Samstag, 3. September 2022
Aufbruch ins All -32
Nach ungefähr einer halben Stunde sehe ich auf dem kleinen Bildschirm vor mir die Orbitalstation auftauchen und größer werden. Der Pilot steuert einen Hangar an, zündet die Bremstriebwerke und lässt den Shuttle auf die offene Schleusentür zutreiben, indem er nur noch mit kurzen Gasstößen aus den Steuerdüsen navigiert. Im Hangar wird der Shuttle von einer riesigen Klammer umfasst, dann schließt sich das äußere Schleusentor.

Die Flugbegleiterinnen schnallen sich ab und gehen von Fluggast zu Fluggast, um sich nach seinem Befinden zu erkundigen, während sie die Gurte lösen. Danach gehen sie zu einer Tür, drehen dort ein Rad bis es zischt. Nun lässt sich die Tür nach innen öffnen.

Wir dürfen den Shuttle verlassen und gehen auf die offene Tür einer weiteren Schleuse zu. Dahinter steigen wir eine Treppe hinauf und gelangen in den Ankunftsbereich. Hier müssen wir uns einem Medi-Check unterziehen. Anschließend können wir unser Gepäck in Empfang nehmen, das inzwischen ebenfalls ausgeladen und gecheckt worden ist.

Wir erkundigen uns nun, wann der nächste Flug zur Erde startet und wohin wir uns wenden müssen, damit wir das richtige interplanetare Raumfahrzeug erreichen. Wir erfahren, dass der Flug in etwa vier Tagen startet. In zwei Tagen ist das Raumfahrzeug von der Erde da. Danach wird die Technik durchgecheckt und wenn alles okay ist, können wir zusteigen, um etwa sieben Tage später in der Station im Erdorbit anzukommen.

Wir mieten uns also eine Kabine und suchen sie auf. Sie hat ein Etagenbett und eine kleine Sanitärzelle. Ein Bild an der Wand entpuppt sich als großer Bildschirm. Er zeigt uns die Venus, wie man sie aus dem Orbit wahrnimmt. Alle Bewegungen von irgendwelchen an- und abfliegenden Raumschiffen kann man ebenfalls beobachten. Mit einer Fernbedienung kann man auch anderes auf den Bildschirm holen, Filme schauen oder im Internet surfen.

Wir sehen der Annäherung des Raumfahrzeuges von der Erde zu und schauen im Internet, wann der voraussichtliche Abflug stattfinden soll. Etwa acht Stunden vorher sind wir im Abflugbereich zurück und bestellen uns ein Essen. In einer Durchsage werden wir auf eine Verschiebung des Abfluges von vier Stunden aufmerksam gemacht.

Ich beginne wieder zu meditieren, um den Energiefluss des Reiki -alles durchdringende Lebenskraft- an Bord der Orbitalstation, insbesondere in der Technik-Abteilung und dem Hangar, zu beobachten. Aber ich finde auch jetzt nichts Außergewöhnliches. Unsere 'Konkurrenz' ist also nicht aufmerksam geworden.

Schließlich dürfen wir einsteigen. Dann befreit sich das interplanetare Raumschiff sanft von der Orbitalstation, indem ein paarmal schwache Raketenstöße zu spüren sind. Danach werden wir wieder in unsere Kontursessel gedrückt. Die Marschtriebwerke sind gezündet worden und brennen nun etwa eine halbe Stunde lang.

Nachdem wir so einen großen Abstand zur Orbitalstation erreicht haben und uns ein Stück weiter von der Venus entfernt haben, werden die Triebwerke abgestellt. Augenblicke später spüre ich Schwerkraft im Raumschiff. Die Flugbegleiter kommen zu jedem Fluggast und fragen ihn auch hier wieder nach seinem Befinden. Sie öffnen unsere Gurte und zeigen uns unsere Kabinen. Wir haben genauso eine Kabine wie in der Orbitalstation über der Venus. Das scheint Standard zu sein.

