Mittwoch, 31. August 2022
Aufbruch ins All -31
Diese kurze Ansprache habe ich nun schon oft vernommen. Sie leitet die nun folgenden Ehrungen ein. Der Chisei steigert die Spannung mit einer kleinen Pause. Dann lässt er sein Nebenmann einen der Okuden -Meister- vortreten. Er lobt ihn vor allen Anwesenden und überreicht ihm den langen Mantel mit dem Emblem der Schule auf der Herzseite, der ihn innerhalb der Schule als Chisei kenntlich macht. Danach darf er sich zu den anderen Chisei setzen.

Ein anderer Chisei ruft jetzt fünf Chuhden -Fortgeschrittene- auf, denen er je eine Mütze mit dem Emblem der Schule überreicht, so wie ich sie auch seit 6 Monaten tragen darf. Er bedankt sich bei den Männern für ihr Engagement für die Ideale der Schule, dann lassen sie sich bei den Okuden -Meistern- nieder.

Nachdem sich die entstandene Unruhe im Saal wieder gelegt hat, lächelt uns der Chisei neben ihm an, bedankt sich bei den Shoden -Anfängern- für ihre Bemühungen in den Kursen und fordert sie auf, sich weiterhin anzustrengen. Etwa ein Viertel der Schüler ruft er namentlich auf. Sie treten nacheinander vor und erhalten von ihm eine neue Schulkleidung, die sie von heute an als Fortgeschrittene ausweist. Unter ihnen ist auch Mirco. Das freut mich sehr.

Nachdem alle Mitglieder der Schule wieder ihre Plätze eingenommen haben, spricht Master Yamamoto uns Okuden an und fordert diejenigen von uns auf, die noch keinen eigenen Schüler haben, sich in den nächsten Tagen im Einvernehmen mit den Chisei jemanden aus dem Kreis der Chuhden auszuwählen.

Anschließend erklärt Master Yamamoto die Veranstaltung für beendet und fordert uns auf, in die Shokudou -Mensa- der Schule zu gehen, um den heutigen Tag ein wenig zu feiern. Wir holen dort unsere Schalen an der Essensausgabe ab, setzen uns an freie Plätze und beginnen zu essen. Master Clark bemerkt dabei, spitzbübisch lächelnd:

"Nun darfst du dir einen eigenen Schüler wählen, Meister Florian. Ich würde an deiner Stelle zu den Chisei gehen und für Mirco aus deiner Familie sprechen."

"Ist das denn nicht unüblich?" frage ich mit Falten auf der Stirn zurück. "Mein Urteil könnte durch die familiäre Bindung getrübt werden. Ich könnte nicht objektiv genug sein."

"Dein Cousin hat Vermessungstechnik und Geologie studiert, neben den üblichen Fächern der Schule. Er wird in seinen Meditationen nie bis zu Reiki -Lebenskraft, die alles durchdringt- vordringen können. Dazu fehlt ihm die Sensitivität. Also wird er fremde Welten kartographieren und ihre Geologie herausfinden. Sein Wissen wird unser Archiv auf der Erde erweitern und unser Wissen vermehren.
Allerdings wird er nicht alleine zu solchen Expeditionen gesandt. Ein Meister wird ihn begleiten und über ihn wachen, denn diese Leute sind wertvoll!"

"Ah, und du meinst, dass ich der beste Bodyguard für ihn bin?"

Master Clark lacht kurz auf, schlägt mir sanft auf die Schulter und bestätigt:

"Ja, ihr Beide könnt gemeinsam viel erreichen!"

"Okay," antworte ich. "Ich will mal schauen, ob sich die Chisei dieser Argumentationskette anschließen können."

Ich gehe am nächsten Vormittag hinauf in die oberste Etage und verharre vor dem Portal, das von zwei Robotern in goldfarbener Rüstung flankiert wird. Dort werde ich nach dem Grund meiner Anwesenheit gefragt.

"Ich möchte mir einen Schüler erwählen," erwidere ich.

Die beiden Flügel des Portals fahren zur Seite. Die Männer im Inneren des Raumes wenden sich zu mir um. Beherzt trete ich vor und werde sogleich von Master Yamamoto angesprochen. Ich erkläre ihm mein Anliegen. Er holt Mircos und meine Personalakte auf den großen Bildschirm und fragt die anwesenden Chisei reihum nach ihrer Meinung. Dann lässt er abstimmen und gibt abschließend sein Einverständnis.

