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Montag, 9. Mai 2022
Kiron, der Sucher - 06
Ich nicke ihr beruhigend zu und spreche mit sanfter Stimme:

"Nimm deinen Krug zurück, meine Tochter."

Die junge Frau wird ungefähr in meinem Alter sein. Mit 'meine Tochter' nutze ich einen Begriff, den spirituelle Lehrer zu einer Frau aus dem Volk sagen.

Ich hebe den Krug von meiner Schulter, nachdem ich meinen Stock fallen gelassen habe und reiche ihn ihr. Sie ist inzwischen wieder aufgestanden und will den Krug entgegennehmen.

Sie hat wohl nicht damit gerechnet, einen vollen Krug überreicht zu bekommen und knickt ein wenig ein, bevor sie ihn sich auf die Schulter hebt und lächelnd in der Hütte verschwindet.

Ihr Bruder macht eine Geste und sagt dazu:
"Bitte tretet ein, maananeey sajjanon -ehrenwerte Herren-!"

Ich habe gerade meinen Stock wieder aufgehoben, falte nun die Hände und verbeuge mich. Dann trete ich in das Dämmerlicht im Inneren der Hütte. Mein Lehrer folgt mir. Im Inneren lassen wir uns in der Nähe der Kochstelle nieder. Eine Frau, etwas jünger als mein Guru, schenkt uns Schalen mit Tee aus.

Meine Augen suchen den Hausherrn. Schließlich sehe ich ihn im Halbdunkel auf einem Krankenlager liegen. Ich erhebe mich und nähere mich dem alten Mann, um mich neben ihm im Schneidersitz niederzulassen. Nun rezitiere ich einige Verse, die auf Buddha zurückgehen und gebe dem Mann schluckweise von meinem Tee zu trinken.

Als die Teeschale leer ist, stelle ich sie neben mich und lege ihm meine Hand auf die Stirn, während ich weitere Texte leise vor mich hin spreche. Ich habe die Augen geschlossen und versuche, mit Prana -Lebenshauch- Verbindung aufzunehmen.

Bald erhebt sich der Mann auf seinem Lager in den Schneidersitz. Ich ziehe mich zurück und setze mich wieder auf meinen Platz neben meinem Lehrer an der Kochstelle.

Der Hausherr will sich erheben. Es klappt nicht. Er ruft nach seinem Sohn. Dieser hilft ihm auf und stützt ihn beim Nähertreten, damit er sich uns gegenüber setzen kann, neben den Platz, auf dem sein Sohn eben gesessen hat. Dann nimmt auch dieser wieder Platz ein.

Die Mutter reicht nun Schalen mit Reis herum, verfeinert mit einer aromatischen Sosse. Mein Lehrer wird von den Leuten gebeten, ihnen beim Essen von Buddha zu erzählen.

Draußen vor dem Eingang hat sich eine größere Menschenmenge gebildet. Ich nehme meine Reisschale und setze mich damit in den Eingang der Hütte. Nun wiederhole ich jedes Wort meines Guru -spirituellen Lehrers-, damit die Menge vor der Hütte alles genau mitbekommt.

Als er geendet hat ist es Nachmittag geworden. Mein Lehrer schließt die Augen und beginnt eine Meditation. Der Hausherr will sich erheben. Sein Sohn stützt ihn dabei wieder. Der ältere Mann tritt mit unsicheren Schritten in den Eingang seiner Hütte und macht einen Schritt ins Freie.

Nachdem mein Lehrer geendet hat und auch ich nichts mehr sage, sind die meisten Leute aufgestanden und zu ihrer Arbeit zurückgekehrt. Diejenigen, die noch eine Weile nachdenklich sitzengeblieben sind erleben jetzt, wie der Hausherr anscheinend genesen, aber noch etwas schwach umhergeht.

Dadurch entsteht zuerst ein erstauntes Gemurmel. Dann werden die Stimmen lauter und auch der Hausherr redet leise auf die Leute ein und lächelt. Einige Leute erheben sich nun, um die Neuigkeit im Dorf zu verbreiten. Schließlich zieht sich der alte Mann wieder in seine Hütte zurück. Er ist erschöpft.

