ehrenwerten Herrn und dessen Männern draußen vor der Küste und schickt nach Sonnenuntergang ein Boot an den Strand. Wir sollen mit der U-Bahn zu dem Strandbad fahren und in nördlicher Richtung am Wasser entlangwandern. Mein ehrenwerter Vater kann mein Handy orten und weiß so, wo wir sind."
"Ahso," meint Noahs Vater. "Dann könnten wir uns ja auch hier trennen. Wir fliegen planmäßig zurück und du fährst mit deinen Großeltern über den Pazifik."
Yong Tai macht ein tief enttäuschtes Gesicht. Ich schalte mich ein:
"Theoretisch könnten wir das so machen, Herr Mann. Aber es wäre ein Affront gegenüber diesen Leuten hier. Höflicherweise sollten wir die Einladung annehmen und die Gastfreundschaft der Leute genießen."
"Mein ehrenwerter Vater würde sich freuen, Sie alle kennenzulernen und Sie dem ehrenwerten amerikanischen Herrn vorzustellen!" betont Yong Tai, durch mich ermutigt.
Herr Mann hebt die Augenbrauen. Aber er nickt nach einer Gedankenpause. Also ist es abgemacht. Wir fahren mit kleinem Gepäck, auch wir haben unsere Reisedokumente dabei, zu dem Strandbad und halten uns links. Bald verlassen wir die Absperrungen und wandern über einen naturbelassenen Strand.
Nachdem es dunkel geworden ist, hören wir als Erstes Motorengeräusche, so laut wie ein Hubschrauber. Wieder rutscht uns das Herz in die Hose. Ich bin entschlossen, unsere Haut gegenüber den Chinesen so teuer wie möglich zu verkaufen. Dann leuchtet ein Scheinwerfer von See kommend den Strand aus und hat uns schnell erfasst.
Kurz darauf stoppt ein Luftkissenboot auf dem Strand. Inklusive der zwei Mann Besatzung sind wir acht Personen. Mehr Leute passen auch nicht auf das Boot. Nachdem wir hineingeklettert sind, kann ich Yong Tais Vater erkennen. Er aber wehrt alle Wiedersehensfreude höflich ab und verweist auf "Später, bitte!"
Der andere Mann im Boot hat das Fahrzeug gedreht und strebt auf die See zurück, auf ein unbekanntes Ziel zu. Bald taucht das Fahrzeug tiefer ins Wasser ein. Die Schürze wird eingezogen, die für das Luftkissen unter dem Boot gesorgt hat. Zwei Rotore am Heck bringen uns durch die Brandung und mit 30 Knoten Geschwindigkeit hinaus auf den Pazifik.
Außerhalb der von Hongkong beanspruchten Zone, in internationalen Gewässern, wartet eine große Yacht. Es könnte auch ein kleines Kreuzfahrtschiff sein. Wir klettern eine seitlich hängende Treppe hinauf, die hinter uns hochgezogen wird. Auch das Wasserfahrzeug wird an Bord genommen. Uns zeigt man nun unsere Kabinen, während die Yacht Kurs auf Hawaii nimmt. Zwei Wochen wird die Seereise dauern.
Unterwegs vertreiben sich Noah und Yong Tai die Zeit mit Erkunden des Schiffes. Sie fragen der Mannschaft 'Löcher in den Bauch' und spielen im Salon Gesellschaftsspiele. Ich halte mich zumeist in meiner Kabine auf und meditiere oder unterhalte mich mit dem Schiffseigner, zu dem auch Herr Li und Herr Mann gehen.
Die zwei Wochen auf dem Meer vergeht auf diese Weise wie im Flug. Der Schiffseigner interessiert sich nebenbei in den Gesprächen für mein Kloster. Gerne gebe ich ihm Auskunft. Auch beobachte ich mit den Anderen die Wale von der Reling aus, wenn die Schiffsführung über die Bordsprechanlage darauf aufmerksam macht. Schließlich laufen wir in Honolulu Harbour ein.
Der Schiffseigner besitzt auch eine Villa am Hang des Kilauea, in die er uns einlädt. In den darauffolgenden zwei Wochen organisiert er Besichtigungstouren mit Auto und Kleinflugzeugen über die ganze Inselgruppe. Wir verbringen eine wundervolle Zeit. Der CEO der weltweit operierenden Immobiliengesellschaft, dem die Hochseeyacht und die Villa gehört, und Herr Li reden in meinem Beisein über Yong Tais Zukunft. Der CEO bietet Herrn Li an, sie als Auszubildende einzustellen. Ich finde, das ist eine gute Idee. Yong Tai wird durch einen Bediensteten hinzugerufen und ihr das Angebot unterbreitet.