Nachdem ich den Rat der Chisei verlassen habe, wende ich mich sofort zu Mircos Zimmer. Dort spreche ich in den Schließmechanismus, der mir sofort die Tür öffnet. Ich habe bald herausgefunden gehabt, wie Master Clark damals mein Zimmer betreten hat. Die Okuden -Meister- sind autorisiert die Räume der Schüler jederzeit zu betreten.

Mirco wendet sich bei meinem Eintritt um und lächelt mich an. Ich grüße ihn und eröffne ihm die Neuigkeit:

"Hallo Mirco! Ich komme gerade von den Chisei. Als Okuden darf ich mir ja einen Chuhden als Schüler auswählen. Ich habe im Rat darum gebeten, dein Meister sein zu dürfen, und man hat meinem Wunsch entsprochen. Deshalb bin ich nun auf direktem Weg zu dir gekommen, um dich zu fragen: Möchtest du auch mein Schüler werden?"

"Ich habe mich gefreut, nach meinem Studium den Status eines Fortgeschrittenen bekommen zu haben," antwortet er mir lächelnd. "Aber was bedeutet es jetzt, statt der Fortgeschrittenen-Kurse Schüler eines Meisters zu werden?"

"Die Chisei haben Großes mit dir vor," sage ich und nicke ihm zu. "Ihr Archiv auf der Erde will mit Informationen gefüttert werden. Du hast die Kenntnisse, die es dazu braucht, und ich bringe dich überall hin. Es werden immer zwei Personen zu Expeditionen gesandt!"

"Okay," meint er und grinst mich an. "Wir werden als Team unschlagbar sein!"

Anschließend verlasse ich sein Zimmer und gehe auf Meines. Dort rufe ich den Terminkalender der Expeditionen auf den Bildschirm und informiere mich, wann und wie es losgehen soll.

*

Am Abreisetag treffe ich mich mit Mirco und begebe mich mit ihm zu den Andockplätzen der Luftschiffe unter Ishtar City. Einige wenige Docking-Stationen sind für den Transfer zur Orbitalstation vorgesehen. Mit uns sitzen noch zwölf weitere Fluggäste im Abflugbereich. In einer Stunde wird unser Raumschiff ankommen.
Nachdem wir die Formalitäten erledigt haben, sage ich zu meinem Cousin:

"Komm, setzen wir uns hinten in die Sessel und warten."

Er nickt und wir nähern uns den Sitzgelegenheiten, um uns dort zwischen den anderen Wartenden niederzulassen. Eine Kellnerin fragt, ob wir etwas trinken möchten. Wir lehnen höflich ab. Andere Gäste folgen unserem Beispiel. Es ist nicht gut, während der Beschleunigungsphase etwas im Magen zu haben. Ich beginne stattdessen eine Meditation und nehme mit Reiki Verbindung auf. Unter den Anwesenden, ob sie nun auf den Abflug warten oder nicht, befindet sich glücklicherweise niemand von der 'Konkurrenz'. Es wäre gut, wenn ihnen unsere Reise nicht offenbar wird.

Dann dockt unser Raumschiff an. Wir steigen in einen ausfahrbaren Aufzug, der uns durch den Tunnel im Auftriebskörper nach unten in das Fluggerät bringt. Im Raumschiff angekommen werden wir von Flugbegleiterinnen begrüßt und zu unseren Kontursesseln geführt. Sie erklären uns das Anlegen der Gurte und ich kann sehen, dass sie sich nach dem letzten Passagier ebenfalls anschnallen.

Kurz darauf wird der Kontakt zu Ishtar City gelöst und wir schweben unter der Stadt hervor. Plötzlich spüre ich mich tiefer in den Sitz gedrückt. Auf dem kleinen Bildschirm in der Rückenlehne vor uns wird der Flug in seinen Phasen für Neulinge erklärt. So sehe ich, dass unter dem Shuttle Raketen gezündet worden sind, die den Auftrieb übernehmen, während der Auftriebskörper in sich zusammenfällt.