Hier wohnen wir also die nächsten sieben Tage bis wir die Erde erreichen. Mirco fragt mich, woher hier die Schwerkraft kommt. Ich lächele ihn an und erkläre ihm:

"Die interplanetaren Flüge haben zuerst einen Schub von der Stärke mehrerer G benötigt, um die Fluchtgeschwindigkeit zu erreichen. Dann lebten die Raumfahrer etwa ein halbes Erdjahr in der Schwerelosigkeit, bis dann die Triebwerke wieder gezündet wurden, um in die Umlaufbahn einzuschwenken. Diese Tortur wollte man normalen Passagieren ersparen.
Also ist man vor Jahrhunderten auf Ionentriebwerke umgestiegen und hat die Raumfahrt von Orbitalstation zu Orbitalstation eingeführt. Diese Triebwerke brennen während des ganzen Fluges und erzeugen so eine gewisse Schwerkraft. Vor wenigen Jahrzehnten hat man endlich die ersten Warp-Antriebe in Raumschiffe eingebaut. Nun spüren wir die gewohnte Schwerkraft und die Flugzeit hat sich auf wenige Tage bis wenige Wochen verkürzt, je nach Entfernung der Planeten zueinander.
Gleichzeitig erhöhte man den Komfort der Passagiere. Es gibt Restaurants und Bars an Bord, zum Beispiel."

*

Nach zehn Tagen erreichen wir die Erde und nähern uns der Orbitalstation im 600 Kilometer Höhe. Wieder müssen wir in dem großen Saal auf den Kontursesseln Platz nehmen und uns anschnallen. Für die letzte Annäherung und die Landung in einem Hangar werden wieder Gastriebwerke gezündet. Auch hier übernimmt eine Klammer die letzte Phase der Landung.

Danach wird der Hangar gegen den Weltraum abgeschottet und mit Atmosphäre gefüllt. Wir dürfen das Raumschiff verlassen und wechseln nach dem üblichen Medi-Check zur Dockingstation des Shuttles mit dem wir den Abstieg zur Erdoberfläche vornehmen wollen.

Wir besteigen hier einen dreieckigen 'Nurflügler' und setzen uns in unsere Sitze. Drei Stunden nach dem Abdocken landet das Shuttle auf einer mehrere Kilometer langen Landebahn. Nun müssen wir das übliche Prozedere über uns ergehen lassen und könnten danach den Ankunftsbereich in Richtung einer überdimensionalen U-Bahn-Station verlassen.

Da werden wir von einem Mann in der Kleidung eines Chuhden -Fortgeschrittenen- angesprochen.

"Master Myers?"

"Ja, der bin ich," antworte ich, freundlich lächelnd.

"Darf ich sie bitten mitzukommen," fordert er uns nun höflich auf.

Er führt uns zur Seite und stellt uns seinem Master vor.

"Dies ist Master Dayak. Master Dayak, dies ist der angekündigte Master Myers."

Master Dayak begrüßt uns mit "Selam -Friede-!"
Er berührt mit den zusammengelegten Daumen-, Zeige- und Mittelfingerkuppen seine Stirn, Mund und Herz, während er sich verbeugt. Ich wiederhole die Geste. Sie scheint in dieser Gegend auf der Erde üblich zu sein. Der Raumhafen liegt mit den wichtigsten Verwaltungsgebäuden des irdischen Staatenbundes in der Sahara. Irgendwann in den letzten 700 Jahren ist die UNO von New York in die Nähe des Raumhafens gezogen. Auch der Jinja -Schrein- unserer Organisation steht dort.

Äußerlich sieht er aus, wie man sich die 'hängenden Gärten der Semiramis' vorstellt, einem vergangenen Weltwunder. Genau wie in den zeitgenössischen Beschreibungen der 'hängenden Gärten' handelt es sich beim Jinja um eine weitläufige Stufenpyramide mit Bepflanzung und Wasserspielen. Im Inneren befindet sich unser Archiv, Schulungsräume, Mensas, Wohnräume und Besprechungsräume, sowie Säle für verschiedene Zeremonien. Auch Hangars für kleine Luftfahrtgeräte gibt es dort, die sich mit Mantelschrauben in die Luft erheben können.