Sie ist vollkommen überrascht. Das sieht man ihr an. In der entstehende Gesprächspause melde ich mich zu Wort:
"Li Yong Tai, habe keine Angst vor der Zukunft und der damit verbundenen vorübergehenden Trennung von deiner ehrenwerten Familie! Du kannst alles schaffen, was du ernsthaft angehst. Bewahre dir deine Neugier und dein Interesse. Bewahre dir dein Mitgefühl, aber beharre auch auf Standpunkten, die du für richtig hältst. Ich wünsche dir alles Glück der Welt!"
Sie hört zu, was ich ihr zu sagen habe, dann nickt sie, wendet sich ihrem Vater zu und sagt mit fester Stimme:
"Ja, ehrenwerter Vater, ich bin bereit! Ich werde dich nicht enttäuschen!"
Bald darauf fliege ich mit Noah und seinen Vater vom Kona International Airport über San Franzisko und New York nach Frankfurt zurück. Zum Abschied schenkt Noah Yong Tai seinen Drachen aus Hongkong.
*
Sieben Jahre sind seit dem Hongkong-Abenteuer vergangen. In dieser Zeit ist viel passiert. Herrn Lis amerikanischer Freund hat auf der Seereise zurück nach Hawaii neben den beruflichen Gesprächen via Satellit viel mit Herrn Li und mir über die Situation der Buddhisten in Deutschland gesprochen.
Das Ergebnis dieser Gespräche hätte ich mir nie zu träumen gewagt: Einer seiner Mitarbeiter hat Monate später unser Kloster an der sächsisch-bayrischen Grenze besucht. Ich werde zu Seiner Heiligkeit, dem Khenchen Lama, gerufen und darf gegenüber dem Mitarbeiter der Immobilienfirma meine Vorstellungen entwickeln. Der Mann hat einen Katalog mit Luftbildern mitgebracht. Darauf kann man verschiedene Gebirgstäler im deutschen Mittelgebirge erkennen.
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Freitag, 15. April 2022
Lama Rinpoche -20
mariant, 11:28h
Ich nicke und antworte ihm:
"Ich werde die Idee noch einmal überdenken, Eure Heiligkeit!"
Er nickt mir lächelnd zu und hebt die gefalteten Hände an sein Kinn. Damit bin ich erst einmal entlassen. Ich erhebe und verbeuge mich ehrerbietig, bevor ich den Thronsaal verlasse und mein Zimmer aufsuche. Mir kommt eine Idee, über die ich mit Noahs Vater sprechen muss.
Als Noah wieder einmal mit seinem Vater ins Kloster kommt und ein Gelong mit ihm Kraft- und Reaktionstraining macht, spreche ich den Vater darauf an:
"Herr Mann, waren Sie schon einmal in Hongkong?"
"Nein," meint er und macht ein verständnisloses Gesicht. "Wieso?"
"Hongkong ist eine Mehrmillionenstadt, wie zum Beispiel auch New York. Sie liegt an der chinesischen Pazifikküste und war früher britisches Mandatsgebiet. Als die Briten sich zurückzogen, wurde Hongkong ein selbstverwalteter Stadtstaat. Heute ist die Stadt unter starken chinesischen Einfluss geraten.
Himmelstrebende Hochhäuser gibt es dort und auch traditionelle Architektur. Sie hat grüne Parks, von denen zwei auch für die Touristik interessant sind... Ich frage, weil Noah mir mit einer Asienreise in den Ohren liegt."
"Ich weiß," antwortet sein Vater und schaut mich zweifelnd an. "Er möchte Land und Leute kennenlernen und auch an einem Wettkampf teilnehmen..."
"Ich bin gegen einen Wettkampf, nur um des Wettkampfes Willen. Ich möchte ihm beibringen, dass Kungfu eine Lebenseinstellung ist und dem Frieden dient. Wir werden angehalten für alle Geschöpfe Mitgefühl zu empfinden und selbstlos für den Schwächeren einzutreten. Sie könnten mir dabei helfen!"
Herr Mann kräuselt die Stirn:
"Wie kann ich Ihnen dabei helfen, Herr Bäcker?"
Ich schenke ihm reinen Wein ein und erkläre:
"Ich stehe vor einer Reise nach Hongkong, um zwei ehrenwerte alte Herrschaften heraus zu holen, die Großeltern einer unserer Schülerinnen. Bisher ist geplant, dass ich in Zivil reise - ein Lama würde sofort verhaftet, zumindest aber beschattet - und die Schülerin als Kontaktperson mitnehme.
Noch unauffälliger wäre es, wenn ich als ihr Neffe reise. Also, wenn Sie und ihr Sohn einen Urlaub von wenigen Tagen dort verbringen und ich sie als ihr Neffe begleite. Unsere Schülerin macht dann die Hostess, die Gästebetreuerin."