Die Stimme des Kommentators erklärt dazu, dass das Gas im Auftriebskörper in Tanks gesaugt wird, weil das Shuttle sonst der Venusatmosphäre eine zu große Angriffsfläche bieten würde. Bei höheren Geschwindigkeiten würde der Auftriebskörper abgerissen werden und damit auch das Raumschiff beschädigen.

Als dann der Auftriebskörper auf dem Rücken des Raumschiffes verschwunden ist, werden die Marschtriebwerke nach einer Vorwarnung gezündet. Die nach unten gerichteten Düsen geben keinen Flammenstrahl mehr ab. Nun werden wir alle gegen die Rückenlehnen gepresst. Nach kurzer Zeit empfängt uns draußen die Schwärze des Weltraums.

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Sonntag, 28. August 2022
Aufbruch ins All -30
"Das ist schwierig, dir auf den Kopf zuzusagen, Mirco. Zäumen wir das Pferd von hinten auf: Ich würde dir NICHT raten, eine Ausbildung bei der Space Ressource Corporation anzustreben. Das sind Prospektoren. Sie bauen Bodenschätze ab und verkaufen sie an weiterverarbeitende Unternehmen. Sie bieten dafür natürlich ein breites Spektrum von Berufen an..."

"Da findet sich doch sicher auch etwas für mich," meint er.

"Hm," mache nun ich. "Wo würdest du dich in dem Spektrum denn verordnen wollen?"

"Wenn ich Pilot werde, käme ich viel herum im inneren Sonnensystem. Ich würde Rohstoffe aus dem Asteroidengürtel zur Erde transportieren und Mannschaften zu und von den Minen zur Erde fliegen."

"Das wird dir bald zur Routine, wie die Zugführer auf der Erde, als sie noch nicht automatisiert fuhren. Es gibt inzwischen Autopiloten, die alles Fliegerische übernehmen. Du musst nur noch im Notfall einzugreifen verstehen. Das kann mit der Zeit ganz schön ermüdend sein, wenn alles routinemäßig läuft und du lange nichts tun brauchst, außer die Kontrollen beobachten."

"Du meinst also, ich soll ein Studium aufnehmen und danach als Wissenschaftler Standorte für neue Minen suchen?"

"Oh, da gibt es noch mehr! Als Physiker könntest du die Grundlagen für verbesserte Warp-Antriebe schaffen. Als Ingenieur könntest du beim Bau behilflich sein und technische Probleme aus der Welt schaffen..."

"Wenn ich ehrlich sein soll, würde ich lieber Raumschiffe fliegen. Aber nicht in der Routine hängen bleiben..."

"Du kennst diese Computerspiele, in denen Raumfahrer unbekannte Welten anfliegen und dabei verschiedene Probleme lösen müssen?"

"Ja!" bestätigt Mirco. Seine Augen leuchten.

"Du weißt aber auch, dass diese Computerspiele nicht mit der Wirklichkeit vergleichbar sind? Natürlich musst du als echter Pilot genau diese Probleme auch lösen, aber dazwischen passiert tagelang nichts. Dein Aufmerksamkeitslevel sinkt und das ist im All sehr gefährlich! Bei einem Computerspiel ist dein Adrenalinspiegel ständig hoch."

"Aber es gibt doch Assistenzsysteme, die mich rechtzeitig auf eine Gefahr, wie ein Meteoritenschwarm aufmerksam machen!" argumentiert er dagegen.

"Ja, die gibt es!" gebe ich ihm Recht. "Aber was nützen die, wenn du gerade eingenickt bist, weil tagelang nichts passiert ist. Bis du dann wieder soviel Adrenalin in deinen Adern hast, ist es zu spät. Dein Raumschiff wurde durchlöchert!"

Mirco versinkt nun in Grübelei. Ich lasse ihn eine Zeitlang nachdenken, dann frage ich:

"Traust du dir ein Studium zu? Zum Beispiel im Ernährungssektor. Zeige den Leuten neue Nahrungsquellen auf..."

"Ist das denn nicht auch ein langweiliger Job?"