Wir werden gebeten in der Hütte zu übernachten, bevor wir morgen weiterziehen. Nach einer Schale Tee legen wir uns mit den Leuten um das gelöschte Kochfeuer, die Füße zur Glut gerichtet.

*

Am Morgen darauf verabschieden wir uns nach dem Frühstück herzlich von unseren Gastgebern. Im Hinausgehen segnen wir die Hütte und ihre Bewohner. Wir streben der gegenüberliegenden Seite des Dorfes zu. Dabei sammelt sich wieder eine Traube junger Leute um uns. Nach einigen Minuten werden sie von ihren Vätern und Brüdern zurückgerufen, damit sie ihnen auf den Feldern helfen.

Nur ein Junge, nicht älter als ich damals, als ich dem Guru gefolgt bin, bleibt in unserer Begleitung.

"Wo wohnst du?" frage ich ihn.

Er zeigt zurück. In dieser Richtung stehen mehrere Hütten. Ich will ihn auffordern uns zu führen, als er uns von seinem Schicksal berichtet:

"Meine Mutter ist bei meiner Geburt gestorben. Mein Vater, ein Machhua -Fischer-, hat mich zu meiner Tante gegeben. Er hat die Familie meines Onkels unterstützt, indem er ihnen seinen Fang überlassen hat. Vor zwei Jahren ist auch er gestorben. Nun habe ich niemand mehr."

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Samstag, 7. Mai 2022
Kiron, der Sucher - 05
Ich habe von meinem Lehrer sehr bald nach unserem Aufbruch einen eigenen Stock bekommen, mit dessen Hilfe das Gehen nicht so ermüdend ist. Er hat mir irgendwann von einer Selbstverteidigungstechnik erzählt, die er ?Kalaripayattu? nennt. Sie ist aus der genauen Beobachtung unserer wilden Brüder und Schwestern in der Natur entstanden. Wie sich Vögel, Raubtiere und ihre Beute verhalten, haben unsere Vorfahren nachgeahmt und daraus Griffe und Bewegungen entwickelt, mit oder ohne Stock oder andere Hilfsmittel.

Durch meine Verbindung mit Prana -Lebenshauch, der alles durchdringt- habe ich bei meinen von den Meditationen begleiteten Übungen bald eine besondere Fertigkeit erlangt.

Immer wieder erinnert mich Paramapaavan -seine Heiligkeit- daran:

"Denke daran, Kiron, setze deine Kenntnis nur zur Verteidigung ein!"

Ihm sind meine Kenntnisse allmählich unheimlich geworden, glaube ich.

Als wir uns wieder einmal einem Dorf nähern, um dort zu lehren, hören wir von der Seite den Schrei einer Frau in höchster Not. Wir schauen uns an und laufen näher heran. Ich bin schneller als mein Lehrer und komme hinzu, als ein junger Tiger im Begriff steht, eine junge Frau anzuspringen. Die Frau flüchtet, aber der Tiger ist natürlich schneller.

Ich komme von seitlich vorne und stoße dem gefährlichen Bruder meinen Stock zwischen die Zähne. Davon irritiert landet er auf seiner Flanke und rollt über den Rücken auf seine andere Seite, bevor er wieder auf die Füße kommt und mich anfaucht.

Währenddessen habe ich meinen Stock vom Boden aufgenommen und rede in leisem beruhigendem Ton auf das Tier ein. Der Tiger hat sich niedergelassen und faucht mich an. Dabei wird er immer ruhiger. Bald erhebt er sich wieder und dreht sich um. Immer wieder einmal den Kopf wendend und zurückblickend, entfernt er sich.

Mein Lehrer ist inzwischen heran. Als er die Szene überblicken kann, verhält er im Schritt und nähert sich langsam weiter. Schließlich erhebt er seine Stimme:

"Ich glaube, Kiron, ich kann dir weiter nichts mehr beibringen!"

"Paramapaavan -deine Heiligkeit-," antworte ich ihm, während ich den Platz des Geschehens überblicke. "Ich brauche dich, denn du bist meine Stimme der Moral!"

