Montag, 25. April 2022
Lama Rinpoche -30
Er bedankt sich, auch in Vertretung der beiden Genannten und fragt zum Abschied noch:

"Lama Rinpoche, darf ich fragen, ob Ihr bei der Hochzeit zugegen sein möchtet?"

Ich sage gerne zu.

Ungefähr ein halbes Jahr später erhalte ich schriftlich die Einladung zur Hochzeit von Seiner Eminenz Khön Gyana mit Gelongma Andrea Mann in Honolulu, Hawaii. Nun bestimme ich einen Lama, meine Vertretung zu übernehmen und buche für den angebotenen Termin einen Linienflug.

Dort angekommen werden wir alle in Gästezimmern der Schule untergebracht. Es dauert etwa einen Tag bis die Gäste vollzählig sind. Am Tag der Hochzeit fahren wir in einer Wagenkolonne zum Ala Way Community Park. Dort hat das Brautpaar ein erstes Foto-Shooting. Bunte Gebetsfahnen flattern im Wind und bilden den bunten Hintergrund in der grünen Landschaft, während das Brautpaar in Gold und Weiß gekleidet ist.

Anschließend spazieren wir gemeinsam zum Wasser hinunter. Auf dem Ala Way Canal liegt ein Motorboot bereit. Nach und nach wird die Hochzeitsgesellschaft auf die andere Kanalseite übergesetzt. Drüben, auf dem Ala Way Boulevard, steht eine Wagenkolonne bereit.

Während das Brautpaar mit dem Motorboot weiterfährt, folgen wir dem Boot auf dem Boulevard, bis das Boot anlegt. Das Brautpaar steigt nun in ein weißes, amerikanisches Caprio um. Unter Gehupe erreicht die Kolonne schließlich das Morimoto Asia Waikiki in der Kalakaua Avenue. Zuerst steigen die Verwandten des Bräutigams mit dem Bräutigam aus, damit sie die Braut und deren Verwandten im Restaurant begrüßen können, das jetzt die Funktion des Hauses des Bräutigams übernimmt, in das die Braut symbolisch einzieht.

Nachdem wir einige Minuten gewartet haben, betreten wir das Morimoto Asia und werden vom Restaurantpersonal in den Raum geleitet, indem die Zeremonie stattfinden soll. Hier herrscht bereits eine festliche Stimmung. Wunderschöne bunte Blumen stehen in Vasen, die mit Goldfolie aufgewertet worden sind. Die Wände wurden mit bunten Tüchern verkleidet. Ein fast zwei Meter hoher Buddha thront auf einem Podest.

Seine Heiligkeit Trülku Khön Sakya Trizin leitet die Zeremonie. Anne übersetzt seine Worte Satz für Satz ins Deutsche. Andrea, die Gelongma, und seine Eminenz Lama Khön Gyana bekommen vor dem goldenen Buddha von Seiner Heiligkeit die Ringe, um sie dem Partner auf den Finger zu schieben.

Anschließend treten die Gäste mit weißen Hadas -Schals- in der Hand vor. Sie legen dem Brautpaar je einen um. Danach werden die Gäste an die Tafel geleitet, wo das Brautpaar die Hochzeitstorte anschneidet und jedem ein Stück auf einem Teller reicht. Während die Gäste essen, stehen Lama Kyobpa und ich, Lama Rinpoche, nacheinander auf, um dem Brautpaar in kurzen Reden Glück für die gemeinsame Zukunft zu wünschen.

Danach startet Lama Kyobpa -Noah- die Musikanlage und bittet die Gesellschaft zum Tanz. Ich muss grinsen: Ob Noah will oder nicht, jetzt ist er dran! Seine beiden Zwillinge führen ihn nacheinander über die Tanzfläche.

Draußen ist es schon dunkel, als das Festessen serviert wird. Daher wird es gegen Mitternacht, als wir das Restaurant verlassen und die Gäste zu ihren Zimmern zurückgebracht werden.

Durch unsere seelsorgerische Arbeit in Deutschland bin ich schon eine Menge Hochzeiten gewohnt, aber jede sticht mit irgendeinem Detail aus der Menge heraus. Hier ist es natürlich die geballte Anwesenheit hoher buddhistischer Würdenträger.