"Das muss ich aber erst einmal mit meiner Frau besprechen!" entscheidet Herr Mann. "Da ist noch die Kostenfrage!"
"Natürlich!" gebe ich ihm Recht. "Das Kloster bucht eine Pauschalreise für alle beteiligten Personen, Flug, Hotel und Verpflegung inklusive!"
*
Einen Monat später sitzen wir im Flugzeug von Frankfurt nach Hongkong, ein über 16stündiger Flug. Noah hat viel geschlafen, während ich mich die meiste Zeit im Meditieren geübt habe. Ich muss mich sehr disziplinieren, denn Yong Tai ist eine wunderbare Person, asiatisch zurückhaltend und subtil verführerisch. Seit wir uns das erste Mal in Mamas Zimmer getroffen haben, habe ich das Gefühl, dass auch sie etwas für mich empfindet.
Nach der Landung auf Chek Lap Kok, dem Hongkong International Airport, und nach dem Auschecken, lassen wir uns von einem der Cabs ins Hotel fahren. Im 43.Stockwerk haben wir drei Zimmer mit Zwischentüren gebucht und beziehen sie kurz nach unserer Ankunft. Noah ist ganz außer sich vor Aufregung und klebt mit der Nase an den wandhohen Fensterscheiben aus Sicherheitsglas.
Um das lange Sitzen im Flugzeug auszugleichen, rege ich den Besuch eines Parks an. Dort macht Noah große Augen. Neben der alten chinesischen Architektur und den fremden Pflanzen faszinieren ihn die vielen fremden Menschen, die auf dem Rasen Tai-Chi praktizieren, eine chinesische Atemtechnik.
Nach einer Stunde Aufenthalt im Park gehen wir wieder ins Hotel zurück. Unterwegs fragt Herr Mann unsere Begleiterin Yong Tai:
"Yong Tai, kennst du eigentlich solch eine Landschaft wie die, die wir eben gesehen haben."
"In meiner Heimatstadt gibt es einen 'Ostasiatischen Garten'," erklärt sie ihm, "aber der ist nichts gegenüber diesen hier. Der Eindruck ist auch für mich überwältigend gewesen."
In der Hotellobby kann man Bücher, Videos und Spielzeug kaufen. Noah überredet seinen Vater, ihm als Souvenir einen gelben Stoff-Drachen mit breitem Kopf zu kaufen, bevor wir mit dem Aufzug auf unsere Zimmer fahren. Wir übernachten im Hotel und frühstücken am Morgen in einem großen Hotel-Restaurant, in dem nur europäische Geschäftsleute anwesend zu sein scheinen. Dementsprechend ist das Frühstück eher französisch als asiatisch.
Am Vormittag nehmen wir die U-Bahn, um in den Stadtteil an der Peripherie zu kommen, in dem Yong Tais Großeltern wohnen. Hier sind die Häuser höchstens drei Stockwerke hoch. Unsere junge Gästeführerin orientiert sich an den Straßennamen und hat einen Stadtplan im Handy.
Von der U-Bahn-Haltestelle dauert es noch eine halbe Stunde zu Fuß bis wir vor einem metallenen Tor stehen. Sie drückt dagegen und es öffnet sich quietschend. Nun stehen wir in einem Innenhof. Links von uns sitzt ein Mann hinter dem Fenster eines Anbaus.
Yong Tai geht darauf zu und klopft an die Tür daneben. Der Mann erhebt sich und steht kurz darauf in der Tür. Sie begrüßen sich nach Landesart mit Verbeugen und reden eine Weile auf Chinesisch miteinander. Danach schließt sich die Tür und Yong Tai kommt zu uns zurück.
"Meine ehrenwerten Großeltern bewohnen das Appartement 305. Das hat mir eben der Hausmeister berichtet."
Sie führt uns nun quer über den Hof bis zu einem Eingang, der von der Figur des chinesischen Glücksdrachens eingerahmt ist. Hinter dem Eingang zeigt sie uns einen Aufzug mit schmiedeeiserner Schiebetür. Ich öffne die Tür und wir betreten einen altertümlichen, ruckelnden Aufzug.
Im dritten Stock verlassen wir ihn und stehen in einem Gang, an dessen einer Seite Fenster zum Innenhof hinausgehen, durch den wir hereingekommen sind. Auf der anderen Seite des Ganges reihen sich nummerierte Türen aneinander. Wir suchen die 305 und Yong Tai betätigt die Klingel.
Es dauert eine Weile, bis eine alte Frau uns die Tür öffnet. Sie überblickt kurz die Gruppe, die im Gang vor ihr steht und wendet sich dann an Yong Tai, die sich verbeugt und die alte Frau anspricht. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und spielt ihr eine Videobotschaft ihres Vaters vor.