Beim Absuchen des Bodens entdecke ich den Grund, weswegen die junge Frau an diesem Ort gewesen ist. Ein Tonkrug liegt in einer Wasserlache auf der Seite im Gras. Aus ihm tropft Wasser heraus. Ich hebe ihn auf und trage ihn zum Fluss. Dort halte ich ihn unter Wasser, damit er sich wieder füllt.

Dann setze ich mich in Meditationshaltung davor und denke über das Wasser nach, dass sich vor mir im Krug befindet. Mein Guru macht mich auf Besuch aufmerksam. Drei Männer kommen auf uns zu. Sie haben Säbel und Lanzen in der Hand.

"Sucht ihr den Baagh -Tiger-?" ruft ihnen mein Lehrer entgegen.

Sie haben uns erreicht, als ich mich gerade erhebe. Ich bücke mich nach meinem Stock und hebe den Krug auf meine linke Schulter.

"Ja, er hätte meine Schwester Desna -das Geschenk- beinahe getötet. Wenn er sich noch hier in der Nähe herumtreibt, kann er dem Dorf gefährlich werden!" wird meinem Guru von einem der Bewaffneten geantwortet.

"Wir sind dazwischen gegangen und haben ihn überzeugt, seine Nahrung in einer anderen Richtung zu suchen. Mein Shishy -Schüler- hat den Krug der Frau wieder aufgefüllt. Wir wollen ihn zu ihr bringen!"

"In welche Richtung hat er sich zurückgezogen?"

Mein Guru zeigt ihnen die Richtung. Das scheint sie zu beruhigen. Sie wenden sich um und wir folgen ihnen. Bald darauf sehen wir die ersten Hütten. Die Männer führen uns zwischen zwei Hütten hindurch auf den leeren Dorfplatz. Als wir uns dort zeigen, kommen die ersten Jungs und Männer aus dem Dunkel ihrer Hütten. Unsere Führer müssen erklären, was die Jagd auf den Baagh -Tiger- ergeben hat. Sie erklären ihnen wortreich, was geschehen ist und verweisen für alles weitere auf uns.

Dann haben wir die Hütte erreicht, in der Desna und ihr Bruder wohnen. Seine Begleiter, die seine Cousins sind, wenden sich zu den Hütten ihrer Eltern. Unser Führer ruft in die Hütte hinein:

"Desna, komm heraus und bring unseren Krug der Maan -Mutter-."

Das Gesicht der jungen Frau erscheint im Sonnenlicht, das in den Eingang scheint. Sie äugt misstrauisch heraus. Als sie mich erblickt, mit einem Krug auf der Schulter, tritt sie vor den Eingang und beugt sich ehrfürchtig zu Boden.

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Donnerstag, 5. Mai 2022
Kiron, der Sucher - 04
Irgendwann findet dieser innere Kritiker nichts mehr zum Kritisieren. Der Zustand der Neutralität ist erreicht. Der Kritiker hat Pause und es bleibt nur die nicht wertende Aufmerksamkeit übrig.

Nun versuche ich die Wurzeln jener Gedanken zu erreichen, die dafür sorgen, dass der Quell der Gedanken einfach nicht abreißt. Willentlich kommt man an den Bewusstseinszustand des 'Zeugen' nicht heran. Man muss ihn sich erarbeiten, indem man die Konfliktpunkte und die Quelle der Störgedanken und der Störgefühle in angemessenem Tempo löst.

Paramapaavan -seine Heiligkeit- erklärt mir in den Nachgesprächen, dass ich mich vielleicht daran erinnere, wie ich möglicherweise als Kind den Kopf in den Nacken gelegt und einen jungen Jujube -Rosenapfel- am Baum in der untergehenden Sonne gesehen habe, wenn mich die Freude des ersten vollkommen gedankenfreien Augenblicks überrascht. Da ist es nun, das namenlose Staunen. Reine Beobachtung. Keine Wertung. Das Bewusstsein denkt nicht, während es etwas wahrnimmt. Natürlich nimmt es den Apfel wahr und so weiter, doch der Denkapparat ist offline.