Ich fliege wieder nach Deutschland zurück in dem befriedigenden Gefühl, dass hier der Grundstein zu einer weiteren Dynastie gelegt worden ist. Gyana und Andrea haben aus Liebe geheiratet und kennen Strategien, durch Gespräche Unstimmigkeiten im Lauf des Lebens zeitnah aus der Welt zu schaffen. Mein Kontakt mit Noah -Lama Kyobpa- reißt nicht ab. So bekomme ich mit, wie der Lehrkörper des Internats wächst.

Neun Jahre nach der Hochzeit melden sich sogar die ersten Ehemaligen bei Noah, um Mönch zu werden. Nun übergibt Noah die Leitung der Foundation schrittweise an Seine Eminenz. Da ist es ein Segen, dass er nun Schüler bekommt, denen er die buddhistische Philosophie, das Meditieren und Kungfu näherbringen kann.

Dann bricht die Verbindung für Jahre ab. Gut 15 Jahre nach der Hochzeit in Honolulu schlage ich nach einer Meditation meine Augen auf und sehe die Gelongma Anne mir gegenüber auf der anderen Seite meines Tisches sitzen. Ich freue mich über den Besuch und strecke ihr beide Arme über den Tisch entgegen. Sie ergreift sie beide und drückt sie lächelnd. Ich begrüße sie herzlich und zugleich neugierig:

"Sei gegrüßt, meine Schwester. Bringst du mir Neuigkeiten von Hawaii? Wie geht es Lama Kyobpa, deiner ehrenwerten Schwester und Seiner Eminenz Lama Khön Gyana?"

Sie druckst herum und bekommt Tränen in die Augen. Ich hole ein Tuch aus meiner Kesa -Mönchsgewand- und reiche es ihr. Dann seufzt sie und beginnt zu berichten:

"Der ehrwürdige Lama Kyobpa, mein geliebter Daddy, ist vor sechs Jahren heimgegangen. Er ist aus einer tagelangen tiefen Meditation nicht wieder erwacht..."

Ich lege ihr meine Hände tröstend auf die Unterarme und sage:

"Dein ehrenwerter Daddy lässt dich nicht im Stich, Anne oder Yong Tai. Er hat die Foundation vertrauensvoll in eure und die Hände Seiner Eminenz gelegt und dürfte irgendwo in deiner Nähe bleiben wollen. Habt ihr schon nach einer möglichen Wiedergeburt gesucht?"

Sie schüttelt den Kopf und erklärt mir:
"Seine Eminenz und meine verehrte Schwester hatten vor sechs Jahren Nachwuchs geplant, nachdem das Lehrerkollegium soweit angewachsen ist, dass sie in der Arbeit mit den Kindern kürzertreten können. Neun Monate nach Daddys Heimgang gebar Andrea einen süßen Jungen, dessen Patentante ich seitdem bin. Ich habe mich seither oft mit Thaye beschäftigt. Irgendwann hat er den alten Drachen entdeckt: Das Stofftier, dass Daddy in seiner Jugend Yong Tai geschenkt hat! Seitdem hat er es immer zum Einschlafen gebraucht. Letztes Jahr, als er zum ersten Mal in einem Schlafsaal mit Gleichaltrigen übernachten sollte, hat er es mir geschenkt, damit es ab jetzt 'auf mich aufpasst'. Nun bin ich mit Thaye nach Europa gekommen, weil seine Eltern entschieden haben, dass er die Klosterschule in Weiterswiller besucht. Nach den Feierlichkeiten bin ich nun zu Ihnen weitergereist, Eure Heiligkeit..."

"Du hast einen bestimmten Verdacht, meine Tochter," stelle ich fest.

Sie nickt.
"Meiner Meinung nach muss Daddy in Thaye aufgegangen sein."

"Hast du ihm einmal Dinge vorgelegt, die Lama Kyobpa gehört haben, ganz profane, wie seine Reisschale zum Beispiel?"