Wir folgen den Männern auf den Vorplatz des Flughafengebäudes. Dort stehen unzählige dieser Mantelschrauber, die von Elektromotoren angetrieben werden. Wir nehmen hinten Platz und die Männer setzen sich an die Kontrollen. Kurz darauf hebt das Fluggerät ab und steuert den Jinja -Schrein- an. Die Gründer haben den Bau vor Jahrhunderten nach den japanischen Shinto-Schreinen benannt, obwohl er in Aussehen und Funktion eine andere Bedeutung hat. Das hat damals sicher nostalgische Gründe gehabt. Inzwischen hat sich aber der Name unter uns eingebürgert.

Wir landen auf der obersten Plattform und fahren mit einem Aufzug eine Ebene tiefer. Dort führen uns die Männer in einen Besprechungsraum, der ausgestattet ist, als befände er sich in einem orientalischen Palast: Viele Rundbögen und Kuppeldecken. Große Fenster lassen Licht herein und es scheint, als ob die Vegetation von draußen hereindrängen will.

Wir stehen etwa zwei Dutzend Chisei gegenüber. Ein Saikou Chisei -oberster 'Mann mit Geisteskraft'- begrüßt uns:

"Aisatsu -Seien Sie gegrüßt-, Myers-San. Sie wurden uns also von der Venus gesandt, um unser Archiv mit Daten über die Planeten und Monde unseres Sonnensystems zu füttern."

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Mittwoch, 31. August 2022
Aufbruch ins All -31
Diese kurze Ansprache habe ich nun schon oft vernommen. Sie leitet die nun folgenden Ehrungen ein. Der Chisei steigert die Spannung mit einer kleinen Pause. Dann lässt er sein Nebenmann einen der Okuden -Meister- vortreten. Er lobt ihn vor allen Anwesenden und überreicht ihm den langen Mantel mit dem Emblem der Schule auf der Herzseite, der ihn innerhalb der Schule als Chisei kenntlich macht. Danach darf er sich zu den anderen Chisei setzen.

Ein anderer Chisei ruft jetzt fünf Chuhden -Fortgeschrittene- auf, denen er je eine Mütze mit dem Emblem der Schule überreicht, so wie ich sie auch seit 6 Monaten tragen darf. Er bedankt sich bei den Männern für ihr Engagement für die Ideale der Schule, dann lassen sie sich bei den Okuden -Meistern- nieder.

Nachdem sich die entstandene Unruhe im Saal wieder gelegt hat, lächelt uns der Chisei neben ihm an, bedankt sich bei den Shoden -Anfängern- für ihre Bemühungen in den Kursen und fordert sie auf, sich weiterhin anzustrengen. Etwa ein Viertel der Schüler ruft er namentlich auf. Sie treten nacheinander vor und erhalten von ihm eine neue Schulkleidung, die sie von heute an als Fortgeschrittene ausweist. Unter ihnen ist auch Mirco. Das freut mich sehr.

Nachdem alle Mitglieder der Schule wieder ihre Plätze eingenommen haben, spricht Master Yamamoto uns Okuden an und fordert diejenigen von uns auf, die noch keinen eigenen Schüler haben, sich in den nächsten Tagen im Einvernehmen mit den Chisei jemanden aus dem Kreis der Chuhden auszuwählen.

Anschließend erklärt Master Yamamoto die Veranstaltung für beendet und fordert uns auf, in die Shokudou -Mensa- der Schule zu gehen, um den heutigen Tag ein wenig zu feiern. Wir holen dort unsere Schalen an der Essensausgabe ab, setzen uns an freie Plätze und beginnen zu essen. Master Clark bemerkt dabei, spitzbübisch lächelnd:

"Nun darfst du dir einen eigenen Schüler wählen, Meister Florian. Ich würde an deiner Stelle zu den Chisei gehen und für Mirco aus deiner Familie sprechen."

"Ist das denn nicht unüblich?" frage ich mit Falten auf der Stirn zurück. "Mein Urteil könnte durch die familiäre Bindung getrübt werden. Ich könnte nicht objektiv genug sein."