Unter vielen Verbeugungen dürfen wir nun eintreten. Die alte Frau hat Tränen in den Augen und ruft nach ihrem Mann, der sich bald darauf zu uns gesellt. Wir werden an den Tisch gebeten und kurz darauf stehen Tee und je eine Schale mit Hähnchenteilen und Bambussprossen in Brühe vor uns - natürlich mit Essstäbchen.
"Ich werde die Idee noch einmal überdenken, Eure Heiligkeit!"
Er nickt mir lächelnd zu und hebt die gefalteten Hände an sein Kinn. Damit bin ich erst einmal entlassen. Ich erhebe und verbeuge mich ehrerbietig, bevor ich den Thronsaal verlasse und mein Zimmer aufsuche. Mir kommt eine Idee, über die ich mit Noahs Vater sprechen muss.
Als Noah wieder einmal mit seinem Vater ins Kloster kommt und ein Gelong mit ihm Kraft- und Reaktionstraining macht, spreche ich den Vater darauf an:
"Herr Mann, waren Sie schon einmal in Hongkong?"
"Nein," meint er und macht ein verständnisloses Gesicht. "Wieso?"
"Hongkong ist eine Mehrmillionenstadt, wie zum Beispiel auch New York. Sie liegt an der chinesischen Pazifikküste und war früher britisches Mandatsgebiet. Als die Briten sich zurückzogen, wurde Hongkong ein selbstverwalteter Stadtstaat. Heute ist die Stadt unter starken chinesischen Einfluss geraten.
Himmelstrebende Hochhäuser gibt es dort und auch traditionelle Architektur. Sie hat grüne Parks, von denen zwei auch für die Touristik interessant sind... Ich frage, weil Noah mir mit einer Asienreise in den Ohren liegt."
"Ich weiß," antwortet sein Vater und schaut mich zweifelnd an. "Er möchte Land und Leute kennenlernen und auch an einem Wettkampf teilnehmen..."
"Ich bin gegen einen Wettkampf, nur um des Wettkampfes Willen. Ich möchte ihm beibringen, dass Kungfu eine Lebenseinstellung ist und dem Frieden dient. Wir werden angehalten für alle Geschöpfe Mitgefühl zu empfinden und selbstlos für den Schwächeren einzutreten. Sie könnten mir dabei helfen!"
Herr Mann kräuselt die Stirn:
"Wie kann ich Ihnen dabei helfen, Herr Bäcker?"
Ich schenke ihm reinen Wein ein und erkläre:
"Ich stehe vor einer Reise nach Hongkong, um zwei ehrenwerte alte Herrschaften heraus zu holen, die Großeltern einer unserer Schülerinnen. Bisher ist geplant, dass ich in Zivil reise - ein Lama würde sofort verhaftet, zumindest aber beschattet - und die Schülerin als Kontaktperson mitnehme.
Noch unauffälliger wäre es, wenn ich als ihr Neffe reise. Also, wenn Sie und ihr Sohn einen Urlaub von wenigen Tagen dort verbringen und ich sie als ihr Neffe begleite. Unsere Schülerin macht dann die Hostess, die Gästebetreuerin."
"Das muss ich aber erst einmal mit meiner Frau besprechen!" entscheidet Herr Mann. "Da ist noch die Kostenfrage!"
"Natürlich!" gebe ich ihm Recht. "Das Kloster bucht eine Pauschalreise für alle beteiligten Personen, Flug, Hotel und Verpflegung inklusive!"
*
Einen Monat später sitzen wir im Flugzeug von Frankfurt nach Hongkong, ein über 16stündiger Flug. Noah hat viel geschlafen, während ich mich die meiste Zeit im Meditieren geübt habe. Ich muss mich sehr disziplinieren, denn Yong Tai ist eine wunderbare Person, asiatisch zurückhaltend und subtil verführerisch. Seit wir uns das erste Mal in Mamas Zimmer getroffen haben, habe ich das Gefühl, dass auch sie etwas für mich empfindet.
Nach der Landung auf Chek Lap Kok, dem Hongkong International Airport, und nach dem Auschecken, lassen wir uns von einem der Cabs ins Hotel fahren. Im 43.Stockwerk haben wir drei Zimmer mit Zwischentüren gebucht und beziehen sie kurz nach unserer Ankunft. Noah ist ganz außer sich vor Aufregung und klebt mit der Nase an den wandhohen Fensterscheiben aus Sicherheitsglas.
Um das lange Sitzen im Flugzeug auszugleichen, rege ich den Besuch eines Parks an. Dort macht Noah große Augen. Neben der alten chinesischen Architektur und den fremden Pflanzen faszinieren ihn die vielen fremden Menschen, die auf dem Rasen Tai-Chi praktizieren, eine chinesische Atemtechnik.