"Das kann es sein! Jeder Job kennt solche Phasen. Aber wenn du es schaffst, Pflanzen von der Erde für die Ernährung im Weltraum oder auf anderen Planeten zu züchten? Sie müssen ja für den menschlichen Metabolismus verträglich sein... Oder Wirkstoffe für neue Medikamente und Salben zu finden, die dann produziert werden können... Wäre das nicht interessant?"

"Das stimmt schon," bestätigt er. "Aber das ist so ein weites Spektrum an Möglichkeiten! Wie soll ich mich da entscheiden? Nicht dass ich die Entscheidung irgendwann bereue..."

"Dann machst du eben irgendetwas anderes! Wenn du eine aktuelle Entscheidung später bereust, musst du natürlich eine Alternative zur Hand haben."

"Zu welcher Entscheidung rätst du mir?" fragt er mich nun und schaut mich erwartungsvoll an.

"Was für einen Sport hast du in den vergangenen Jahren betrieben?" frage ich zurück.

"In den ersten Schuljahren bin ich oft gemobbt worden. Das hat sich erst gelegt, als ich Capoeira gemacht habe."

"Das ist ein Mittelding aus Tanz und Verteidigungstechnik," resümiere ich.

"Ja, was du da im Club gezeigt hast, sah so ähnlich aus!" meint er.

"Okay, und was hältst du von der buddhistischen Lebensphilosophie und Meditation?" frage ich weiter.

"Über den Buddhismus und die anderen Weltreligionen haben wir in der Schule etwas gelernt," meint er.

"Und was hältst du nun davon?" lasse ich nicht locker.

"Vom Buddhismus?" fragt er nach.

Ich nicke.

"Er predigt das Mitgefühl mit den Mitmenschen und die Gelassenheit bei Schicksalsschlägen. Wenn ich mich an das Mobbing früher erinnere, ist das genau die falsche Lebensphilosophie!" sagt er und schaut mich an.

"Nuuuun," dehne ich. "Was sagst du, wenn ich dir berichte, dass ich in der Fechtschule, der ich seit ein paar Jahren angehöre, den Buddhismus kennen und leben gelernt habe. Niemand verlangt von dir, dich nicht zu verteidigen, wenn du angegriffen wirst. Auch darfst du dazwischengehen, wenn jemand anderer angegriffen wird, und ihn verteidigen. Du darfst nur nicht selbst angreifen!
Um uns verteidigen zu können haben wir Ju-Jutsu gelernt. Das ist eine schnell erlernbare Verteidigungstechnik aus dem irdischen Ostasien. Um zur Ruhe zu kommen und unsere Gedanken zu sortieren, haben wir Meditieren gelernt.
Die Schule wird von einigen kleineren Firmen gesponsert, denen sie neue Mitarbeiter zuführt, je nach Interesse der Schüler. Du hättest als Schüler der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- also Zeit, dich zu orientieren und deinen zukünftigen Beruf, sowie die Firma, in Ruhe auszuwählen."

"Wer sind denn eure Sponsoren?" fragt Mirco interessiert.

"Da wären das Lunar Reparaturdock, die Tanaka Accutronics, die Warp Forschung Laboratories, die Biotech Industries Ltd., Earth Pharmaceuticals Company, die Lunar Ship Systems, die Genetech Corporation, das Yamamoto Design Collective. Hoffentlich habe ich keine vergessen."

"Das ist aber schon eine ganze Menge," antwortet er erstaunt.

"Und sie freuen sich über jeden neuen Mitarbeiter, der von der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- kommt," sage ich.

"Und in der Zeit auf der Schule lerne ich was?" fragt er noch einmal nach.

Ich merke, 'der Fisch zappelt an der Angel'. Mit Rücksicht auf meine Eltern erwähne ich das Fechten nicht. Ich fasse noch einmal zusammen:

"Ich habe ja eben davon gesprochen: Du erlernst Ju-Jutsu und das Meditieren. Dazwischen erfährst du von den Lebensregeln des Buddhismus. Du lernst friedfertig zu sein, dich aber zu verteidigen, wenn nötig!"

"Und Fechten!" ergänzt er. "Dafür ist es ja eine Fechtschule, die sich mit anderen Schulen auf Turnieren misst."

"Das ist gewissermaßen ihr Aushängeschild," gebe ich zu. "Aber wer das nicht schafft, der braucht die Schule nicht verlassen! Derjenige erhält andere Wege aufgezeigt."