"Dein Cousin hat Vermessungstechnik und Geologie studiert, neben den üblichen Fächern der Schule. Er wird in seinen Meditationen nie bis zu Reiki -Lebenskraft, die alles durchdringt- vordringen können. Dazu fehlt ihm die Sensitivität. Also wird er fremde Welten kartographieren und ihre Geologie herausfinden. Sein Wissen wird unser Archiv auf der Erde erweitern und unser Wissen vermehren.
Allerdings wird er nicht alleine zu solchen Expeditionen gesandt. Ein Meister wird ihn begleiten und über ihn wachen, denn diese Leute sind wertvoll!"

"Ah, und du meinst, dass ich der beste Bodyguard für ihn bin?"

Master Clark lacht kurz auf, schlägt mir sanft auf die Schulter und bestätigt:

"Ja, ihr Beide könnt gemeinsam viel erreichen!"

"Okay," antworte ich. "Ich will mal schauen, ob sich die Chisei dieser Argumentationskette anschließen können."

Ich gehe am nächsten Vormittag hinauf in die oberste Etage und verharre vor dem Portal, das von zwei Robotern in goldfarbener Rüstung flankiert wird. Dort werde ich nach dem Grund meiner Anwesenheit gefragt.

"Ich möchte mir einen Schüler erwählen," erwidere ich.

Die beiden Flügel des Portals fahren zur Seite. Die Männer im Inneren des Raumes wenden sich zu mir um. Beherzt trete ich vor und werde sogleich von Master Yamamoto angesprochen. Ich erkläre ihm mein Anliegen. Er holt Mircos und meine Personalakte auf den großen Bildschirm und fragt die anwesenden Chisei reihum nach ihrer Meinung. Dann lässt er abstimmen und gibt abschließend sein Einverständnis.

Nachdem ich den Rat der Chisei verlassen habe, wende ich mich sofort zu Mircos Zimmer. Dort spreche ich in den Schließmechanismus, der mir sofort die Tür öffnet. Ich habe bald herausgefunden gehabt, wie Master Clark damals mein Zimmer betreten hat. Die Okuden -Meister- sind autorisiert die Räume der Schüler jederzeit zu betreten.

Mirco wendet sich bei meinem Eintritt um und lächelt mich an. Ich grüße ihn und eröffne ihm die Neuigkeit:

"Hallo Mirco! Ich komme gerade von den Chisei. Als Okuden darf ich mir ja einen Chuhden als Schüler auswählen. Ich habe im Rat darum gebeten, dein Meister sein zu dürfen, und man hat meinem Wunsch entsprochen. Deshalb bin ich nun auf direktem Weg zu dir gekommen, um dich zu fragen: Möchtest du auch mein Schüler werden?"

"Ich habe mich gefreut, nach meinem Studium den Status eines Fortgeschrittenen bekommen zu haben," antwortet er mir lächelnd. "Aber was bedeutet es jetzt, statt der Fortgeschrittenen-Kurse Schüler eines Meisters zu werden?"

"Die Chisei haben Großes mit dir vor," sage ich und nicke ihm zu. "Ihr Archiv auf der Erde will mit Informationen gefüttert werden. Du hast die Kenntnisse, die es dazu braucht, und ich bringe dich überall hin. Es werden immer zwei Personen zu Expeditionen gesandt!"

"Okay," meint er und grinst mich an. "Wir werden als Team unschlagbar sein!"

Anschließend verlasse ich sein Zimmer und gehe auf Meines. Dort rufe ich den Terminkalender der Expeditionen auf den Bildschirm und informiere mich, wann und wie es losgehen soll.

*

Am Abreisetag treffe ich mich mit Mirco und begebe mich mit ihm zu den Andockplätzen der Luftschiffe unter Ishtar City. Einige wenige Docking-Stationen sind für den Transfer zur Orbitalstation vorgesehen. Mit uns sitzen noch zwölf weitere Fluggäste im Abflugbereich. In einer Stunde wird unser Raumschiff ankommen.
Nachdem wir die Formalitäten erledigt haben, sage ich zu meinem Cousin:

"Komm, setzen wir uns hinten in die Sessel und warten."