Nach einer Stunde Aufenthalt im Park gehen wir wieder ins Hotel zurück. Unterwegs fragt Herr Mann unsere Begleiterin Yong Tai:
"Yong Tai, kennst du eigentlich solch eine Landschaft wie die, die wir eben gesehen haben."
"In meiner Heimatstadt gibt es einen 'Ostasiatischen Garten'," erklärt sie ihm, "aber der ist nichts gegenüber diesen hier. Der Eindruck ist auch für mich überwältigend gewesen."
In der Hotellobby kann man Bücher, Videos und Spielzeug kaufen. Noah überredet seinen Vater, ihm als Souvenir einen gelben Stoff-Drachen mit breitem Kopf zu kaufen, bevor wir mit dem Aufzug auf unsere Zimmer fahren. Wir übernachten im Hotel und frühstücken am Morgen in einem großen Hotel-Restaurant, in dem nur europäische Geschäftsleute anwesend zu sein scheinen. Dementsprechend ist das Frühstück eher französisch als asiatisch.
Am Vormittag nehmen wir die U-Bahn, um in den Stadtteil an der Peripherie zu kommen, in dem Yong Tais Großeltern wohnen. Hier sind die Häuser höchstens drei Stockwerke hoch. Unsere junge Gästeführerin orientiert sich an den Straßennamen und hat einen Stadtplan im Handy.
Von der U-Bahn-Haltestelle dauert es noch eine halbe Stunde zu Fuß bis wir vor einem metallenen Tor stehen. Sie drückt dagegen und es öffnet sich quietschend. Nun stehen wir in einem Innenhof. Links von uns sitzt ein Mann hinter dem Fenster eines Anbaus.
Yong Tai geht darauf zu und klopft an die Tür daneben. Der Mann erhebt sich und steht kurz darauf in der Tür. Sie begrüßen sich nach Landesart mit Verbeugen und reden eine Weile auf Chinesisch miteinander. Danach schließt sich die Tür und Yong Tai kommt zu uns zurück.
"Meine ehrenwerten Großeltern bewohnen das Appartement 305. Das hat mir eben der Hausmeister berichtet."
Sie führt uns nun quer über den Hof bis zu einem Eingang, der von der Figur des chinesischen Glücksdrachens eingerahmt ist. Hinter dem Eingang zeigt sie uns einen Aufzug mit schmiedeeiserner Schiebetür. Ich öffne die Tür und wir betreten einen altertümlichen, ruckelnden Aufzug.
Im dritten Stock verlassen wir ihn und stehen in einem Gang, an dessen einer Seite Fenster zum Innenhof hinausgehen, durch den wir hereingekommen sind. Auf der anderen Seite des Ganges reihen sich nummerierte Türen aneinander. Wir suchen die 305 und Yong Tai betätigt die Klingel.
Es dauert eine Weile, bis eine alte Frau uns die Tür öffnet. Sie überblickt kurz die Gruppe, die im Gang vor ihr steht und wendet sich dann an Yong Tai, die sich verbeugt und die alte Frau anspricht. Sie holt ihr Handy aus der Tasche und spielt ihr eine Videobotschaft ihres Vaters vor.
Unter vielen Verbeugungen dürfen wir nun eintreten. Die alte Frau hat Tränen in den Augen und ruft nach ihrem Mann, der sich bald darauf zu uns gesellt. Wir werden an den Tisch gebeten und kurz darauf stehen Tee und je eine Schale mit Hähnchenteilen und Bambussprossen in Brühe vor uns - natürlich mit Essstäbchen.
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Donnerstag, 14. April 2022
Lama Rinpoche -19
mariant, 12:43h
Ich habe den Unterricht mit Noah auf dreimal wöchentlich reduziert, da ich denke, ich muss ihm etwas bieten, das ihn 'bei der Stange hält'. In diesen Tagen spricht mich Mama an und sagt, eine ihrer Klosterschülerinnen hätte ihr eine traurige Geschichte erzählt, die ich mir unbedingt auch einmal anhören müsste. Also mache ich mich nach dem gemeinsamen Abendessen im Thronsaal zu ihr auf den Weg.
Bei ihr angekommen, klopfe ich wie üblich an ihre Tür. Mama öffnet mir und lässt mich eintreten. Außer ihr befindet sich ein asiatisches Mädel von vielleicht 15 oder 16 Jahren im Zimmer. Sie dreht sich neugierig zu mir um und verbeugt sich vor mir so tief, dass ihre Nase sicher fast den Boden berührt.
Ich strecke ihr meine Hand mit nach oben gerichteter Handfläche entgegen und hebe die Hand leicht an. Dabei spreche ich mit sanfter Stimme:
"Erhebe dich, meine Tochter!"