"Noch nicht," antwortet sie mir. "Ich will kein großes Aufhebens machen. Dass Thaye den Drachen entdeckt hat und nur mit ihm in seinem Bettchen durchschlafen konnte, ist in den Augen seiner Eltern kein Beweis. Sie wollen anscheinend keine alten Geschichten aufwühlen."

"Dir ist es aber wichtig genug, um mit dem Wissen wieder ruhig schlafen zu können. Du wärst innerlich befreit, dankbar und glücklich, wenn du in Thaye mehr als deinen Neffen sehen könntest?"

Sie lächelt mich befreit an.

... link (0 Kommentare)   ... comment


Sonntag, 24. April 2022
Lama Rinpoche -29
Anne, lehnt sich stumm an ihren Adoptivvater. Andrea schüttelt lächelnd den Kopf und erklärt:

"Wir werden dich immer wieder besuchen! Wenn es geht, auch zwischendurch an den Wochenenden. Ansonsten gibt es ja WhatsApp!"

Er nickt lächelnd und meint:
"Zuerst die Schule - und die Hausaufgaben! Bei Fragen bin ich natürlich wie immer für euch jederzeit zu sprechen, meine Große!"

Bei den Staatsexamina sind beide hochgradig nervös, erzählt mir Noah im Vertrauen. Dennoch erhalten sie ihre angestrebten Abschlüsse.

"Na also!" meine ich nur und lächele Noah aufmunternd zu. Er hat regelrecht mitgelitten.

Anschließend reisen die Drei durch Deutschland. Noah will den inzwischen 22jährigen Zwillingen seine Heimat zeigen und sie wie nebenbei an dem Elternhaus von Yong Tai vorbeiführen. Er ist auf Annes Reaktion gespannt, sagt er zum Reiseantritt.

Zurück von der Reise berichtet er mir von ihrer emotionalen Reaktion vor dem Elternhaus von Yong Tai, indem inzwischen andere Leute wohnen. Wir sind uns nun sicher, in Anne muss die Seele Yong Tais weiterleben.

Kurz darauf verlassen sie unser Kloster und brechen nach Hawaii auf.

*

Ein Jahr nach Noahs Abreise verstirbt Seine Heiligkeit, unser Khenchen Lama, an einer schweren Krankheit. Er legt sein Amt in meine Hände und spricht darüber auch mit den Lamas, die ihn im Krankenhaus besuchen. Dennoch muss eine Wahl erfolgen, die ich gewinne. Nun ziehe ich innerhalb unseres Klosters um, in die Wohnung des Khenchen Lama. Nach seinem Tod führe ich die Zeremonie zu seiner Einäscherung durch. Wir übergeben seine Asche anschließend den Naturelementen.

Etwa zwei Jahre später, während der US-amerikanischen Schulferien, besucht mich Noah erneut. Er ist freudig überrascht, dass ich nun der Khenchen Lama bin. Im Gespräch berichtet er mir anschließend von der erfolgreichen Gründung seiner Schule unter dem Dach einer Yong-Tai-Foundation und bittet mich gleichzeitig um einen Rat. Sie sind drei feste Lehrkräfte, er und die Zwillinge, und aus dem buddhistischen Kloster in Honolulu kommen stundenweise Gelongs zu ihnen als Aushilfe. Er bräuchte aber mindestens ein Dutzend Leute, klagt er mir.

"Ist es möglich, dass einer der Gelong dieses Klosters - ein Kungfu-Meister - Interesse daran hat, das Managen einer Foundation zu erlernen? Es gilt sozial gebundene Gelder zu verwalten und zweckgebunden auszugeben. Für den Anfang denke ich an drei Bewerber, um mir den Besten nach einem Jahr Aufenthalt auszusuchen. Die beiden anderen bekämen ein Zertifikat mit nach Deutschland zurück.
Auch könnten sich Klosterschülerinnen gerne bei uns bewerben, wenn sie sich die Arbeit mit Kindern vorstellen können. Sie könnten bei uns ein einjähriges Praktikum machen, für das sie ebenfalls ein Zertifikat bekommen würden. Wenn sie dann in Deutschland zurück sind und eine Ausbildung in diesem Bereich anschließen, können sie sich danach gerne ebenfalls bei uns bewerben, um eine unbefristete Anstellung zu finden," bietet Noah an.