Ich habe nun nicht gesagt, was der Schüler nicht schafft, denn ich möchte hier nicht von Reiki -Lebenskraft, die alles durchdringt- reden. Dafür ist der Nachmittag bei meinen Eltern nicht der richtige Ort, meiner Meinung nach.

"Also, wer sich beim Fechten ungeschickt anstellt, dem wird ein verstärktes Training von Ju-Jutsu empfohlen?" fragt Mirco nach.

Ich lächele und nehme mich als Beispiel:
"Zum Beispiel! Ich habe ja schon nach dem Abschluss der ersten Schuljahre mit Fechten begonnen, in einer anderen Fechtschule zunächst. Ich hatte schon eine Menge Vorerfahrung."

*

Seitdem ich Mirco auf die Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- aufmerksam gemacht habe sind drei Erdjahre vergangen. Ich bin bei der letzten Aufstufung überraschend zum Okuden -Meister- ernannt worden. Heute ist wieder eine solche Aufstufungsfeier.

Wieder werden wir in den Saal in der fünften Etage unserer Schule zusammengerufen. Seit der letzten Aufstufung vor einem halben Erdjahr sitze ich mit den anderen Meistern direkt den Chisei -Personen mit Geisteskraft- gegenüber. Sie haben diesen Titel nicht, weil sie sich für allein intelligent halten, sondern weil das Japanische auf diese Art ihre hervorgehobene Position kenntlich macht.

Hinter uns haben die Chuhden -Fortgeschrittenen- und die Shoden -Anfänger- Platz genommen. Nachdem wir alle sitzen, erhebt Master Yamamoto das Wort:

"Ich grüße euch, Mitglieder unseres Dojo -heiliger Ort, an dem Kampfkünste gelehrt werden, auch: Stätte der Meditation-! Heute ist wieder ein wichtiger Tag gekommen. Einige von euch haben durch Ehrgeiz und Durchhaltevermögen einen höheren Grad erreicht. Sie haben gezeigt, dass sie Respekt, Achtsamkeit und Ehrenhaftigkeit beherzigen. Dies wollen wir heute würdigen."

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Donnerstag, 25. August 2022
Aufbruch ins All -29
Ich gehe also in voller Montur durch die Gänge von Ishtar City. Wo der 'Starlight Club' liegt, ist mir bekannt. Unbehelligt komme ich dort an. Ein Angestellter führt mich die Treppe hinauf zum Saal, den Papa angemietet hat. Die Tür schwingt auf. Alle Anwesenden wenden ihre Köpfe in meine Richtung und auch meine Aufmerksamkeit ist auf die Gäste im Saal gerichtet. Meine Augen suchen den Sitzplatz meiner Eltern. Dorthin will ich zuerst, um sie zu begrüßen und Papa zu beglückwünschen.

In diesem Augenblick bemerke ich Bewegung in den Augenwinkeln. Ich mache einen schnellen Schritt in den Saal und drehe mich dann um. Der Angestellte, der mich geführt hat und eine andere Person, die aus einer Nische herausgetreten ist, haben mich anspringen wollen und haben plötzlich Degen in der Hand. Nun sind die Beiden gegeneinander geraten, was mir einen Vorteil von einem Sekundenbruchteil verschafft. Schnell habe ich meinen Degen 'entriegelt' und gezogen.

Sofort springe ich aus dem Stand über einen halben Meter hoch und stoße mit dem Fuß nach dem Fremden. Ich schätze ihn als den Gefährlicheren der beiden Angreifer ein, denn ich erkenne schnell, dass es der im Endkampf des Turniers unterlegene Teilnehmer aus der gegnerischen Fechtschule ist.

Dort haben wir nach den Turnierregeln gefochten. Hier nutzen auch die Gegner ostasiatische Kampftechnik, zusammen mit der Waffe.

Mein Gegner weicht mir aus und gleichzeitig greift der Angestellte wieder an. Nun unterlaufe ich die Hiebe in den Gang hinaus, um sofort wieder herumzuwirbeln und meinen ersten Treffer zu setzen. Es fließt Blut, was den Getroffenen zu unbeherrschtem Vorstürmen veranlasst. Ich bringe seinen Komplizen zwischen mich und sich und drehe mich wieder den Kämpfenden zu.