Ich selbst bin zwar fast 20 und damit im richtigen Alter für sie. Als Lama muss ich sie aber als 'meine Tochter' ansprechen, auch wenn sie doppelt so alt wäre. Das Mädel kommt in aufrecht kniende Stellung hoch, setzt sich auf ihre Fersen und wartet ab.
Nun lasse ich mich am Tisch nieder. Sie nimmt die Teekanne hoch und füllt mir und Mama die Tassen, bevor sie sich selbst Tee einschenkt. Ich lasse sie ruhig gewähren, hebe die gefalteten Hände an mein Kinn und verbeuge mich, dankbar lächelnd.
"Hab Dank, meine Tochter," kommentiere ich ihr Tun.
Mama hat bisher geschwiegen. Nun ergreift sie das Wort:
"Dies ist Yong Tai, eine meiner Schülerinnen. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Ich denke, du solltest dir einmal anhören, was sie zu sagen hat."
Also schaue ich sie interessiert an. Zunächst schaut sie wieder zu Boden, dreht sich etwas und verbeugt sich noch einmal in meine Richtung.
"Nun, Yong Tai?" ermuntere ich sie mit sanfter Stimme.
Es hat keinen Sinn, in sie dringen zu wollen. Sie muss erst Vertrauen aufbauen. Nach einer Weile beginnt sie zu erzählen:
"Die ehrwürdige Mimo -Frau, Mutter- hat mich ermuntert, offen über das Schicksal meiner Familie zu sprechen, ehrwürdiger Lama."
"Ja?" frage ich.
"Es ist so, dass meine ehrenwerten Großeltern in unserer früheren Heimat Hongkong zurzeit unter Druck gesetzt werden, damit mein ehrenwerter Vater mit seiner Familie zurückkehrt. Dort droht ihm aber die Verhaftung, und meiner ehrenwerten Mutter und mir das Umerziehungslager.
Meine ehrenwerten Eltern sind mit mir vor etwa 14Jahren nach Deutschland gekommen, weil der ehrenwerte Vater in der Heimat gegen die Chinesen und deren Einfluss in Hongkong demonstriert hat und deshalb von den Chinesen schon einmal verhaftet worden ist.
Nun liegen unsere Hoffnungen hier im Kloster."
Ich greife ihre Hand über den Tisch und bedecke sie mit meiner anderen Hand. Sie beugt sich spontan vor und berührt meinen Handrücken mit ihrer Stirn. Dann richtet sie sich wieder auf und fragt:
"Ist es möglich, meine ehrenwerten Großeltern aus Hongkong herauszuholen, um ihnen hier einen Lebensabend in Freiheit und ohne Repressalien zu gönnen?"
Ich nicke lächelnd und frage zurück:
"Gibt es sonst noch Verwandte in Hongkong, in anderen Städten oder in Taiwan?"
"Die ehrenwerten Großeltern durften nur ein Kind haben. Sie sind vor Jahrzehnten aus der Provinz nach Hongkong gereist und geblieben, weil es dort Arbeit für sie gab," erklärt sie mir.
"Ah, ihr habt schon eine Odyssee hinter euch," antworte ich. "Ich werde Seiner Heiligkeit deine Geschichte vortragen! Gemeinsam werden wir eine Lösung finden!"
Vor Freude verbeugt sich das Mädel noch einmal neben dem Tisch bis ihre Stirn fast den Boden berührt. Anschließend schickt Mama sie in ihren Schlafsaal. Sie erhebt sich mit glücklichem Gesicht und hat Mamas Zimmer kurz darauf verlassen.
Am nächsten Morgen berichte ich Seiner Heiligkeit nach dem Frühstück von Yong Tais Geschichte. Er nickt dazu und klatscht in die Hand. Den Gelong, der nun zum Thronsaal hereinschaut, schickt er nach der Klosterschülerin. Ich bleibe neben Seiner Heiligkeit auf dem Boden sitzen.
Wenige Minuten später öffnet sich die Tür des Thronsaales erneut. Der Gelong lässt die Schülerin eintreten und schließt hinter ihr die Tür. Yong Tai fällt an der Tür auf die Knie und verbeugt sich ehrfurchtsvoll in Richtung Seiner Heiligkeit.
"Komm näher, meine Tochter!" fordert Seine Heiligkeit sie mit sanfter mitfühlender Stimme auf.
Schüchtern rutscht sie auf ihren Knien näher, immer wieder den Boden mit der Stirn berührend.
"Berichte mir vom Schicksal deiner ehrenwerten Familie," ermuntert Seine Heiligkeit das Mädel.
Sie wiederholt, was sie mir am Vorabend schon berichtet hat.