Ich lade ihn ein, zum Essen zu bleiben und dabei das Thema bei den Gelong -Mönchen- im Kloster anzusprechen. Ihm gefällt die Idee und er bedankt sich, indem er sich vor mir verbeugt und die gefalteten Hände an sein Kinn hebt, sicher aus Respekt vor dem Amt, das ich jetzt bekleide. Denn nun erhebt er sich und entfernt sich langsam rückwärtsgehend.

Er geht zum Speisesaal und setzt sich auf den Platz des Vorlesers, wie ich beim Eintreten feststelle. Von dort werden den Mönchen während des Essens uralte buddhistische Texte vorgelesen. Ich erhebe mich ebenfalls, nachdem er meine Wohnung verlassen hat und gehe zur Gästewohnung seiner Eminenz Lama Khön Gyana. Es ist der jüngere Bruder Seiner Heiligkeit des Trülku der Sakya-Schule aus Weiterswiller. Zufällig weilt er zurzeit in unserem Kloster. Gemeinsam machen wir uns auf den Weg zum Speisesaal der Gelong -Mönche-. Als wir eintreffen referiert Lama Kyobpa gerade über sein Thema:

"...Aber was ist den Buddhisten, ganz besonders den Mönchen erlaubt? Die Selbstlosigkeit, das Mitgefühl und Eintreten für den Schwächeren sind uns ausdrücklich geboten. Als zentralen Punkt sehe ich hier das Mitgefühl, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers, ist das Wesentlichste im Leben der Mönche."

Noahs Augen werden bei unserem Eintritt groß. Seine Eminenz und Lama Kyobpa kennen sich, weil Noah zehn Jahre in Weiterwiller gelebt hat. Wir suchen uns einen Platz und werden sogleich von einem Klosterschüler bedient. Nachdem Lama Kyobpa geendet hat, hebt Seine Eminenz zu sprechen an:

"Liebe Brüder," sagt er. "Ihr wisst, dass uns Abhängigkeit verboten ist, sowie auch persönlicher Besitz. Das Wesentlichste im Leben eines Mönches ist aber die Selbstlosigkeit, das Eintreten für den Schwächeren. Dabei würde ich das Mitgefühl herausstreichen, welches ich als bedingungslose Liebe definieren würde. Liebe zur Natur, zu den Geschöpfen des Himmels, der Erde und des Wassers - und natürlich zu einer nahestehenden Person, die ich kenne. Man kann also sagen, dass wir zur Liebe ermutigt werden."

Damit befeuert er eine Debatte, denn die Meisten der anwesenden Gelong halten die Askese für die zentrale Tugend des Mönchtums. Bald stellt sich heraus, welche Gelong offen sind für eine Beziehung.

Mit diesen Gelong führt Lama Kyobpa in den folgenden Tagen Einzelgespräche. Nach zwei Wochen präsentiert er mir zwei Kandidaten für die Position des Managers der Yong-Tai-Foundations. Seine Eminenz Lama Khön Gyana kommt ebenfalls mit. Er zeigt ebenfalls Interesse.

Bei einem Skype-Kontakt, ein Jahr später, berichtet mir Lama Kyobpa, dass er die Gelong zu Lamas geweiht hat und mit den versprochenen Zertifikaten nach Deutschland zurücksendet. Auch ein Teil der Klosterschüler kommt mit nachhause. Dafür sollen andere Klosterschüler mit Interesse zu ihm fliegen. Was er mir zu seiner Eminenz Lama Khön Gyana und Andrea zu berichten weiß, entlockt mir ein jungenhaftes Lächeln. Ich bemerke dazu:

"Ich habe mir gedacht, dass eure Entscheidung diese Richtung nimmt, und wünsche Lama Khön Gyana mit Gelongma Andrea alles Gute für ihre gemeinsame Zukunft. Ich freue mich, dass ein weiteres Mitglied der Khön-Familie bald eine erfüllende Aufgabe bekommt."

... link (0 Kommentare)   ... comment


Samstag, 23. April 2022
Lama Rinpoche -28
"Ja," bestätigt er mir. "Ich habe zwei Zimmer in der Raststätte draußen gemietet."