Dieser Komplize, mein früherer Turniergegner, ist mir mit den Augen gefolgt und hebt die Waffe zum Hieb, als der Verletzte im blinden Hass auf mich einstürmt und dabei meinen alten Turniergegner empfindlich trifft.

Der Mann sinkt zu Boden und der andere muss seine Waffe fahren lassen. Nun zieht der Angestellte des 'Starlight Clubs' ein Messer und versucht den Bodycheck. Ich mache einen Schritt rückwärts, um meinem Degen Raum zu geben und steche dem Mann in die Waffenhand. Er lässt das Messer fallen und verzerrt vor Schmerz sein Gesicht.

Der Besitzer des 'Starlight Clubs' ist sicher nach dem Schrei des zu Boden gegangenen Kämpfers zur Treppe gekommen, denn als jetzt sein Mitarbeiter am Boden kniet und die Blutung der Hand zu stillen versucht, steht er plötzlich bei uns.

Ich schiebe den Degen zurück in die Scheide und wende mich dem Mann zu.

"Was geht hier vor?" fragt der Wirt.

"Ein Attentat!" antworte ich kurz angebunden.

"Aber das ist mein Mitarbeiter!" stellt er fest und beugt sich zu dem Mann, seine Schürze als Verband gebrauchend.

"Tja," meine ich. "Dann frage ich mich, nach welchen Kriterien sie ihr Personal aussuchen - und natürlich, für was sie im Service einen Degen brauchen? - Rufen Sie die Stadtwache und die Sanitäter!"

Der Mann nimmt seinen Kommunikator zur Hand und macht die beiden Anrufe. Die männlichen Gäste kommen nun langsam näher, während die Frauen und Kinder hinter dem Tisch bleiben. Das Möbel zwischen uns ist ihnen bestimmt sicherer.

Wenige Minuten später sind die angeforderten Uniformierten und das Sanitätspersonal vor Ort und beginnen ihre Arbeit. Ich wende mich zu den Gästen um und spreche beruhigend auf meinen Vater ein, als dieser plötzlich erschreckte Augen macht. Gleichzeitig höre ich ein Rascheln hinter mir und einer der Sanitäter ruft empört "Hey! Halt!"

Sofort habe ich meinen Degen wieder in der Hand und wirbele herum. Mein Turniergegner steht hinter mir mit gebeugtem rechtem Knie und gerade nach hinten gestrecktem linkem Bein und will im Moment zustoßen. Ich mache nach der schnellen Drehung sofort einen Ausfallschritt und stoße ihm meine Waffe in die Brust. Nun sackt er in sich zusammen.

"Ich hoffe, sie kriegen ihn irgendwann wieder auf die Beine," sage ich zu den Sanitätern und zu den Wachen gewandt, ergänze ich: "Sie sehen selbst, dass es sich hier um ein Attentat auf mich gehandelt hat, mit Heimtücke und krimineller Energie vorgetragen!"

Nachdem die Sanitäter die beiden Männer die Treppe hinuntergeschafft haben, beginnt die Befragung durch die Wachen. Ich berichte ihnen meine Sichtweise und die Gäste erklären, was sie gesehen haben. Anschließend muss ich meine Waffe abgeben und auch die Waffen der Gegner werden vom Boden aufgehoben. Nach einer ersten schnellen Prüfung fragt der Wachkommandant:

"Wieso haben Sie überhaupt eine scharfe Waffe dabei?"

"Ich wollte sie meinem Vater zeigen. Übrigens, sehen Sie hier die Schnalle? Die Waffe war damit gewissermaßen verriegelt. Ich hätte sie niemals in der Absicht herausgezogen, sie zu benutzen. Ich habe nur in Notwehr gehandelt, nachdem die Anderen mich mit ihren Waffen in der Hand bedroht haben."

Wieder fragt der Mann die Umstehenden, ob es in ihren Augen wirklich Notwehr gewesen sein kann. Das wird ihm mehrfach bestätigt. Danach ziehen auch die Wachen ab. Meinen Degen bin ich nun aber fürs Erste los.