"Kennst du den Weg vom Flughafen zur Adresse deiner ehrenwerten Großeltern?" fragt Seine Heiligkeit, nachdem sie geendet hat.
Sie schüttelt traurig den Kopf. Die ganze Zeit hält sie ihren Blick zu Boden gerichtet.
"Aber deine ehrenwerten Eltern haben die Adresse?" hakt Seine Heiligkeit nach.
Nun nickt sie heftig und hebt die gefalteten Hände an ihre Lippen.
"Wir werden deiner ehrenwerten Familie helfen!" kündigt Seine Heiligkeit ihr an. "Dafür muss ich aber mit deinem ehrenwerten Vater sprechen! Ist es möglich, dass er das Kloster in Kürze aufsucht?"
Jetzt schießen ihr Tränen in die Augen und laufen die Wangen hinunter. Sie legt sich platt auf den Boden. Ihre Schultern zucken durch das Weinen. Ich erhebe mich nun und nähere mich ihr, um sie sanft an den Schultern anzuheben. Sie lehnt sich bei mir an und ich trockne ihr die Tränen.
"Berichte deinen ehrenwerten Eltern von der Unterredung und dass dein ehrenwerter Vater baldmöglichst das Kloster aufsuchen soll," flüstere ich mit sanfter Stimme.
Ich habe selten ein so glückliches Gesicht gesehen! Sie erhebt sich vollends und verlässt rückwärtsgehend mit vielen Verbeugungen den Raum. Als ich mit Seiner Heiligkeit alleine bin, wendet er sich an mich.
"Was sagst du, Bruder Rinpoche?"
"Ich würde in Zivil nach Hongkong fliegen und die Schülerin als 'Gästebetreuerin' mitnehmen, die einem Touristen ihre Heimat zeigt. Wir besuchen ihre Großeltern und sie redet mit ihnen, dass wir dann zu viert die Stadt verlassen."
"Die Idee, als Tourist einzureisen ist nicht schlecht. Aber die Leute mit dem Flugzeug ausreisen zu lassen, ist gefährlich, Bruder Rinpoche."
Bei ihr angekommen, klopfe ich wie üblich an ihre Tür. Mama öffnet mir und lässt mich eintreten. Außer ihr befindet sich ein asiatisches Mädel von vielleicht 15 oder 16 Jahren im Zimmer. Sie dreht sich neugierig zu mir um und verbeugt sich vor mir so tief, dass ihre Nase sicher fast den Boden berührt.
Ich strecke ihr meine Hand mit nach oben gerichteter Handfläche entgegen und hebe die Hand leicht an. Dabei spreche ich mit sanfter Stimme:
"Erhebe dich, meine Tochter!"
Ich selbst bin zwar fast 20 und damit im richtigen Alter für sie. Als Lama muss ich sie aber als 'meine Tochter' ansprechen, auch wenn sie doppelt so alt wäre. Das Mädel kommt in aufrecht kniende Stellung hoch, setzt sich auf ihre Fersen und wartet ab.
Nun lasse ich mich am Tisch nieder. Sie nimmt die Teekanne hoch und füllt mir und Mama die Tassen, bevor sie sich selbst Tee einschenkt. Ich lasse sie ruhig gewähren, hebe die gefalteten Hände an mein Kinn und verbeuge mich, dankbar lächelnd.
"Hab Dank, meine Tochter," kommentiere ich ihr Tun.
Mama hat bisher geschwiegen. Nun ergreift sie das Wort:
"Dies ist Yong Tai, eine meiner Schülerinnen. Sie hat mir ihre Geschichte erzählt. Ich denke, du solltest dir einmal anhören, was sie zu sagen hat."
Also schaue ich sie interessiert an. Zunächst schaut sie wieder zu Boden, dreht sich etwas und verbeugt sich noch einmal in meine Richtung.
"Nun, Yong Tai?" ermuntere ich sie mit sanfter Stimme.
Es hat keinen Sinn, in sie dringen zu wollen. Sie muss erst Vertrauen aufbauen. Nach einer Weile beginnt sie zu erzählen:
"Die ehrwürdige Mimo -Frau, Mutter- hat mich ermuntert, offen über das Schicksal meiner Familie zu sprechen, ehrwürdiger Lama."
"Ja?" frage ich.
"Es ist so, dass meine ehrenwerten Großeltern in unserer früheren Heimat Hongkong zurzeit unter Druck gesetzt werden, damit mein ehrenwerter Vater mit seiner Familie zurückkehrt. Dort droht ihm aber die Verhaftung, und meiner ehrenwerten Mutter und mir das Umerziehungslager.