Er nickt und wir nähern uns den Sitzgelegenheiten, um uns dort zwischen den anderen Wartenden niederzulassen. Eine Kellnerin fragt, ob wir etwas trinken möchten. Wir lehnen höflich ab. Andere Gäste folgen unserem Beispiel. Es ist nicht gut, während der Beschleunigungsphase etwas im Magen zu haben. Ich beginne stattdessen eine Meditation und nehme mit Reiki Verbindung auf. Unter den Anwesenden, ob sie nun auf den Abflug warten oder nicht, befindet sich glücklicherweise niemand von der 'Konkurrenz'. Es wäre gut, wenn ihnen unsere Reise nicht offenbar wird.

Dann dockt unser Raumschiff an. Wir steigen in einen ausfahrbaren Aufzug, der uns durch den Tunnel im Auftriebskörper nach unten in das Fluggerät bringt. Im Raumschiff angekommen werden wir von Flugbegleiterinnen begrüßt und zu unseren Kontursesseln geführt. Sie erklären uns das Anlegen der Gurte und ich kann sehen, dass sie sich nach dem letzten Passagier ebenfalls anschnallen.

Kurz darauf wird der Kontakt zu Ishtar City gelöst und wir schweben unter der Stadt hervor. Plötzlich spüre ich mich tiefer in den Sitz gedrückt. Auf dem kleinen Bildschirm in der Rückenlehne vor uns wird der Flug in seinen Phasen für Neulinge erklärt. So sehe ich, dass unter dem Shuttle Raketen gezündet worden sind, die den Auftrieb übernehmen, während der Auftriebskörper in sich zusammenfällt.

Die Stimme des Kommentators erklärt dazu, dass das Gas im Auftriebskörper in Tanks gesaugt wird, weil das Shuttle sonst der Venusatmosphäre eine zu große Angriffsfläche bieten würde. Bei höheren Geschwindigkeiten würde der Auftriebskörper abgerissen werden und damit auch das Raumschiff beschädigen.

Als dann der Auftriebskörper auf dem Rücken des Raumschiffes verschwunden ist, werden die Marschtriebwerke nach einer Vorwarnung gezündet. Die nach unten gerichteten Düsen geben keinen Flammenstrahl mehr ab. Nun werden wir alle gegen die Rückenlehnen gepresst. Nach kurzer Zeit empfängt uns draußen die Schwärze des Weltraums.

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Sonntag, 28. August 2022
Aufbruch ins All -30
"Das ist schwierig, dir auf den Kopf zuzusagen, Mirco. Zäumen wir das Pferd von hinten auf: Ich würde dir NICHT raten, eine Ausbildung bei der Space Ressource Corporation anzustreben. Das sind Prospektoren. Sie bauen Bodenschätze ab und verkaufen sie an weiterverarbeitende Unternehmen. Sie bieten dafür natürlich ein breites Spektrum von Berufen an..."

"Da findet sich doch sicher auch etwas für mich," meint er.

"Hm," mache nun ich. "Wo würdest du dich in dem Spektrum denn verordnen wollen?"

"Wenn ich Pilot werde, käme ich viel herum im inneren Sonnensystem. Ich würde Rohstoffe aus dem Asteroidengürtel zur Erde transportieren und Mannschaften zu und von den Minen zur Erde fliegen."

"Das wird dir bald zur Routine, wie die Zugführer auf der Erde, als sie noch nicht automatisiert fuhren. Es gibt inzwischen Autopiloten, die alles Fliegerische übernehmen. Du musst nur noch im Notfall einzugreifen verstehen. Das kann mit der Zeit ganz schön ermüdend sein, wenn alles routinemäßig läuft und du lange nichts tun brauchst, außer die Kontrollen beobachten."

"Du meinst also, ich soll ein Studium aufnehmen und danach als Wissenschaftler Standorte für neue Minen suchen?"

"Oh, da gibt es noch mehr! Als Physiker könntest du die Grundlagen für verbesserte Warp-Antriebe schaffen. Als Ingenieur könntest du beim Bau behilflich sein und technische Probleme aus der Welt schaffen..."