Anschließend setzt sich die Geburtstagsgesellschaft wieder und der Wirt lässt die Vorsuppe servieren. Im weiteren Verlauf wird es ein schweigsamer Abend. Die Gäste verlassen auch bald den Club.

In den nächsten Tagen habe ich einen Termin bei einem Rechtsanwalt. Ich muss ihm in seinem Büro die ganze Geschichte noch einmal erzählen. Er wird ebenfalls auf Notwehr plädieren und meinen Degen von der Justiz zurückfordern. Das Verfahren zieht sich allerdings über mehr als ein Vierteljahr hin.

*

Während ich auf mein Verfahren warte, bin ich wieder einmal bei meinen Eltern zu Besuch. Mein Neffe ist ebenfalls anwesend. Er ist etwas jünger als ich und soll sich nun um eine Ausbildung kümmern. Zuhause bei seinen Eltern müssen die Emotionen hochgekocht sein, als er davon gesprochen hat, in die gleiche Fechtschule einzutreten, in der ich bin.

An der gedrückten Stimmung zuhause, erkenne ich, dass mein Vater seinem Neffen ebenfalls ins Gewissen geredet hat. Nun flüstert mir Mama beim Betreten der Wohnung zu:

"Bitte, bringe Mirco von seinem Vorhaben ab. Er soll einen normalen Beruf erlernen!"

Ich neige den Kopf und meine:
"Du hast das doch bei mir schon miterlebt: In seinem Alter wollen die Jugendlichen mit dem Kopf durch die Wand. Niemand kann sie von ihrem Entschluss abbringen."

"Versuche es wenigstens!"

Ich nicke ihr beruhigend zu, dann habe ich schon das Wohnzimmer betreten und Papa begrüßt mich mit sorgenvoller Miene. Mirco sieht mich hereinkommen und schaut mir neugierig und erwartungsvoll entgegen.

"Hallo Papa! Hey Mirco! Wie geht es euch?" frage ich zur Begrüßung.

Mama weist mir meinen Platz zu und ich setze mich an den Kaffeetisch. Nun schenkt sie Kaffee aus und serviert jedem ein Stück ihres Kuchens. Danach setzt sie sich hinzu. Ich lächele sie an und lobe sie:

"Der Kuchen schmeckt nach Zuhause, Mama. Vorzüglich wie immer!"

Sie lächelt dankbar zurück und auch Papa entspannt sich etwas. Ein paar Minuten später, ich habe auf Mircos Ansprache gewartet, spreche ich ihn an:

"Und was machst du so, Mirco?"

"Hmm," druckst er herum. "Ich bin ja bald mit der Schule fertig..."

Mich zu ihm umwendend, frage ich:
"Hast du irgendein Hobby, oder magst etwas besonders gerne tun? Ich meine grob die Richtung Technik, Elektronik, Künstliche Intelligenz. Oder interessieren dich eher die wissenschaftlichen Entdeckungen, die das Weltall uns noch bereithält? Magst du nach einem Studium einer Expedition angehören, zum Beispiel zu den Monden Europa oder Ganymed? Was treibt dich so um, Mirco?"

"Hm," macht er noch einmal und fragt mich direkt: "Was machst du denn nach deiner Schulzeit?"

Ich grinse ihn an und erkläre:
"Ich wollte in der Situation, in der du dich jetzt befindest, Sportler werden. Du weißt ja, je besser man wird, desto eher werden Sponsoren auf einen aufmerksam. Dafür tritt man in Werbespots auf und lügt den Leuten das Blaue vom Himmel, damit sie die Produkte des Sponsors kaufen. Gleichzeitig wird man zum gefeierten Idol für die Leute, für Siege im Sport."

"Du hast es geschafft, der Champion von Ishtar City im Fechten zu werden!" hält er mir vor.

"Und was habe ich jetzt davon?" entgegne ich ihm. "Ein paar Leute in den Gängen grüßen freundlich. Kaum einer möchte ein Autogramm. Stattdessen hat der unterlegene Konkurrent seine Niederlage nicht vergessen und trachtet mir nach dem Leben. Ist es da nicht besser, gesünder, gleich eine normale Ausbildung anzustreben?"

"Zu was würdest du mir denn raten, Florian?"

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