Meine ehrenwerten Eltern sind mit mir vor etwa 14Jahren nach Deutschland gekommen, weil der ehrenwerte Vater in der Heimat gegen die Chinesen und deren Einfluss in Hongkong demonstriert hat und deshalb von den Chinesen schon einmal verhaftet worden ist.
Nun liegen unsere Hoffnungen hier im Kloster."
Ich greife ihre Hand über den Tisch und bedecke sie mit meiner anderen Hand. Sie beugt sich spontan vor und berührt meinen Handrücken mit ihrer Stirn. Dann richtet sie sich wieder auf und fragt:
"Ist es möglich, meine ehrenwerten Großeltern aus Hongkong herauszuholen, um ihnen hier einen Lebensabend in Freiheit und ohne Repressalien zu gönnen?"
Ich nicke lächelnd und frage zurück:
"Gibt es sonst noch Verwandte in Hongkong, in anderen Städten oder in Taiwan?"
"Die ehrenwerten Großeltern durften nur ein Kind haben. Sie sind vor Jahrzehnten aus der Provinz nach Hongkong gereist und geblieben, weil es dort Arbeit für sie gab," erklärt sie mir.
"Ah, ihr habt schon eine Odyssee hinter euch," antworte ich. "Ich werde Seiner Heiligkeit deine Geschichte vortragen! Gemeinsam werden wir eine Lösung finden!"
Vor Freude verbeugt sich das Mädel noch einmal neben dem Tisch bis ihre Stirn fast den Boden berührt. Anschließend schickt Mama sie in ihren Schlafsaal. Sie erhebt sich mit glücklichem Gesicht und hat Mamas Zimmer kurz darauf verlassen.
Am nächsten Morgen berichte ich Seiner Heiligkeit nach dem Frühstück von Yong Tais Geschichte. Er nickt dazu und klatscht in die Hand. Den Gelong, der nun zum Thronsaal hereinschaut, schickt er nach der Klosterschülerin. Ich bleibe neben Seiner Heiligkeit auf dem Boden sitzen.
Wenige Minuten später öffnet sich die Tür des Thronsaales erneut. Der Gelong lässt die Schülerin eintreten und schließt hinter ihr die Tür. Yong Tai fällt an der Tür auf die Knie und verbeugt sich ehrfurchtsvoll in Richtung Seiner Heiligkeit.
"Komm näher, meine Tochter!" fordert Seine Heiligkeit sie mit sanfter mitfühlender Stimme auf.
Schüchtern rutscht sie auf ihren Knien näher, immer wieder den Boden mit der Stirn berührend.
"Berichte mir vom Schicksal deiner ehrenwerten Familie," ermuntert Seine Heiligkeit das Mädel.
Sie wiederholt, was sie mir am Vorabend schon berichtet hat.
"Kennst du den Weg vom Flughafen zur Adresse deiner ehrenwerten Großeltern?" fragt Seine Heiligkeit, nachdem sie geendet hat.
Sie schüttelt traurig den Kopf. Die ganze Zeit hält sie ihren Blick zu Boden gerichtet.
"Aber deine ehrenwerten Eltern haben die Adresse?" hakt Seine Heiligkeit nach.
Nun nickt sie heftig und hebt die gefalteten Hände an ihre Lippen.
"Wir werden deiner ehrenwerten Familie helfen!" kündigt Seine Heiligkeit ihr an. "Dafür muss ich aber mit deinem ehrenwerten Vater sprechen! Ist es möglich, dass er das Kloster in Kürze aufsucht?"
Jetzt schießen ihr Tränen in die Augen und laufen die Wangen hinunter. Sie legt sich platt auf den Boden. Ihre Schultern zucken durch das Weinen. Ich erhebe mich nun und nähere mich ihr, um sie sanft an den Schultern anzuheben. Sie lehnt sich bei mir an und ich trockne ihr die Tränen.
"Berichte deinen ehrenwerten Eltern von der Unterredung und dass dein ehrenwerter Vater baldmöglichst das Kloster aufsuchen soll," flüstere ich mit sanfter Stimme.
Ich habe selten ein so glückliches Gesicht gesehen! Sie erhebt sich vollends und verlässt rückwärtsgehend mit vielen Verbeugungen den Raum. Als ich mit Seiner Heiligkeit alleine bin, wendet er sich an mich.
"Was sagst du, Bruder Rinpoche?"
"Ich würde in Zivil nach Hongkong fliegen und die Schülerin als 'Gästebetreuerin' mitnehmen, die einem Touristen ihre Heimat zeigt. Wir besuchen ihre Großeltern und sie redet mit ihnen, dass wir dann zu viert die Stadt verlassen."
"Die Idee, als Tourist einzureisen ist nicht schlecht. Aber die Leute mit dem Flugzeug ausreisen zu lassen, ist gefährlich, Bruder Rinpoche."
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