Das Zeugenbewusstsein findet noch 'bodenständig' statt, ganz im Hier und Jetzt. Die Aufmerksamkeit nimmt wahr, dass sich der Geist bestimmte Gedankenbilder spinnt, doch sie identifiziert sich nicht mit der Geschichte, lässt sich nicht von ihr ködern. Der 'Beobachter' hält keinen Gedankensplitter an.

Auf diese Weise eröffnet sich mir die Möglichkeit, eine gewisse Beeinflussung meines Denkens vorzunehmen. So erschaffe ich mir hilfreiche Vorstellungen im Geist.
In meinen Meditationen versuche ich, mich immer weiter zu entwickeln. Ich trete quasi neben mich und beobachte meine Gedanken und Gefühle. Mein ICH kann mein inneres Wesen nicht fühlen, das kann es nur selbst tun.

Der innere Beobachter, das 'Zeugenbewusstsein', ist nun das Bewusstsein des inneren Wesens, das geweckt werden muss. Denn solange das innere Wesen sich selbst nicht bewusst erkennt, bleibt es inaktiv ? es schläft. In diesem Stadium befinde ich mich im Augenblick noch. Wenn Erkennen möglich werden soll, muss es zwei geben: einen Erkennenden und ein Erkanntes, also eine Dualität.

Paramapaavan -seine Heiligkeit- hat einmal von Prana -Lebenshauch- gesprochen, einer alles durchdringenden Lebenskraft. Also versuche ich sie bei meinen Meditationen zu finden.

Irgendwann hat mich mein Lehrer bei einer Meditation durch Berührung gestört. Als ich in das 'Hier und Jetzt' zurückfinde, habe ich das Gefühl den Boden mit meinem Hintern hart zu Berühren. Er schaut mich mit großen Augen an und verbietet mir, noch einmal so tief zu meditieren, wie er es nennt.

Paramapaavan -seine Heiligkeit- berichtet mir nun aufgeregt von Sagen, nach denen sich ein Guru vor langer Zeit von den Lehren Buddhas entfernt hat. Auch dieser Guru hat die tiefe Meditation beherrscht und nach Prana -Lebenshauch- geforscht. Er hat aber statt dem achtfachen Pfad zu folgen, das Karuna -begierdeloses unendliches Mitgefühl- den Menschen zu bringen und nach Prajna -vollkommene Weisheit- zu streben, die Habgier zu seinem Lebensziel erkoren.

Du weißt ja, Yoni und Linga (Yin und Yang) sind ein Gegensatz rhythmischer Art. Auf die Nacht folgt der Tag und wieder die Nacht. Es ist ein ewiger Kreislauf. Wir erkennen das an und werten nicht! Er aber hat gewertet und das Böse, die Habgier, für sich erkoren.

"Bitte halte dich davon fern, Kiron! Ich möchte nicht, dass du dich auch für die dunkle Seite entscheidest!" endet er.

"Wenn ich aber an das Gute glaube und es in der Welt unterstützen möchte?" frage ich ihn.

"Beobachte beim -Dhyana- Meditieren deine Gedanken und Gefühle. Hüte dich vor Zorn, Furcht und Aggressivität! Sie ergreifen schnell Besitz von dir! Du musst diese Gefühle bekämpfen!" antwortet er eindringlich.

"Sind diese Gefühle so stark?" frage ich nun, leicht verunsichert.

"Nein, aber sie sind schneller an der Oberfläche deiner Gedanken. Sie sind verführerischer. Nur wenn man Ruhe bewahrt, erkennt man die Unterschiede zwischen Yoni und Linga. Nur wenn man den inneren Frieden bewahrt, kann man ihn auch nach außen tragen!" erklärt er mit todernstem Gesicht.

In den folgenden Gesprächen habe ich erfahren, warum mein Hintern so geschmerzt hat, als er meine Meditation gestört hat. Ich muss wohl einige Zentimeter über dem Boden geschwebt sein, als ich Kontakt zu Prana gesucht habe.

In der Folgezeit versuche ich die tiefe Meditation während Paramapaavan -seine Heiligkeit- schläft. Prana -der Lebenshauch- ist neutral. Ich beherzige seinen eindringlichen Rat, keine negativen Gefühle zuzulassen, denn ich will niemand schaden und mich an niemandem bereichern.

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