Ich nicke lächelnd und antworte:
"Das wird das Beste für die Mädchen sein: Sie erst langsam daran gewöhnen, dass ihr Vater ein Mönch ist."

Nun schaut mich Noah prüfend an. Die Weihe zum Gelong -Mönch- fehlt ihm noch, denn bisher ist er erst Klosterschüler. Ich halte seinem Blick stand und zeige ihm ein feines Lächeln.

"Kommt Zeit, kommt Rat, Noah!" sage ich nur.

Wir gehen zu den Klosterschülerinnen zurück. Der Speisesaal ist inzwischen leer, aber eine Gelongma -Nonne- weiß, wo sich die beiden Mädchen aufhalten. Im Wohntrakt finden wir die Mädchen, wie sie von Hawaii schwärmen. Alle Klosterschülerinnen sind des Englischen mächtig. Nur bei einigen Ausdrücken hapert die Verständigung, aber darüber finden sie schnell hinweg. Hier trenne ich mich von Noah und gehe weiter zu meinem Zimmer.

Fast eine Woche später führe ich Noah mit den Mädchen zu Seiner Heiligkeit.

Als wir den Thronsaal betreten haben, sinkt Noah auf die Knie, hebt die gefalteten Hände an sein Kinn und neigt den Kopf. Er wartet, dass Seine Heiligkeit seine Stimme erhebt. Das Mädchen, das Anne heißt, macht die Geste nach, nur dass sie nur ein Knie beugt. Andrea an seiner anderen Seite schaut mit gerunzelter Stirn in die Runde und hebt nur kurz die gefalteten Hände an ihre Lippen. Dass sich die unterschiedlichen Charaktere so deutlich zeigen, lässt mich innerlich schmunzeln.

"Kommt näher!" fordert Seine Heiligkeit Noah nach einigen Sekunden auf.

Er erhebt sich und schiebt die Mädchen mit seinen Händen in ihrem Rücken näher an Seine Heiligkeit heran. Dieser blickt lächelnd von Anne zu Andrea, um dann zu fragen:

"How do you like your Dad?"

"He's a good man!" platzt Andrea heraus. Anne neigt den Kopf ein wenig und ergänzt: "We love Dad!"

Noah angelt nach seinem Taschentuch und schnäuzt hinein. Tränen füllen seine Augen. Seine Heiligkeit nickt, schaut ihn an und informiert ihn:

"Du bist in Weiterswiller willkommen, Bruder! Ich wünsche dir alles Gute für die Zukunft! Wie sieht bisher deine Planung aus?"

"Meine Mädchen werden dort die Klosterschule besuchen. Vielleicht entwickeln sich Freundschaften unter den Schülerinnen und sie werden eingeladen in deren Familien die Ferien zu verbringen. Dabei lernen sie die Lebensart der Leute kennen und nehmen sie vielleicht zum Teil an. Nach der Schule sollen sie hier in Deutschland studieren, um soziale Berufe ausüben zu dürfen. Danach gehen wir nach Hawaii zurück und reaktivieren Li Yong Tais Villa im Grünen. Sie soll ein Kinderheim für Straßenkinder werden, also für entwurzelte 5-16jährige etwa. Diese Kinder erhalten Unterricht und danach Bewerbungstraining."

"Und was tust du dort?" fragt er konkret.

"Nun, ich werde in Weiterswiller mein Finanzwissen anbieten, wo es gebraucht wird. Auf Hawaii werde ich in dieser Funktion sicher auch gebraucht," antwortet er. "Die Villa, und damit das Kinderheim, bekommt als Dach eine Foundation, die Li Yong Tais Erbe verwaltet."

Seine Heiligkeit nickt.

"Das ist ein guter Plan!" bestätigt er.

Nun schlägt der Khenchen Lama den Gong. Die Lamas dieses Klosters kommen herein und verteilen sich an den Wänden. Einige haben Instrumente dabei. Sie stimmen ein dumpf gesungenes Gebet an, begleitet von Trommel und Flötenmusik. Lama Rinpoche trägt die goldene Kanne mit geweihtem Wasser herein und ein weiterer Lama hat eine goldene Schale in der Hand.