"Wenn ich ehrlich sein soll, würde ich lieber Raumschiffe fliegen. Aber nicht in der Routine hängen bleiben..."

"Du kennst diese Computerspiele, in denen Raumfahrer unbekannte Welten anfliegen und dabei verschiedene Probleme lösen müssen?"

"Ja!" bestätigt Mirco. Seine Augen leuchten.

"Du weißt aber auch, dass diese Computerspiele nicht mit der Wirklichkeit vergleichbar sind? Natürlich musst du als echter Pilot genau diese Probleme auch lösen, aber dazwischen passiert tagelang nichts. Dein Aufmerksamkeitslevel sinkt und das ist im All sehr gefährlich! Bei einem Computerspiel ist dein Adrenalinspiegel ständig hoch."

"Aber es gibt doch Assistenzsysteme, die mich rechtzeitig auf eine Gefahr, wie ein Meteoritenschwarm aufmerksam machen!" argumentiert er dagegen.

"Ja, die gibt es!" gebe ich ihm Recht. "Aber was nützen die, wenn du gerade eingenickt bist, weil tagelang nichts passiert ist. Bis du dann wieder soviel Adrenalin in deinen Adern hast, ist es zu spät. Dein Raumschiff wurde durchlöchert!"

Mirco versinkt nun in Grübelei. Ich lasse ihn eine Zeitlang nachdenken, dann frage ich:

"Traust du dir ein Studium zu? Zum Beispiel im Ernährungssektor. Zeige den Leuten neue Nahrungsquellen auf..."

"Ist das denn nicht auch ein langweiliger Job?"

"Das kann es sein! Jeder Job kennt solche Phasen. Aber wenn du es schaffst, Pflanzen von der Erde für die Ernährung im Weltraum oder auf anderen Planeten zu züchten? Sie müssen ja für den menschlichen Metabolismus verträglich sein... Oder Wirkstoffe für neue Medikamente und Salben zu finden, die dann produziert werden können... Wäre das nicht interessant?"

"Das stimmt schon," bestätigt er. "Aber das ist so ein weites Spektrum an Möglichkeiten! Wie soll ich mich da entscheiden? Nicht dass ich die Entscheidung irgendwann bereue..."

"Dann machst du eben irgendetwas anderes! Wenn du eine aktuelle Entscheidung später bereust, musst du natürlich eine Alternative zur Hand haben."

"Zu welcher Entscheidung rätst du mir?" fragt er mich nun und schaut mich erwartungsvoll an.

"Was für einen Sport hast du in den vergangenen Jahren betrieben?" frage ich zurück.

"In den ersten Schuljahren bin ich oft gemobbt worden. Das hat sich erst gelegt, als ich Capoeira gemacht habe."

"Das ist ein Mittelding aus Tanz und Verteidigungstechnik," resümiere ich.

"Ja, was du da im Club gezeigt hast, sah so ähnlich aus!" meint er.

"Okay, und was hältst du von der buddhistischen Lebensphilosophie und Meditation?" frage ich weiter.

"Über den Buddhismus und die anderen Weltreligionen haben wir in der Schule etwas gelernt," meint er.

"Und was hältst du nun davon?" lasse ich nicht locker.

"Vom Buddhismus?" fragt er nach.

Ich nicke.

"Er predigt das Mitgefühl mit den Mitmenschen und die Gelassenheit bei Schicksalsschlägen. Wenn ich mich an das Mobbing früher erinnere, ist das genau die falsche Lebensphilosophie!" sagt er und schaut mich an.

"Nuuuun," dehne ich. "Was sagst du, wenn ich dir berichte, dass ich in der Fechtschule, der ich seit ein paar Jahren angehöre, den Buddhismus kennen und leben gelernt habe. Niemand verlangt von dir, dich nicht zu verteidigen, wenn du angegriffen wirst. Auch darfst du dazwischengehen, wenn jemand anderer angegriffen wird, und ihn verteidigen. Du darfst nur nicht selbst angreifen!
Um uns verteidigen zu können haben wir Ju-Jutsu gelernt. Das ist eine schnell erlernbare Verteidigungstechnik aus dem irdischen Ostasien. Um zur Ruhe zu kommen und unsere Gedanken zu sortieren, haben wir Meditieren gelernt.
Die Schule wird von einigen kleineren Firmen gesponsert, denen sie neue Mitarbeiter zuführt, je nach Interesse der Schüler. Du hättest als Schüler der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- also Zeit, dich zu orientieren und deinen zukünftigen Beruf, sowie die Firma, in Ruhe auszuwählen."