Ich erinnere mich an Lama Rinpoches Prophezeiung vor einigen Tagen und bleibe auf den Knien, meine Mädchen im Arm haltend. Nun werden mir einige Tropfen des Wassers über die Stirn gegossen und mit der Schale wieder aufgefangen. Seine Heiligkeit beugt sich lächelnd vor und setzt mir einen Mönchshut auf.

"Sei gesegnet auf deinem weiteren Lebensweg, Gelong Noah!" sagt er dabei.

Ich werfe mich vor ihm zu Boden, wobei mir der Hut vom Kopf rutscht. Nach einigen Sekunden komme ich wieder hoch. Andrea hat sich nach dem Hut gebückt und reicht ihn mir jetzt. Ich setze ihn lächelnd auf und streiche ihr sanft über ihr Haar.

Nach der Zeremonie gehen wir zusammen in mein Zimmer. Dort breitet Noah seine Zukunftsgedanken vor mir aus:

"Ich bin jetzt 34 Jahre alt. Beim Schulabschluss der Mädchen werde ich also 44 Jahre alt werden. Wenn ich darf, würde ich mich die sechs Jahre bis sie ihre Studienabschlüsse in den Händen haben hier im Kloster nützlich machen. Meine Mädchen können am Studienort Appartements mieten und mich jederzeit hier besuchen. Anschließend gehen wir nach Hawaii zurück."

Ich nicke und meine:
"Genauso solltest du eure Zukunft angehen, Noah! Ich wünsche euch alles Gute dafür."

Tags darauf fahre ich sie zum Bahnhof, von wo sie ihre Reise nach Weiterswiller starten, 50 Kilometer nördlich von Straßburg.

*

Zehn Jahre sind inzwischen ins Land gegangen, als ich wieder Besuch von Noah und seinen Zwillingen Anne und Andrea bekomme. Anne soll die Wiedergeburt von Yong Tai sein und Andrea das Kind, das sie damals unter ihrem Herzen trug, als Yong Tai dem feigen Mordanschlag von chinesischen Agenten zum Opfer fiel. Nun haben sie die Klosterschule in Weiterswiller im Elsass erfolgreich durchlaufen. Auch über Noah höre ich Positives: Seine Heiligkeit, der Khenchen Lama in Weiterswiller hat ihn zum Dank für seine Mitarbeit zum Lama geweiht. Er darf sich jetzt Lama Kyobpa nennen, spiritueller Lehrer, Schützer / Verteidiger / Retter.

Ich freue mich über ihren Besuch und frage Noah:
"Was habt ihr als nächsten Schritt vor?"

"Anne und Andrea werden ihr deutsches Abitur an einem Berufskolleg in der Nähe machen," erklärt mir Noah. "Deutsch haben sie in den vergangenen Jahren durch mich gelernt, neben Französisch, dass sie im Elsass brauchten. Jetzt werden sie das Erlernte im Alltag anwenden und perfektionieren können. Danach wird Anne Kinderkrankenschwester und -pflegerin lernen, und Andrea ein Studium in Pädagogik beginnen für den Lehrerberuf."

"Also seid ihr mindestens noch sechs Jahre in Deutschland," schätze ich. "Wo wollt ihr da wohnen?"

"Wenn hier im Kloster für mich Platz ist, würde ich mich gerne in das Kloster integrieren wollen. So haben die Mädchen auch einen Bezugspunkt, der sie an Weiterswiller erinnert. Sie werden in der 80 Kilometer entfernten Kleinstadt eine gemeinsame Wohnung anmieten. Dort gibt es ein Berufskolleg. In zwei Jahren, nach dem Abitur, werden sie sich wohl neu orientieren müssen. Momentan werden die angestrebten Ausbildungen und Studiengänge in der 200 Kilometer entfernten Stadt angeboten. Ich denke, dass mich Anne und Andrea in den Semesterferien besuchen und ihren Dad nicht vergessen werden," antwortet er und zwinkert den Zwillingen zu, die sich an seiner Seite auf dem Boden niedergelassen haben.

... link (0 Kommentare)   ... comment