"Wer sind denn eure Sponsoren?" fragt Mirco interessiert.

"Da wären das Lunar Reparaturdock, die Tanaka Accutronics, die Warp Forschung Laboratories, die Biotech Industries Ltd., Earth Pharmaceuticals Company, die Lunar Ship Systems, die Genetech Corporation, das Yamamoto Design Collective. Hoffentlich habe ich keine vergessen."

"Das ist aber schon eine ganze Menge," antwortet er erstaunt.

"Und sie freuen sich über jeden neuen Mitarbeiter, der von der Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- kommt," sage ich.

"Und in der Zeit auf der Schule lerne ich was?" fragt er noch einmal nach.

Ich merke, 'der Fisch zappelt an der Angel'. Mit Rücksicht auf meine Eltern erwähne ich das Fechten nicht. Ich fasse noch einmal zusammen:

"Ich habe ja eben davon gesprochen: Du erlernst Ju-Jutsu und das Meditieren. Dazwischen erfährst du von den Lebensregeln des Buddhismus. Du lernst friedfertig zu sein, dich aber zu verteidigen, wenn nötig!"

"Und Fechten!" ergänzt er. "Dafür ist es ja eine Fechtschule, die sich mit anderen Schulen auf Turnieren misst."

"Das ist gewissermaßen ihr Aushängeschild," gebe ich zu. "Aber wer das nicht schafft, der braucht die Schule nicht verlassen! Derjenige erhält andere Wege aufgezeigt."

Ich habe nun nicht gesagt, was der Schüler nicht schafft, denn ich möchte hier nicht von Reiki -Lebenskraft, die alles durchdringt- reden. Dafür ist der Nachmittag bei meinen Eltern nicht der richtige Ort, meiner Meinung nach.

"Also, wer sich beim Fechten ungeschickt anstellt, dem wird ein verstärktes Training von Ju-Jutsu empfohlen?" fragt Mirco nach.

Ich lächele und nehme mich als Beispiel:
"Zum Beispiel! Ich habe ja schon nach dem Abschluss der ersten Schuljahre mit Fechten begonnen, in einer anderen Fechtschule zunächst. Ich hatte schon eine Menge Vorerfahrung."

*

Seitdem ich Mirco auf die Fenshingu no gakkoh -Schule der Fechtkunst- aufmerksam gemacht habe sind drei Erdjahre vergangen. Ich bin bei der letzten Aufstufung überraschend zum Okuden -Meister- ernannt worden. Heute ist wieder eine solche Aufstufungsfeier.

Wieder werden wir in den Saal in der fünften Etage unserer Schule zusammengerufen. Seit der letzten Aufstufung vor einem halben Erdjahr sitze ich mit den anderen Meistern direkt den Chisei -Personen mit Geisteskraft- gegenüber. Sie haben diesen Titel nicht, weil sie sich für allein intelligent halten, sondern weil das Japanische auf diese Art ihre hervorgehobene Position kenntlich macht.

Hinter uns haben die Chuhden -Fortgeschrittenen- und die Shoden -Anfänger- Platz genommen. Nachdem wir alle sitzen, erhebt Master Yamamoto das Wort:

"Ich grüße euch, Mitglieder unseres Dojo -heiliger Ort, an dem Kampfkünste gelehrt werden, auch: Stätte der Meditation-! Heute ist wieder ein wichtiger Tag gekommen. Einige von euch haben durch Ehrgeiz und Durchhaltevermögen einen höheren Grad erreicht. Sie haben gezeigt, dass sie Respekt, Achtsamkeit und Ehrenhaftigkeit beherzigen. Dies wollen wir heute würdigen."

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